Protokoll der Sitzung vom 27.09.2020

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Herr Weiß.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! In ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, lieber Kollege Rüße, nennen Sie die gemeinsame Agrarpolitik „das Kernstück der europäischen Einigung“.

Das ist sicher nicht ganz falsch; denn immerhin ist sie das älteste und finanziell am besten ausgestattete Politikfeld der Europäischen Union. Gleichzeitig ist sie aber auch eines der umstrittensten Politikfelder. Konkret ist es die erste Säule, also das Prinzip der Direktzahlungen nach bewirtschafteter Fläche, die von Wissenschaft und progressiven politischen Kräften kritisiert wird – und das völlig zu Recht.

Es kann und darf nicht sein, dass die Größe eines Agrarbetriebes das ausschlaggebende Kriterium für die Höhe der Fördermittel ist, die dieses Unternehmen bekommt.

(Beifall von André Stinka [SPD] und Norwich Rüße [GRÜNE])

Das Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat ausgerechnet, dass in der vorigen Förderperiode 80 % der Höfe mit dem geringsten Einkommen nur 25 % der Direktzahlungen bekommen haben. Gleichzeitig haben 10 % der Höfe mit dem höchsten Einkommen 55 % der Direktzahlungen erhalten. So subventionieren wir mit Steuergeldern nicht die Agrarwirtschaft, sondern das Höfesterben.

(Beifall von Christian Dahm [SPD] und André Stinka [SPD])

Wir fordern deshalb: Öffentliche Gelder müssen auch in öffentliche Leistungen fließen. Um das gewaltige Budget für die gemeinsame Agrarwirtschaft nachhaltig und zukunftsorientiert zu nutzen, muss das Prinzip

der Direktzahlungen nach Hektar geändert werden.

Das sehen im Übrigen nicht nur die allermeisten Bürgerinnen und Bürger so; auch die Mehrzahl der europäischen Landwirte wünscht sich ein nachhaltigeres System.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)

Laut einer repräsentativen Umfrage, die 2019 durchgeführt und in „Science“ veröffentlicht wurde, halten 92 % der Bürgerinnen und Bürger und 64 % der Landwirte in der EU die GAP für zu wenig nachhaltig.

Genau deshalb ist es gut, dass die Eco-Schemes in der ersten Säule angesiedelt sind und nicht in der zweiten. Wir sehen – ebenso, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen – also Potenzial in den Vorschlägen der Kommission zur GAP im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen.

Unsere Forderungen gehen teilweise sogar noch etwas weiter und sind vielleicht auch detaillierter als die in Ihrem Antrag. Aus unserer Sicht wäre etwa eine Kappung der Flächenzahlungen schon bei 60.000 Euro sinnvoll, um vielfältigere Agrarstrukturen zu fördern. Auf der anderen Seite halten wir einen Finanzierungsanteil der Eco-Schemes beginnend bei 20 % und eine anschließende Erhöhung auf 40 % für realistischer. Die Mittel sollen schließlich auch abgerufen werden.

Die Forderung, dass nicht genutzte Mittel aus der ersten Säule in die zweite Säule fließen sollten, findet ausdrücklich unsere Unterstützung. Wir setzen uns grundsätzlich dafür ein, dass Umschichtungen nur von der ersten in die zweite Säule möglich sind.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Während wir also viele Elemente aus dem Antrag ausdrücklich begrüßen, ist aus unserer Sicht an anderer Stelle noch Raum für Ergänzungen; aber dafür haben wir dann auch den Ausschuss.

Denn für uns, für die SPD, hat Agrarpolitik nicht nur eine landwirtschaftliche und umweltpolitische Dimension, sondern immer auch eine soziale und arbeitsrechtliche Dimension. Auch hier muss die GAP viel stärker als bisher als Hebel genutzt werden, um Missstände und Fehlentwicklungen zu bekämpfen oder zumindest nicht auch noch zu begünstigen.

So dürfen Betriebe, die soziale, ökologische und arbeitsrechtliche Standards nicht erfüllen, keine Subventionen bekommen. Auch das müsste bei der Ausgestaltung der GAP in den nächsten sieben Jahren sichergestellt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf eine lebendige Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP spricht nun der Abgeordnete Diekhoff.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die GAP besteht schon fast seit Anbeginn der Europäischen Gemeinschaft und war im Prinzip auch einmal eine sehr gute Idee. Die GAP-Mittel sind immer noch ein wichtiger und aktuell unverzichtbarer Teil des Einkommens von Landwirten.

Wir wollen über die europäische Agrarpolitik auch künftig eine Zukunftsperspektive für Landwirte in Nordrhein-Westfalen; denn wir wollen hochwertige und hier vor Ort produzierte Lebensmittel. Darauf können und wollen wir nicht verzichten. Denn sonst treiben wir die Landwirtschaft aus Deutschland heraus.

Wir kennen Ähnliches aus anderen Bereichen. Es ist nach wie vor ein Fehler, wenn eine Nation sich nicht selbst ernähren kann. Wir haben so etwas in der Coronakrise beispielsweise im Bereich der Medikamente gesehen. Wir kennen es aus der Chemieindustrie, und wir kennen es inzwischen auch bei der Energie. Das ist kein guter Weg. Wir halten dies für absolut falsch und besorgniserregend und wollen deshalb gegensteuern.

Die Neuauflage der GAP bietet auch für die heimische Landwirtschaft Chancen. Wir haben klare Vorstellungen und haben dazu als NRW-Koalition bereits im Mai 2019 einen Antrag beschlossen. Darin fordern wir unter anderem einen Bürokratieabbau für Betriebe und Landwirtschaftsbehörden. Antragsstellung und Mittelausschüttung müssen unkomplizierter gestaltet werden. Bürokratische Verfahren über die Kammern bei der Betriebsprüfung müssen dringend vereinfacht werden.

