Protokoll der Sitzung vom 11.11.2020

Die Fürsorge hat ein überwiegend weibliches Gesicht. Frauen leisten den größten Anteil unbezahlter und damit unsichtbarer Fürsorgearbeit, häufig zuungunsten ihrer Erwerbsarbeit. Das ist für die Frauen ein Risiko. Im Falle von Trennung oder Scheidung ist da die Altersarmut vorprogrammiert.

Ich stelle mir nur mal rein theoretisch vor, was passieren würde …

(Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen, unterhält sich an seinem Platz mit Ralf Witzel [FDP].)

Ich wäre dankbar, wenn ich meine Rede in Ruhe zu Ende halten könnte, Herr Finanzminister und Herr Kollege. Ich finde das schon ein wenig respektlos.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Reden Sie doch einfach!)

Ich stelle mir nur mal rein theoretisch vor, was passieren würde, wenn all die Frauen, die tagtäglich Fürsorgearbeit leisten, nur für einen Tag in den Streik treten würden. Dann würde deutlich sichtbar, welchen Wert Care-Arbeit menschlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich hat.

Deshalb ist es eine pfiffige Idee, alle vier Jahre im Schaltjahr den Equal-Care-Day zu begehen. Symbolisch wird so darauf hingewiesen, dass Pflege und Fürsorgearbeit wenig sichtbar sind. Er weist aber auch auf das Verhältnis vier zu eins hin, nämlich darauf, dass Care-Arbeit weiblich ist und Männer rechnerisch vier Jahre bräuchten, um genauso viel private und ehrenamtliche Fürsorge zu erbringen wie Frauen in einem Jahr.

Es ist an der Zeit, diese ungleiche und ungerechte Aufteilung zwischen Fürsorge- und Erwerbsarbeit zu überwinden. Wir wissen, dass Männer gerne ihr

berufliches Engagement reduzieren würden zugunsten von mehr Engagement in der Familie. Wir wissen auch, dass Frauen gerne genau umgekehrt verfahren würden. Das ist ein Befund aus der zum Antrag durchgeführten Anhörung.

Ein weiterer Befund der Anhörung war, dass wir kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem haben.

Frau Professorin Meier-Gräwe, Expertin in der Anhörung und in der Enquetekommission „Zukunft der Familie“, hat zu Recht auf die Sachverhalte und Empfehlungen der Enquetekommission hingewiesen. Die Enquetekommission hat herausgearbeitet, dass die Balance zwischen Familienzeit und Arbeitszeit für Familien eine große Herausforderung ist. Neben den unterstützenden Bildungs- und Betreuungsangeboten wie Kita und OGS würden haushaltsnahe Dienstleistungen entlasten und mehr qualitätsvolle Familienzeit ermöglichen.

Alleinerziehende Familien und Familien mit geringem Einkommen können sich solche Angebote in der Regel nicht leisten. Deshalb wäre an dieser Stelle zu prüfen, ob sich ein Gutscheinsystem für solche Dienstleistungen anbieten würde, ebenso wie die Empfehlung, Kommunen bei der Etablierung einer kommunalen Familienzeitpolitik zu unterstützen.

Pflegende Angehörige, in aller Regel Frauen, benötigen mehr Anerkennung, Wertschätzung und Unterstützung für ihre Arbeit. Eine Möglichkeit wären sicherlich Lohnersatzleistungen bei temporärer Erwerbsunterbrechung. Die Grundrente sieht vor, nachgewiesene Erziehungs- und Pflegezeiten anzuerkennen und damit auch anzurechnen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Gleichberechtigung und Gleichstellung sind längst nicht so fest in der Gesellschaft verankert, wie wir uns das gemeinhin denken. Das zeigt der Blick auf die ungleiche Verteilung von Fürsorge- und Erwerbsarbeit.

Ein positiver Ansatz aus einer Hans-Böckler-Studie ist, dass die Aufteilung der Fürsorge- und Erwerbsarbeit in den Familien besonders gut gelingt, in denen es bereits in der Elternzeit zu solch einer partnerschaftlichen Aufteilung kam. Diese Form von gegenseitiger Unterstützung wurde gelebt und wirkt daher somit weiter.

