Schaut man sich das vorgelegte Eckpunktepapier einmal an, wird deutlich, dass Ihre Kritik völlig unhaltbar ist.
Ihre sogenannten Qualitätsstandards beziehen sich auf pädagogische Konzepte, welche die Schulen vorlegen müssen. Das ist aber keine Qualitätssteigerung. Die GEW spricht sogar von einem Rückschritt statt von einem Fortschritt. Dies haben die Grünen bereits gestern in der Mündlichen Anfrage zu diesem Thema ganz richtig zusammengefasst.
Wenn wir über schulische Inklusion und Qualitätsstandards sprechen, dann gibt es ein entscheidendes Problem. Wir müssen uns zunächst als Gesellschaft darüber verständigen, welche Standards wir definieren und ob wir schulische Inklusion überhaupt möchten. Nach den heutigen Redebeiträgen ist das offensichtlich.
Die geplanten Förderschulgruppen an allgemeinen Schulen beispielsweise sind pädagogisch eine Katastrophe. Sie fördern nicht die Inklusion, sondern sie fördern die Ausgrenzung. Die Einbeziehung ins Schulleben wird nicht klappen. Die Förderschulgruppe ist eher eine Demonstration der Ausgrenzung und ein Angebot zu Mobbing sowie ein Einfallstor, Schülerinnen und Schüler mit Schwierigkeiten aus der allgemeinen Schule in dort angehängten Förderschulgruppen loszuwerden.
Ich möchte noch einmal verstetigen, was Frau Kollegin Beer gerade gesagt hat. Aus den Zeitungsartikeln aus Iserlohn geht hervor, dass die Förderschullehrer an den allgemeinbildenden Schulen, an Realschulen und Hauptschulen, jetzt abgezogen werden und die Kolleginnen und Kollegen alleingelassen werden, weil man eben nicht einen neuen gemeinsamen Weg geht, sondern sagt: Wir stärken die Förderschulen. Wir ziehen die von den anderen Schulen wieder ab und führen das Ganze ad absurdum.
Auch da, Kolleginnen und Kollegen, sind wir wieder bei der Frage der Haltung. Sie haben scheinbar eine andere Haltung in der Frage der UN-Behindertenrechtskonvention. Sie verstecken sich hinter Fragen zu den Ressourcen. Diese Fragen darf man auch nicht ausklammern, aber wenn wir uns ausschließlich mit den Ressourcen beschäftigen, dann gefährden wir die Inklusion. Wenn die Umsetzung ausschließlich an Ressourcen gebunden ist, dann können Sie das Thema immer wegschieben, denn Sie sind ja für die Umsetzung nicht mehr verantwortlich.
Verstehen Sie mich nicht absichtlich falsch. Natürlich müssen wir darüber sprechen, wie mehr Studienplätze geschaffen werden können – dazu haben Sie bisher nichts geliefert –, damit mehr Fachleute als Experten vor Ort helfen können. Das gilt für Sonderpädagogen und andere Berufsgruppen, die dort helfen können. Es werden aber auch Räume für inklusiven Unterricht benötigt.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Entschuldigung, aber wer hat es denn auf den Weg gebracht? Herr Ott, wer hat es denn auf den Weg ge- bracht? – Gegenruf von Eva-Maria Voigt-Küp- pers [SPD]: Wir!)
In Zeiten von Rechtspopulismus und der Homogenisierung der Gesellschaft fangen wir an, darüber nachzudenken, welche Menschen wir gebrauchen können und welche nicht?
Darin liegt eine große Gefahr. Ausgrenzung und Unmenschlichkeit werden anscheinend mehrheitsfähig in diesem Land, und das darf nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Verantwortlich für die aktuell aufgeheizte Stimmung im Land vor dem Hintergrund der Diskussion über Inklusion sind natürlich auch die Skandalisierung im Wahlkampf und das anschließende einjährige Nichtstun.
Natürlich können Sie die nächsten Wochen und Monate immer wieder über die letzten sieben Jahre sprechen; es wird Ihnen nur nicht helfen. Es wird Ihnen höchstens für kurze Zeit helfen. Bald schon sind Sie selbst in der Situation, dass Sie alles rechtfertigen müssen. Deshalb bin ich gespannt, welche Haltung Sie wirklich haben. Die Haltung, die heute durchgeschimmert ist, stellt ein klares Absetzen von dem Schulkonsens und den im Schulfrieden beschriebenen Punkten, auch zum Thema „Inklusion“, dar.
