Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

Die Aufklärung und Bekämpfung von Steuerkriminalität hat für die NRW-Koalition Priorität, und zwar aus zwei Gründen, nämlich aus rechtsstaatlichen Erwägungen ebenso wie selbstverständlich aus fiskalischen Motiven. Daher ist es unser erklärtes Ziel, zu Unrecht entzogene öffentliche Gelder beizutreiben.

FDP und CDU haben in dieser Hinsicht ein großes Problembewusstsein. Seit dem Politikwechsel sind bekanntlich verschiedene Maßnahmen ergriffen worden, um die Chancen zur Durchsetzung öffentlicher Ansprüche bei Cum-Ex zu verbessern.

Es gibt eine verbesserte Kooperation und einen Informationsaustausch intensiver Art von Justiz-, Innen- und Finanzbehörden. Es gibt eine Zentralisierung für eine schwerpunktmäßige Bearbeitung der Fälle mit Kompetenzbündelung und eine Aufgabenwahrnehmung beim LKA sowie durch die Steuerfahndung in Wuppertal. Es handelt sich um hochkomplexe Fallgestaltungen, die aufzuklären sind. Deshalb sind uns diese Kompetenzzentren wichtig. Es gibt eine spezialisierte Fallbearbeitung durch eigene Ermittlungskommissionen, nämlich „STOP“ in der Finanzverwaltung und „TAX“ beim LKA.

Ferner hat eine Personalaufstockung stattgefunden. Aktuell arbeiten 22 versierte Steuerfahnder ausschließlich für die Cum-Ex-Ermittlungen. Sie sind, anders als früher, nicht mehr für irgendwelche anderen Aufgaben abgestellt, sondern können sich vollständig auf diese Arbeiten konzentrieren. Sie erhalten ferner Zuarbeiten durch Groß- und Konzernbetriebsprüfungsstellen. Die Steuerfahnder-Stellen sind im Haushalt 2018 von Schwarz-Gelb aufgestockt worden. Auch die Justiz hat ihre Personalausstattung verbessert.

Es sind außerdem Maßnahmen zur Vermeidung von Verjährung ergriffen worden, um hier nicht die Zehnjahresfrist greifen zu lassen, und zwar sowohl für die finanziellen Ansprüche als auch für die strafrechtliche Verfolgung. Es findet ein intensiver, ständiger Informationsaustausch mit dem Bundesfinanzministerium und anderen Bundesländern statt.

Der von der Opposition behauptete Personalmangel oder die Inkaufnahme von Verjährung werden von den Fachverwaltungen energisch bestritten. Deshalb

ist das aktuelle Ergebnis all dieser Bemühungen, dass bei der Staatsanwaltschaft Köln über 50 Ermittlungsverfahren liegen, und weitere bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf.

Wir als FDP-Landtagsfraktion begrüßen es ausdrücklich, dass jetzt Gerichtsprozesse beginnen, beispielweise beim Landgericht Bonn, um die strafrechtliche Verantwortung von Beschuldigten zu klären.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wo denn noch, wenn das ein Beispiel ist? Wo denn noch?)

Herr Kollege Zimkeit, weitere werden folgen.

Sie, Herr Zimkeit, haben gesagt – ich habe Ihre Presseinformation dabei, aus der ich zitieren möchte –:

„Das Desinteresse der Landesregierung bei den Ermittlungen zu Cum-Ex-Geschäften grenzt an politische Beihilfe zum Steuerbetrug.“

(Michael Hübner [SPD]: Ja, da hat er recht!)

Das ist eine ausgesprochene Dreistigkeit. Ich weiß nicht, welche zusätzlichen Erkenntnisse Sie haben. Dann hätten Sie es eben anders darstellen sollen. Sie scheinen wohl ein schlechtes Gewissen zu haben. Denn die Fälle des BZSt gehören in den Zuständigkeitsbereich des SPD-Bundesfinanzministers.

(Beifall von der FDP – Stefan Zimkeit [SPD]: In der Frage haben wir bestimmt kein schlech- tes Gewissen! Das sollten Sie haben, Herr Kollege!)

Eines, Herr Kollege Zimkeit, will ich Ihnen abschließend sagen: Wenn es in der letzten Legislaturperiode eine Fraktion gegeben hat, die dieses Thema gegenüber dem früheren Finanzminister Norbert Walter-Borjans regelmäßig angesprochen hat, dann war das die FDP-Landtagsfraktion.

