Protokoll der Sitzung vom 13.07.2018

Das heißt: Wir haben hier einen sehr großen Bereich sogenannter verdeckter Wohnungslosigkeit. Viele Frauen versuchen, ihre Wohnungslosigkeit damit zu überdecken, dass sie bei Verwandten oder Bekannten unterkommen. Sie versuchen, wieder bei den Eltern unterzukommen. Oftmals gehen sie auch sogenannte „Zweckpartnerschaften“ ein – ganz häufig mit dem großen Risiko, dass sie dann wiederum Begleiterscheinungen bis hin zu sexueller Gewalt ausgesetzt sind.

Die Gründe für die Wohnungslosigkeit von Frauen unterscheiden sich oftmals sehr stark von den Gründen für die Wohnungslosigkeit von Männern. Sie sind hier bereits genannt worden. Frauen sind in ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit gegenüber Männern nach wie vor häufig benachteiligt. Das ist ein Faktum, das schon lange bekannt ist, allerdings leider noch lange nicht überwunden ist.

Die Einkommenssituation von Frauen ist schlechter, sodass sie im Fall einer Trennung oftmals vor existenziellen Nöten stehen. Aber auch geschlechtsspezifische Gewalterfahrungen sind zentrale Gründe. Langjährige Gewalterfahrung, wirtschaftliche Abhängigkeit und mangelnde soziale Netze prägen die Lebenssituation vieler Frauen in Wohnungsnotfallsituationen.

Wohnungslosigkeit ist also – das wird hier am Beispiel der Frauen besonders deutlich – kein individuelles Schicksal, sondern es ist eine gesellschaftliche Verantwortung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, Angebote für Frauen, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, müssen genau hier ansetzen. Der Schutz vor Gewalt und die Stärkung der Autonomie müssen Kernbestandteile sein.

Dazu muss es eine enge Kooperation – der Minister hat bei der Fachtagung auch darauf hingewiesen – zwischen den Trägern der Obdachlosenhilfe und der Frauenhilfeinfrastruktur sowie den kommunalen Stellen geben.

Wohnungslosigkeit darf nicht Ausweglosigkeit heißen. Das bedeutet aber auch, dass die zielgruppenspezifischen Angebote genau in diesem Bereich gestärkt werden müssen.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen 62 durch das Land geförderte Frauenhäuser für die Akuthilfe für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder. Frauenhäuser sind ein Baustein, um Frauen in Notsituationen zu unterstützen und ihnen neue Perspektiven jenseits von Gewalt zu eröffnen.

Für eine nachhaltige Unterstützung der Frauen, vor allem zur Verhinderung sogenannter Drehtüreffekte, brauchen wir allerdings Perspektiven, die über das Frauenhaus hinausgehen.

Wir haben gerade schon von den sogenannten „Second Stage“-Projekten gehört, die die rot-grüne Landesregierung 2017 auf den Weg gebracht hat und die auch ein wichtiger Baustein zur Verselbstständigung sind. Schaut man sich einmal die Zahlen dazu an, wird jedoch deutlich, wo die über die derzeit geförderten Projekte hinausgehenden Bedarfe liegen. Wir haben 62 landesgeförderte Frauenhäuser, aber nur sechs Projekte in der „Second Stage“-Förderung plus zwei Wohnraumförderprojekte im Köln/Bonner Raum. Das heißt: Wir haben 62 Frauenhäuser, aber nur acht Projekte, die sich mit dem Prozess der Verselbstständigung beschäftigen.

Insofern brauchen wir dringend einen Ausbau dieser Projekte. Vor allem ist eine Verstetigung der Mittel notwendig. Die „Second Stage“-Projektmittel sind jedoch bislang, wie der Name schon sagt, Projektmittel. Wir brauchen für diese Projekte aber eine strukturelle Förderung, um Frauen aus dem Frauenhaus in ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden begleiten zu können.

Gleichzeitig müssen die Mittel für den sozialen Wohnungsbau gestärkt werden. Es ist doch völlig klar, dass man sich nur dann neue Perspektiven in den eigenen vier Wänden aufbauen kann, wenn es einem überhaupt möglich ist, eigene vier Wände zu finden. Wohnungslosigkeit ist nämlich – das ist eine Binsenweisheit; es scheint aber wichtig zu sein, das noch einmal deutlich zu machen – auch eine Folge mangelnden bezahlbaren Wohnraums. Dementsprechend wäre es wichtig, die Zielmarke von 250.000 neuen Wohnungen bis 2022 in den Blick zu nehmen.

Allein: Die aktuelle Landesregierung setzt offenbar andere Akzente. Statt einen klaren Fokus auf den öffentlich geförderten Wohnungsbau zu legen – das ist gerade schon mehrfach diskutiert worden –, werden jetzt 200 Millionen € weniger für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Ja, Sie können argumentieren, das seien damals zweckgebundene Bundesmittel gewesen. Nichtsdestotrotz ändert das nichts daran, dass man auch eigene landespolitische Akzente mit eigenem Landesgeld setzen kann.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das läge in Ihrer Verantwortung. Dieser Verantwortung werden Sie an dieser Stelle aber nicht gerecht.

Denn was brauchen Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht sind und die wir begleiten wollen? Sie brauchen wirksame Unterstützung. Dabei darf sich auch das Land nicht vor seiner Verantwortung drücken.

Nordrhein-Westfalen geht mit dem bundesweit vorbildlichen Aktionsprogramm „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ voran. Das ist vorbildlich. Das gilt es auch zu verstetigen. Es sollte aber auch bei der Förderung des sozialen Wohnungsbaus und beim bedarfsgerechten Ausbau …

Frau Kollegin, die Redezeit.

