Protokoll der Sitzung vom 19.09.2019

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 66. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung hat sich ein Abgeordneter entschuldigt; der Name wird in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung: Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 11. September 2019 die Haushaltssatzung des Landesverbandes Lippe für das Haushaltsjahr 2019 sowie den Genehmigungserlass des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung zugesandt. Diese Unterlagen sind als Vorlage 17/2444 verteilt worden. Gemäß § 10 des Gesetzes über den Landesverband Lippe vom 5. November 1948 bitte ich um Kenntnisnahme. – Diese stelle ich hiermit fest.

Damit treten wir in die heutige Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1 Ruhrkonferenz – „kein großer Wurf“ mit fragli

chen Beteiligungsprozessen, ohne strukturelle Verbesserungen für das Ruhrgebiet

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/7424

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 16. September gemäß § 95 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung eine Aussprache zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion Herrn Abgeordneten Kutschaty das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bei diesem Tagesordnungspunkt mit einer persönlichen Vorbemerkung beginnen. Ich bin im Ruhrgebiet geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe da studiert, gearbeitet und eine Familie gegründet. Ich wohne mit meiner Familie auch heute noch im Ruhrgebiet. Ich mache das gerne, ich bin stolz darauf. Das Ruhrgebiet ist meine Heimat.

(Beifall von der SPD)

Deshalb, liebe Landesregierung, habe ich mich anfangs sogar richtig gefreut, als ich gehört habe, Sie

wollen etwas für das Ruhrgebiet tun, etwas für das Ruhrgebiet bewegen. Wenn ich gleich Kritik an Ihrer Ruhrkonferenz übe, will ich zu Beginn ganz klar sagen: Meine Fraktion ist zu fraktionsübergreifenden Initiativen bereit, wenn sie gut sind.

(Beifall von der SPD)

Wenn Sie etwas für das Ruhrgebiet bewegen wollen, steht die SPD an Ihrer Seite. Aber haben Sie bitte Verständnis dafür, dass wir diese Flickschusterei, die Sie Ruhrkonferenz nennen, nicht unterstützen können.

(Beifall von der SPD)

„Die Projektliste liest sich wie eine bunte Mischung guter Ideen. Vieles davon ist Nice-tohave, aber kein großer Wurf. … bleibt die Ruhrkonferenz mit ihren Vorschlägen damit weit hinter den Erwartungen zurück.“

Diese vernichtende Bewertung stammt nicht von mir. Ich habe gerade aus einer gemeinsamen Pressemitteilung der Industrie- und Handelskammern im Ruhrgebiet zitiert. Die Wirtschaft findet Ihre Arbeitskreise also nicht gut.

Und die betroffenen Kommunen? Weder die Themen noch die Inhalte wurden im Vorfeld mit den Kommunen besprochen, so lautet das Fazit von Oberbürgermeistern im Ruhrgebiet. Der Satz stammt aus einer offiziellen Vorlage des Rates der Stadt Duisburg.

Die Landräte fordern gar eine Neuausrichtung der Ruhrkonferenz. Weder Positionspapiere aus den Kreisen noch Diskussionsbeiträge hätten Berücksichtigung gefunden.

Die Wirtschaft und die Kommunen finden Ihre Arbeitskreise also nicht gut.

Bleiben noch die 5 Millionen Bürgerinnen und Bürger des Ruhrgebiets. Sie alle waren von der Landesregierung aufgerufen worden, sich mit Ideen einzubringen, mitzumachen: online, auf Veranstaltungen oder wie auch immer. Raten Sie mal, wie viele der 5 Millionen Menschen im Ruhrgebiet sich von der Landesregierung angesprochen gefühlt haben, dort mitzumachen, sich einzubringen, Ideen vorzustellen? Ich nenne Ihnen die Zahl: Von den 5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern des Ruhrgebiets waren es gerade mal 250.

(Zuruf von der SPD: Wow!)

Ich wiederhole. 250 von 5 Millionen. Das ist eine Zahl, die Sie nicht mal in Prozenten ausdrücken können, sondern nur in Promille. Das sind 0,005 Promille. Das zeigt: Sie haben es nicht geschafft, die Menschen im Ruhrgebiet bei Ihrer Konferenz mitzunehmen.

(Beifall von der SPD)

Dabei kannte die Ankündigung nur Superlative. Wenn man in Ihren Koalitionsvertrag schaut, sollte die Ruhrkonferenz etwas gigantisch Großes sein. Die Kanzlerin sollte kommen, die EU-Kommission sollte im Ruhrgebiet tagen und alles regeln. Aber so weit ist es nicht gekommen. Stattdessen gibt es Beamtenarbeitskreisrunden auf Zollverein. Immerhin – das habe ich heute Morgen erfahren – hat sich der Bundespräsident für Ende September angekündigt. Das ist ein gutes Signal, das ich ausdrücklich unterstütze. Das wäre schon mal ein Fortschritt.

