Protokoll der Sitzung vom 08.10.2020

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister.– Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Kämmerling das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte schon ein bisschen Sorge, weil die Zeit von gestern Abend bis heute Morgen um 10 Uhr ziemlich knapp war, ob ich noch eine vernünftige Rede hinbekomme. Aber ich habe jetzt gesehen, Herr Professor Pinkwart:

(Zurufe von der CDU)

Mehr Vorbereitungszeit führt nicht automatisch zu einer inspirierenden Rede, auch nicht heute Morgen um 10 Uhr.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, der Strukturwandel im Rheinischen Revier ist ein Dekadenprojekt. Dieses Projekt müssen wir gemeinsam angehen, unabhängig von jeder Farbenlehre. Vieles, was wir da gerade machen, wird noch geschärft. Wir sind in dem Prozess auf Hinweise angewiesen. Wir wollen einbinden und mitnehmen. Verbesserungsvorschläge hören wir gerne.

Bitte bringen Sie sich aktiv ein! Aktuelle Mehrheiten sind nur aktuelle Mehrheiten! Die werden sich im Laufe des Strukturwandels auch wieder ändern können; das ist doch klar!

Im Vordergrund muss stehen, dass wir das alle gemeinsam bewältigen! – Das sind Aussagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die nicht von uns stammen. Vielmehr habe ich die gestern hier im Landtag in Raum E3 D 01 von einem Vertreter der Landesregierung gehört.

(Christian Dahm [SPD]: Aha!)

Da wurden interessierte SPD-Landtagsabgeordnete zu einem Fortschrittsgespräch über das Rheinische Revier informiert. Den Termin will ich gar nicht kritisieren; für den bin ich dankbar. Der war gut, der war wertschätzend. Da habe ich mich mitgenommen gefühlt.

Begonnen hat der Termin gestern um 17:00 Uhr. Währenddessen habe ich dann per SMS die Information bekommen, dass der WDR am 16:59 Uhr mit der Nachricht online gegangen ist, dass es eine neue Leitentscheidung gibt, und aus der zitiert der WDR im Detail.

Kurz danach folgt „dpa“. Deren Redaktion liegt die Leitentscheidung auch schon vor. Wir sitzen immer noch in dem Gespräch. Um 19:11 Uhr dann folgt die „Rheinische Post“ ebenfalls mit Details aus der Leitentscheidung. Danach folgen weitere Medien. Sie setzen unterschiedliche Schwerpunkte, und sie alle zitieren aus der Leitentscheidung. Um 20:08 Uhr dann leitet der Landtagspräsident den Mitgliedern des Landtags die Leitentscheidung zu.

Der Termin der SPD-Abgeordneten mit dem Vertreter der Landesregierung, der zwischen 17:00 Uhr und 18:30 Uhr für das Miteinander im Sinne des Reviers warb, ist zwischenzeitlich vorbei. Er hat nur kurz auf mich persönlich gewirkt.

Denn ich will Ihnen ganz offen sagen, meine Damen und Herren: Zwischen 17:00 Uhr und 20:08 Uhr gestern Abend hat sich etwas verändert. Ich fühle mich nicht mehr mitgenommen, und um es mit den Worten von Herrn Gesundheitsminister Laumann etwas deutlicher zu sagen: Verarschen kann ich mich alleine!

(Beifall von der SPD)

Was erzählt uns Herr Laschet immer zum Strukturwandel? Er erzählt immer etwas von Miteinander und gemeinsamer Verantwortung. Herr Laschet hat am Schluss seiner Unterrichtung zum Kohlekompromiss im letzten Satz gesagt – ich zitiere –:

„Ich lade Sie alle ein, aktiv und konstruktiv an diesem für unser Land so wichtigen Prozess mitzuwirken.“

(Marlies Stotz [SPD]: Hat er dann vergessen!)

„Packen wir es an.“

gemeinsam –

„Damit der Wandel gelingt.“

Was Ihre Staatskanzlei, Herr Laschet, gestern Abend gemacht hat, ist das komplette Gegenteil davon.

(Beifall von der SPD)

Wenn man schon so dreist ist, heute Morgen um 9:00 Uhr auch noch für ausgewählte Journalisten einen exklusiven Hintergrund zur Leitentscheidung im Wirtschaftsministerium anzubieten, dann wird noch mal deutlich klar: Das, was Herr Laschet hier am Pult zum Miteinander sagt, das gilt, solange er hier steht. Sobald er den Raum verlässt, hat das keine Bewandtnis mehr.