(Lachen von der SPD – Michael Hübner [SPD]: Jetzt bin ich aber gespannt! Herr Wit- zel, oder was?)

Ich kann Ihnen die ganzen Landtagsdrucksachen benennen.

(Michael Hübner [SPD]: Dann bringen Sie sie mal mit!)

Ihr früherer Finanzminister hatte als Aufsichtsratsmitglied bei der WestLB und bei der Portigon AG die Verantwortung. Damals hat er uns erzählt, da gebe es nichts. Er ist dem nicht nachgegangen. Es waren die Steuerfahnder, die die Erkenntnisse auf den Tisch gelegt haben,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist eine Lüge, Herr Witzel!)

die den früheren Finanzminister in seinen Annahmen widerlegt haben. Deshalb sollten Sie hier ganz kleine Brötchen backen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Sie leben in einer Scheinwelt, Herr Witzel!)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Grünen spricht nun die Abgeordnete Düker.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte wieder zum Thema zurückkommen, Herr Witzel. Worum geht es? Es geht bei Cum-Ex um den größten Steuerraub nicht nur in der deutschen Nachkriegsgeschichte, sondern auch in der europäischen Geschichte. EU-weit hat es einen solchen Steuerraub – man schätzt ihn auf über 50 Milliarden Euro – bislang nicht gegeben.

Was verbirgt sich dahinter? Hinter Cum-Ex verbergen sich Leerverkäufe von Aktien, die zum Dividendenstichtag mehrfach hin und her geschoben werden, um sich die Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten zu lassen, obwohl sie nur einmal entrichtet wurde. Das ist mitnichten eine Steuerhinterziehung, wie ich kürzlich in einem Tweet des Ministerpräsidenten las – Herr Lienenkämper, Sie müssen das Herrn Laschet noch einmal erklären –, sondern das ist Steuerraub. Hier wurden öffentliche Kassen ausgeplündert. Für mich ist das eine Form der Organisierten Kriminalität – mit hoher krimineller Energie von Bankern, Steuerberatern und Investoren.

Das alles konnte nur funktionieren, weil sich, wie in organisierten kriminellen Strukturen üblich, alle beteiligten Parteien höchst klandestin eng abgestimmt und eine gesetzliche Lücke missbraucht haben, sodass der Betrug schwer nachweisbar war.

Das alles – das gehört zur Geschichte ebenfalls dazu – konnte nur funktionieren, weil sich die Politik über Jahre weggeguckt hat. Denn bereits 2002 lagen dem Bundesfinanzministerium Hinweise vom Bankenverband vor, die auf die Cum-Ex-Praxis hingewiesen haben – nicht etwa, um die Täter hinter Schloss und Riegel zu bringen, sondern um das Haftungsrisiko für Banken auszuschließen. Es waren gleich zwei Finanzminister in großen Koalitionen, die über Jahre weggesehen haben.

Finanzminister Peer Steinbrück

(Ralf Witzel [FDP]: Aha!)

so viel gehört zur Ehrlichkeit dazu; es war auch ein SPD-Finanzminister, der weggeschaut hat – und Finanzminister Wolfgang Schäuble haben nachweislich über viele Jahre – das hat der Parlamentarische Untersuchungsausschuss in Berlin ergeben – von diesen Dingen gewusst. Erst 2012 änderte die Bundesregierung die Rechtsgrundlage – 2016 dann für die Cum-Cum-Geschäfte –, damit das nicht mehr möglich war. – So viel zur Geschichte.

Um diese ganze Sache jetzt aufzuarbeiten und die Ermittlungen zu einem Erfolg zu führen, braucht es versierte Profis und hohen Sachverstand, sowohl bei der Staatsanwaltschaft und beim Landeskriminalamt als auch bei den Steuerfahnderinnen und Steuerfahndern.

NRW spielt, wie dargestellt, eine große Rolle, weil hier durch das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn die Verfahren gebündelt sind. Ich weiß, dass die Staatsanwaltschaft in Köln mit Hochdruck arbeitet und jetzt auch die Anklageschrift fertiggestellt ist. Ich hoffe, dass es auch zu einer Anklage kommen wird.

