Protokoll der Sitzung vom 01.10.2015

Denn das wäre verheerend, weil wir ja heute schon wissen, dass die Piratenfraktion die Änderung beklagen wird. Es wäre verheerend, wenn der Verfassungsgerichtshof dann zum Beispiel rechtsradikalen Splitterparteien, die gegen diese Änderung vorgehen werden, mit einem entsprechenden Urteilstenor

recht geben und die Auffassung solcher Kläger auch noch höchstrichterlich bestätigen würde.

Das ist das, was ich zunächst an Bedenken unserer Fraktion definitiv mit auf den Weg geben will. Und ich will …

Herr Kollege, entschuldigen Sie die Unterbrechung.

Ja, gerne.

Aber Herr Kollege Hübner von der SPD-Fraktion würde Ihnen gern eine Frage stellen.

Sehr gerne.

Bitte, Herr Kollege.

Michael Hübner (SPD: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Herr Hans-Willi Körfges hat in seinem Redebeitrag schon deutlich gemacht, dass sich auch der Gutachterdienst des Landtags im Jahr 2007 mit der Fragestellung auseinandergesetzt hat.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Anlässlich der Rundungsregeln!)

Richtig. Der Hinweis von Hans-Willi Körfges ist richtig, dass das anlässlich der Rundungsregelung war. Auch der Gutachterdienst hat damals zusammenfassend festgestellt – ich zitiere –, „dass die Einführung einer Sperrklausel für die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich zulässig und möglich ist.“ – Wie beurteilen Sie die Aussage des Gutachterdienstes?

Kai Abruszat (FDP: Ich bedanke mich sehr für diese Frage, weil sie mir nämlich die Gelegenheit gibt, Herr Kollege Hübner, Ihnen mitzuteilen, dass ich selbst in meiner Eigenschaft als Abgeordneter dieses Hauses den Gutachterdienst des Landtags beauftragt habe; das Gutachten wird demnächst veröffentlicht. Ich habe es schon quergelesen und kann Ihnen sagen: Es stützt eher die Auffassung, dass es erhebliche Bedenken gibt, eine Sperrklausel zu verankern. Ich stelle es selbstverständlich für die erforderlichen Beratungen zur Verfügung. Insofern glaube ich, dass das Gutachten aus 2007 nur einen Teilaspekt abbildet, Herr Kollege Hübner.

Noch einmal: Ich bin auch nicht derjenige, der sagen kann, wie es am Ende ausgeht. Für die FDPFraktion möchte ich erklären: Wir wollen uns dem Thema sehr sorgfältig mit einer umfassenden Expertenanhörung nähern.

(Michael Hübner [SPD]: Ist auch schon be- schlossen!)

Herr Kollege Hübner, wir haben uns auch noch nicht abschließend entschieden, wie wir uns positionieren; das machen wir abhängig von dem weiteren Verfahren.

Für uns, verehrte Kolleginnen und Kollegen – das eint CDU, SPD, FDP und Grüne –, ist die Funktionsfähigkeit der Räte und Kreistage, der kommunalen Demokratie und damit auch des kommunalen Ehrenamtes ein ganz hohes Gut. Wir sehen auch an der einen oder anderen Stelle, dass es im praktischen Alltag der Kommunalpolitik schwieriger geworden ist.

Aber am Ende des Tages ist nach den bisherigen Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Funktionsbeeinträchtigung nicht ausreichend, sondern es ist eben eine Funktionsgestörtheit, eine Funktionsunfähigkeit erforderlich, die auch nachzuweisen ist. Der substanzielle Nachweis der Funktionsgestörtheit ist aus unserer Sicht der Knackpunkt. Darüber werden wir dann noch sprechen müssen.

Lassen Sie mich abschließend sagen, dass sich der ehemalige VGH-Präsident Bertrams nicht nur in seiner Eigenschaft als Präsident des Verfassungsgerichtshofs mit der Thematik auseinandergesetzt hat, sondern er hat sich auch im Nachgang damit befasst. Herr Bertrams hat im Oktober 2013 in einer Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, die betitelt war mit „Angriff auf lästige Kleinstparteien“, sehr deutlich gemacht, wie hoch die verfassungsrechtlichen Hürden sind.

Lassen Sie uns insgesamt Sorge dafür tragen, dass wir nicht zu einer verfassungswidrigen Verfassungsnorm kommen. Das wäre in der Tat am Ende ein verheerendes Signal für die kommunale Demokratie. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. Ihnen ist heute Morgen bereits zu Ihrer Wahl zum Bürgermeister von Stemwede gratuliert worden. Das war jetzt Ihre letzte Rede?

(Kai Abruszat [FDP]: Nein!)

Kommt noch eine? – Umso besser.

(Christof Rasche [FDP]: Das ist unser Joker!)

Dann hat der Versuch einer Abschiedsbemerkung die Erwartung auf Ihre nächste Rede noch weiter gesteigert, Herr Kollege.

(Heiterkeit von allen Fraktionen)

Nehmen Sie mir das so ab. Wir freuen uns auf den nächsten Beitrag.

Jetzt ist in der laufenden Debatte aber erst einmal Herr Kollege Sommer für die Piratenfraktion an der Reihe. Bitte schön.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne und natürlich auch im Stream! Wir reden über – wie sagte es der Kollege Abruszat so schön – das höchste Rechtsgut, das wir im Lande haben. Die Art und Weise, wie wir die Diskussion darüber hier angefangen haben, finde ich nicht besonders gelungen.

