Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es gibt Tage und Ereignisse, die bleiben. Ohne Zweifel geschah an dem Freitag, der Anlass für diese Debatte ist, ein solches Ereignis.
Vielen von Ihnen wird es so ergangen sein wie meiner Frau und mir. Wir waren im Kreis von Freunden, und irgendwann im Laufe des Abends bekommt man eine Nachricht, was für schreckliche Ereignisse in Paris im Gange sind. Wir haben dann über mehrere Stunden die Fernsehberichterstattung verfolgt und Bilder gesehen, von denen sicherlich niemand von uns sich hat vorstellen können, dass sie aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft kommen, dass Straßen und Cafés, die wir vielleicht selber schon besucht haben, Stätten von Mord und schwersten Verletzungen werden können.
Im Zuge dessen ist gefragt worden: Kann das auch in Deutschland passieren? An diesem Abend und an den Tagen danach bis jetzt wird die Frage gestellt: Kann das auch in Deutschland passieren? Ich finde die Frage schon falsch gestellt. Denn in Paris sind ja nicht Französinnen und Franzosen oder ist die französische Bevölkerung oder sind Touristen gemeint gewesen. In Paris sind junge Männer zu Mördern geworden, weil sie unsere Freiheit hassen, weil sie uns die Offenheit unserer Gesellschaft neiden und sie bekämpfen wollen. In Paris ging es um einen Anschlag auf unsere westliche Lebensweise insgesamt.
Aus diesem Grund hoffe ich, dass aus der Trauer, aus der Betroffenheit dieser Tage auch der Mut und die Wehrhaftigkeit wachsen, genau diese westliche Lebensweise und die Werte unserer inneren Liberalität zu verteidigen.
Der französische Staatspräsident hat unmittelbar nach diesen Taten ja von „Krieg“ gesprochen. Aus seiner Trauer heraus ist diese Wortwahl sicherlich nachvollziehbar. Aber es ist kein Krieg gegen den IS, gegen den Islamischen Staat. Denn in Paris, das waren keine Soldaten, sondern Kriminelle, Mörder. Der Islamische Staat nennt sich zwar so, aber es ist kein Staat, der irgendeine völkerrechtliche Legitimation für Angriffe auf Frankreich hätte. Nennen wir es
beim Namen: Der IS, das ist eine islamische Sekte, und als solche muss sie auch im Inland wie im Ausland bekämpft werden. Aber es handelt sich eben nicht um Krieg.
Was die bezwecken, das ist natürlich Angst in unserem Alltag, dass wir uns einschränken in unserer Freiheit. Ich denke an das abgesagte Fußballspiel in Hannover.
Aber das ist nicht das Einzige, was die bezwecken. Diese Terroristen haben noch ein anderes Ziel. Die wollen, dass sich unsere Gesellschaften radikalisieren. Die wollen, dass wir zu einem Nationalismus zurückkehren. Die wollen, dass wir uns abschotten. Die wollen übrigens auch die militärische Intervention im Nahen Osten. Egal, ob die nun Le Pen oder Pegida oder AfD oder sonstwie heißen, die freuen sich über die politischen Erfolge der Rechtspopulisten und der Ränder in den westlichen, in den europäischen Gesellschaften. Die möchten, dass wir unsere bürgerlichen Freiheiten einschränken.
Guantanamo als eine Konsequenz aus dem 11. September 2001, das war ein Sieg für die radikalen Islamisten, weil sie sagen konnten: Da schaut her, das ist der Westen mit seinem Rechtsstaat und seinen Menschenrechten!
Deshalb ist die starke Aufforderung an uns durch diese Terroranschläge, dass wir nicht so werden, wie die glauben, dass wir sind, oder wollen, dass wir sind. Auf die innere Liberalität unserer Gesellschaft und ihre Rechtsstaatlichkeit, die Verhältnismäßigkeit der staatlichen Maßnahmen jetzt zu achten, das ist das Gebot der Stunde.
Verehrte Anwesende, zu unserem Verständnis von Staat, dem liberalen Staat – ich meine das jetzt nicht parteipolitisch, sondern ideengeschichtlich –, gehört die Verhältnismäßigkeit seiner Mittel. Eine offene Gesellschaft wie unsere ist immer verwundbar. Das machen die sich ja zunutze. Die greifen weiche Ziele an, weil man sich gegen Angriffe auf weiche Ziele niemals vollständig schützen kann. Das machen die sich zunutze.
