Protokoll der Sitzung vom 21.03.2018

Das gilt für die Industrie und für die Energiepolitik, leider aber auch für die Verkehrspolitik. Sie nutzen nicht

die Chance, Druck auf Berlin zu machen. Sie könnten den neuen Bundesverkehrsminister in die Pflicht nehmen, jetzt ein entsprechendes Maßnahmenprogramm vorzulegen. Sie könnten sich für Hardwarenachrüstungen gegenüber der Automobilindustrie einsetzen.

Sie sind der Ministerpräsident des größten Bundeslandes. Nutzen Sie diese Chance, und nutzen Sie in der zweiten Runde auch die Chance, hier, wie man so schön sagt, ein bisschen mehr Butter bei die Fische zu tun! Erklären Sie uns klar und deutlich, wohin Sie eigentlich wollen! – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Löttgen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion um Luftreinhaltung und Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ist zumindest teilweise von einer Art unversöhnlichem Lagerdenken geprägt, von berechtigter und manchmal auch unberechtigter Interessenswahrung, von Zweifel, Sorge und Mut, aber natürlich auch von knallharten Geschäftsinteressen.

Die Kampflinien machen sich an Grenzwerten fest, die Gegenstand von Rechtsprechung sind, und deren Entstehung und Bedeutung in der heutigen Zeit – übrigens wahrscheinlich allein aus diesem Grund – eigentlich niemand mehr hinterfragen darf.

„Grenzwert überschritten“ – das ist die moderne Übersetzung eines Fallbeil-Urteils: Stehst du auf der falschen Seite, spürst du die Folgen. – Mit welchen Folgen muss ich rechnen? Diese Frage möchten 15 Millionen Diesel-Pkw-Fahrer – 2,3 Millionen davon in Nordrhein-Westfalen – und die Besitzer der gut 5,6 Millionen registrierten Nutzfahrzeuge, die in der Mehrzahl mit Diesel betrieben werden, von der Politik und heute auch von uns beantwortet haben.

Mit welchen Folgen muss ich rechnen? Diese Frage wollen Tausende von Anwohnern verkehrsreicher Straßen von der Politik und heute auch von uns beantwortet haben.

Deshalb bin ich dem Ministerpräsidenten dankbar, dass er gerade – im Übrigen völlig unaufgeregt und jenseits jeglicher Polarisierung – Fakten benannt und auf dieser Grundlage detaillierte Antworten gegeben hat.

(Zurufe)

Ich finde es schon schade, Herr Dahm, dass Ihre anscheinend vorgeschriebene Rede diesen Antworten nicht mehr Rechnung tragen konnte.

Herr Klocke, ich weiß gar nicht, ob das alles bei Ihnen angekommen ist. Vielleicht muss man die Vielzahl der Maßnahmen, die genannt worden sind, tatsächlich noch einmal nachlesen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Eines möchte ich jedoch hinterfragen. Auch Sie, Herr Klocke, sagen: Ohne Hardwarenachrüstung geht bei NO2 nichts. – Habe ich Sie da richtig verstanden?

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Ja!)

Auch Ihnen ist dieses Chart des Bundesumweltamtes bekannt?

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Auf die Entfernung kann ich es nicht erkennen!)

Das Erstaunliche ist ja, dass im Zusammenhang mit dem NO2-Eintrag von Energiewirtschaft, Haushalt, Industrieprozessen und verarbeitendem Gewerbe seit 1990 lediglich der Anteil des Verkehrs substanziell und signifikant zurückgegangen ist. Jetzt sagen Sie mir bitte mal, welche Hardwarenachrüstung seit 1990 stattgefunden hat, die bewirkt hat, dass tatsächlich eine Diesel-NOX-/NO2-Reduktion erfolgt ist! Dann können wir darüber reden.

(Zuruf von der SPD: Fahrverbote!)

