Protokoll der Sitzung vom 28.02.2018

Für die Fraktion der Grünen hat nun der Kollege Klocke das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grund unseres Antrags auf eine Aktuelle Stunde ist der Urteilsspruch gestern in Leipzig, der bundesweit für Furore gesorgt und dessen möglicher Ausgang in den letzten Wochen die Medien bestimmt hat.

Wir wollen in dieser Aktuellen Stunde von der Landesregierung erfahren, insbesondere von der Umweltministerin, aber gerne auch vom Verkehrsminister und vom Ministerpräsidenten, was das Land zu tun gedenkt, um Fahrverbote zu vermeiden. Denn – da sind auch wir Grünen uns einig – Fahrverbote können verhindert werden, und Fahrverbote sollten auch verhindert werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zur Pressearbeit: Wenn man sich die öffentlichen Stellungnahmen der regierungstragenden Fraktionen und der Landesregierung von gestern anschaut, wird man nicht schlauer. Die umweltpolitische Sprecherin der CDU sagte in ihrer Presseerklärung, man respektiere den Richterspruch aus Leipzig. Na ja, immerhin respektiert die CDU einen Richterspruch. Die FDP ging komplett auf Tauchstation; sie hat gestern gar nichts verlautbart. Die Umweltministerin sagte, Fahrverbote seien nur die Ultima Ratio. Gut, dem würden wir uns anschließen.

Uns würde aber doch interessieren, was die Landesregierung in den nächsten Wochen und Monaten tun wird, um Fahrverbote zu verhindern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu hätte sie schon jetzt Zeit gehabt; denn schon seit 2010 gelten die EU-Grenzwerte. Die Bundesregierung, die all die Jahre von der CDU gestellt wurde – der Bundesverkehrsminister kam in dem Zeitraum von der CSU –, hätte also sieben Jahre Zeit gehabt, entsprechend zu reagieren. Sieben Jahre hatten auch die Autohersteller Zeit, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Sieben Jahre hatte die rot-grüne Landesregierung!)

Doch statt entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, wurde geschummelt und getrickst; das wissen wir alle. Das wurde durch den VW-Abgasskandal deutlich, Stichwort „Schummel-Software“. Außerdem gab es eine nicht abweisbare Kumpanei zwischen Automobilindustrie und Bundesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Bundesregierung hat nicht interveniert. Wir wissen, dass die Kanzlerin in Brüssel unterwegs war und dafür gesorgt hat, dass keine strengeren Abgaswerte festgesetzt werden.

Als ich Herrn Wissmann, den ehemaligen CDUVerkehrsminister, gestern im Fernsehen gesehen habe, war das fast wie beim Politbüro kurz vor dem

Mauerfall. Er konnte gar nicht verstehen, was in Leipzig passiert ist. Er stammelte irgendetwas davon, dass ein Softwareupdate greifen würde, zu allen anderen Maßnahmen sei die Automobilindustrie nicht bereit. Dieser Herr Wissmann hat insbesondere in der CDU und auch in der Bundesregierung jahrelang erfolgreich lobbyiert, weshalb es gestern zu diesem Urteil in Leipzig gekommen ist, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Heute debattieren wir nicht nur über ein wirtschaftspolitisches und verkehrspolitisches Thema, sondern es geht auch um Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik.

Man kann das jetzt abwehren und sagen: Das alles sind aus dem Raum gegriffene Zahlen. – Es gibt jedoch gute und qualifizierte umwelt- und gesundheitspolitische Studien, die belegen, dass es jedes Jahr aufgrund von NOx Tausende vorzeitiger Todesfälle in unseren Innenstädten gibt. Laut Umweltbundesamt sind es bis zu 6.000 Todesfälle, laut EU-Kommission sogar bis zu 10.000 Todesfälle. Jeder einzelne Todes- bzw. Krankheitsfall ist einer zu viel. NOx in unseren Innenstädten führt dazu, dass Menschen krank werden und frühzeitig sterben. Hier muss dringend und zügig gehandelt werden.

(Markus Wagner [AfD]: Bringen Sie die Be- weise dafür! – Helmut Seifen [AfD]: Es gibt keine ernsten Beweise!)

Die Gesundheitsgefährdung besteht insbesondere für Ältere, Kranke sowie Kleinkinder und Babys.

(Helmut Seifen [AfD]: Das sind doch alles Mär- chen!)

Wenn Sie auf den Straßen unterwegs sind, werden Sie feststellen, dass die Abgase besonders Babys in Kinderwagen schädigen, die sich auf Augenhöhe mit den Auspuffanlagen befinden.

