Protokoll der Sitzung vom 16.12.2020

Deutschland!

Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/12051 – Neudruck

Änderungsantrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/12156

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Abgeordneten Petelkau für die Fraktion der CDU das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit einer Vielzahl von Veranstaltungen werden im nächsten Jahr die Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland gewürdigt und die tiefe Verwurzelung in unserem Land aufgezeigt.

Nachweislich 1.700 Jahre bereichern jüdisches Leben und jüdische Kultur unsere Gesellschaft in vielfältigster Form. Sie sind über die Jahrhunderte zu einem integralen Bestandteil unserer Gesellschaft und unseres kulturellen Lebens geworden.

Begonnen hat diese Entwicklung in Deutschland im Rheinland. Im Edikt von Kaiser Konstantin, das sich heute in Obhut des Vatikans befindet, wird belegt, dass es bereits im Jahr 321 eine jüdische Gemeinde in Köln gegeben hat.

Heute, 1.700 Jahre später und 75 Jahre nach dem Ende der Schoah, wird jüdisches Leben in Deutschland wieder bedroht. Der Antisemitismus lebt in Deutschland genau wie in vielen anderen europäischen Ländern leider wieder auf.

Dem müssen und werden wir als demokratische Partei weiterhin entschieden entgegentreten. Der Schutz des vielfältigen jüdischen Lebens als einem selbstverständlichen Baustein unserer Gesellschaft hat für uns höchste Priorität und muss weiterhin unterstützt werden.

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb begrüßen wir die Aktivitäten des Vereins „321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e. V.“, der mit einem Themenjahr einerseits an

die Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland erinnern und andererseits das aktuelle jüdische Leben in unserem Land einer breiten Öffentlichkeit nahebringen will.

Gerade diese positive Wahrnehmung führt zu Respekt und Anerkennung der vielfältigen Leistungen jüdischer Bürgerinnen und Bürger und ist damit ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft.

Mit unserem Antrag möchten wir die Landesregierung unter Federführung der Staatskanzlei bitten, die Aktivitäten von „321“ durch die Entwicklung und Förderung von Projekten in Nordrhein-Westfalen über einen Kooperationsvertrag zu unterstützen und damit das Festjahr 2021, soweit es das Pandemiegeschehen am Ende zulassen wird, angemessen zu begleiten. Mit unserem heutigen Haushaltsantrag haben wir das erforderliche Budget von 500.000 Euro für eine erfolgreiche Umsetzung geschaffen.

Abschließend möchte ich den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen dafür danken, dass wir diesen Antrag der NRW-Koalition in einer gemeinsamen Form stellen konnten und damit die große Geschlossenheit unseres Hohen Hauses in dieser Frage fortsetzen können.

Für die kommenden Festtage und den bevorstehenden Jahreswechsel wünsche ich Ihnen alles Gute, vor allen Dingen Gesundheit. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. – Für die FDP erteile ich nun der Kollegin Freimuth das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jüdisches Leben in unserem Land kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: Mehr als 1.700 Jahre sind Menschen jüdischen Glaubens in dieser Gesellschaft verankert und Teil dieser Gesellschaft.

Allerdings ist auch diese lange gemeinsame Geschichte immer wieder von gewaltvollen Abbrüchen geprägt worden, die viel Leid über Menschen jüdischen Glaubens und die jüdischen Gemeinden gebracht haben. Das reicht von den ersten großen Pogromen im Jahr 1096, die wie viele weitere im Mittelalter im Zeichen christlicher Judenfeindschaft standen, bis hin zum rassistischen Antisemitismus, der mit der Schoah zur unfassbaren Vernichtung des größten Teils des europäischen Judentums geführt hat.

Für uns Deutsche entsteht aus diesen Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten und ihrer Unter

stützer eine dauerhafte Verantwortung und Verpflichtung.

Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung zum „Nie wieder“. Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung, allen Anfängen menschenverachtender, gruppenbezogener Hetze und Gewalt entschieden entgegenzutreten.

Es ist aber auch unsere Verantwortung, für die Sicherheit der Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland und für deren freies, unbeeinträchtigtes Leben in Deutschland Sorge zu tragen. Antisemitismus egal welcher Prägung darf bei uns keinen Platz haben. Ich darf hinzufügen: übrigens auch nicht unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit.

Zugleich dürfen wir nicht den Fehler machen, unser Verhältnis zu den hier lebenden jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nur über die Perspektive auf die Schoah zu definieren. Das wäre historisch falsch, und es wäre besonders für unser heutiges Zusammenleben falsch.

Jüdisches Leben in Deutschland ist enorm vielfältig und reicht von den jüdischen Gemeinden der verschiedenen Ausprägungen bis hin zu den säkularen, religiös nicht gebundenen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern. Sie alle tragen zum kulturellen Reichtum unseres Landes bei.

Wir sind uns sehr bewusst, dass das nach den unvorstellbaren Verbrechen keine Selbstverständlichkeit ist.

Umso mehr ist es ein großes Glück, dass wir heute sagen können: Jüdisches Leben ist in NordrheinWestfalen ein elementarer Bestandteil unserer Gesellschaft – wieder und sehr lebendig.