Machen wir uns deshalb klar: Absolute Sicherheit kann es nicht geben. Ich will es nicht zu trivial sagen, aber nur um die Verhältnismäßigkeit deutlich zu machen: Absolute Sicherheit gibt es dann, wenn jeder von uns in seiner eigenen Einzelzelle eingesperrt ist. Das ist absolute Sicherheit bei zugleich minimaler Freiheit. Bei uns muss es aber darum gehen, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten, so wie Benjamin Franklin gesagt hat: Wer die Freiheit der Sicherheit opfert, der wird am Ende eben beides verlieren.
Diese Verhältnismäßigkeit der Mittel – liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir zuerst auf unsere Innenpolitik und die Bekämpfung des radikalen Sa
lafismus – wird ja in den nächsten Wochen und Monaten diskutiert werden. Das ist doch völlig klar. Die ersten Rufe bereits am Samstag nach der Tat waren nicht nur – die Kollegen haben es angesprochen – die Verbindung von Flüchtlingswelle und Terrorismus, sondern auch der reflexhafte Ruf nach stärkeren Eingriffen in bürgerliche Freiheiten. Das kommt ja sofort und pauschal.
Die eigentliche Bedrohung ist aber doch eine andere. Die Bedrohung geht doch nicht von Millionen Menschen, unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft, aus. Die Gefährdung geht aus zum Beispiel von jenen, die aus Deutschland ausgereist sind und nun verroht, möglicherweise auch als Teilnehmer des Bürgerkriegs, zurück zu uns kommen.
Deshalb muss die Frage doch jetzt sein: Was tun wir, um die, Herr Innenminister, ich glaube, 500 Gefährder lückenlos zu überwachen und zu prüfen, ob unser Strafrecht hinreicht – Unterstützung terroristischer Organisationen –, um die tatsächlich auch zur Verantwortung zu ziehen? Das ist die entscheidende Frage. Also: Wie bringen wir unsere Polizei- und Sicherheitsbehörden auf den Stand der Zeit, auch angesichts der neuen Bedrohungen? Darum müssen wir uns kümmern.
Also das Gebot der Stunde ist, klar jene in den Blick zu nehmen, die tatsächlich potenzielle Gefährder sind, aber nicht Millionen Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel durch die Vorratsdatenspeicherung unter einen Generalverdacht zu stellen.
Zweitens. Natürlich muss der Islamische Staat, jene islamische Sekte, auch militärisch zerstört werden. Das gehört zu einer Strategie dazu.
Augenblicklich – zur Stunde wird ja auch der Deutsche Bundestag darüber beraten – stelle ich mir aber die Frage nach der Strategie. Der reflexhafte Angriff ersetzt noch nicht eine dauerhafte Lösung, einen Friedens- und Stabilisierungsprozess in dieser Weltregion. Es sind Fragen nach der Rolle von Iran und Saudi-Arabien zu stellen. Im Hinblick auf Saudi-Arabien ist das nicht zwingend der Staat, aber mancher Scheich finanziert hier auch bei uns Koranschulen, die zu einer radikalen, unkritischen Interpretation des Islams beitragen. Die finanzieren bei uns die Werbebemühungen für den Nachwuchs an Glaubenskriegern im Nahen und Mittleren Osten.
Also: Wie ist auch irgendwann der Exit der westlichen Mächte, die dort intervenieren? Diese strategischen Fragen müssten doch am besten im Zusammenhang noch vor einer militärischen Intervention erörtert werden, weil es sonst die Gefahr gibt, dass wir in Treibsand geraten, ohne dass es eine dauerhafte Stabilisierung in dieser Weltregion gibt.
Drittens. Machen wir uns doch einmal klar, dass in Paris nicht Flüchtlinge, die von außerhalb Europas zu uns gekommen sind, zu Gewalttätern geworden sind, sondern es waren junge Männer aus der Mitte dieser Gesellschaft, die zum Teil in zweiter oder dritter Generation dort lebten. Auch in Belgien gibt es solche Orte.
Also ist es doch die große Aufgabe, die damit verbunden ist, die Integrationsbemühungen noch einmal neu zu prüfen und zu verstärken – auch hinsichtlich unserer Wertgrundlage, der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes. Das ist ja keine unverbindliche Spielanleitung wie beim Menschärgere-dich-nicht-Spiel, sondern unser Grundgesetz hat auch über den geschriebenen Text hinaus einen Wertcharakter: Freiheit des Einzelnen, Gleichberechtigung der Geschlechter, Religionsfreiheit. Das zu vermitteln, ist erforderlich – gerade auch vielleicht gegenüber jenen, die jetzt aus anderen Gesellschaftsordnungen zu uns kommen.
