Protokoll der Sitzung vom 11.07.2019

Ich finde das fatal. Damit wird heute auch über ein Stück Mitsprache des Parlaments entschieden, das damit verloren geht. Ich halte das vor dem Hintergrund der Bedeutung des Themas und der aktuell recht redundanten Befassung des Ausschusses durch das Ministerium für eine Selbstbeschneidung dieses Hohen Hauses, die uns nicht gut ansteht. Aber selbst der Hinweis, dass Bayern beabsichtigt, im Sinne der NRW-Regelung aktiv zu werden, scheint argumentativ nicht zu verfangen.

(Beifall von der SPD)

Konsequent in dieser Linie liegt auch die Abschaffung der Zivilklausel. Selbst der engagierte und lautstarke Protest der vergangenen Wochen hat bei Ihnen keinen Zweifel an Ihrer Vorgehensweise geweckt. Der alleinige Verweis auf das Grundgesetz ist argumentativ nun wirklich extrem dünn.

Wir stehen zu der gesellschaftlichen Verantwortung unserer staatlichen Hochschulen für die Entwicklung einer friedfertigen, demokratischen und nachhaltigen Gesellschaft. Dies ist aus unserer Sicht eine Selbstverständlichkeit, die die Hochschulen in ihren Forschungsaktivitäten auch nicht einschränkt. So sehen das mittlerweile mehrere Bundesländer, die auf Grundlage der NRW-Formulierung im Gesetz von

2014 aktuelle Gesetzesnovellierungen planen. In politischen Zeiten wie diesen ist die Streichung der gesetzlichen Regelung ein fatales und falsches Signal.

Positiv hervorheben möchte ich den Änderungsantrag der Regierungskoalition, der Aufnahme in den Gesetzestext gefunden hat. Damit wird das durch eine Abgeordneteninitiative entstandene Graduierteninstitut weiterentwickelt. Hierzu scheint es im Haus einen breiten Konsens zu geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist das zentrale Gesetzesvorhaben im Wissenschaftsbereich, das von der Landesregierung in dieser Legislaturperiode vorgelegt wird. Aus unserer Sicht ist es unambitioniert, rückwärtsgewandt und nicht wirklich klug durchdacht. Aus diesem Grund lehnen wir den Gesetzentwurf ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bell. – Für die FDP-Fraktion hat nun Frau Kollegin Beihl das Wort. Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Bell, ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie so wunderbar aus unserer Anhörung zitiert haben. Ich hätte mich aber noch mehr gefreut, wenn Sie das Zitat noch etwas weiter ausgeführt hätten; denn Herr Koch sagte nicht nur, dass es eine gute Zusammenarbeit gab, sondern auch – ich zitiere –:

„Gleichwohl gibt es in dem bisher leitenden Gesetz, dem Hochschulzukunftsgesetz, einige Klauseln, einige Möglichkeiten, die Universitäten ungerechtfertigt – aus unserer Sicht – zu restringieren, wie etwa Rahmenvorgaben oder das Zurückbehaltungsrecht des Zuschusses, die wegfallen können. Insofern geht die jetzt eingebrachte Novelle in die richtige Richtung.“

(Beifall von der FDP, Petra Vogt [CDU] und Matthias Kerkhoff [CDU])

Der heutige Donnerstag ist ein guter Tag für unsere Hochschulen in Nordrhein-Westfalen; denn mehr Freiheit und mehr Autonomie ersetzen ab heute wieder die kurze Leine der Bürokraten.

(Beifall von der FDP, Petra Vogt [CDU] und Dr. Günther Bergmann [CDU])

Für uns als NRW-Koalition sind die Hochschulen Partner auf Augenhöhe. Wir vertrauen ihnen. Die durch das rot-grüne sogenannte Hochschulzukunftsgesetz verankerte Detailsteuerung und die eingeführten vertieften Eingriffs- und Durchgriffsrechte halten wir für falsch.

