Protokoll der Sitzung vom 21.05.2015

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere und freue mich, dass der FDP-Bundesvorsitzende heute Morgen auch mal anwesend ist.

(Zuruf von der FDP: Oh!)

Ich zitiere:

„Wir sind eine andere Opposition. Wir reden das Land nicht schlecht, um gut dazustehen.“

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie handeln schlecht!)

„Wer sich von der Angst vor Risiken lähmen lässt, der wird keine Chance ergreifen.“

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sprechen Sie doch mit den Lehrern, Frau Beer!)

Und nicht zuletzt das Wichtigste:

„Die erste Reform, die wir unserem Land empfehlen, ist eine Reform der Mentalität.“

Das sind ja wohl hohle Sprechblasen einer neulackierten FDP, die belegen, dass Sie reine Phrasenpolitik betreiben.

(Zuruf von der FDP)

Schauen Sie sich doch den Antrag zu der heutigen Aktuellen Stunde an. Sie reden das Land schlecht, ohne sich auch nur mit einem kurzen Blick an den Fakten aufzuhalten.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Sie blenden aus, dass das Land über 1 Milliarde € in den Inklusionsprozess investiert hat und damit mehr als 3.200 Lehrerstellen zusätzlich in die Schulen bringt,

(Beifall von den GRÜNEN)

2.500 Plätze für Zusatzqualifikationen geschaffen hat, 2.300 neue Studienplätze, 300 Moderatorinnen für die Fortbildung weiterqualifiziert hat und mehr als 100 Inklusionskoordinatorinnen und Fachberatung zur Verfügung stellt.

100 Millionen € für Aus-, Fort- und Weiterbildung in diesem Land! Sie jedoch haben in der Zeit von 2005 bis 2010 nicht das Gelbe unter dem Fingernagel investiert, um auch nur einen Sonderpädagogen oder eine Sonderpädagogin mehr auszubilden!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Was ist denn Ihre Bilanz? – Da schaue ich auch den Kollegen Kaiser an. – 10.000 Lehrerstellen wurden in der Finanzplanung gestrichen. Und Sie reden heute von den Bedingungen in der Schule? Sie sollten sich schämen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- ruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir haben dafür gesorgt, dass wir 9.500 Stellen im System behalten. Diese Stellen werden für die Rahmenverbesserungen zur Verfügung gestellt und gehen in den Inklusionsprozess hinein. Und Sie haben keinen Pfifferling aufgewendet. Unsere Bilanz kann sich im Vergleich durchaus sehen lassen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie sprechen nie mit den Betroffenen!)

1.000 Stellen waren haushaltswidrig nicht ausfinanziert, als wir die Landesregierung übernommen haben, Herr Hovenjürgen. Waren Sie nicht dafür mitverantwortlich? Ich sage nur: Verstoß gegen das Landeshaushaltsgesetz, Stellen nicht ausfinanziert – das ist reine Makulatur, reine Inszenierung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- ruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir haben das Ganze materiell sichergestellt.

Wer von Qualität redet, Kollege Kaiser, der muss auch den Bericht des Landesrechnungshofs noch einmal zur Kenntnis nehmen, was die Qualität der kleinen Förderschulen vor Ort angeht, was die Ressourcensteuerung dort angeht, und wo wir den Prozess jetzt anders angesetzt haben.

Inklusion ist kein Zustand, Inklusion ist ein Prozess. Diesen Prozess steuern wir sehr sorgfältig, und diesen Weg gehen wir. Lähmungen in der professionellen Entwicklung aufbrechen, die Angst vor Veränderungen nehmen – das gehört in den anspruchsvollen Inklusionsprozess hinein. Das spiegelt auch die Umfrage des VBE wider. Darauf werde ich in meinem zweiten Beitrag noch einmal sehr ausführlich eingehen.

Die FDP dreht hier jedoch bewusst die Empörungsschraube, um Stimmung anzuheizen, anstatt an einem Mentalitätswechsel – den Sie doch propagieren, Herr Lindner – wirklich mitzuwirken.

(Beifall von den GRÜNEN und Norbert Rö- mer [SPD])

Eine Reform der Mentalität, wichtigste und erste Reformen – bei der FDP eine hohle Phrase. Wenn wir schon dabei sind, dann will ich nur kurz den Blick auf das lenken, was bei der FDP tatsächlich in den Verpackungen der neuen Bonbonfarben steckt. Wer der FDP das Magenta-Kleidchen auszieht, sieht, dass sich im Inneren eigentlich nichts verändert hat. Da ist sie, unsere FDP, so wie wir sie kennen.

