Protokoll der Sitzung vom 29.09.2018

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich zu unserer heutigen 37. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen.

Mein Gruß gilt auch unseren Gästen oben auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien und den Menschen an den Bildschirmen.

Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiern heute Herr Professor Dr. Rainer Bovermann von der Fraktion der SPD und Herr Kollege Christian Loose von der Fraktion der AfD.

(Allgemeiner Beifall)

Herzliche Glückwünsche und alles Gute im Namen der Kolleginnen und Kollegen!

Vor Eintritt in die Tagesordnung:

Ich weise darauf hin, dass der ursprünglich für heute als Tagesordnungspunkt 7 vorgesehene Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Fortsetzung der Flüchtlingsfinanzierung für NRW und seine Kommunen sicherstellen“ Drucksache 17/3796 durch die antragstellende Fraktion zurückgenommen wurde. Hierüber habe ich bereits mit Drucksache 17/3861 unterrichtet. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend.

Im Nachgang zu Tagesordnungspunkt 4 der gestrigen Sitzung habe ich noch zwei nichtförmliche Rügen auszusprechen. Sie betreffen Herrn Abgeordneten Christian Loose und Herrn Abgeordneten Helmut Seifen von der Fraktion der AfD.

Herr Loose hat sich durch einen Zwischenruf während der Rede der Frau Abgeordneten Beer zu Tagesordnungspunkt 4 „Digitalisierung im Bildungsprozess konstruktiv und bildungsfördernd gestalten – gegen den Missbrauch der schulischen Digitalisierung als ‚trojanisches Pferd‘ für die Durchsetzung wirtschaftlicher und ideologischer Interessen“ unparlamentarisch verhalten, indem er gegenüber Frau Beer eine unparlamentarische Äußerung getätigt hat.

Auch Herr Seifen hat sich durch einen Zwischenruf während derselben Rede der Frau Abgeordneten Beer unparlamentarisch verhalten, indem er gegenüber Frau Beer eine unparlamentarische Äußerung getätigt hat.

Das ist der Würde des Parlaments nicht angemessen. Ich werde die verwendeten Äußerungen nicht wiederholen. Herr Kollege Loose und Herr Kollege Seifen, ich ermahne Sie und bitte Sie, derartige Äußerungen künftig zu unterlassen.

Ich rufe nun auf:

1 Tod durch Brand in der JVA Kleve – unrecht

mäßige Verhaftung, Warnungen und Hinweise des Gefangenen ignoriert, schleppende Aufklärung des Brandes? Landesregierung muss rückhaltlos alles aufklären!

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/3850

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD Herrn Wolf das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Mensch ist tot. In der Obhut unseres Staates verstirbt ein Mensch, der dort nicht hingehört hat.

Amed A. hat in seinem zu kurzen Leben viel erleben und erleiden müssen. Der Bürgerkrieg in seiner Heimat zwingt ihn zur Flucht. Es gibt dann ein sehr langes Hin und Her. Er wird in ein anderes Land gebracht. Der Deutsche Bundestag setzt sich für ihn ein. Wir alle, der Staat, sichern ihm Schutz zu.

Er landet in einem Haftraum in Kleve. Er weiß, dass er dort unschuldig sitzt. Er zweifelt. Ein Feuer bricht aus, warum auch immer. Tage nach schweren Operationen, einer Lungentransplantation, liegt er auf der Intensivstation. Am 29. September 2018 stirbt er.

Allein dies lässt uns alle sprachlos zurück.

Aber wie viel tragischer ist es, wie die Familie von diesem Schicksalsschlag erfährt. Am 4. Oktober 2018 meldet sich sein Vater auf einer Polizeiwache. Dort erhält er die Mitteilung: Ihr Sohn ist tot. – Fünf Tage nach seinem Tod.

Herr Minister Reul, Herr Minister Biesenbach, das haben Sie gestern hier so eingeräumt.

Ich frage Sie: Ist das der Umgang mit der Familie von Amed A., den die Landesregierung für angemessen hält?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Trotz aller Beteuerungen der Empathie hätten Sie als Landesregierung hier aktiv die Familie persönlich und direkt über diesen Schicksalsschlag informieren müssen.

Amed A. ist etwas passiert, was wohl für uns alle die größte Angst ist – für mich, aber für Sie mit Sicherheit

auch –: Wir werden verwechselt. Wir werden für jemand anderen gehalten. Wir sitzen in einer Zelle, und keiner glaubt uns. Diese Angst ist bei Amed A. Wirklichkeit geworden.

Bereits am 9. Juli 2018 hat er gegenüber dem Anstaltsleiter, dem Anstaltsarzt und der Anstaltspsychologin gesagt: Ich komme aus Syrien und nicht aus Mali.

Die Schreibweise des Namens stimmt nicht. Der Geburtsort stimmt nicht. Das Geburtsdatum stimmt nicht. Amed A. spricht nicht einmal die Amtssprache von Mali, nämlich Französisch. Das Foto stimmt nicht.

Herr Minister, an wen hätte sich Amed A. denn noch wenden sollen? Niemand hat Amed A. geglaubt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie wird dieser unglaubliche Fall aufgearbeitet? Schleppend! Immer wieder erfahren wir Neues oder Widersprüchliches.

(Zuruf: Das stimmt doch gar nicht!)

Erst war es ein Haftraumbrand, dann eine unglückliche Verwechslung. Dann stirbt ein Unschuldiger. Erst wusste keiner etwas. Dann gab es immer wieder Hinweise und Zweifel. Eine reine Salamitaktik!

Sie haben sich an Spekulationen beteiligt. Sie haben keine Aufklärung geleistet, sondern Sie haben Nebelkerzen geworfen.

(Marc Lürbke [FDP]: Das ist doch gar nicht wahr!)

Am Anfang war es ein Unfall. Dann war es ein Suizid. Widersprüche, die Sie uns verschweigen! Zumindest haben Sie objektiv die Unwahrheit gesagt.

(Marc Lürbke [FDP]: Wo? An welcher Stelle?)

Ich kann es Ihnen gerne sagen. Aber vielleicht gibt es ja ein paar Kollegen, die Herrn Minister Biesenbach noch glauben. Sie können ja einmal aufzeigen. – Oh, so viele.

(Zurufe von der SPD – Beifall von der SPD)

Auf einen Widerspruch will ich noch einmal eingehen. Wann gab es Zweifel an der Identität?

(Unruhe)

Hören Sie mir doch zu. – Wann gab es Zweifel an der Identität? Nicht erst am Abend des 26.09. Wir wissen jetzt, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg bereits am 24.09. darauf hingewiesen hat. Das wissen wir. – Doch, das haben Sie ja selber im Bericht geschrieben, Herr Biesenbach. Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Und am 26.09. in der Sitzung des Rechtsausschusses: kein Wort dazu.

Genauso ist es bei den Hinweisen zur Selbstmordgefahr. Amed A. hat sich selbst als suizidal bezeichnet. Er hat seine Narben gezeigt. Am Tag des Brandes sprach die Justiz noch von einem tragischen Unfall, der kein Suizid sei. Kurze Zeit später hieß es: wahrscheinlich ein Suizid.

All diese Schilderungen schüren doch Zweifel daran, dass Sie hier ernsthaft aufklären wollen.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Nach meinen Informationen hat Amed A. das Fenster im Haftraum geöffnet. Er wollte also gar nicht in den Flammen ums Leben kommen.

(Zuruf von der CDU)

Nach meinen Informationen stand Amed A. an der Tür und rannte aus dem Raum. Er wollte also nicht in den Flammen ums Leben kommen.