Protokoll der Sitzung vom 02.09.2015

Es gibt dieses Gesetz, das Einwanderung möglich macht. Es gibt ein Aufenthaltsgesetz. Bei Frau Nahles sind 70 Mangelberufe aufgelistet, mit denen man heute einwandern kann.

Die Rechtsvorschriften sind viel zu kompliziert. Deshalb brauchen wir ein klares und transparentes neues Einwanderungsgesetz. Das ist doch eigentlich eine Frage, über die man sich verständigen kann, ohne dass man dauernd dazwischenrufen muss.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Sie brauchen doch nicht dauernd dazwischenzurufen!

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Wir brauchen das. Lassen Sie mich dazu nur eine Bemerkung machen. Als Sozialdemokraten würde ich bei dieser Frage nicht so laut schreien.

Ich habe 2011 eine Zuwanderungskommission mit dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und Verteidigungsminister Peter Struck geleitet. Da waren alle Parteien drin. Wir hatten damals die Idee, einen Konsens hinzubekommen, und gedacht, manche der eher Konservativeren würden das Problem sein. Diejenigen, die das kritisiert haben, waren die Gewerkschaften, die gesagt haben: Moment einmal! Das ist typisch Industrie. Immer nur die Billigen und Willigen hereinholen. Wir wollen, dass noch der letzte Langzeitarbeitslose gefördert wird, dies und das gemacht wird, und dann reden wir über Zuwanderung.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Wie war das mit „Kinder statt Inder“!)

Dass heute die SPD so vollmundig wie Herr Oppermann sagt, man wolle Zuwanderung knapp oberhalb des Mindestlohns, ist eher die Position des BDI und der FDP als die der Sozialdemokraten. Sie haben da einen weiten Weg hinter sich.

(Beifall von der CDU – Stefan Zimkeit [SPD] und Hans-Willi Körfges [SPD]: Kinder statt Inder!)

Ich bin nicht sicher, ob alle Gewerkschafter in diese Tonlage einstimmen.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Etwas anderes fällt euch auch nicht mehr ein!)

Aber lassen wir doch, wenn wir diese Sauberkeit in den Systemen haben, die Unterscheidung „hier das Asyl, da die Einwanderung“ auch in unsere Praxis umsetzen. Das ist der Appell, den wir mit unserem Antrag an Sie richten.

Nun haben Sie, Frau Ministerpräsidentin, in Ihrem Sommerinterview auf dem Schiff in Mülheim an der Ruhr gesagt:

(Zurufe von der SPD)

Klar ist, wenn Eltern sagen, mein Kind bekommt keinen Schulunterricht, oder wenn Vereine nicht mehr trainieren können, dass das dazu beiträgt, dass sich die Stimmung verändert.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Ja, na- türlich!)

Dieser Satz ist richtig. Die Stimmung kann sich verändern. Die Stimmung kann auch umschlagen. Und die Stimmung schlägt vor allem dann um, wenn Verwaltungsversagen, Organisationsversagen diese Willkommenskultur gefährden.

Deswegen war es eben nicht in Ordnung, dass Sie den Medien vorgeworfen haben, sie schrieben, dass die Stimmung umschlägt. Sie selbst haben es gesagt, und Ihr Handeln verursacht, dass die Stimmung umschlagen kann.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Bei einer Tour quer durch das Land hat mir ein Bürgermeister gesagt: Wir bekommen eine Weisung aus dem Schulministerium durch den Staatssekretär: Bitte stellt auch Turnhallen für Flüchtlinge bereit. Wir legen allerdings Wert darauf, dass der Sportunterricht in vollem Umfang erteilt wird.

(Heiterkeit von der CDU – Zuruf von Ministe- rin Sylvia Löhrmann)

Das können Sie in Aachen, in Köln oder in einer anderen großen Stadt sagen, weil in der Nachbarschaft noch eine Turnhalle ist. Aber in einem kleinen Ort, wo nur eine Turnhalle ist, lassen sie die Kommunen, die sich bemühen, es aber nicht schaffen, mit solchen Erlassen allein. Die Stärkungspaktkommunen sagen: Bitte, zieht doch die Flüchtlinge vor die Klammer, damit wir nicht demnächst wegen der Flüchtlinge Steuern erhöhen müssen. – Wenn Sie das nicht ändern, schlägt die Willkommenskultur um. Das ist unsere Angst, die uns bewegt.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Wir sind doch in der Sache bezüglich der Aufnahme einig, aber ich habe die Sorge, dass so, wie Sie das machen, nicht mehr allzu lange die Bürgermeister, die Ehrenamtler bereit sind, diesen Dienst zu tun, wenn diese feststellen, dass die Politik sie alleine lässt.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Jetzt kommt noch ein Zweites hinzu: Der Innenminister hat hier deutlich gemacht, dass wir mehr Flüchtlinge aufnehmen als Frankreich. Das ist eine große Leistung von Nordrhein-Westfalen. Er hat dann sogar gesagt: Wir nehmen mehr auf, als wir nach dem Königsteiner Schlüssel aufnehmen müssten. – Das kann nun schlechterdings nicht sein.

