Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich darauf verständigt, hier keine Aussprache durchzuführen.
Wir kommen also zur Abstimmung. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag Drucksache 17/5633 an den Hauptausschuss zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll nach Vorlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses erfolgen. Wer stimmt diesem Verfahren zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Nein. Enthaltungen? – Nein. Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.
Gesetzentwurf der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/3005 Drucksache 17/5580
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits im Juli 2018 hatten wir einfachgesetzlich die Individualverfassungsbeschwerde eingeführt und damit ein Stück weit Rechtsgeschichte geschrieben.
Bis dahin konnte niemand den Verfassungsgerichtshof des Landes mit der Behauptung anrufen, durch die öffentliche Gewalt des Landes – das heißt: durch ein Handeln oder Unterlassen einer Behörde des Landes, durch eine gerichtliche Entscheidung oder unmittelbar oder mittelbar durch ein Gesetz – in einem in seiner Landesverfassung enthaltenen Grundrechte verletzt zu sein.
Ein wirkungsvoller Individualrechtsschutz vor Grundrechtsbeeinträchtigung durch die öffentliche Gewalt des Landes war bis dahin in Nordrhein-Westfalen nicht gegeben. Das haben wir mit der Einführung der Individualverfassungsbeschwerde geändert. Denn wir haben viele Grundrechte durch Art. 4 Abs. 1 unserer Landesverfassung inkorporiert, aber auch einen Grundrechtskatalog in unserer Landesverfassung, der Rechte enthält, die über die Grundrechte
des Grundgesetzes hinausgehen. Bisher hatten wir kein prozessuales Spiegelbild für diese Grundrechte. Das haben wir nun deutlich geändert, wie es auch in vielen anderen Bundesländern der Fall ist.
Wir haben damit die grundrechtliche Substanz der Landesverfassung aktiviert. Wir steigern ihre praktische Relevanz und rücken sie stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung. Sie ist deshalb auch ein Instrument zur Teilhabe der Bürger am Staat. Das klare Bild der spannenden Anhörung hat ergeben: Wir machen einen wichtigen Schritt für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen.
Der Verfassungsgerichtshof, der bisher eher ein Staatsgerichtshof war, weil er sich mit Verfahren vorrangig von Verfassungsorganen beschäftigt hat, wird nunmehr zu einem Bürgergericht, das den einzelnen Bürgern, also den Menschen in unserem Land, zur Wahrung ihrer Rechte verhilft. Damit wird, wie ich eben sagte, ein Stück weit Rechtsgeschichte geschrieben.
Wir standen dem Anliegen, dies in die Verfassung zu übernehmen, immer offen gegenüber. Es gab sicherlich viele Diskussionen dazu. Aber grundsätzlich bestand hier im Hause immer Einigkeit. Dass es etwas länger gedauert hat, finde ich grundsätzlich richtig. Wir haben jetzt einen schlanken Verfassungstext gefunden. Das ist auch das Richtige für eine Verfassung.
Dass wir es erst einfachgesetzlich eingeführt haben und anschließend in die Verfassung aufnehmen, hat auch ein großes Vorbild. Auf Bundesebene war das nämlich ebenfalls so. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz wurde zunächst gestaltet, und dann wurden die Verfassungsbeschwerde und die Kommunalverfassungsbeschwerde in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a und Nr. 4b unseres Grundgesetzes eingeführt.
Neben der Individualverfassungsbeschwerde wird nunmehr auch den Gemeinden dieses Recht direkt in der Verfassung garantiert. Gemeinden und Gemeindeverbände können künftig mit der Behauptung Klage erheben, dass Landesrecht die Vorschriften dieser Verfassung des Landes über das Recht auf kommunale Selbstverwaltung verletzt. Auch das wird jetzt in die Verfassung aufgenommen.
