Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 7. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern an den Fernsehern bzw. Bildschirmen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Nachdem der Ministerpräsident gestern vor dem Landtag die Regierungserklärung abgegeben hat, ist für heute die Aussprache hierüber vorgesehen. Ich erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Römer das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich hatte vor der Landtagswahl durchaus damit gerechnet, dass ich Ihnen in der Debatte auf die Regierungserklärung antworten werde. Dass ich Ihnen auf Ihre Regierungserklärung antworten werde, damit habe ich weniger gerechnet. Also noch einmal: Ganz herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Überraschungssieg!
Die SPD ist jetzt die größte Oppositionspartei. Wir nehmen diese Rolle an. Wir haben eine Wahl verloren, aber nicht unsere Stimme, nicht unsere Überzeugungen und schon gar nicht unseren Willen, dieses Land stärker und gerechter zu machen. Die Sozialdemokratische Partei wird an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen, deren Rechte durch eine ideologische Marktentfesselungspolitik bedroht sind.
Wir stehen an der Seite aller Menschen, die von dieser Regierung nicht gehört werden, für die nicht gehandelt wird, für die nicht entschieden wird: abhängig Beschäftigte in der Industrie, in den Dienstleistungsbereichen, Mieterinnen und Mieter, nicht zuletzt Frauen, Männer und Eltern kleiner Kinder, die auf echte Chancen, auf Gleichheit, auf sozialen Aufstieg, auf mehr Bildungsgerechtigkeit hoffen.
Wir werden fair im Umgang sein, aber hart in der Sache. Wir werden Alternativen zu Ihrer Regierungspolitik unterbreiten, und wir werden Sie kontrollieren, indem wir Sie an die Versprechen erinnern, an den Versprechungen messen, die Sie den Menschen vor der Wahl gegeben haben.
Da, wo es Gemeinsamkeiten gibt, werden wir nicht unnötigen Streit suchen. Ihr Wille, die tolerante und weltoffene Kultur Nordrhein-Westfalens gegen die Feinde der offenen Gesellschaft zu verteidigen, ist auch unser Wille.
Wenn Sie in Nordrhein-Westfalen einen großen öffentlichen Verkehrsraum schaffen wollen, werden wir Sie unterstützen. Selbstverständlich unterstützen wir auch das Azubiticket. Es war ja unsere Idee, genauer gesagt: die Idee der Jungsozialisten. Also herzlichen Glückwunsch an die Jusos! Euer Vorschlag hat es weit gebracht.
Jedes Jahr 2.300 neue Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte auszubilden, ist richtig. Das stand ja schließlich in unserem Parteiprogramm, nicht im Parteiprogramm der CDU.
Ihr Ziel, die objektive Sicherheitslage und das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen in NordrheinWestfalen zu verbessern, ist auch unser Ziel. Für uns aber gilt: Der höchste Zweck des demokratischen Rechtsstaats ist die größtmögliche Freiheit aller.
Der Staat hat die Freiheit der Menschen zu schützen, indem er sie vor Verbrechen schützt. Das heißt aber auch: Sicherheit hat der Freiheit zu dienen. Sie steht im Dienste der Freiheit, nicht umgekehrt. Aus diesem Grund sind Eingriffe in individuelle Freiheitsrechte nur dann gerechtfertigt, wenn durch sie der Freiheit aller besser gedient ist, als es ohne diese Eingriffe der Fall wäre. An diese Bedingung knüpfen wir unsere Unterstützung für Ihre Politik in der inneren Sicherheit.
Also, sehr geehrter Herr Ministerpräsident – wir haben das ja in der öffentlichen Begleitung der von Ihnen aufgenommenen Regierungsarbeit schon erleben können –, die Entzauberung Ihrer Regierung hat längst begonnen.