Das ist ein wichtiger Schritt auf dem richtigen Weg. Wir wollen Fortschritt und keinen Rückschritt bei der gerechten Aufteilung von Fürsorge- und Erwerbsarbeit und mehr Anerkennung der noch immer unsichtbaren Fürsorgearbeit. Das greift der Antrag auf. Wir stimmen dem Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der FDP spricht die Abgeordnete Frau Schneider.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Care-Arbeit ist eine wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft, deren Erfüllung auch Auswirkungen auf die Wirtschaft hat. So flexibel wir uns heutzutage unser Arbeitsleben wünschen, so flexibel sollte auch die erwerbslose Sorgearbeit sein. Jede Familie sollte so flexibel wie möglich die Sorge um die Kinder, die Sorge um pflegebedürftige Personen und die private Haushaltsführung organisieren können.

Die Entscheidung darüber, wer welche Aufgaben in der Familie übernimmt, kann aber nur individuell getroffen werden. Feste Vorgaben oder Erwartungen, wer wann wie eine berufliche Karriere macht, sich um die Kinder oder um die Angehörigen kümmert und wer eine Auszeit nimmt, entsprechen nicht unseren liberalen Vorstellungen.

Um den Menschen die individuelle Entscheidungsfreiheit zu ermöglichen, müssen die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit verändert werden und entsprechende Angebote vorgehalten werden. Das hilft besonders den Alleinerziehenden. Sie sind bei der Vereinbarung von Familie und Beruf elementar auf ein gutes Betreuungsangebot für ihre Kinder angewiesen.

Die Grünen tun in ihrem Antrag jetzt ein bisschen so, als hätte sich in diesem Bereich noch nichts getan. Dabei ist die NRW-Koalition sowohl bei der erwerbsförmigen als auch bei der nichterwerbsförmigen Care-Arbeit bereits aktiv geworden. Das ist bei den Debatten im Ausschuss deutlich geworden.

Wenn Frau Kopp-Herr einen Satz von Frau Professorin Meier-Gräwe als Expertin für Gleichstellung und Familienwissenschaft zitiert, dann auch gerne weiter, denn genau diese Professorin hat in der Anhörung ausdrücklich bestätigt, dass NRW hinsichtlich der unbezahlten Care-Arbeit mit vielen Modellen eine Vorreiterrolle einnimmt.

So haben wir im Bereich der erwerbsförmigen Sorgearbeit dafür gesorgt, den Beschäftigten in unserer Gesellschaft eine höhere Anerkennung und Wertschätzung zukommen zu lassen.

Unsere KiBiz-Reform hat nicht nur einerseits zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geführt, sondern andererseits auch ein positiveres Bild der Arbeit in der Kindertagesbetreuung vermittelt. Das Berufsbild der Kinderbetreuung wird attraktiver gestaltet. Ab diesem Kindergartenjahr, also ab letztem Sommer, greift die Reform. Viele Familien spüren bereits die damit verbundenen Erleichterungen.

Auch in anderen Bereichen ist die NRW-Koalition tätig geworden. Vor der Sommerpause haben wir das Pflegekammergesetz beschlossen, um den Pflegenden künftig eine Stimme zu geben. Dadurch wird der Stellenwert der Pflegeberufe gestärkt. Da ich selbst jahrelang in diesem wunderschönen Beruf gearbeitet habe, bin ich hierüber besonders froh. Die Pflegekräfte machen nämlich stets – und nicht nur in der aktuellen Pandemiesituation – einen großartigen Job.

Anfang des Jahres hat unser Familienminister Joachim Stamp den Jahreskongress chancen-durchvereinbarkeit durchgeführt. Der Kongress diente dazu, dass gesellschaftliche Diversität nicht nur als Ressource anerkannt und erkannt wird, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt genutzt wird. Mit dem gleichnamigen Portal im Internet bietet die Landesregierung Unternehmen mittlerweile Austauschmöglichkeiten und Informationen zu familienfreundlicher Personalpolitik an.