Wir stärken den Rechtsschutz in unserem Land für die Bürgerinnen und Bürger. Ich freue mich über die große Einigkeit hier im Haus. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Dr. Geerlings. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Professor Dr. Bovermann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern.“ Diese gern zitierten Worte von Max Weber aus dem Jahr 1919 treffen auch auf die Verankerung der Individualverfassungsbeschwerde und der Kommunalverfassungsbeschwerde in der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen zu.
Fast 70 Jahre hat es von den Verfassungsberatungen 1950 bis heute gedauert. Damals bestand Einigkeit über alle Fraktionsgrenzen hinweg, keine allgemeine Verfassungsbeschwerde vorzusehen, da es auch keinen eigenen Grundrechtsteil in der Landesverfassung gab und der Grundrechtsschutz dem Bundesrecht zugeordnet wurde.
In den nachfolgenden Jahren ist immer wieder anlässlich der Novellierung des Verfassungsgerichtsgesetzes über die Einführung der Individualverfassungsbeschwerde diskutiert worden – zuletzt in der Verfassungskommission der 16. Wahlperiode. Einige hier im Plenarsaal haben an der damaligen Diskussion teilgenommen. Doch hier kam weder für die Individual- noch für die Kommunalverfassungsbeschwerde eine notwendige Mehrheit zustande, wobei die Gründe eher in anderen Rechtsbereichen lagen.
Mit der Verabschiedung einer einfachgesetzlichen Regelung für die Individualverfassungsbeschwerde im vergangenen Jahr wurde ein Zwischenschritt erreicht. Heute, zu später Stunde, können wir, wie es einer der führenden Staatsrechtler der Weimarer Republik, Richard Thoma, ausdrückte, den „Schlussstein im Gewölbe des Rechtsstaates“ setzen.
Die Verankerung der Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde in der Verfassung ist dabei mehr als ein symbolischer Akt. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, hat es in seiner Stellungnahme zur Anhörung treffend ausgedrückt. Ich zitiere noch einmal:
„Der Verfassungsgerichtshof des Landes ist ein Verfassungsorgan, seine Zuständigkeiten sollten sich daher im Grundsätzlichen bereits aus der Verfassung ergeben. Das gilt insbesondere für das Verfahren der Individualverfassungsbeschwerde, weil damit die Stellung und Funktion des Verfassungsgerichtshofes von einem reinen ‚Staatsgerichtshof‘ zu einem ‚Bürgergericht‘ verändert wird.“
Auch die kommunale Selbstverwaltung genießt Verfassungsrang, während deren Schutz bisher nur einfachgesetzlich geregelt war. Die materiell-institutionelle Rechtsgarantie und der prozessuale Schutz fielen also auseinander. Die kommunalen Spitzenverbände haben es daher in ihrer Stellungnahme ausdrücklich begrüßt, wenn durch die Verankerung der
Kommunalverfassungsbeschwerde in der Verfassung diese, wie sie es nannten, „normhierarchische Schieflage“ nun ausgeglichen wird.
Aufgrund der Verankerung in der Verfassung genießen beide Beschwerdemöglichkeiten eine höhere Absicherung gegenüber sich möglicherweise verändernden politischen Mehrheiten. Schließlich kann ihre Aufnahme in Art. 75 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen einen Beitrag dazu leisten, das Verfassungsbewusstsein in der Bevölkerung zu stärken und die Eigenstaatlichkeit unseres Landes zu betonen.
Zum Schluss möchte ich mich bei den Kollegen von CDU und FDP herzlich dafür bedanken, dass sie dem Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beigetreten sind. Last not least ist das auch ein Zeichen für die Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen in diesem Haus. Ich meine, das ist auch schon ein Wert an sich. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Professor Dr. Bovermann. – Jetzt spricht für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Freimuth.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Genese und zum Regelungsgehalt der Verfassungsänderung, die wir heute gemeinsam vornehmen werden, haben die Kollegen gerade schon sehr viel Zutreffendes ausgeführt. Deswegen will ich aus meiner Sicht nur zwei, drei ergänzende Anmerkungen dazu machen.