Ich habe eine Menge zu diesem Thema gelesen – Texte und Artikel von Menschen, bei denen diese Diskussion Existenzängste auslöst, sowie von Befürwortern, die eine ernste Sorge um die Gesundheit ihrer Mitbürger haben. Je häufiger ich mich mit Vertretern beider Seiten unterhalten habe, desto mehr stellen sich auch mir Fragen: Schütten wir hier das Kind mit dem Bade aus? Wollen wir des Guten zu viel? Oder schießen wir vielleicht mit Kanonen auf Spatzen?

Ich habe einige Fakten zusammengetragen, die uns notwendige Antworten ermöglichen.

Lassen Sie mich mit dem Thema „Grenzwert“ beginnen. Fakt ist: Dieser Grenzwert – 40 µg/m3 Luft – gilt. Er ist Grundlage für Gerichtsurteile, und das ist in keiner Weise zu kritisieren.

Wenn Fahrverbote aber auf Messwerten beruhen sollen, dann sollte klar sein, was die Messstationen wirklich messen. Seit dem VW-Abgasskandal ist Stickoxid zum meistbeachteten Luftschadstoff geworden. Vor allem Stickstoffdioxid gilt als Krankmacher. Tatsächlich ist es so: An vielen deutschen Messpunkten, auch bei uns in Nordrhein-Westfalen, wird die Schadstoffkonzentration von 40 µg/m3 Luft im Jahresmittel überschritten.

Eine Randbemerkung, weil gerade das Thema „VWAbgasskandal“ so aktuell ist: Ich finde es in einer Zeit, in der gerade wieder Durchsuchungen in der VWZentrale stattfinden, in der VW im vergangenen Jahr

den operativen Gewinn auf 13,8 Milliarden € fast verdoppelt hat, in der bekannt wird, dass sich die Vorstandsbezüge bei Volkswagen fast um ein Drittel auf gut 50 Millionen € erhöht haben, geradezu unanständig, dass sich dieser Konzern nicht an einer Lösung der Probleme beteiligt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD)

Und jetzt werfen wir mal einen Blick auf die Corneliusstraße in Düsseldorf. Ein Angestellter beispielsweise, der über die Corneliusstraße in sein Büro im Stadtteil Bilk fährt, muss sich solchen Dosen von oberhalb 40 µg/m3 immer wieder aussetzen. Danach sitzt er gut geschützt an seinem Schreibtisch und kann sich erholen – könnte man meinen. Doch da stimmt etwas nicht. Achtung! Für Büros gilt laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz die mittlere Arbeitsplatzkonzentration – MAK –, ein Grenzwert von 60 µg, und für manche Industriearbeitsplätze – Achtung! – von 950 µg/m3 Luft.

(Zurufe von der AfD)

Passen Sie doch einfach auf, Herr Seifen! Sie sind doch Lehrer, da können Sie noch was lernen.

An keiner Stelle …

(Fortgesetzt Zurufe von der AfD)

An keiner Stelle in Deutschland wurde ein derart hoher Wert festgestellt. Warum aber ist für viele Stickoxid, wenn es für lange Zeit aufgenommen wird, harmlos und für kurze Zeit so todbringend? – Antwort: Die Grenzwerte kommen durch unterschiedliche Herangehensweisen an das Problem zustande.

Für den Arbeitsplatz gibt es die toxikologische Untersuchung zur Giftigkeit des Stoffs mit der Feststellung, dass Reizungen über 2.000 µg gefährlich sind. Beim Grenzwert an der Straße gibt es jedoch eine völlig andere Herangehensweise, nämlich die epidemiologische. Dabei wird die gesundheitliche Beeinträchtigung von Betroffenen statistisch erfasst.

Das Ergebnis: An Stellen, an denen die durchschnittliche Stickstoffdioxidkonzentration deutlich über 40 µg liegt, erleiden die Menschen gesundheitliche Beeinträchtigungen. Deshalb hat die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, diese Zahl 2005 empfohlen, und die EU hat sie umgesetzt.

Eines sollte aber wirklich zum Nachdenken anregen: Bei dieser epidemiologischen Untersuchung ging es damals gar nicht um Stickoxide. Deren Vorhandensein, so die WHO damals, sei nur ein starker Hinweis auf Fahrzeugemissionen. Also wird alles, was sonst noch an Gift in der Luft ist, plötzlich dem Schadstoff Stickoxid in die Schuhe geschoben.