Aber die Frage ist: Werden die einzelnen 75 Projekte, die Sie jetzt nach und nach vorstellen, das Ruhrgebiet tatsächlich voranbringen? – Lieber Herr HolthoffPförtner, ich fürchte, nicht. Denn diese Projekte, die Sie gesammelt haben, haben in Wahrheit gar keinen richtigen Bezug zum Ruhrgebiet.

Symptomatisch war die Veranstaltung im Gesundheitsbereich. Sie wurde glamourös und großartig angekündigt, vielversprechend. Ich habe mit Leuten aus dem Gesundheitswesen gesprochen, die da waren. Auch Minister Laumann war auf dieser „Gesundheitskonferenz Ruhrgebiet“. Wissen Sie, worüber Herr Laumann auf dieser „Ruhrgebietskonferenz Gesundheit“ gesprochen hat? Über die medizinische Versorgung im ländlichen Raum.

(Heiterkeit von der SPD)

Meine Damen und Herren, die Landarztquote ist sicherlich ein wichtiges Thema. Lassen Sie uns darüber hier im Landtag sprechen, aber doch bitte nicht auf einer Ruhrkonferenz. Das ist doch nicht das Thema der Ruhrkonferenz!

(Beifall von der SPD – Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

In anderen Gesprächsrunden lief es ähnlich. Ich will ausdrücklich die Tandempartner der Ministerinnen und Minister in Schutz nehmen; sie haben wirklich ihr Bestes gegeben. Die Konstruktion war aber von Anfang an fehlerhaft aufgelegt, sodass daraus nichts werden konnte.

Die Wirtschaft, die Kommunen und die Menschen halten nichts von Ihrer Ruhrkonferenz. Obwohl Sie das wissen, wollen Sie einfach weitermachen und – das ist mein Eindruck – das jetzt irgendwie zu Ende bringen. Die Menschen werden aber auch von dieser Ruhrkonferenz nichts weiter erfahren, weil deren Ergebnisse überhaupt keinen Nachrichtenwert haben.

Die 75 Projektvorschläge, die Sie nun vorgestellt haben, sind eine große Enttäuschung. Es gibt keine Gesamtstrategie.

Dabei fehlt es im Ruhrgebiet nicht an Ideen. Die Ideen liegen auf dem Tisch. Sie hätten sich nur einmal die Vorschläge der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern anschauen müssen. Die Kammern haben immer wieder betont, es

bedürfe einer Gesamtstrategie für das Ruhrgebiet und ambitionierter Ziele.

Lassen Sie uns zum Beispiel gemeinsam das Ruhrgebiet in den nächsten zehn Jahren zu einer der fünf führenden Digitalregionen in Deutschland machen. Lassen Sie uns die Anzahl der mittelständischen Unternehmen in diesem Bereich steigern. Das täte dem Ruhrgebiet gut.

(Beifall von der SPD)

Oder lassen Sie uns von Bottrop lernen. Dort wurde mit der „InnovationCity Ruhr“ Hervorragendes geleistet. Nachhaltiges Wohnen, Arbeiten, Wirtschaften vor Ort – lassen Sie uns das schnellstmöglich auf das ganze Ruhrgebiet übertragen. Das wäre ein vernünftiges Projekt, das Sie vorantreiben könnten.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der FDP)

Stattdessen haben Sie bewusst von vornherein ganz wichtige Projekte für das Ruhrgebiet einfach ausgeklammert und gesagt: Das gehört gar nicht dazu.

Ich spreche die Entschuldung der Städte und Gemeinden an,

(Zuruf von der SPD: Ganz genau!)

damit sie vor Ort wieder investieren können. Lassen Sie uns doch gemeinsam einen Altschuldenfonds auf den Weg bringen, damit die Kommunen ihre Handlungsfähigkeit wiederbekommen.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie uns eine Bildungsoffensive für das Ruhrgebiet mit einem schulscharfen Sozialindex starten, um dort gezielt in Bildungschancen zu investieren, wo es viel zu wenig davon gibt.

(Beifall von der SPD – Zurufe)

Lassen Sie uns gemeinsam eine Städtebauoffensive angehen und in schönere Straßenzüge, Grünanlagen und Spielplätze investieren.

(Zuruf von Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung)

Meine Damen und Herren, der Zustand der öffentlichen Infrastruktur sagt sehr viel darüber aus, welche Wertschätzung eine Landesregierung den Menschen entgegenbringt, die in dieser Region wohnen. Da müsste man entsprechend investieren.

(Beifall von der SPD)