Zentrales Anliegen war es, die Hochschulen zu entfesseln – und das setzen wir heute um. Wir befreien die Hochschulen mit der Abschaffung des Landeshochschulentwicklungsplans von zusätzlichen Aufgaben. Strategische Ziele, wie wir sie verfolgen, reichen für die Steuerung des Hochschulwesens aus.

Auch mit der Streichung des Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen schaffen wir neue Freiräume; denn bereits seit 2015 gibt es einen Vertrag zwischen den Hochschulen, den Landespersonalrätekonferenzen und dem damaligen Ministerium. Die Verträge bleiben gültig.

(Beifall von Lorenz Deutsch [FDP])

Ferner sind es ganz besonders unsere Hochschulen, die ein sehr großes Interesse an guten Beschäftigungsbedingungen haben, insbesondere vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Hochschulen im In- und Ausland. § 34a Hochschulgesetz ist somit entbehrlich.

Entscheidend ist aber auch, dass wir im Rahmen dieser Hochschulgesetznovelle nicht nur unnötige Instrumente abschaffen; vielmehr entwickeln wir das Hochschulgesetz weiter. Wir passen es an die aktuellen Entwicklungen an.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So konnten wir Anfang dieser Woche in der „WAZ“ lesen, dass jeder Dritte sein Studium vorzeitig abbricht. Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung legt uns in seiner aktuellen Studie Zahlen vor, die belegen, dass besonders in den MINT-Fächern diese Zahlen deutlich angestiegen sind. Die Quote der Abbrecher stieg von 37 % auf 41 % an. Als NRW-Koalition haben wir diese Entwicklung natürlich im Blick.

Wir ermöglichen den Hochschulen deshalb die Einführung von Online-Self-Assessments. Noch vor dem Studium können Studierende die eigene Leistung reflektieren und überprüfen, ob das jeweilige Fach zu ihnen passt. Der Vorteil für Studierende und Hochschulen liegt auf der Hand: Hohe Abbruchquoten werden vermieden.

(Karl Schultheis [SPD]: Wir werden das begleiten!)

Wir bieten unterstützende Maßnahmen für die Studierenden auf dem Weg zum Studienabschluss an. Das ist also kein „Studierenden-Gängelungsgesetz“, wie mancher hier sagt, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mehr Freiheit für unsere Hochschulen bedeutet für die NRW-Koalition auch, den Hochschulen mehr Entscheidungsfreiheit in Sachen Hochschulbau zu geben. Mit der Einführung des Optionenmodells zur Übernahme der Bauherreneigenschaft wird einem

wichtigen Ansinnen der Hochschulen Rechnung getragen. Es sind doch die Hochschulen vor Ort, die am besten wissen, welche Bedarfe sie haben und wie sie bauen müssen.

Einen Punkt möchte ich besonders hervorheben. Gemeinsam mit der CDU-Fraktion haben wir noch vor der großen Anhörung einen Änderungsantrag zum Promotionsgeschehen an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften eingebracht. Wir erleichtern den Studierenden dort den Zugang zur Promotion. Über das neu zu gründende Promotionskolleg für angewandte Wissenschaften kann das Ministerium einzelnen Fachbereichen das Promotionsrecht verleihen.

Die wissenschaftliche Qualität gewährleisten wir mit einer regelmäßigen Evaluation durch den Wissenschaftsrat. Mit dieser individuellen und engmaschig evaluierten Regelung verhindern wir zum einen eine Überforderung der Hochschulen und gewährleisten zum anderen, dass Promotionen nicht zur Massenware werden.

Wir zollen unseren Hochschulen für angewandte Wissenschaften und den jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern damit zugleich den Respekt, den sie verdienen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Eine weitere Herzensangelegenheit ist uns Freien Demokraten das Thema „Ausgründungen“. In unseren Hochschulen sehen wir Innovationstreiber unserer Gesellschaft. In jedem unserer Studierenden schlummert möglicherweise ein großartiger Gründer und Innovator. Mit der Hochschulgesetznovelle unterstützen wir diese Menschen dabei, aus einem Traum und einer Idee eine Gründung und vielleicht bald einen Arbeitsplatz zu machen.