Allerdings – das gehört auch dazu – hat man das mit noch viel größerer Berechtigung am Anfang des 20. Jahrhunderts sagen können, und das was danach passierte, schien vielen doch bis zuletzt völlig unmöglich.

Die Geschichte lehrt uns aber, dass es eben nicht unmöglich war. Nichts ist einfach garantiert, und deswegen ist dieses aktive jüdische Leben in unserer Gesellschaft auch keine Selbstverständlichkeit.

Wenn wir nicht immer wieder neu für unsere Demokratie kämpfen, für die Werte unseres Grundgesetzes, für die grundlegenden Regeln von Respekt und Achtung gegenüber allen Menschen, wenn wir nicht für die Ächtung individueller und gruppenbezogener Hetze und Ausgrenzung kämpfen, stehen auch wir immer wieder in der Gefahr, dass wir all dieses gemeinsam Erstrittene und gemeinsam Erkämpfte wieder verlieren.

Deshalb ist es auch wichtig, das Gemeinsame zu betonen. Deshalb ist es richtig, dass wir die lange Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland würdigen und gemeinsam das Verbindende stärken und eben

auch miteinander feiern, auch wenn das in Zeiten der Pandemie sicherlich eine besondere Herausforderung ist.

Wir werden hoffentlich die Gelegenheit finden, das im kommenden Jahr gemeinsam zu begehen, denn als Landtag von Nordrhein-Westfalen wollen wir ein klares Zeichen setzen, dass wir froh sind über das aktive und vielfältige jüdische Leben in unserem Land. Wir möchten, dass jüdische Religion und Kultur auch einen festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft haben. Allen, die das anders sehen, werden wir entschlossen entgegentreten.

In diesem Sinne wünsche ich noch gesegnete Chanukkatage und uns allen ein gesegnetes Weihnachtsfest. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die SPD spricht nun Frau Kollegin Gödecke.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über 1.700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland reden, blicken wir einerseits mit großer Freude und Dankbarkeit auf dieses Jubiläum, gleichzeitig aber auch mit sensibler Nachdenklichkeit und aufmerksamer

Wachsamkeit.

Wer sich mit 1.700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland beschäftigt, weiß, dass wir vor einem Jahr mit sehr vielen ganz unterschiedlichen Aktionen, Veranstaltungen und Beiträgen stehen.

Gerade das Parlament ist als Volksvertretung in besonderer Weise dazu aufgerufen, dieses Jubiläumsjahr zu begleiten und zu würdigen. Genau das wollen wir heute mit dem vorliegenden Antrag tun: Wir begleiten, wir würdigen, wir unterstützen, und im nächsten Jahr wollen wir dann auch gemeinsam feiern.

Deshalb freuen wir uns sehr, dass es heute erneut zu einem gemeinsamen Antrag von vier Fraktionen gekommen ist, denn eine gemeinsame Positionierung der Parteien, die selbst auf eine lange demokratische und parlamentarische Geschichte zurückblicken können, ist eine unmissverständliche und eindeutige Botschaft gerade zum Ende dieses Jahres.

Mit unserem gemeinsamen Antrag senden wir ein starkes Zeichen der Solidarität. Wir machen deutlich, dass jüdische Deutsche unverrückbar Teil unserer Gesellschaft sind. Genau so beschreibt es nämlich der Verein „321“ als eines der zentralen Ziele des Jubiläumsjahres.

In den letzten Jahren haben wir hier im Plenarsaal häufig über unser Verhältnis zu unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sowie zum jüdischen

Leben und der daraus erwachsenden ständigen politischen Verantwortung diskutiert.

Wir haben uns entschieden gegen Antisemitismus positioniert und die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis und der Shoah wachgehalten, um aus dieser Geschichte, unserer Geschichte, zu lernen.

Wir haben notwendige politische Maßnahmen und Programme diskutiert und auf den Weg geschickt. Wir haben das Existenzrecht Israels betont und, wenn notwendig, auch verteidigt.

Wir haben die wachsenden Sorgen und Ängste unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger mehr als ernst genommen und gemeinsam mit ihnen nach Wegen gesucht, Vorurteile abzubauen, Begegnungen zu ermöglichen und Gemeinsamkeiten zu stärken, um objektive wie subjektive Sicherheiten herzustellen.

Wir haben auch das Amt einer Antisemitismusbeauftragten eingerichtet. Es wird am Aufbau einer Meldestelle gearbeitet. Wir konzentrieren unsere politische Arbeit auf die Bewahrung und Ermöglichung des sicheren jüdischen Lebens im ganz normalen Alltag.

Wir tun viel, aber wir haben nie so richtig miteinander gefeiert. Unsere politischen Debatten waren und sind bislang häufig und zu Recht mit den verschiedenen Erinnerungstagen, dem unübersehbar gestiegenen Antisemitismus oder mit den menschenverachtenden und brutalen Übergriffen, Anschlägen und Überfällen verknüpft.

Das war, ist und bleibt richtig und notwendig. Es ist gut, es ist richtig, es ist wichtig; aber wir konzentrieren damit unser Verständnis von jüdischem Leben manchmal zu stark auf die Shoah, den Gegenwartsantisemitismus und rechtsextreme und antisemitische Straftaten und Terrorakte.