Und es wird darum gehen, jungen Menschen eine Perspektive im Leben aufzuzeigen. Denn wer keine Lebenschance in unserer Gesellschaft hat, wer keine Chance hat, sich einen eigenverantwortlich erwirtschafteten bescheidenen Wohlstand zu erarbeiten und eine Familie zu gründen, wer das nicht hat – na ja, von denen werden dann viele zum Strohhalm des religiösen Irrationalismus oder des politischen Extremismus greifen. Also, der beste Weg zur Prävention ist, vielen bzw. allen Menschen eine faire Lebenschance zu eröffnen. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Die brutalen Mordanschläge von Paris haben die Menschen in ganz Europa, ja weltweit tief berührt. Wegen ihrer Brutalität sind sie uns besonders nahe gegangen. An dieser Stelle muss aber auch erwähnt werden, dass es auch an anderen Orten dieser Welt – in Beirut im Libanon und in Bamako in Mali – zu ähnlichen Anschlägen gekommen ist.
Wir gedenken der Opfer und ihrer Angehörigen. Wir trauern mit unseren französischen Freunden, und wir sind mit unseren Gedanken bei den Menschen, die ihre Angehörigen durch diese barbarischen Anschläge verloren haben: Nous sommes unis!
Auch die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen lassen uns besorgt, nachdenklich und viele sogar verängstigt zurück. Ich denke da an Hannover, an Brüssel und immer wieder an Paris. Zugleich ist uns bewusst: Die Mordanschläge von Paris haben uns
allen gegolten. Sie haben sich gezielt gegen die Freiheit, die Vielfalt und die Toleranz in Europa gerichtet. Umso wichtiger ist es nun, dass wir uns deutlich machen: Den Kulturkampf, den uns die Extremisten aufzwingen wollen, dürfen wir nicht führen!
Wir dürfen das europäische Miteinander der Kulturen und der Religionen nicht zerstören lassen. Die Mörder und die Wahnsinnigen verfolgen das vorrangige Ziel, Angst und Verunsicherung zu säen und die Gesellschaft zu spalten. Wir dürfen das nicht zulassen. Willkommenskultur, persönliche Begegnung und der kulturelle Austausch sind die besten Mittel gegen Gewalt und gegen Menschenhass.
Meine Damen und Herren, deshalb sage ich: Wir Piraten können uns der Resolution von SPD, CDU, Grünen und FDP nicht anschließen. Dieser Resolution können wir uns nicht anschließen, weil sie die falsche Antwort auf Fragen ist, die gar nicht gestellt wurden. Wir können uns dieser Resolution nicht anschließen, weil sie mit ziemlich deutlichen Worten den völkerrechtswidrigen Einsatz in Syrien fordert. Ich zitiere aus dem Resolutionstext.
„sind zugleich eine Verpflichtung, sich auch gegen den Terror in den Herkunftsländern vieler Geflüchteter einzusetzen...“
Dieses Ansinnen ist einfach abscheulich. Wir können uns dieser Resolution nicht anschließen, weil mit den feigen Anschlägen eben nicht die Abschaffung von Grundrechten abgefragt wird – und auch nicht die Ausweitung eines Kontrollstaates, eines Überwachungsstaates in Europa.
Massenüberwachung, die Aufgabe von Grundrechten, eine Bevölkerung unter Generalverdacht stellen – das alles sind immer Zeichen von Angst und nicht von Mut oder Entschlossenheit.
Wir können uns dieser Resolution auch deshalb nicht anschließen, weil sie Gewalt fordert, wo Worte des Friedens vonnöten wären. – Ich zitiere noch einmal aus der Resolution:
„Terroristen sind Verbrecher, und wir werden sie wie Verbrecher bekämpfen. Wir werden mit Entschlossenheit und Besonnenheit die Mittel des Rechtsstaats nutzen, um sie aufzuspüren, zu bestrafen und ihre Mordpläne zu vereiteln.“
(Beifall von der SPD, der CDU und der Re- gierungsbank – Stefan Zimkeit [SPD]: Wir können uns dem anschließen!)
Bekämpfen, aufspüren und bestrafen – das klingt nach kurzem Prozess, Telefonüberwachung und dauerhaftem Ausnahmezustand.
(Widerspruch von der SPD, der CDU und der Regierungsbank – Zuruf von der CDU: Rechtsstaat! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Da gehen die Gäule mit Ihnen durch!)
Das ist genau die falsche Wortwahl für einen Appell, der eigentlich für Freiheit, für Vielfalt, für Toleranz und für Frieden stehen sollte.
So kann nicht die Antwort eines emanzipierten und eines selbstbewussten Europas, Deutschlands oder Nordrhein-Westfalens aussehen. Da machen wir als Piraten nicht mit.
Denn die zentrale Frage lautet doch: Wer bedroht hier eigentlich wen? Wird Europa wirklich von mörderischen Fanatikerbanden, von Heerscharen gewalttätiger Fundamentalisten und um sich schießenden Religionsverwirrten bedroht?