Darüber hinaus wird derzeit der Atlas zur Gleichstellung erarbeitet. Ich halte diesen Atlas für ein gutes Medium zur Information über sowie zur Dokumentation und Kontrolle von Gleichstellungspolitik im öffentlichen Dienst. Damit wird der öffentliche Dienst eine Vorbildfunktion einnehmen können. Außerdem werden wir durch den Atlas wichtige Impulse für ein Mehr an Chancengerechtigkeit und Vielfalt erhalten. Ein solcher Atlas ist damit auch ein leistungsfähigeres Instrument als ein landesweiter Care-Bericht.

Der grüne Antrag enthält zwar in Teilen wirklich gute Ansätze, aber er ignoriert die neuen Angebote, die unsere Landesregierung bereits geschaffen hat, völlig. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Grünen spricht die Fraktionsvorsitzende Frau Paul.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe gerade mit Frau Oellers kurz darüber gesprochen, dass wir dieses Thema in vielen Ausschüssen miteinander diskutiert haben und dass wir über diesen konkreten Antrag heute zum letzten Mal im Plenum debattieren. Ich bin mir aber sehr sicher, dass wir über dieses Thema nicht zum letzten Mal diskutieren werden.

Frau Schneider, der Antrag hat nicht den Ansatz, zu beschreiben, dass es in Nordrhein-Westfalen gar nichts gäbe. Es wäre ja auch schlimm, wenn wir 2020 quasi bei null anfangen würden. Vielmehr macht er deutlich, dass wir Punkte identifizieren, bei denen wir sagen, dass man auf das Bestehende aufsatteln und Dinge weiterentwickeln könnte.

Die Coronakrise hat das Thema „Care-Arbeit“ ganz neu in den Fokus gerückt, denn auf einmal ist aufgefallen, dass sich das bisschen Haushalt doch nicht von alleine macht und dass diesem Thema entsprechend mehr politische Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Sie hat auch deutlich gemacht, dass Vereinbarkeit natürlich nicht leichter wird, wenn Bildungs-, Betreuungs- und Unterstützungssysteme von heute auf morgen wegfallen. Es wurde sehr deutlich, wie wichtig für Familien genau diese Systeme bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind.

Ja, natürlich befinden wir uns derzeit in einer Ausnahmesituation, die natürlich nicht mit Zeiten vergleichbar ist, die nicht von einer Pandemie geprägt sind. Aber es wurde sehr deutlich, wo die Bedarfe und vielleicht auch Verbesserungsbedarfe im System liegen. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass Care-Arbeit, gerade auch die unbezahlte Care-Arbeit, die gesellschaftliche Grundlage unseres Zusammenlebens ist.

Regina Kopp-Herr wies bereits darauf hin, dass diese nach wie vor ungleich verteilt ist. Das ist ein Fakt, an dem auch die NRW-Koalition bislang nichts zu ändern vermochte. Care-Arbeit ist zwischen Männern und Frauen nach wie vor in einem Missverhältnis von quasi eins zu vier ungerecht verteilt.

Viel zu häufig wird Care-Arbeit, vor allem die unbezahlte, als selbstverständlich mitlaufend und als selbstverständliche Ressource unserer Gesellschaft gesehen. Dementsprechend wird sie auch politisch nicht richtig in den Fokus genommen. Uns war es wichtig, mit diesem Antrag insbesondere die unbezahlte Care-Arbeit und die Frage nach der Vereinbarkeit für Familien deutlicher in den Blick zu nehmen.

Die Familienberichterstattung, die wir auch für Nordrhein-Westfalen haben, macht deutlich, dass es für Familien im Bereich der Unterstützung vor allem um einen Dreiklang geht: Geld, Zeit, Infrastruktur. Frau Oellers hat nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass insbesondere die Frage des Geldes vom Bund geklärt werden muss. Ich wäre allerdings nicht mit Ihnen einer Meinung, dass deswegen nicht auch der Landtag darüber diskutieren sollte. Natürlich sind wir die Mittler zwischen Bund und denjenigen, die in Nordrhein-Westfalen besondere Unterstützung brauchen. Zu den Stichworten „KinderZeit Plus“ und „Lohnersatzleistungen auch für pflegende Angehörige“ muss selbstverständlich auch im Landtag von Nordrhein-Westfalen diskutiert werden.

