Protokoll der Sitzung vom 12.07.2018

Die Redezeit.

Diese Erfolgserlebnisse werden sie im Wesentlichen entweder bekommen, wenn sie in Förderschulen auf ihrem Leistungsniveau mit entsprechender Förderung unterstützt werden, oder aber, wenn Inklusion tatsächlich fachlich und personell so begleitet wird, wie das für diese Kinder notwendig ist. – Herzlichen Dank.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Pretzell. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Gebauer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einige Dinge – gerade das, was Sie gesagt haben, Frau Beer – kann ich so nicht stehen lassen.

Gegen den Vorwurf, ich würde die Inklusion kaputt machen, wehre ich mich ganz vehement.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich möchte Ihnen auch sagen, warum: Sie waren es. Sie haben in der Vergangenheit die Inklusion verhindert, weil Sie die Schulen nicht mit ausreichend Personal versorgt haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben Inklusion verhindert, weil Sie daraus eine Ideologie gemacht haben –

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

eine Ideologie, die das Wahlrecht der Eltern zum Wohle des Kindes missachtet hat. Das muss man hier ganz deutlich sagen. Sie haben auch Inklusion verhindert, weil Sie jahrelang keine Qualitätsstandards gesetzt haben – Qualitätsstandards, die von den Schulen eingefordert gewesen sind. Das haben Sie missachtet. Deswegen haben Sie die Inklusion hier in Nordrhein-Westfalen verhindert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt komme ich wieder zur heutigen Situation zurück. Ich freue mich, dass ich hier in der Aktuellen Stunde die Weichenstellungen aufzeigen darf, mit denen wir bei der Umsetzung der Inklusion in den Schulen umsteuern, indem wir die Inklusion qualitativ ausgestalten und auch finanziell deutlich besser ausstatten werden.

Immer wieder wurde von Eltern und Lehrkräften zu Recht gefordert, dass es verbindliche Qualitätsstandards für das gemeinsame Lernen geben muss, um eine hochwertige inklusive Förderung an den allgemeinen Schulen zu ermöglichen.

Die zu Beginn meiner Amtszeit in Auftrag gegebene Datenerhebung hat unmissverständlich gezeigt, dass es an diesen qualitativen Vorgaben nahezu vollständig gefehlt hat. Daher werden wir diese unverzichtbaren Qualitätsstandards nun fest verankern.

Zukünftig müssen Schulen des gemeinsamen Lernens über ein pädagogisches Konzept zur inklusiven Bildung verfügen. Das tun die meisten; das ist richtig. Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung müssen fester Bestandteil der Schule sein. Ebenso müssen die Schulen geeignete Räumlichkeiten haben und die Lehrkräfte entsprechend fortgebildet sein. Denn nur mit verlässlichen qualitativen Leitplanken werden wir unseren Kindern, und zwar allen Kindern, an dieser Stelle gerecht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir werden intensiv in das gemeinsame Lernen investieren und werden den inklusiven Weg weitergehen. Diese Ressourcen werden an Schulen des gemeinsamen Lernens gebündelt werden und auch gebündelt werden müssen.

Das aufwachsende Ressourcensteuerungskonzept ist mit der heute schon mehrfach genannten Formel 25 – 3 – 1,5 für die Sekundarstufe I bis zum Endausbau im Jahr 2024/2025 abgesichert, nämlich dann, wenn die Sekundarstufe I einmal durchlaufen ist. Das heißt konkret: Die Schulen können Eingangsklassen mit durchschnittlich 25 Schülerinnen und Schülern bilden, von denen drei sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf haben; für jede dieser Klassen erhält die Schule eine halbe zusätzliche Stelle. Die tatsächliche Klassenbildung vor Ort kann und darf dann aber auch von dieser Formel abweichen.

Damit erhalten Schulaufsicht und Schulträger eine transparente, für die Beteiligten vor Ort nachvollziehbare Formel, die auch den Schulen deutlich macht, welche Unterstützung sie erhalten. Dafür stellen wir insgesamt 1,4 Milliarden € bereit.

Weil Sie die Grundschulen angesprochen haben, möchte ich gerne noch einiges zu den Grundschulen ausführen. Dort ist ein stärkeres Bündeln ungleich schwieriger, weil wir gerade bei den Kleinsten dem Prinzip „kurze Beine, kurze Wege“ besondere Beachtung schenken wollen und auch schenken müssen.

Wir haben mehrfach angekündigt, dass wir den Herausforderungen der Grundschulen mit einem gesonderten Masterplan begegnen werden. Dort wird natürlich auch die Inklusion eine Rolle spielen. Diesen Plan werden wir jetzt auch zeitnah vorlegen.

Bereits mit dem Haushalt 2018 haben wir allerdings 600 Stellen für sozialpädagogische Fachkräfte an Grundschulen bereitgestellt. In 2019 sollen weitere 557 Stellen folgen. Wenn ich mich recht erinnere, waren es auch Sie, liebe Frau Beer, und Sie, lieber Herr Ott, die diese Maßnahme lobend erwähnt haben.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das machen wir im- mer!)

Schon allein diese 1.157 Stellen bedeuten bis zum Jahr 2025 Investitionen von 500 Millionen €. Das zeigt, dass wir uns der großen Verantwortung für die Grundschulen sehr bewusst sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Noch ein letzter Punkt, weil auch das angesprochen worden ist: Wahlmöglichkeiten. Wir wollen echte Wahlmöglichkeiten für Familien zwischen der Förderschule und der allgemeinen Schule. Wir wollen dies sichern, ja. Die ausgesetzte Mindestgrößenverordnung für Förderschulen wurde zwischenzeitlich überarbeitet. Die Mindestgrößen werden in einem pädagogisch vertretbaren Maße abgesenkt.