… der Unterstützungsangebote für Frauen in Wohnungsnotfällen sowie für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, vorangehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank. – Für die FDP erteile ich nun der Kollegin Schneider das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wohnungslosigkeit und speziell Frauen ohne Dach über dem Kopf: Es ist schade, dass Sie wieder einmal einseitig nur ein Geschlecht betrachten. Denn auch über Männer ohne Dach über dem Kopf lohnt sich eine intensive Debatte.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Es ist wie in den letzten Jahren auch: Sie wollen Frauen fördern und unterstützen. Sie behandeln Frauen als schwaches Geschlecht, das unbedingt Hilfe benötigt. Dass Männer auch Probleme haben – sie brechen wesentlich häufiger die Schule ab, und

im Bereich Männergesundheit bestehen große Herausforderungen, um hier nur zwei Beispiele zu nennen –, ignorieren Sie weiterhin.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ein Viertel aller Wohnungslosen sind Frauen. Das bedeutet aber auch, dass drei Viertel der Wohnungslosen Männer sind. Dieses Verhältnis ist nicht neu. Und leider können wir sowohl bei Männern als auch bei Frauen einen Anstieg der Zahlen beobachten.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Auch wenn bei Frauen das Problem der Wohnungslosigkeit oft weniger sichtbar ist, sollten wir uns deshalb nicht nur auf sie fokussieren. Vielmehr brauchen wir umfassende und differenzierte Ansätze für Frauen und für Männer.

Für mich ist es wichtig, dass jeder Mensch, gleich welchen Geschlechts, in die Lage versetzt wird, selbstbestimmt in seinen eigenen vier Wänden leben zu können.

(Beifall von der FDP)

Sowohl wohnungslose Frauen als auch wohnungslose Männer können durch vielfältige persönliche, familiäre und finanzielle Probleme in diese schwierige Lebenslage geraten sein. Hier sollten die Hilfen ansetzen, bei denen aber in erster Linie die Kommunen gefordert sind.

In der Tat benötigen Frauen dabei andere Hilfen als Männer. Dieser Aussage von Minister Laumann kann ich nur zustimmen. Denn Wohnungslosigkeit gestaltet sich bei Frauen anders.

Viele von ihnen versuchen mit aller Kraft, ihre wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen oder durch familiäre bzw. partnerschaftliche Gewalt verursachten Probleme selber in den Griff zu bekommen. Gerade dieses Bedürfnis, eigene Strategien zur Problemlösung zu finden, kann aber die Schwierigkeiten noch verstärken und eine Abwärtsspirale in Gang setzen.

Für Frauen ist dabei der Verlust der Wohnung viel stärker mit dem Verlust des privaten Schutzraumes verbunden. Deshalb bin ich froh, dass die Herangehensweise gegen Wohnungslosigkeit geschlechtersensibel erfolgt.

Bereits der damalige Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration, unser heutiger Ministerpräsident Armin Laschet, hat für geschlechtergerechte Hilfe für wohnungslose Frauen und Männer geworben. Minister Laumann hat diese Politik mit der Fachtagung letzte Woche wieder aufgenommen.

Die unterschiedlichen Stellen in den Kommunen brauchen ein verstärktes Bewusstsein für die Frage wohnungsloser Frauen, um die Problematik zu er

kennen und gezielte Hilfen anbieten zu können. Darauf hat das Land NRW mit der Fachtagung aufmerksam gemacht.

Dabei unterstützen wir die Kommunen, indem wir mit dem Aktionsprogramm des Landes Informationsaustausch und Beratung anbieten sowie Projekte, zum Beispiel für Frauen in ländlichen Gebieten oder für Seniorinnen, fördern.

Wir brauchen hier aber keine Nachhilfe durch die Aktuelle Stunde der SPD. Sinnvolle Ansätze werden wir fortsetzen. Ihr Versuch, der NRW-Koalition hier soziale Kälte beim Thema „Wohnungslosigkeit von Frauen“ zu unterstellen, läuft also ins Leere.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wirklich abenteuerlich ist für mich aber Ihr Versuch, die Themen von Wohnungspolitik und Wohnungslosenhilfe mit den Akutschutzeinrichtungen für Frauen, die Gewalt erfahren haben, zu verbinden.

Sicher haben wohnungslose Frauen häufig auch Gewalterfahrungen und benötigen Schutz. Ein Frauenhaus kann aber keine dauerhafte Unterbringung ersetzen,

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Das sagen wir auch gar nicht!)

sondern immer nur eine vorläufige Hilfe sein.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Eben!)

Mehr Plätze allein werden wohnungslosen Frauen daher wenig helfen.

Die NRW-Koalition stellt für den Schutz und die Hilfe für gewaltbetroffene Frauen allein dieses Jahr zusätzlich 600.000 € zur Verfügung. Damit sichern wir die Existenz der Frauenberatungsstellen einerseits und die Tätigkeit der Frauenhäuser andererseits.

Ich unterstütze Ministerin Scharrenbach auch voll und ganz in ihrer Strategie, die zusätzlichen Mittel für Frauenhäuser an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Damit verfolgen wir das Ziel, die hilfesuchenden Frauen zwar so lange wie erforderlich, aber nicht länger als notwendig in den Schutzräumen unterzubringen.

Ich bin geduldig und warte sehr gern ab, bis alle Beteiligten sich auf ein Konzept geeinigt haben, denn hier gilt: Sorgfalt vor fahrlässiger Schnelligkeit.