Zu dieser Entzauberung haben Sie mit Ihrer Regierungserklärung und nicht zuletzt mit dem Versuch der Geschichtsklitterung selbst beigetragen. Deshalb lassen Sie mich eine Tatsache in aller Deutlichkeit feststellen:
Bei allen Problemen, die es in Nordrhein-Westfalen noch gibt – von Langzeitarbeitslosigkeit über soziale
Ungleichheit bis hin zu immer noch ungerecht verteilten Bildungs- und Aufstiegschancen –, hat keine neue Regierung der letzten 25 Jahre eine so gute wirtschaftliche und finanzpolitische Ausgangslage vorgefunden wie Ihre Regierung:
Beschäftigung auf Rekordniveau, Arbeitslosigkeit auf Rekordtief, robustes Wirtschaftswachstum – zuletzt 5 % in der Industrie –, eine sich immer höher auftürmende Welle von Start-ups und Firmengründungen und nicht zuletzt, meine Damen und Herren von CDU und FDP, einen ausgeglichenen Haushalt.
Ja, Sie können ruhig lachen und schimpfen. Das hilft alles nichts. Das sind die Fakten, und die sind nicht zu widerlegen.
Noch einmal: Keine neue Regierung der letzten zweieinhalb Jahrzehnte könnte so stark von der Arbeit ihrer Vorgängerin profitieren wie Sie,
von unseren Milliardenprogrammen für Forschung, Bildung und digitale Infrastruktur, vom Spitzencluster „it’s OWL“, von unseren sechs Digital-Hubs zur Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft, von mehr als 7.000 neuen Lehrerstellen, vor allem von unseren Programmen und Konzepten für einen sozialen Arbeitsmarkt, gegen Langzeitarbeitslosigkeit, für eine vorbeugende Bildungs- und Sozialpolitik, für mehr Bildungsgerechtigkeit und sozialen Aufstieg.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, ich benutze ganz bewusst den Konjunktiv: Sie könnten, wenn Sie denn wollten, wenn Sie auf die Regierungsverantwortung vorbereitet wären. Das sind Sie aber nicht. Sie sind nur eines: von den eigenen Wahlkampfversprechen überfordert. Das sind Sie, das ist zu spüren.
Deshalb versucht diese Koalition, mit einer Erblastgeschichte über die Zeit zu kommen. Wenn Sie Ihre Regierungszeit tatsächlich mit Wahlkampagnen gegen Regierungen der Zeitgeschichte vergeuden wollen, will und kann ich Sie nicht daran hindern. Das hilft Ihnen aber nicht. Die Landtagswahl ist vorbei, das Urteil der Wählerinnen und Wähler ist gesprochen.
Denn schon bald werden die Menschen in NordrheinWestfalen wissen wollen, was aus all den spektakulären Versprechen geworden ist, die im Wahlkampf von Armin Laschet und Christian Lindner gegeben wurden. Dann gibt es keine Ausreden mehr; denn für schwarz-gelbe Wahlversprechen sind nicht Grüne, SPD oder sonst wer verantwortlich, sondern einzig und allein CDU und FDP.
Dabei ist heute schon klar: Das Tempo, in dem sich das Kabinett Laschet von einer Regierung spektakulärer Versprechen in eine Regierung spektakulärer Wortbrüche verwandelt, ist nicht in Jahren oder Monaten zu messen, sondern nur noch in Wochen und Tagen.
In der Verkehrspolitik haben Sie geradezu einen historischen Rekord aufgestellt: mehr Bewegung und weniger Stau, und zwar innerhalb der kommenden fünf Jahre. – Das war eines Ihrer zentralen Wahlversprechen.
Das brauchen Sie auch nicht zu bestreiten. Tausende von Menschen, die auf Ihren Wahlkampfveranstaltungen waren, können das bezeugen.
Ja. Doch nur drei Tage nach der Nominierung des Kabinetts – oder waren es vielleicht sogar noch weniger? – wollten der Ministerpräsident und sein designierter Verkehrsminister von ihren Versprechen nichts mehr wissen.