Protokoll der Sitzung vom 28.02.2013

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation – federführend – und mitberatend an den

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie an den Ausschuss für Europa und Internationales. Wie üblich sollen die abschließende Beratung und Abstimmung dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen? – Sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir gemeinsam Antrag Drucksache 17/13778 so überwiesen.

Ich rufe auf:

6 Belastungen von Kindern und Jugendlichen

endlich ernstnehmen!

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/13775

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragsstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Paul das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn 85 % der Jugendlichen in der zweiten Befragung der sogenannten COPSY-Studie angeben, dass sie unter einer geminderten Lebensqualität leiden, dann ist das alarmierend.

Wir haben heute Morgen ja schon ausführlich über die Situation von Kindern und Jugendlichen in dieser Pandemie gesprochen. Es ist richtig, dass wir jetzt und an den folgenden Tagen auch noch mal konkreter miteinander über die Handlungsnotwendigkeiten diskutieren; denn es gibt einiges, was aufzuarbeiten ist. Es gibt Lernrückstände aufzuholen, es gilt aber auch ernst zu nehmen, wie die aktuelle Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen, aber auch von jungen Erwachsenen ist.

Deutlich wird, und das ist auch eine sehr besorgniserregende Analyse, durch die Isolation in der Pandemie steigen auch die psychische Belastung und die Nachfrage und der Bedarf an Psychotherapieplätzen. Diese Nachfrage übersteigt im Grunde genommen auch in „normalen“, also pandemiefreien Zeiten schon das Angebot an Therapieplätzen. In diesem Jahr ist die Nachfrage nach Therapieplätzen noch einmal um 13 % im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Das heißt konkret, wir brauchen mehr Angebote zur Bearbeitung psychosozialer Belastungen für Kinder, Jugendliche und Familien. Wir brauchen aber auch eine Prüfung dessen, wie wir es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, zeitnah ein Therapie- und Begleitungsangebot zu finden.

Vor allem, und das ist heute Morgen auch schon sehr ausführlich diskutiert worden, brauchen junge Menschen Gleichaltrige, und sie brauchen eigene Räume für eine gesunde und ganzheitliche Entwicklung.

Genau das ist es, was seit Monaten stark eingeschränkt ist. Aber es gehört eben elementar zur Entwicklung.

Wir haben so viel über das Für und Wider bezüglich der Schulen gesprochen: Schulen auf, Schulen zu. – Wir haben viel über die Kitas gesprochen. Dabei ist ganz oft ein bisschen hinten runtergefallen, dass Kinder und Jugendliche viel mehr sind als Schülerinnen und Schüler, als Kitakinder oder schlimmstenfalls ein Betreuungsproblem. Wir müssen Kinder und Jugendliche in ihrer ganzen Entwicklung und auch mit ihren ganzen Bedarfen in den Blick nehmen. Sie brauchen Freiräume. Die brauchen sie jetzt vielleicht noch viel dringender als sonst. Darum muss es uns gehen;

(Beifall von Wibke Brems [GRÜNE] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

denn Erwachsenwerden und Persönlichkeitsbildung sind eben bei Weitem nicht nur eine Frage von Mathe und Deutsch.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen deswegen einen Stufenplan für die Kinder- und Jugendarbeit. Ich habe heute Vormittag schon gesagt. Ich habe vom Ministerpräsidenten vernommen, dass dort etwas auf den Weg gebracht werden soll. – Der Staatssekretär nickt. Wir werden ihn da beim Wort nehmen, und vor allem werden die Kinder und Jugendlichen Sie da beim Wort nehmen, dass wir endlich einen Stufenplan bekommen.

Jetzt ist Herr Rasche nicht da. Aber selbstverständlich gehört auch die Frage des Jugendsports dazu. Dazu gehören Offene Treffs und die Jugendverbandsarbeit, also Entwicklungsperspektiven und Möglichkeiten für junge Menschen in all ihren Facetten.

Dazu gehört – und auch dazu habe ich die positiven Signale vernommen, aber da ist eben durchaus Eile geboten –, die Rahmenbedingungen zur Förderung von Ferienprogrammen und Ferienfreizeiten müssen jetzt gemacht werden. Die Vorarbeiten sind da. Hygienekonzepte sind ausgearbeitet worden. Jetzt braucht es tatsächlich nur noch die verlässlichen Rahmenbedingungen, aber auch eine verlässliche Finanzierung, damit das so stattfinden kann. Das ist das, was die Jugendlichen in diesen Ferien brauchen. Sie brauchen nicht nur schulische Aufholprogramme, sie brauchen vor allem auch Ferien, nicht zuletzt auch Ferien von dieser für sie belastenden Situation.