Es wundert mich schon, dass die Sicherung von Wahlmöglichkeiten das Hauptziel der Kritik der Opposition ist. Denn ich fand es in der Vergangenheit schwer erträglich – das habe ich auch immer gesagt –, wenn Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf um einen Platz an einer allgemeinen Schule geradezu betteln mussten. Das war die Vergangenheit. Aber genauso wenig möchte ich heute den umgekehrten Fall erleben. Ich möchte für alle Eltern und zum Wohle der Kinder dieses Förderschulangebot hier in Nordrhein-Westfalen aufrechterhalten. Wir gehen den inklusiven Weg weiter. Aber Kinder haben unterschiedliche Bedürfnisse, und Eltern haben unterschiedliche Wünsche und Sorgen. Diesen müssen wir hier in Nordrhein-Westfalen gerecht werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Ott das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum gibt es zu einem so wichtigen Thema keine Unterrichtung durch die Landesregierung? Das ist das Einzige, was ich dazu noch erwähnen will, weil der Streit um diese Themen hier wirklich nervt.

Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung zitiere ich:

„Es ist keine Krankheit! Es ist eine Kondition, ein Zustand. So wie der eine blond ist, habe ich eben das Down-Syndrom.“

Das ist ein Zitat von Pablo Pineda. Pablo Pineda ist ein spanischer Lehrer. Er ist außerdem Schauspieler und der erste Europäer mit Down-Syndrom, der einen Universitätsabschluss erreicht hat. Auch solche Bildungskarrieren sind möglichen, wenn wir sie ermöglichen.

An dieser Stelle möchte ich ein weiteres Zitat von Pablo Pineda anbringen. Es handelt sich um ein Zitat

aus der „WELT“ vom 10. Juni 2009. Ich zitiere -mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Eltern mit Kindern, die ‚anders‘ sind, verbessern sich auch als Eltern. Sie werden toleranter und solidarischer. Das ist doch eine Chance, die man nützen sollte. Die Auswahl des Kindes à la carte ist nicht gut. Denn schlussendlich wählen wir das Perfekte. Und wenn dann alle gleich sind, sind wir um vieles ärmer. Auch Blumen sind verschieden, und alle sind schön. Der Drang zur sozialen Homogenisierung ist ein Übel der Gesellschaft. Wenn alle gleich denken, gleich aussehen, alle ‚uniform‘ sind, dann ist das Faschismus.“

Zitat Ende.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, ich gebe zu, dass Beispiele wie das des spanischen Akademikers mit Down-Syndrom Seltenheitswert besitzen, aber sie können normal werden, wenn wir als Gesellschaft unsere Haltung ändern, denn – dabei bleibe ich – Inklusion ist auch eine Haltungsfrage, und sie ist insbesondere auch eine Haltungsfrage an Schulen. Es nützt nichts, wenn wir uns ausschließlich mit der Frage der Ressourcen zur schulischen Inklusion beschäftigen.

Ja, ich habe immer wieder klar gesagt: Wir haben in der letzten Wahlperiode Entscheidungen getroffen, von denen wir wussten, dass sie auch schwierig werden können. Frau Korte, ich finde, dass demokratische Parteien tatsächlich einen Wettstreit um die besten Ideen führen müssen, dass sie aber gleichzeitig – und erst recht in der aktuellen Lage – in der Lage sein müssen, vernünftig miteinander umzugehen und den jeweils anderen nicht ständig als Teufel darzustellen. Es gibt nämlich Kräfte, die können im Zweifel den Teufel noch viel besser darstellen.

Deshalb glaube ich, obwohl ich mich sehr gern streite, dass es Fragen gibt, bei denen diese Demokratie zeigen muss, dass sie auf einem gewissen Niveau um die Zukunft und die Ideen der Zukunft ringt.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich sage ganz klar: Wir müssen uns anscheinend noch einmal über unsere Haltung zur Inklusion verständigen und uns damit beschäftigen, das System den Kindern anzupassen und nicht umgekehrt.

(Bodo Löttgen [CDU]: Ja, so ist es!)

Es reicht nicht aus, wenn Schulen barrierefrei sind. Wir brauchen einen Perspektivwechsel in der schulischen Inklusion, weg vom Individuum mit seinen zugeschriebenen Mängeln und Defiziten, hin zu einer Gesellschaft und ihren Bedingungen mit ihren diskriminierenden und ausgrenzenden Strukturen.

Der vorgelegte Antrag macht sehr deutlich, warum wir uns als allererstes über Haltung unterhalten müssen. In Ihrem Antrag kritisieren Sie zum einen die Einführung des Elternwahlrechts zur Regelbeschulung von behinderten, verhaltensauffälligen Kindern ohne festgelegte Qualitätsstandards. Weiter wird ausgeführt, dass die Oppositionsfraktionen von SPD und Grünen jede Kritik mit dem – Zitat – „feierlichen Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention oder dem Jubel über stetig steigende ‚Inklusionsquoten‘„ ersticken würden.

Kolleginnen und Kollegen, das ist unverschämt und niveaulos.

(Beifall von der SPD)

Man kann die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht den Eltern übertragen, da es sich um ein Menschenrecht handelt.

Schaut man sich das vorgelegte Eckpunktepapier einmal an, wird deutlich, dass Ihre Kritik völlig unhaltbar ist.