Was Sie heute dargebracht haben, ist ein klares Abweichen von dem, was wir eigentlich im Deutschen Bundestag und bisher in allen Beschlüssen zur UNBehindertenrechtskonvention verabredet haben. Wir sind bereit, in dieser schwierigen Frage gemeinsam mit Ihnen Verantwortung zu übernehmen, weil wir wissen, dass es die Menschen hin- und hergerissen hat, wie in den letzten Jahren das Thema bearbeitet worden ist. Wir haben die Verantwortung für eine inklusive Gesellschaft, an der jeder mit seinen Möglichkeiten teilhaben kann, in der jeder, genauso wie der spanische Wissenschaftler und Schauspieler, mit einer schweren Behinderung Akademiker werden kann, wenn er es denn will.
Für eine solche freie und offene Gesellschaft stehen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten weiter ein. Wir erwarten von diesem Parlament, dass es mit uns um eine inklusive Gesellschaft ringt. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Für die meisten von uns ist die Inklusion sicher eine Herzensangelegenheit. Auch für uns in der CDU passt sie in unser christliches Menschenbild des Zusammenlebens aller Menschen mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen, mit unterschiedlichen Talenten und Begabungen.
Dieses Bild einer funktionierenden inklusiven Gesellschaft und Bildungslandschaft hat aber in NordrheinWestfalen seit dem Jahr 2014 starke Risse bekommen. Verantwortlich dafür war die Art und Weise, wie Rot-Grün diese Inklusion eingeführt hat. Ich zitiere dazu Klaus Kaiser, heute Parlamentarischer Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, der schon damals in der Debatte der zweiten Lesung warnte – Zitat –:
„Es geht auch darum, Qualität und Qualitätsstandards zu erreichen. Deshalb ist es so wichtig, dass Qualitätsstandards definiert werden. Das bleiben Sie in diesem Gesetzentwurf völlig schuldig.“
Im Grunde genommen haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grünen, damals die Inklusion gar nicht eingeführt, sondern sie einfach nur geschehen lassen. Vielleicht steckte dahinter die naive Hoffnung, dass die inklusive Beschulung ein Selbstläufer sei, oder vielleicht wollten Sie einfach nur Ihrem ideologischen Traum vom Einheitsschulsystem wieder einen großen Schritt näher kommen.
Durch Ihre Form der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wurde jedenfalls ein gut aufgestelltes, vielfältiges Förderschulsystem, das für seine Arbeit weltweit besondere Anerkennung bekam, der Auflösung preisgegeben. Die trügerische Hoffnung war eben, dass sich die hervorragende Arbeit an diesen Förderschulen einfach eins zu eins auf die Regelschulen übertragen ließ.
Wie wir alle wissen, ist das gründlich schiefgegangen. Wie wir alle wissen, lag dies nicht an den fahrenden Sonderpädagogen, die jetzt an vielen Schulen gleichzeitig tätig sind und zu wenig Zeit für zu viele Kinder mit unterschiedlichen Handicaps haben.
Es lag genauso wenig an den Eltern, die in der Hoffnung, das Beste für ihr Kind zu wählen, ihr Kind an einer Regelschule anmeldeten, auch wenn viele Fachleute warnten, dass Kinder an der Regelschule nicht die gleiche Förderung erfahren können wie in Förderschulen, die auf besondere Förderschwerpunkte spezialisiert sind.
Meine Damen und Herren, die Art und Weise der Einführung der Inklusion in Nordrhein-Westfalen war eine klassische Fehleinschätzung der tatsächlichen Möglichkeiten.
Sie war vielleicht gut gemeint, aber sie war ganz sicher schlecht gemacht, und das hatte ganz schlimme Folgen. Das harmonische Wort und Gesellschaftsziel der Inklusion hat in weiten Teilen der Gesellschaft jetzt einen dissonanten Klang bekommen. Eltern meiden zunehmend inklusive Schulen.