Sehr geehrte Damen und Herren, eine weitere Zahl, die uns aufrütteln muss, ist die Erhebung der JuCoStudie, die zeigt – das hat Kollege Löttgen ja heute Morgen schon aufgegriffen –, 65 % der befragten Kinder und Jugendlichen hatten den Eindruck und haben nach wie vor den Eindruck, ihre Sorgen würden gar nicht oder eher nicht von der Politik gehört,

wahrgenommen und ernst genommen. Kinder und Jugendliche haben aber ein Recht auf Gehör, und sie haben ein Recht auf Beteiligung, auch und gerade in der Pandemie.

Kinder und Jugendlichen sind in besonderem Maße von dieser Krise betroffen, aber sie sind eben keine Coronageneration oder noch schlimmere Worte, die einem da einfallen könnten. Sie sind auch in dieser Situation Expertinnen und Experten in eigener Sache, und sie wollen sich beteiligen. Sie wollen nicht nur Spielball politischer Entscheidungen sein, sie wollen auch in ihrer Leistung, die sie für diese Gesellschaft erbracht haben, gesehen werden. Deshalb brauchen wir jetzt neue Formate für mehr Beteiligung, beispielsweise in Form digitaler junger Bürgerräte. Wir brauchen auch eine Befragung, die sich vor allem darauf konzentriert: Was sind denn nun wirklich die Bedarfe, die auch Ideen junger Menschen Raum gibt, damit genau dieses Fachwissen der jungen Menschen Eingang finden kann in die weitere Pandemiebekämpfung, aber auch Pandemiebewältigung.

Junge Menschen leisten Außergewöhnliches in ihrer Anpassungsfähigkeit, in ihrer Geduld und in ihrer Solidarität. Jetzt ist es allerspätestens an der Zeit, dass wir ihnen unsere Erwachsenensolidarität mit einem breit angelegten Programm, was sich nicht rein auf die schulischen Aspekte konzentriert, sondern was Kinder und Jugendliche

(Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Rede- zeit!)

in ihrer Ganzheitlichkeit betrachtet, in den Blick nimmt. Es ist Zeit für mehr Erwachsenensolidarität.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kamieth.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um alles auf den Kopf zu stellen, was wir kurz zuvor noch in berechenbaren Bahnen unseres Alltags wähnten, hat es nur einer einzigen Variablen bedurft, und von der hatte zuvor niemand etwas gehört. Eine einzige Variable – und alles ist anders! Diese einzige Variable, mit der niemand gerechnet hatte und die gleichwohl alles zu ändern vermochte, ist das Coronavirus. Unsichtbar und gleichzeitig omnipräsent hat es durch seine Eigenschaft, unsere Gesundheit und das Leben als solches anzugreifen, jeden einzelnen Bereich unseres bisherigen Lebens eingeschränkt – jeden.

Meine Damen und Herren, das Leben ist ein absolutes Schutzgut. Denn Leben ist die Voraussetzung für alles. Oder, um es anders zu sagen: Ohne das Leben – ich

füge hinzu: ohne die Gesundheit – ist alles andere nichts.

Wenn wir über die Frage der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen zum Schutz dieser absoluten Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit sprechen, sollten wir uns stets vor Augen halten: Das Leben und die Gesundheit stehen vor der Klammer.

Meine Damen und Herren, Kinder werden in der frühen Phase ihres Lebens maßgeblich von zwei Sozialräumen geprägt. Der erste Sozialraum ist die Familie, der zweite Sozialraum ist die Kita oder später die Schule. Diese beiden für die Entwicklung und das Wohlergehen unserer Kinder zentralen Bezugs-, Stabilitäts- und Fördersysteme sind von Corona ins Mark getroffen worden und damit im Ergebnis unsere Kinder und unsere Jugendlichen selbst, die Eltern und ganze Familien, ja, wir als Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich haben unsere Kinder und Jugendlichen unter dieser Situation gelitten. Selbstverständlich haben auch die Bedürfnisse unserer Kinder nach Bewegung, nach Bildung, nach Sozialkontakten und auch nach kindlicher Unbeschwertheit gelitten, dort, wo das Leben der Kinder schon vor der Krise war, übrigens ungleich mehr als anderswo. Und Hand aufs Herz: Das tut jedem weh; das tut gerade mir als dreifacher Vater auch in der Seele weh.