Wir haben in der Tat mit großer Leidenschaft und lange diskutiert, zuletzt intensiv in der Verfassungskommission der 16. Legislaturperiode. Ich glaube, manchmal heißt es zu Recht: Gut Ding will Weile haben.
Nachdem im vergangenen Jahr zunächst die einfachgesetzliche Regelung auf den Weg gebracht wurde, die zum 01.01.2019 schon erweitere Rechtsschutzmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eröffnet, sind wir jetzt nach der Anhörung der Sachverständigen, die wir zu diesem Gesetzgebungsverfahren bereits durchgeführt haben, der erneut angeregten Verankerung in der Verfassung gefolgt.
Einem früheren Kollegen unseres Hauses, meinem ehemaligen Fraktionskollegen Dirk Wedel, war es ein besonderes Anliegen, einen erweiterten Rechtschutz für die Bürgerinnen und Bürger zu eröffnen und diesen in der Verfassung zu verankern. Auch wenn er es nicht mehr als Kollege des nordrhein-westfälischen Landtags zur Kenntnis nehmen kann, wird er
Zur Genese ist gerade schon angeführt worden, dass es eine verfassungsändernde Initiative der Fraktionen von SPD und Grünen gegeben hat, die wir zunächst – das war immer ein unstreitiger Punkt; darauf hat Kollege Geerlings gerade schon hingewiesen – auch in der Verfassung verankern wollten. Aber der Gesetzentwurf sah ursprünglich noch die Verankerung von Verfahrensfragen in der Verfassung vor. Unser Kritikpunkt war immer, dass diese tatsächlich einfachgesetzlich geregelt gehören und nicht in die Verfassung aufgenommen werden sollen.
Mit dem Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Grünen zu ihrem eigenen Gesetzentwurf wurde deutlich, dass diese auch in der Anhörung geäußerte Kritik, die nicht nur von uns allein vorgebracht wurde, überzeugt hat. Daher bringen wir jetzt folgerichtig gemeinsam sowohl die Änderung als auch den Gesetzentwurf auf den Weg.
Ich freue mich, dass wir heute – hoffentlich mit der Zweidrittelmehrheit der Mitglieder dieses Hohen Hauses – für die Bürgerinnen und Bürger eine erweitere Rechtsschutzmöglichkeit in der Verfassung verankern und damit unseren Verfassungsgerichtshof zu einem Bürgergerichtshof weiterentwickeln. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Dear Speaker of the House, Mister Keymis! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum nicht gleich so? Ja, gut Ding will Weile haben, haben wir gehört. Dicke Bretter sind gebohrt. Die Debatte lief sehr lange, jahrzehntelang. Und erst heute, Herr Kollege Geerlings, schreiben wir wirklich Rechtsgeschichte, indem wir die Individualverfassungsbeschwerde und auch die Kommunalverfassungsbeschwerde in der Verfassung verankern. Das Pendant im Grundgesetz gibt es schon ein bisschen länger, seit 1969.
Ich möchte noch auf Herrn Kollegen Geerlings eingehen, der gesagt hat: Es ist ja nicht so schlimm, dass zunächst eine einfachgesetzliche Regelung ins Plenum eingebracht und verabschiedet wurde und erst heute die Verfassungsänderung kommt; das war damals beim Grundgesetz genauso. – Ja, das ist im Prinzip richtig. Ich möchte aber zu Protokoll geben, dass die Motivationslage damals eine völlig andere war und das deswegen so nicht vergleichbar ist.
1969 war der Anstoß zur Verankerung der Verfassungsbeschwerde im Grundgesetz, dass die Einführung des Widerstandsrechts in Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz als Gegengewicht zu den Änderungen im Rahmen der Notstandsverfassung gedacht war. Verletzungen desselben sollten auch die Verfassungsbeschwerde eröffnen.
Anlässlich dieser Ergänzung sollte der bisher nur einfachgesetzliche Rechtsbehelf in der Verfassung selbst verankert werden. Das heißt, die Ausgangslage war natürlich eine völlig andere als heute.