Jetzt stellt sich aber die Frage: Was macht der Finanzminister mit seiner Steuerfahndung, die für den Erfolg dieser Ermittlungen von wesentlicher Bedeutung ist? Er zentralisiert die Ermittlungen in der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Wuppertal.

Nun kann man sagen: Wir haben nicht mehr Personal, man muss halt zusammenkratzen, was geht. – Aber, Herr Lienenkämper, Sie haben die Steuerfahndung für Cum-Ex im Jahr 2018 zentralisiert. Im Jahr 2018 waren auch Sie es, der zwei der renommiertesten Steuerfahndern bei uns in NRW und sogar bundesweit so viele Steine in den Weg gelegt hat, dass sie die Finanzverwaltung in Wuppertal verlassen haben. So wurde die Steuerfahndung aufgrund Ihres Verhaltens massiv geschwächt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Im selben Jahr, 2018 – man höre und staune –, gab es immerhin – wenig genug – zehn Stellen mehr für die Steuerfahndung. Die Anzahl der Stellen wurde von 651 auf 661 erhöht. Man könnte glauben, dass der Finanzminister auf die Idee gekommen sei, diese Ressourcen in die zentralen Ermittlungen zu geben. – Weit gefehlt! Die zehn Stellen gingen in eine öffentlichkeitswirksame Taskforce, die vom Finanzminister, Justizminister und Innenminister vorgestellt wurde.

Ich will gar nichts dagegen sagen, dass dort unter Umständen auch Bedarf besteht. Aber fragen wir doch mal nach, was die Taskforce macht, die diese zehn Steuerfahnder bekommen hat. Ich zitiere aus der Vorlage 17/1586:

„Aktuell beschäftigt sich die Taskforce beispielsweise bereits mit Projekten zur Clankriminalität sowie zum organisierten Sozialleistungsmissbrauch.“

All das sind zwar wichtige Dinge, um die man sich kümmern kann, aber wenn von den 58 neuen Stellen für diese Taskforce 22 aus der Finanzverwaltung kommen und Sie die 10 neuen Stellen für die Steuerfahndung auch dort verorten, dann frage ich mich, Herr Finanzminister, wie Sie die Prioritäten hier in diesem Land setzen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Horst Becker [GRÜNE]: So ist es!)

Vielleicht hätte man für die Bekämpfung des organisierten Sozialleistungsmissbrauchs auch ein paar Stellen bündeln und zentralisieren können. Allerdings hätte man die neuen Stellen dort ansiedeln müssen, wo sie dringender gebraucht werden, zumal Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, vorrechnet, dass die Steuerfahndungen bundesweit zu 25 % unterbesetzt sind und es in der Finanzverwaltung insgesamt 6.000 unbesetzte Stellen gibt; allein bei uns in NRW sind es 1.000. Das heißt, die Decke ist ohnehin schon zu kurz.

Dann muss man sich, Herr Finanzminister, die Frage stellen: Wo stecke ich die Kräfte hin, und wo priorisiere ich? Besser wäre es, wenn man für alles unheimlich viel Personal und Ressourcen hätte. An dieser Stelle aber haben Sie die Prioritäten nachweislich falsch gesetzt.

Den Fahnderinnen und Fahndern, den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beim LKA möchte ich meinen ausdrücklichen Dank aussprechen für ihre engagierte Arbeit, die sie trotz Ihrer fehlenden Unterstützung leisten. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die AfD spricht nun Herr Abgeordneter Strotebeck.

Herr Vorsitzender! Meine Damen, meine Herren! Wahrscheinlich handelt es sich um den größten Steuerbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Schaden liegt bei über 50 Milliarden Euro. Sie haben es zwar schon gehört, aber jetzt hören Sie es von mir auch noch mal.

Es geht um die Steuererstattungen aus einem trickreichen Hin- und Herschieben von Aktien um den Dividendenstichtag herum, um sich die gezahlte Steuer teilweise mehrmals erstatten zu lassen. Kurzum: Es handelt sich um den Cum-Ex-Aktienhandel.

Dass dem Fiskus durch diese Cum-Ex-Dealer hohe Steuerzahlungen entgingen bzw. gar nicht entrichtete Steuern gezahlt wurden, war den Behörden bereits seit den 90er-Jahren bekannt. 2002 forderte die Deutsche Bank selbst noch den Bankenverband auf, die Bundesregierung vor diesen Geschäften zu warnen.