Man kann jedoch nicht – und das tun Sie von der AfD mit Ihrem Antrag – die Messwerte am Arbeitsplatz mit denen auf der Straße vergleichen. Am Arbeitsplatz werden gesunde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zeitlich befristet belastet. Das können Sie doch nicht ernsthaft mit der tagtäglichen Belastung der Menschen vergleichen, die beispielsweise in der Corneliusstraße leben, die dort tagtäglich einkaufen, lüften usw. Das zeigt, wie absurd Ihr Antrag ist, liebe Kollegen von der AfD. Sie sorgen hier im Plenum wieder einmal für eine vergiftete Atmosphäre.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diesmal geht es um die Verkehrs- und Gesundheitspolitik. Das einzige Problem, das Sie in Ihrem Antrag skizzieren, ist, dass ein unübersichtlicher Schilderwald droht. Liebe AfD, Sie müssen sich dringend in die Materie einarbeiten.

(Lachen von der AfD – Zuruf von Markus Wag- ner [AfD])

Das müssen aber auch andere tun. Denn die Debatte um Grenzwerte und Schadstoffe wird bei der FDP, insbesondere von Christian Lindner, genauso geführt. Er argumentiert ähnlich wie die AfD, und das ist peinlich genug.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu Recht fühlen sich Millionen von Autofahrerinnen und Autofahrer in diesem Land von den Herstellern betrogen. Deswegen braucht es ein verbindliches Hardwareupdate in allen betroffenen Fahrzeugen. Dieses Hardwareupdate muss zu 100 % von der Automobilindustrie finanziert werden, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das fordern nicht nur die Grünen, das fordert bemerkenswerterweise auch eine den Grünen nicht unbedingt nahestehende Organisation wie der ADAC. Das fordern der Deutsche Städtetag, der Städte- und Gemeindebund und weitere Organisationen.

Sehr geehrte Frau Umweltministerin, setzen Sie sich ebenso für ein verbindliches Hardwareupdate in den betroffenen Pkws ein, wie diese Organisationen und wir es tun. Dazu sollten Sie heute entsprechend Stellung nehmen.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

Oder trifft das zu, was Ihr Staatssekretär Bottermann heute Morgen auf WDR 5 zum Besten gegeben hat? Er sagte, dass man jetzt in Gespräche mit der Industrie eintreten und prüfen wolle, wozu die Industrie bereit sei, um möglicherweise eine Fifty-fifty-Regelung zu treffen, sodass die Verbraucher die eine Hälfte und die Automobilhersteller die andere Hälfte finanzieren.

Vor dem Hintergrund der Milliardengewinne von VW und anderen deutschen Konzernen ist genug Geld da, um dieses Update, sprich: diese Hardwarenachrüstung, zu finanzieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Selbstverständlich – das hat das Urteil gestern deutlich gemacht – braucht es Ausnahmeregelungen für Handwerkerinnen und Handwerker, für Rettungswagen und andere Fahrzeuge. Aber warum stehen eigentlich so wenige Best-Practice-Beispiele im Mittelpunkt der Debatte, und warum wird das von der Landesregierung nicht aufgegriffen?

Ich möchte den Bäcker Schüren aus dem Kreis Mettmann als Beispiel anführen. Es handelt sich um einen mittelständischen Betrieb mit über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 30 Fahrzeugen. Er hat in den letzten Jahren freiwillig und ohne jeden Fördercent die komplette Flotte auf Hybrid- und Elektroantrieb umgestellt.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ohne Förder- gelder?)

Solche Maßnahmen sind zu unterstützen. Es ist möglich, entsprechend zu agieren. Diese Beispiele sollten in Zukunft in der Öffentlichkeit deutlicher gemacht werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Handwerkerinnen und Handwerker sind dazu bereit, die Hardware entsprechend nachzurüsten und ihre Fahrzeuge umzurüsten.

Die zweite entscheidende Forderung ist: Wir brauchen eine blaue Plakette. Wir brauchen keinen roten Fuchsschwanz, wie die Bundesumweltministerin gestern sagte, sondern eine verbindliche bundesweite Regelung für eine nachvollziehbare Kennzeichnung von schadstoffarmen Fahrzeugen.

Deshalb lautet mein Appell an die Landesregierung: Setzen Sie sich dafür in Berlin in der neuen Großen Koalition ein! Diese Forderung richtet sich an die zahlreichen neuen NRW-Minister im Kabinett, die Herr Laschet so preist und lobt. Kämpfen Sie in der neuen Bundesregierung dafür, dass wir eine blaue Plakette bekommen! Das ist Ihre Chance, in dieser Debatte Farbe zu bekennen.

Herr Klocke, die Redezeit.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Für die CDU erteile ich nun dem Abgeordneten Voussem das Wort.

Vielleicht noch eine Erläuterung, während Herr Voussem auf dem Weg ist: Es wurde während des gerade gehaltenen Wortbeitrages die Bitte geäußert, eine Zwischenfrage zu stellen. Nach § 95 der Geschäftsordnung sind Zwischenfragen oder Kurzinterventionen bei Aktuellen Stunden ausgeschlossen.

(Zuruf von Frank Sundermann [SPD] – Heiter- keit bei den GRÜNEN)

Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch am Tag danach ist nicht die Stunde der Verschwörungstheoretiker und Weltuntergangspropheten.