(Beifall von der SPD)

Eine Leitentscheidung ist Regierungshandeln. Dass Sie etwas vorlegen, ist Ihr Recht, es ist Ihre Pflicht, es ist geboten, und es ist an der Zeit.

(Zuruf von der CDU)

Es ist Zeit für eine neue Leitentscheidung. Sie organisiert die Umsetzung der gefassten Beschlüsse zum Ausstieg aus der Braunkohle und zum Einstieg in ein neues, nachhaltiges Wirtschaften im Rheinischen Revier. Grundlage des heutigen Entwurfs der Leitentscheidung sind die Leitentscheidung aus dem Jahr 2016, die Empfehlungen der WSB-Kommission, das Kohleausstiegsgesetz und das Strukturstärkungsgesetz.

Die Leitentscheidung beruht auf der Grundlage eines gesellschaftlichen Konsens, der in der WSBKommission mit Umweltverbänden, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik vereinbart worden ist. Diesen Konsens begrüßen wir nach wie vor, und er findet sich wieder in den von Bundestag und Bundesrat gefassten Beschlüssen von diesem Sommer.

Der erarbeitete Kompromiss sagt aus: Bis spätestens 2038 steigt Deutschland aus der Braunkohleverstromung aus, der Hambacher Forst soll erhalten bleiben, die Beschäftigten aus den Tagebauen und Kraftwerken dürfen nicht ins Bergfreie fallen, die Region wird beim Transformationsprozess finanziell und strukturell unterstützt.

Trotzdem stellt der Konsens die Beschäftigten, die Kommunen, die Wirtschaft, ja alle Menschen im Rheinischen Revier vor große Herausforderungen. Denn das sind rund 2.500 km2, über die wir hier im Rheinischen Braunkohlerevier sprechen. 14.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze in der Braunkohle sind besonders vom Ausstieg betroffen. Das bereitet den Menschen in der Region große Sorgen. Denn im Rheinischen Revier besteht die Herausforderung gerade darin, dass man aktuell mit und auch durch die Braunkohleindustrie über gute Wertschöpfungsketten verfügt.

Festzuhalten ist, dass das Rheinische Revier im Rahmen des Ausstiegs aus der Braunkohleverstromung in Deutschland eine tragende Rolle spielt. Bis schon zum Jahr 2023, also in rund zwei Jahren, werden 3 Gigawatt Kraftwerkskapazitäten abgeschaltet werden. Das bedeutet konkret den Verlust von 3.000 Arbeitsplätzen, Arbeitsplätze, die nicht mal eben kompensiert werden können. Festzuhalten ist, dass bis zum Jahr 2030 weitere 3 Gigawatt Kraftwerkskapazitäten abgeschaltet werden. Das bedeutet den Verlust von weiteren 3.000 Arbeitsplätzen im Rheinischen Revier.

Das alles zeigt auf, dass die unbestritten notwendige Energiewende mit unglaublicher Kraft auf die Region zwischen Mönchengladbach und Aachen wirkt.

Was die Region jetzt braucht, ist Planungssicherheit und eine Perspektive für die Zukunft. Die Beschäftigten im

Rheinischen Revier haben ein Recht auf diese Sicherheit, und ihre Heimatstädte haben ein Recht auf wirtschaftlich erfolgreiche Entwicklungen. Dazu soll und muss eine Leitentscheidung beitragen.

Die Leitentscheidung muss jetzt mit Leben gefüllt werden, sie muss transparent kommuniziert werden, sie muss mit Kommunen vor Ort umgesetzt werden. Diese jetzt zu echten Beteiligten des Prozesses, zu gleichberechtigten Mitentscheidern zu machen, das ist die Aufgabe dieser Landesregierung.

Was sind die Kernaussagen des Entwurfs der neuen Leitentscheidung der Landesregierung? Die Fortführung des Tagesbaus Garzweiler in den 2016 beschlossenen Grenzen, der Erhalt des Hambacher Forsts, keine Veränderungen am Tagebau Inden, Erweiterung der Abstandsflächen zum Tagebau Garzweiler, der Erhalt von Morschenich, schnellere Umsetzung der Seenlandschaft, der Strukturwandel soll als Chance für die Region genutzt werden.

Auf einige dieser Punkte möchte ich jetzt kurz näher eingehen.

