Herr Präsident, Herr Kollege Sieveke, ich kann mich hier am Pult noch nicht einmal selbst verstehen,
weil das, was Sie hier aufführen, genau die Frage aufkommen lässt: Geht es Ihnen wirklich um die Weiterentwicklung der Inklusion?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- rufe von der CDU und der FDP: Ja! – Beifall von der CDU und der FDP)
Jetzt möchte ich zum Thema zurückkommen. Ich würde gerne in Ruhe ausführen. Das müssen Sie jetzt ertragen und sich anhören.
Entschuldigung, Frau Kollegin Beer. Einen Moment, bitte. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann die Aufregung verstehen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – La- chen und Zurufe von der CDU und der FDP – Gegenruf von Frank Müller [SPD]: Gehen Sie doch raus, wenn es Ihnen nicht passt! Hier sind doch drei Türen!)
Ich möchte aber an uns gemeinsam appellieren, dass wir der Rednerin die Chance geben, sich auch akustisch verständlich auszudrücken.
Ja. Ich möchte mich hier vorne gerne auch wahrnehmen können. – Glauben Sie, Herr Sieveke, glauben Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU, dass das, was Sie den Menschen draußen hier bieten, für die Politik förderlich ist?
Frau Ministerin, Sie müssen schon zur Kenntnis nehmen, dass Sie derzeit dabei sind, Schulen in den Inklusionsstreik zu treiben.
Das ist Ihre Verantwortung. Denn Sie sind jetzt endgültig dabei, den Schulkonsens zu verlassen, der besagt, dass Förderschulen zum Schulsystem gehören, soweit sie trotz Inklusion erforderlich sind. Sie geben tatsächlich das Ziel auf, ein inklusives Bildungssystem zu entwickeln. Die Eckpunkte, die Sie vorgelegt haben, sind Förderschul-Stärkungspunkte
und dienen nicht einer Weiterentwicklung des Inklusionsprozesses. Das ist offensichtlich auch so gewollt.
Frau Ministerin, Sie sagten gestern, Sie seien nicht für das Abziehen von Sonderpädagoginnen und die erhöhte Zuweisung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an die integrierten Schulen verantwortlich. Doch Sie tragen dafür die politische Verantwortung. Wer hat denn die Erlasse der Bezirksregierungen veranlasst? Auf welcher Grundlage handelt die Schulaufsicht eigentlich?
Wir haben hier ein Eckpunktepapier, das zusätzliche Ressourcen erst zum nächsten Schuljahr, zum Schuljahr 2019/2020, verspricht. Aber jetzt werden den integrierten Schulen mehr Kinder zugewiesen. Gleichzeitig müssen sie sogar Sonderpädagoginnen abgeben. Was für eine Entwicklung des Inklusionsprozesses ist das denn?
Ist das eigentlich vorauseilender Gehorsam gegenüber der Linie des Koalitionsvertrages durch Bezirksregierungen und Schulaufsicht? Sie haben die neue Linie offensichtlich gut verstanden.
Frau Ministerin, es ist schön, dass Sie gestern gesagt haben, einen solchen Ressourceneingriff würden Sie nicht als Qualität im gemeinsamen Lernen verstehen, und Sie würden sich jeden Einzelfall anschauen. Das hört sich sehr ahnungslos an – während die Schulen das Umkrempeln vor Ort bereits schmerzlich erleben.
Wissen Sie wirklich nicht, was derzeit in den Schulen passiert? Wissen Sie nicht, dass Sie die Schulen in die Verweigerung treiben? Meines Wissens befassen sich zurzeit mindestens 20 Schulkonferenzen mit Ausstiegsbeschlüssen, mindestens für den Jahrgang 5. In der Gesamtschule Langerfeld ist das bereits beschlossen worden. Dieser Beschluss ist Ihnen, Frau Ministerin, auch zugeschickt worden.
Werte Kolleginnen, hören Sie jetzt bitte einmal zu. Denn es ist Ihre Aufgabe, da hinzuhören. Ich zitiere aus der Pressemitteilung der GEW:
„So soll z. B. für die Gesamtschule Langerfeld die Besetzung mit Sonderpädagogen auf 37,8 % der erforderlichen Lehrerwochenstunden gekürzt
werden, … Schulkonferenz und Schulpflegschaft haben deshalb bereits schriftlich gegenüber dem Schulträger erklärt, dass sie sich unter diesen Bedingungen außerstande sehen, die Aufgaben einer Inklusion verantwortungsvoll wahrzunehmen. …
Gleiches berichtet die Gesamtschule UellendahlKaternberg, auch dort eine Kürzung um fast 50 % … Gleiches gilt für die Hauptschule Wichlinghausen … und für weitere Haupt- und Realschulen.“
Und das ist nicht nur eine Wuppertaler Frage. Im ganzen Land erleben wir, dass Abordnungen abgezogen werden und Sonderpädagoginnen an die Förderschulen zurückbeordert werden.
Die FDP hat von 2006 bis 2010 die Inklusion blockiert. Jetzt sagen Sie als verantwortliche FDPSchulministerin dankenswerterweise: Inklusion ist ein Menschenrecht. – Gut so; danke! Aber in Ihrer Politik blockieren Sie die Inklusion aktuell nicht nur, sondern bauen sie ab. An bestimmten Stellen stehen Sie sogar davor, die Inklusion kaputt zu machen.
Es ist gerade nach dem eindringlichen politischen Diskurs – an dem Sie sich ja auch als schulpolitische Sprecherin der FDP beteiligt haben – über die notwendige Stärkung der Inklusion und die große Notwendigkeit von Ressourcen für das gemeinsame
Lernen völlig unverständlich, dass genau diese Ressourcen jetzt in eine andere Richtung gelenkt werden.
Frau Ministerin, wir haben derzeit viele unbesetzte Lehrerstellen. Darüber freut sich eigentlich nur der Finanzminister. Dieses Geld kann und muss in die Hand genommen werden, um den Schulen jetzt spürbare Unterstützung zu geben.
Das gilt im Übrigen auch für die Grundschulen, die immer noch auf den Masterplan warten und denen bei diesen Ankündigungen für die Schulen der Sekundarstufe I ziemlich mulmig wird.
Frau Ministerin, ich weiß sehr wohl um die knappe Ressource bei den Sonderpädagoginnen. Ich weiß auch um die Notwendigkeit, über Zwischenschritte und Nachsteuerungen im Inklusionsprozess zu reden. Aber die Zielperspektive war bislang in NRW klar: Es geht um die Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention und das Recht des Kindes auf uneingeschränkte Teilhabe.
Minister Laumann hat das gestern in der Fragestunde deutlich gemacht. Er sagte: Die Struktur muss den Menschen dienen.
Genau darum geht es in einem inklusiven Bildungssystem. Dieses System muss gestaltet werden. Wir dürfen es in Nordrhein-Westfalen nicht zu einem Förderschulsystem mit einem gemeinsamen Lernzweig entwickeln.