(Zuruf von den PIRATEN: Die werden weiter- geleitet!)

Wenn man dann der Frage nachgeht, warum das denn so ist, stellt man fest, dass das daran liegt, dass Sie, wie Sie es hier organisiert haben, nicht einmal alle Flüchtlinge erfassen können.

Der Oberbürgermeister von Dortmund hat Ihnen das doch ins Stammbuch geschrieben. Die schaffen 350 Registrierungen, danach werden die Menschen in die Kommunen überwiesen, und wir kommen nicht einmal nach, alle zu erfassen, die in Nordrhein-Westfalen sind. Deshalb ist die Last hier größer als in anderen Bundesländern. Und das betrifft Verwaltungshandeln.

(Zurufe von der SPD)

Wenn die anderen 15 Länder es schaffen, wenn das bayerische Grenz…

(Dietmar Bell [SPD]: So ein Quatsch! – Wei- tere Zurufe von der SPD)

Ich verstehe es, dass es Sie, wenn man sozialdemokratische Oberbürgermeister zitiert, in Aufregung versetzt.

(Nadja Lüders [SPD]: Gerade mich!)

Ja, gerade die Dortmunder Abgeordnete, das verstehe ich.

Aber ich bitte Sie, sich trotzdem einmal die Frage zu stellen: Wenn wir schildern, dass wir mehr als andere Bundesländer im Vergleich zum Königsteiner Schlüssel aufnehmen, dann machen es die anderen scheinbar richtiger. Sonst wäre es ja nicht bei uns so.

(Beifall von der CDU – Widerspruch von der SPD – Zuruf von Nadja Lüders [SPD] – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Wir bitten Sie schlicht und einfach …

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Frau Lüders, Sie wissen genau, dass das so ist. Deshalb haben Sie jetzt 100 Polizeibeamte hinzugezogen, die bei der Erfassung mithelfen. Ich hätte mir übrigens andere Verwaltungsmitarbeiter vorstellen können als ausgerechnet Polizeibeamte. Die brauchen wir in diesen Tagen gerade bei ganz anderen Dingen. Das wissen Sie auch.

(Beifall von der CDU – Nadja Lüders [SPD]: Dann nennen Sie die doch einmal, die Sie meinen! – Ibrahim Yetim [SPD]: Er weiß es doch gar nicht!)

Dann kommt die dritte Aufgabe: Wie helfen wir den Kommunen bei den Kosten, die sie zu tragen haben?

Das ist für die Kommunen eine riesige Frage. Wir haben aus vielerlei Gründen in Nordrhein-Westfalen den höchsten Kommunalisierungsgrad in Deutschland. Deshalb geht es den Kommunen strukturell seit vielen Jahren, egal, wer regiert hat, schlechter als den Kommunen in anderen Ländern, weil sie mehr Aufgaben vor Ort übernehmen müssen.

Das fängt bei Kindergartenbeiträgen an. Da gibt es in Baden-Württemberg einen 9-%-Anteil, den Rest trägt das Land. Hier in Nordrhein-Westfalen sind ein Drittel der Kosten bei den Kommunen. Das gilt für vieles mehr.

Dass ausgerechnet diese Kommunen bei uns im Gegensatz zum Saarland, im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern, im Gegensatz zu Bayern nur maximal ein Drittel der Kosten erstattet bekommen, während in den anderen Ländern voll abgerechnet wird, ist nicht in Ordnung. Das müssen Sie ändern.

(Beifall von der CDU)

Das ist das große Problem, vor dem die Kommunen stehen. Wir müssen den Kommunen helfen, bevor sie am Ende Steuern erhöhen und dies der der Öffentlichkeit gegenüber mit den Flüchtlingen begrün

den. Wenn das passiert, geht genau das verloren, für das wir kämpfen, nämlich diese Willkommenskultur.

Wir sind an Ihrer Seite, Frau Ministerpräsidentin, wenn Sie sagen: Wir werden das in diesem Land schaffen. – Ich glaube das auch. Dieses Land hat schon andere Herausforderungen bewältigt. Wir brauchen dafür aber einen entsprechenden Mechanismus und müssen erkennen, dass wir einen Krisenstab und andere Verwaltungsprozeduren als üblich benötigen. Wir müssen raus aus dem Trott unseres Verwaltungshandelns und wirklich schneller und konzentrierter entscheiden. Dann gelingt es uns auch, diese große Integrationsaufgabe zu leisten.

Daran wollen wir gerne mitwirken, wenn Sie dazu bereit sind. – Vielen Dank.