Wir fordern Direktzahlungen, die zielgerichteter sein müssen. Sie müssen zielgerichteter an kleine und mittelständische Betriebe gehen und genauer ausgerichtet sein auf regionale, verwurzelte, vielleicht auch familiengeführte Landwirtschaft. Wir wollen, dass die Erfüllung der hohen europäischen Standards im Bereich von Klima-, Umwelt- und Tierschutz auch finanziell für die Landwirte gefördert wird. Außerdem haben wir uns für Betriebsübernehmer und Neugründer eingesetzt, die wir stärker fördern wollen.

Wir haben starre Kappungsgrenzen abgelehnt, die zu Umgehungsstrategien wie zum Beispiel Betriebsteilungen führen können. Das ist nicht zielführend, sondern einfach nur eine Verkomplizierung des Gesamtsystems.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Na ja!)

Ich komme dann zu den Eco-Schemes. Darin liegt ebenfalls eine Chance, aber natürlich auch ein großes Risiko, da die Ausgestaltung auch hier rein

nationalstaatlich ist. Uns ist wichtig, dass es EU-weit einheitlich geregelt wird und vor allen Dingen überzogene nationale Sonderwege verhindert werden, weil ansonsten kein fairer Wettbewerb möglich ist. Da müssen wir aufpassen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Außerdem müssen wir in diesem Rahmen auch technischen Fortschritt und Innovationen weiter mitdenken. Smart Farming und Precision Farming müssen wir stärker nutzen, damit die Landwirtschaft ressourcenschonender, umweltfreundlicher und effizienter produzieren kann.

Denn Landwirtschaft darf nicht in den Rückwärtsgang versetzt werden. Wir können die Herausforderungen der Zukunft nur mit Mut und Innovationen lösen. Eine gute alte Zeit gibt es nicht. Landwirtschaft war noch nie besser als heute. Aber sie muss morgen noch besser werden.

Wir haben uns zum Beispiel mit der Einrichtung unseres anwendungsorientierten Studiengangs zu Precision Farming an der TH OWL schon darum gekümmert. Wir haben als Fraktion und NRW-Koalition Weitsicht bewiesen und sind auf einem guten Weg.

Wichtig ist uns auch, dass bei der Neuausrichtung der Nutztierhaltung über die Eco-Schemes nicht weiterhin nur in NRW und Deutschland Auflagen gemacht und vorangetrieben werden, sondern europaweit. Sonst schließen wir hier die Ställe, aber für die Tiere ändert sich insgesamt nichts, weil sie nur woanders leben.

Für die FDP und für die Landwirte in Nordrhein-Westfalen gibt es ein gemeinsames großes Ziel: die dauerhafte Unabhängigkeit von Subventionen. Niemand, der ein so gutes, marktfähiges – wir müssen schließlich alle essen – und nachhaltiges Produkt anbietet wie unsere Landwirte, sollte und will dauerhaft am Subventionstropf hängen.

Für uns Freie Demokraten ist aber auch klar: Dieses Ziel erreichen wir nur, wenn die Politik sich etwas zurücknimmt. Landwirtschaft benötigt langfristige Planungs- und Rechtsicherheit und darf nicht – wie Sie es in diesem Antrag wieder provozieren, liebe Grüne – betrieblich, finanziell und zeitlich in der Abfolge überfordert werden.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Dann haben Sie den Antrag nicht gelesen!)

Alle skizzierten Anpassungen von Ordnungsrecht, Förderauflagen und Fördersätzen müssen finanziell und in der Zeitschiene realistisch und betrieblich praktikabel erfolgen. Landwirtschaft muss schrittweise und planbar …

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Nein, das steht so nicht darin. Wenn Sie das genau …

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Doch!)

Ja, aber in einem Maße, das so im Ablauf nicht erfüllbar ist. Ich sehe das im Antrag jedenfalls nicht.

Wir wollen schrittweise und planbar unabhängiger von Direktzahlungen werden. Wir sind gegen radikale, tiefgreifende Strukturbrüche. Wir stimmen aber natürlich trotzdem der Überweisung an den Ausschuss zu und werden dort sehen, wie wir damit umgehen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort hat nun für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Dr. Blex.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es deutlich zu sagen: Die Resolution zum sogenannten Green Deal ist einfach ökoideologischer Unsinn.

So heißt es dort, Landwirtschaft, Fischerei und Nahrungsmittelproduktion seien nach wie vor Hauptursache für den Verlust an biologischer Vielfalt, Land und Meer. Die Landwirtschaft ist in den Augen der Eurokraten schlicht und ergreifend schuldig – so einfach ist das. Fakten oder wertungsfreie Statistiken stören da nur.

Doch nicht die Realität hat sich an das Wunschdenken der Ideologen anzupassen, sondern das Wunschdenken an die Realität. Lesen Sie ruhig noch einmal unseren Antrag vom 17. April 2018. Die Umweltstandards und Auflagen verursachen heute schon Mehrkosten sowie Mindererlöse für die deutsche Landwirtschaft in Höhe von 5,2 Milliarden Euro.

Ich höre immer wieder das Gefasel grüner Bessermenschinnen, dass es Umwelt- und Tierschutz nicht zum Nulltarif gebe. Dabei stehen die Landwirte und Steuerzahler doch längst dafür gerade. Schlimmer noch: Sie treiben die Landwirte durch die hohen Auflagen ganz bewusst in die Abhängigkeit von Agrarsubventionen. Und dann stehen Sie da und haben die Schamlosigkeit, die Landwirte als umweltkriminell oder undankbar darzustellen.