Ich fange einfach einmal mit den Themen an, die meine Vorredner angesprochen haben, und beginne mit Herrn Körfges.

Herr Körfges, Sie sagten, zur ersten Stimme brauche man nur ab 0,6 % – das hängt immer von der Größe der Kommune ab, aber grundsätzlich ja –, und zogen dann, wie auch der Kollege Nettelstroth, den Vergleich dazu, wie viele Stimmen für die weiteren Sitze benötigt werden. Dadurch kam der Eindruck auf, dass die großen Parteien benachteiligt würden. Allerdings – und das gehört zur Wahrheit dazu –: Auch die großen Parteien brauchen für ihre erste Stimme nur diese geringere Stimmenzahl. Da wird also niemand benachteiligt. Erst für das nächste Ratsmandat braucht man dann überproportional mehr Stimmen.

(Zuruf von der SPD: Das ist spitzfindig!)

Ja, das ist spitzfindig. Ich weiß. Das hat das mit dieser Verfassung aber so an sich. Wenn wir da nicht spitzfindig und genau arbeiten, dann brauchen wir erst gar nicht damit anzufangen.

(Beifall von den PIRATEN)

Eben ist ausgeführt worden, dass nach 16 Jahren – dieses Urteil ist ja schon 16 Jahre alt – die Räte heute mehr leiden als halt vor zwölf Jahren. – Das wundert mich ein bisschen, weil das, wie ich glaube, auch schon vor zwölf Jahren verdammt viel Arbeit war und verdammt viel Arbeit nebenher. Darin sind wir uns, denke ich, alle einig. Daran gibt es auch nichts zu deuteln. Wir haben uns eben auch nicht darüber lustig gemacht, sondern darüber, dass Ihnen die statistischen Grundlagen für Ihre Aussagen komplett fehlen.

Das sogenannte Bogumil-Gutachten ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt ist. Wenn man diesem Bogumil-Gutachten allerdings folgen will, dann ist es tatsächlich so, dass die Haushaltsberatung in den Kommunen aktuell eine Stunde länger dauert – vier Stunden statt drei Stunden. Einmal im Jahr.

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Natürlich immer. Herr Körfges darf mir gerne eine Zwischenfrage stellen.

Wunderbar, wenn Sie die schon erwartet haben. Herr Körfges, bitte.

Herr Kollege Sommer, können Sie mir vielleicht die wissenschaftlichen Grundlagen für Ihre Beurteilung des Gutachtens von Herrn Prof. Dr. Bogumil nennen?

Die wissenschaftliche Grundlage ist, dass ich es gelesen habe – von vorne bis hinten.

(Heiterkeit von der CDU – Beifall von den PIRATEN)

Ich bin sehr verwundert darüber, dass man dieses Gutachten überhaupt wissenschaftlich nennt. Ich fasse es einmal so zusammen: Wenn ich den Teich austrocknen will, frage ich demnächst auch immer die Frösche.

Wenn ich – wie bei diesem Gutachten geschehen – aus den Kommunen lediglich die Hauptverwaltungsbeamten nach ihrer Meinung frage, ob die Einzelvertreter stören, und diese Antworten hinterher als wissenschaftliches Gutachten verkaufe, ist das schon durchaus peinlich.

(Beifall von den PIRATEN)

Das braucht kein Mensch.

Aber selbst wenn ich diesem Gutachten folge, ist es so, dass bei dieser einen Haushaltssitzung im Jahr das Ganze eine Stunde länger dauert. Selbst wenn ich bei diesem, wie ich finde, nicht wissenschaftlichen Gutachten bleibe, ergibt sich für die anderen Sitzungen eine Verlängerung von zwölf Minuten pro Sitzung. Chapeau!

Wenn ich mir dann durchlese, was das Verfassungsgericht im Jahr 1999 dazu geurteilt hat, nämlich dass die Arbeitsfähigkeit grundsätzlich nicht mehr gewährleistet sein darf, bevor ich eine Sperrklausel als Landesgesetzgeber einführen kann, dann ist eine Verlängerung von zwölf Minuten pro Sitzung doch wohl kaum als ein Ende der Arbeitsfähigkeit unserer kommunalen Vertretungen anzusehen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich komme zur Zersplitterung. Herr Körfges und auch Herr Mostofizadeh sprachen an, dass es eine sehr starke Zersplitterung gegeben habe. – Schauen wir uns doch einmal an, wie diese Zersplitterung wirklich aussieht.

Schauen wir uns zum Beispiel einmal Soest an. Soest ist mein Lieblingsbeispiel. Da rührt die Zersplitterung nicht von den zwei oder drei Einzelbewerbern oder neuen Parteien her, die in den Rat gewählt worden sind, sondern geht zurück auf die Zerbröselung und Auflösung der Altparteien. SPD, CDU und Grüne – alle haben Federn gelassen. Alle haben Mandatsträger gehabt, die sich dann einer anderen Gruppierung zugewandt oder eine neue Gruppierung gegründet haben. Sie wollen einfach nur die Reihen schließen. Sie wollen nur parteiinternen Druck ausüben. Das ist alles.