Die Fragen nach Zeit und Infrastruktur fallen allerdings originär in die Zuständigkeit des Landes. Man muss leider konstatieren – und da widerspreche ich Susanne Schneider –, dass die politische Strategie zur Erfassung von Care-Arbeit in ihrer Gesamtheit bislang fehlt, auch in der Politik dieser Landesregierung.

Dementsprechend gibt es das Angebot, sich genau hier weiter auf den Weg zu machen. Das begründet auch unsere Forderung nach einem regelmäßig fortzuschreibenden Care-Bericht, der die Grundlage dafür liefert, an den Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Bereichen Handlungsbedarfe identifizieren und Entwicklungen deutlich machen zu können.

Natürlich haben wir hier schon vielfach über die Betreuungsinfrastruktur in Kitas diskutiert. Dementsprechend möchte ich zum Schluss drei andere Punkte aus dem Antrag aufgreifen.

Das ist zum einen die Frage nach der Zeitpolitik. Das klingt immer ein bisschen wolkig – was könnte Zeitpolitik sein? –, aber die schon angesprochene Enquetekommission hat ein Gutachten zu kommunaler Zeitpolitik und zu Fragen nach Zeit als Ressource, aber auch als Nadelöhr für Familien eingeholt. Dieses Gutachten kann man sehr gut als Steinbruch nehmen, um noch mal deutlich zu machen, welche Handlungsmöglichkeiten auf der kommunalen, aber auch auf der Landesebene liegen, um Zeit als Ressource aktiver zu gestalten und die Herausforderungen in diesem Bereich für Familien zu minimieren.

Auch die Frage nach sozialem Quartiersmanagement wurde von meinen Vorrednerinnen gestreift. Ich meine, dass wir in diesen Bereich, insbesondere zur Unterstützung und Entlastung pflegender Angehöriger, noch stärker hineingehen und das soziale Quartiersmanagement weiter unterstützen müssen.

Die haushaltsnahen Dienstleistungen sind uns in den Diskussionen besonders wichtig gewesen, weil das ein Bereich ist, der in diesem Land bislang einfach nicht angegangen wird, obwohl so offenkundig ist, dass das zu einer wichtigen Entlastung für Familien, insbesondere auch für Frauen, führen würde. Wenn man es vernünftig ausgestaltet, ist das übrigens auch eine Möglichkeit, Frauengründungen, im Sinne von Dienstleistungsagenturen, zu ermöglichen und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhält

nisse zu schaffen, um so diesen Grau- und Schwarzmarktbereich endlich aufzuhellen und vernünftig und sozialversicherungspflichtig zu strukturieren.

Ich finde es schade, dass wir keine gemeinsame Entscheidung zu diesem Antrag finden, aber ich nehme mit, dass wir auf jeden Fall eine gemeinsame Gesprächsgrundlage haben. Deswegen, Frau Oellers, verspreche ich Ihnen, dass wir dieses Thema weiter diskutieren werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Regina Kopp- Herr [SPD])

Vielen Dank. – Für die AfD spricht die Kollegin Dworeck-Danielowski.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Care-Arbeit sichtbar zu machen und besser zu unterstützen – das ist anscheinend die zentrale Forderung dieses Antrags der Grünen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das haben Sie gut erkannt!)

Care-Arbeit ist im Kontext dieser Debatte der zeitgenössische Begriff für die familiäre Fürsorge, die Erziehungsleistung für die eigenen Kinder, die Pflege älterer Angehöriger, die Hausarbeit, die Fürsorge in der Nachbarschaft und das ehrenamtliche Engagement, beispielsweise im Sportverein oder sonst wo.