Der Tagebau Garzweiler wird bis zum Ausstieg aus der Braunkohle für die Sicherung der Grundlast und der Energieversorgung in Nordrhein-Westfalen gebraucht. Der Tagebau versorgt die beiden modernen Braunkohlekraftwerke Neurath und Niederaußem mit Braunkohle. Die Versorgung der Kraftwerke kann aus infrastrukturellen Gründen nur mit Braunkohle aus Garzweiler erfolgen.

Bloß frage ich mich jetzt: Reicht die Begründung der Landesregierung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit zur Inanspruchnahme des Tagebaus aus? – Sie verweisen im Entwurf der Leitentscheidung nur auf das Kohleausstiegsgesetz. In der Leitentscheidung 2016 sind neun umfassende Studien zur Frage der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit der Leitentscheidung berücksichtigt worden.

Aus meiner Sicht muss die Leitentscheidung in dieser Frage auf einem breiterem Fundament stehen, einem Fundament, das sicher ist und nicht durch die Justiz schwere Risse bekommen könnte; denn die Begründung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit ist die Grundlage für alle weiteren Erwägungen der Landesregierung im Rahmen dieser Leitentscheidung. Eines darf nicht passieren, nämlich der Ausbruch erneuter Unsicherheit bei den Menschen im Rheinischen Revier. Sie wollen vornämlich zwei Dinge: Klarheit und eine Zukunftsperspektive.

(Beifall von der SPD)

Jetzt noch zum Hambacher Forst: Der Hambacher Forst, das Symbolbild in der Diskussion um das Ende der Braunkohleverstromung, bleibt erhalten. Wir reden hier von ca. 200 ha Waldfläche. Das Beibehalten des Forstes hat erhebliche Auswirkungen auf die Stadt Elsdorf. Die Kommune grenzt unmittelbar an

den Tagebau Hambach, und ein Drittel der Betriebsfläche des Tagebaus liegt auf dem Stadtgebiet.

Durch das vorzeitige Beenden des Tagebaus werden wichtige Flächen für die Entwicklung der Kommune nicht mehr zur Verfügung stehen. Das stellt die Menschen vor Ort vor große Herausforderungen. Darum ist es wichtig, dass Ausgleichsflächen geschaffen werden. Die Abstandsflächen zwischen Tagebau und der Stadt müssen optimal für eine neue Entwicklung genutzt werden. Dabei dürfen die Flächen nicht nur für die Landwirtschaft oder als Grünzüge zur Verfügung gestellt werden, sondern müssen auch als Siedlungsgebiete nutzbar gemacht werden. Nur so kann der Strukturwandel für Elsdorf gelingen, nur so haben die Menschen in Elsdorf eine Zukunftsperspektive.

Eines wird in der Leitentscheidung auch deutlich: Einfach nur nicht weiter zu baggern und damit den Forst zu erhalten, reicht nicht. Der Erhalt des Forstes steht im Zusammenhang mit erheblichen Maßnahmen zur Wasserversorgung.

Meine Damen und Herren, es müssen 1.000 Millionen Kubikmeter Erdmasse im Tagebau Hambach bewegt werden, damit die Endböschung dauerhaft standhaft ist. Woher diese Erdmassen kommen sollen, wird im Entwurf nicht deutlich. Ich meine, dass die Landesregierung auch bei dieser Frage noch ein paar Hausaufgaben zu machen hat.

Richtig ist allerdings, dass die für Natur und Naherholung wertvolle Sophienhöhe nicht angetastet werden soll, so wie das Kolleginnen und Kollegen hier im Haus auch schon mal gefordert hatten.

Zu den Abstandsflächen zum Tagebau Hambach: Wir begrüßen ausdrücklich die Erweiterung der Abstandsflächen zwischen dem Tagebau Garzweiler und der Wohnbebauung. Künftig müssen mindestens 400 m zustande kommen. Damit kommt es zu einer Verringerung der tagebaubedingten Emissionen. Betroffene Kommunen fordern einen Mindestabstand von 500 m. Ich meine, die Landesregierung muss noch etwas deutlicher herausarbeiten, warum dieser Abstand nicht ermöglicht werden kann. Ein Dialog mit den betroffenen Orten wäre für die Transparenz wichtig und notwendig.

Die Erweiterung der Abstandsflächen führt aber auch zu früheren und besseren Entwicklungsmöglichkeiten für die betroffenen Kommunen. Hier ist die Landesregierung in der Verantwortung, die Kommunen zu unterstützen und Lösungen für zukünftige Nutzungen aufzuzeigen. Lippenbekenntnisse reichen nicht. Gefragt sind Taten statt Worte, gefragt sind Macher und keine Zauderer.