Im Klartext: Wenn wie im Januar 2018 in der Düsseldorfer Corneliusstraße 51 µg/m3 Stickstoffdioxid im Jahresmittel gemessen werden, heißt das nicht, dass

es dieser Stoff ist, der krank macht, sondern es heißt lediglich, dass die Summe der verkehrsbedingten Emissionen schädlich ist. Ob nun Stickoxid aus Dieselabgasen der Bösewicht ist oder Feinstaub aus Benzinmotoren – das wurde gar nicht untersucht. Und schon dies führt die Forderung nach einem isolierten Dieselfahrverbot völlig ad absurdum.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eigentlich ist NOX also nur ein Hinweisgeber auf viel Verkehr und die damit verbundenen Schadstoffe. Insofern löst auch die alleinige Reduktion von NOX das Problem nicht. Die anderen, auch schädlichen oder noch schädlicheren Schadstoffe sind nach wie vor in der Luft.

Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist die Aussage der Epidemiologin Annette Peters vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zur VWAbgasaffäre, die für noch niedrigere NOX-Werte eintritt. Sie räumte laut Protokoll vor den Abgeordneten ein, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Stickoxiden und Gesundheitsschäden epidemiologisch noch nie untersucht wurde. Zitat:

„Für NO2 bin ich mir keiner Studie bewusst, die das schon mal systematisch angeguckt hat.“

Das bedeutet: Niemand weiß, welche Schadstoffe Schäden verursacht haben, für die in dieser Debatte pauschal Stickoxide verantwortlich gemacht werden.

Ein weiterer Grund, warum man noch einmal über die Festlegung der WHO diskutieren kann,

(Zuruf von der SPD)

die aber augenscheinlich heute auch keine Rolle mehr spielt: Die Untersuchung damals wurde in Zeiträumen und Regionen vorgenommen, in denen es noch keine wirksame Abgasreinigung gab. Viele der statistisch erfassten vermeintlichen NOX-Gesundheitschäden können gar nicht mehr entstehen. Diese Schadstoffe sind in der Wirklichkeit der Luftreinhaltung von heute verschwunden.

Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffe sind mit der Einführung des Dreiwegekatalysators kein Problem mehr. Schwefeldioxid, der Hauptverursacher des damaligen sauren Regens, ist mit der Einführung schwefelfreier Kraftstoffe aus der Luft verschwunden. Asbest als krebserregender Bestandteil von Bremsbelägen ist europaweit und in weiten Teilen der restlichen Welt verboten.

Es bleibt der Feinstaub. Ein Großteil der schädlichen Partikel kam früher aus dem Auspuff von Dieselfahrzeugen. Früher! Das ist mit der Einführung von Rußfiltern heute kein Thema mehr. Heute sind Benzinabgase eine wichtige Feinstaubquelle, weshalb auch Benziner künftig Filter haben müssen. Dazu kommen Feinstäube durch Reifenabriebe und durch den Abrieb von Bremsbelägen. Sie bleiben ein Problem, das

sich aber nicht eindeutig dem Benziner oder dem Diesel zuordnen lässt.

Deshalb das erste Fazit: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir mit einem Grenzwert arbeiten, der die aktuelle Situation der Fahrzeugentwicklung nur unzureichend abbildet, ist hoch. Die verkehrsbedingten Schadstoffe sind überschaubar geworden. Stickoxide kommen heute überwiegend aus Dieselmotoren, Rußpartikel dagegen überwiegend aus Benzinmotoren, Reste früherer Schadstoffe gibt es noch.

Bevor man über Fahrverbote auch nur nachdenkt, sollten Toxikologen und Epidemiologen unter heutigen Bedingungen gemeinsam erforschen, welcher Schadstoff welche Wirkungen in welcher Konzentration hat. Alles andere ist aus meiner Sicht Scharlatanerie.