Zurückhaltung bis Widerstand spürt man auch bei den Fachleuten, also den Pädagogen, in allen Schulformen. Nicht anders sind die Hilferufe zu deuten, die uns bei der Umsetzung der Inklusion erreichen. Das gilt sogar für Gesamtschulen, zu deren Wesensmerkmal die integrative und inklusive Beschulung gehört. Sie müssten doch eigentlich rufen: Wir schaffen das! – Stattdessen lassen auch viele dieser Schulen mal offen, mal hinter vorgehaltener Hand durchblicken, dass auch sie mit den Anforderungen der Inklusion oftmals überfordert sind. Aber warum soll man auch verschweigen, was ein verhaltensauffälliges Kind für eine ganze Klasse bedeuten kann?
Das Thema „Inklusion“ ist bei vielen Menschen nur noch negativ besetzt. Statt aus einer Herzensangelegenheit, die gerade auch meinem christlichen Menschenbild entspricht, eine echte Erfolgsgeschichte zu machen, hat die rot-grüne Bildungspolitik der vergangenen Jahre zu einer verbreiteten Verhärtung der Herzen beigetragen, die dem Populismus ein weiteres Handlungsfeld eröffnet. So viel zum Blick zurück.
In der Vorbereitung dieser Rede hatte ich eigentlich vor, den Blick gar nicht mehr so intensiv nach hinten
zu richten. Dabei wurde mir aber mehr und mehr klar, dass diese ausführliche Rückschau geradezu notwendig ist, um zu beschreiben, wo wir heute stehen und was wir als NRW-Koalition jetzt als Lösung anbieten können.
Denn in der aktuellen Situation haben es alle in der Politik schwer, die das Ziel der Inklusion nicht nur in Parlamentsreden verklären wollen, wie Sie das heute hier wieder getan haben, sondern die in der Gesellschaft und in der Schulpraxis diesem Prinzip zum Erfolg verhelfen wollen. Deshalb wird es nur gelingen, wenn wir realistisch an das Thema herangehen, wenn wir Qualitätsstandards definieren, die die beschränkten personellen und finanziellen Ressourcen berücksichtigen. Für die Erstellung und Umsetzung von Schulkonzepten vor Ort müssen wir uns Zeit nehmen und auch anderen Zeit geben.
Was die Inklusion für die Regelschulen bedeutet, haben eben die Ministerin sowie meine Kolleginnen Korte und Müller-Rech bereits erörtert. Ich möchte mich deshalb nur noch einmal zum Thema „Förderschulen“ äußern. Wir wissen aus den Rückmeldungen der vergangenen Jahre, dass die Regelschulen nicht allen Förderbedarfen ausreichend gerecht werden können. Alles den Regelschulen zu überlassen, würde deshalb weiterhin die Lehrkräfte dort überfordern und auch die Kinder mit und ohne Handicap.
Hier ohne ideologische Scheuklappen hinzuschauen, heißt für uns auch, sich dann für den Fortbestand von Förderschulen auszusprechen. Denn für uns liberale und christliche Demokraten ist es wichtig, dass wir nicht das gesellschaftliche Ziel für alle von oben her verordnen, sondern dass wir vom einzelnen Kind und Jugendlichen her denken, eben von dem Menschen, dem wir eine inklusive Teilhabe nicht nur in der Schule, sondern vor allem anschließend in der Gesellschaft ermöglichen wollen.
Wir wollen dazu beitragen, dass jeder Mensch, ob mit oder ohne Handicap, durch ein forderndes, förderndes und vielfältiges Schulwesen das Beste aus seinen Möglichkeiten machen kann und damit seinen Platz in der Gesellschaft möglichst weitgehend selbstbestimmt findet.
Was bedeutet das konkret für die Zukunft der Förderschulen? Zunächst gilt es, realistisch zu sein. Das gut funktionierende Förderschulsystem, wie wir es hatten, ist dank Ihnen unwiederbringlich zerstört.
Was wir insoweit tun können, haben wir bereits im vergangenen Jahr begonnen zu tun: die weitere Zerstörung von Förderschulen stoppen, so viele wie
Liebe Frau Beer, Sie kritisieren in der Presse, die Ministerin habe keine Eckpunkte zur Förderung der Inklusion vorgelegt, sondern mache stattdessen Politik zur Stärkung der Förderschulen.