Gerade deshalb ist mir dieser Aspekt wichtig. Der Bezugspunkt für die Antwort auf die Frage, ob die Anliegen unserer Kinder und Jugendlichen gehört und ihre angemessenen Bedürfnisse berücksichtigt wurden, ist nicht absolut, er ist relativ.

Was will ich damit sagen? Der Bezugspunkt der Antwort auf die Frage ist weder 100 % des Wünschbaren noch die Situation vor der Pandemie. Der Bezugspunkt ist die sich aus der Pandemie ergebende Krisenlage für die ganze Gesellschaft.

Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen stehen in Wechselwirkung zu den Bedürfnissen anderer. Ihr Wohl steht greifbar in direktem Zusammenhang mit dem Wohl ihrer Eltern und auch mit dem Wohl der Großeltern.

Haben unsere Kinder und Jugendlichen unter den Kontaktbeschränkungen gelitten? – Ja! Sind ihnen Bildungschancen entgangen? – Ja! Aber waren diese Entbehrungen verhältnismäßig? Haben sie der gesamtgesellschaftlichen Ausnahmesituation angemessen Rechnung getragen? Waren sie mit Blick auf das Ganze und alle erforderlich und damit trotz aller Härten im Lichte der Lage notwendig? Ich komme zu dem Ergebnis: Ja! Und damit geht ausdrücklich keine Relativierung einher, welcher Preis damit verbunden ist.

Meine Damen und Herren, ich verzichte an dieser Stelle auf die obligatorischen Aufzählungen, was alles getan wurde, um Kinder, Jugendliche und Fami

lien in der Krise zu unterstützen, nehme da ausdrücklich Bezug auf den heutigen TOP 3, wo es aus berufenem Munde unseres Ministerpräsidenten sehr anschaulich vorgestellt wurde.

Den Grünen gestehe ich zum Schluss gerne zu, dass sich die Qualität ihrer Anträge wohltuend und positiv von den Anträgen anderer Fraktionen hier im Hause abhebt.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Also auch Ihren!)

Wenngleich mich der endlich ernstzunehmende Duktus der Überschrift mit seiner latenten Unterstellung der Behäbigkeit ärgert, weiß ich, dass Ihnen das Thema am Herzen liegt. Ich darf Ihnen aber versichern, liebe Kollegin Paul: Studien werden bereits zu Genüge geschrieben. Sie haben zwei Studien zitiert, Bodo Löttgen hat heute Morgen welche zitiert, in meinem Antrag sind welche. Wir haben noch nicht über Bertelsmann gesprochen. Studien haben wir, Gespräche finden statt.

Wir arbeiten daran, flankierend mit Mitteln vom Bund die nächsten Schritte zu tun für unsere Kinder, für unsere Jugendlichen und für unsere Familien in Nordrhein-Westfalen.

Wir werden natürlich der Überweisung zustimmen. Danach würde ich dem Antrag aber nicht allzu viel Lebensdauer zusprechen wollen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und Marc Lürbke [FDP] – Josefine Paul [GRÜNE]: Das finde ich jetzt aber ein bisschen schade! Wir haben doch noch gar nicht darüber diskutiert!)

Vielen Dank, Herr Kollege Kamieth. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Dr. Maelzer.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir wiederholt zum Thema gemacht haben, wird mittlerweile von immer mehr Studien bestätigt: Kinder und Jugendliche sind die Verlierer dieser Pandemie, und das, obwohl sie sich jetzt fast anderthalb Jahre solidarisch gezeigt haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

So hat uns die Bertelsmann Stiftung vor Augen geführt, dass sich 61 % der Kinder und Jugendlichen einsam fühlen, und sogar 64 % fühlen sich psychisch belastet. Auch in dieser Krise zeigt sich eine soziale Spaltung. Denn Jugendliche, die es ohnehin schwer haben, verlieren am meisten in Sachen Bildung und Bindung. Dramatisch ist auch der Befund, dass sich etwa zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen nicht von der Politik gehört fühlen.

Dann hören wir hier von der regierungstragenden CDU-Fraktion so eine – lassen Sie es mich freundlich