Schon im letzten Jahr haben wir einen Antrag gestellt, in dem es darum ging, Gründungen als möglichen Beurlaubungsgrund fest im Hochschulgesetz zu verankern. Das setzen wir jetzt konsequent um.

Darüber hinaus eröffnen wir den Hochschulen die Möglichkeit, Existenzgründungen ihrer Mitglieder und Absolventen aktiv zu unterstützen. Ob die Hochschulen unentgeltlich Räume, Labore oder ITInfrastruktur anbieten, stellen wir ihnen frei.

Damit schaffen wir eine unkomplizierte, innovationsfreundliche Atmosphäre und eine lebendige Basis für eine Gründerkultur an unseren Hochschulen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, geht ein langer und intensiver Prozess der Zusammenarbeit zu Ende. Auch wenn ich persönlich nicht von Beginn an am Gesetzgebungsprozess beteiligt war, möchte ich mich bei meinem Vorgänger Moritz Körner bedanken, der sehr aktiv im Gesetzgebungsprozess mitgewirkt hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Darüber hinaus danke ich der Ministerin Frau Pfeiffer-Poensgen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, den Experten in der Anhörung sowie den Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion. Auch wenn sie nicht allem zustimmen, geht für die Zusammenarbeit auch ein Dank an die Opposition.

Abschließend zählt: Wir geben den Hochschulen heute wieder die Freiheit zurück, die sie zuletzt bis 2014 innehatten, und machen sie fit für die Zukunft. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beihl. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Abgeordneter Bolte-Richter das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gerade schon gehört: Es war ein sehr langer Prozess, etwa anderthalb Jahre lang, der heute seinen Abschluss findet.

Es war ein Prozess, bei dem wir auch interfraktionell zwischenzeitlich immer mal wieder Gespräche hatten, wozu wir aber sagen müssen, dass diejenigen, die am Ende von diesem Gesetz am stärksten betroffen sein werden, nämlich Studierende und Beschäftigte, bei Schwarz-Gelb mit ihrem berechtigten Protest ausschließlich auf taube Ohren gestoßen sind. Die Koalition und die Landesregierung waren viel zu sehr in einem ideologischen Korsett eingeengt, das Mitbestimmung zu Bürokratie erklärt, und in dem weniger gesellschaftliche Verantwortung als mehr Freiheit missverstanden wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir stellen uns klar gegen die Ausweitung der Anwesenheitspflichten. Studierende sollen die Freiheit haben, selbst zu bestimmen, wie sie lernen wollen. Wir haben in dieser ganzen Debatte immer wieder über Vertrauen geredet. Ich frage Sie von den regierungstragenden Fraktionen und Sie, Frau Ministerin: Warum vertrauen Sie den Studierenden nicht? Wir reden hier von erwachsenen Menschen. Sie wollen sie mit diesem Gesetz bevormunden.

Sie ignorieren, dass Studierende auf einen Job angewiesen sind. Wir haben die Zahlen vorliegen. Es sind an einigen Hochschulen über 70 %. Sie sind auf einen Job angewiesen, weil das BAföG immer noch nicht zum Leben und zum Wohnen reicht, oder sie arbeiten in der studentischen oder akademischen Selbstverwaltung mit, oder sie betreuen Kinder oder Angehörige, oder sie haben eine Behinderung oder eine chronische Erkrankung.

Wenn Sie das alles jetzt ignorieren und nicht in Ihre Überlegungen einbeziehen wollen, müssen Sie bei der Überwachung der Anwesenheitspflichten eine riesengroße Bürokratie schaffen. Sie müssen es kompliziert regeln. Das ist doch Bürokratie pur, was Sie da vorhaben!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es gibt genügend inhaltliche Gründe gegen Anwesenheitspflichten. Aber Sie hätten ja andere Möglichkeiten. Die Alternative zur Anwesenheitspflicht liegt doch auf dem Tisch. Wir haben sie in den Debatten auch immer wieder vorgetragen; sie lautet: gute Lehre. Wir streiten für ein Recht auf gute Lehre für die Studierenden und für beste Bedingungen für die Lehrenden, damit sie diese gute Lehre auch bieten können.