Wenn es nach der FDP geht, dann sortieren sich Lehrer und Schülerschaft demnächst nach neuen Anreizmodellen. Die Lehrer sollen hier mehr verdienen und Schulen dort mehr Geld bekommen, wo die besten Abschlüsse erreicht werden. Das wird sich nach dem kulturellen Kapital der SchülerInnen, die an einer Schule sind, schnell sortieren und besser sortieren. Dann können die Lehrer dort am meisten verdienen, wo die SchülerInnen zu Hause die besten Lernbedingungen vorfinden. Das ist dann beste Lehrerleistung, und dahin fließt das meiste Geld. –

Schöne, ach so alte FDP-Welt, die dafür sorgt, dass sich die Welt sozial aufteilt und sich

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

nach dem Matthäus-Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben“, weiter sortiert. Der Rest wird dann durch den Markt geregelt. Das kennen wir.

(Beifall von den GRÜNEN – Christof Rasche [FDP]: Da toben die GRÜNEN!)

Kommen wir jetzt zu den wichtigen Fragen des Prozesses, der mit dem Ersten Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen systematisch angegangen worden ist, auch zu den Fragen von Einstellungen und Haltungen. 1.333 Lehrkräfte hat der VBE bundesweit befragen lassen, davon 225 aus Nordrhein-Westfalen. Das sind gerundet immerhin 21,8 % der Befragten.

40 % der 225 Lehrkräfte – das ist ein bisschen kompliziert; ich sage es einmal in Lehrerstellen und Köpfen: 90 Lehrer und Lehrerinnen – hatten Erfahrungen mit gemeinsamem Lernen. Ich habe beim VBE nachgefragt, habe aber keine genauere Auskunft darüber bekommen, wie diese Lehrkräfte sich nun auf Schulformen verteilen. Genauso wenig wissen wir, wie lange sie bereits im gemeinsamen Unterricht gearbeitet haben. Herr Beckmann konnte mir das nicht genau sagen. Er sagte, er habe nur diese Daten aus der Veröffentlichung; das sei aber repräsentativ. Dann gehe ich davon einmal aus.

Das bedeutet, dass pro Schulform ca. 11,25 Lehrerinnen und Lehrer befragt worden sind. Wenn sich dann in der einen oder anderen Schulform doch mehr Lehrkräfte am Telefon ausgesprochen haben, dann heißt das, dass es in bestimmten Kategorien sicherlich auch weniger als zehn Lehrkräfte waren, die dazu Auskunft gegeben haben.

Ich will noch auf eine weitere kleine Urschärfe in der Aussagekraft der Ergebnisse hinweisen, nämlich das Thema „Barrierefreiheit von Schule“. Was heißt dann hier „barrierefrei“? Vielleicht ist damit der Klassiker „Fahrstuhl“ gemeint. 44 % sagen, ihre Schulen seien vollständig bis nahezu barrierefrei. Das ist schon einmal eine Hausnummer, die man zur Kenntnis nehmen muss. 55 % sagen: nicht barrierefrei.

Wie groß ist der Anteil von Kindern mit körperlichmotorischen Einschränkungen dann im Rahmen des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs? Der sonderpädagogische Unterstützungsbedarf

lag – das möchte ich in Erinnerung rufen – im Schuljahr 2013/2014 bei 7,1 %, davon wiederum bei 7,7 % im Bereich der körperlich-motorischen Entwicklung. Das sind nicht alles Rollstuhlfahrer und Rollstuhlfahrerinnen.

Sie sehen also, wie sich hier die Größenordnungen und Relationen verschieben.

Die Redezeit.

Es scheint sich doch mehr um Alarmismus zu handeln und nicht um ein hilfreiches Nach-vorne-Gehen, um Mentalität zu wandeln, um Angst vor Veränderungsprozessen zu nehmen – ein Prozess, den wir gehen wollen und gehen müssen, und den wir sorgfältig angelegt haben. Dazu aber gerne mehr im zweiten Teil. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Piraten spricht Frau Kollegin Pieper.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die liebe Kollegin Beer hier steht und ihr nichts anderes übrig bleibt, als einfach nur eine Fraktion zu bashen, dann, glaube ich, haben wir alles richtig gemacht.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Jetzt stehen wir also mal wieder hier und debattieren über das gemeinsame Lernen. Wir stehen jetzt wieder hier, weil all das, was unsere Schulministerin so wunderbar eingestielt glaubte, jetzt wie ein Bumerang zurückkommt und Ihnen, Frau Löhrmann, auf die Füße fällt.

Das erste Schuljahr unter den neuen Rahmenbedingungen für die schulische Inklusion geht jetzt zu Ende – durchaus ein geeigneter Zeitpunkt, um eine erste Bestandsaufnahme zu machen. Und die fällt so aus: Die getroffenen Regelungen hebeln ein Elternwahlrecht aus, überfordern Schulen und Schul

träger und können nicht die notwendige Förderung aller Kinder gewährleisten.