Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle sehr herzlich willkommen zu unserer heutigen, 71. Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich zwei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
100. Geburtstag der Grundschule – stattdessen unbesetzte Stellen, unfaire Besoldung und überlastete Lehrkräfte!
Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 11. November 2019 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Ott das Wort. – Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, um die entsprechende Ruhe und Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor 100 Jahren wurde in die Weimarer Reichsverfassung geschrieben – ich zitiere aus Art. 146 –:
In der Frankfurter Paulskirche hat Bundespräsident Steinmeier im September betont, was für ein großer gesellschaftlicher Schritt dies damals gewesen ist. Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich aus der wirklich großartigen Rede des Bundespräsidenten zitieren:
„Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte sollten alle Kinder gemeinsam in die Schule gehen, unabhängig von ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung oder dem Religionsbekenntnis ihrer Eltern.
Endlich sollte Schluss sein mit der Standesbildung des Kaiserreichs, wo Kinder aus wohlhabenden Schichten auf Vorschulen, Privatschulen oder von Hauslehrern aufs Gymnasium vorbereitet worden waren, während, wie es damals hieß, Armeleutekinder die Volksschulbank drückten, oft getrennt nach Geschlecht oder Konfession.“
„Denn nun kamen, zumindest in den vier untersten Klassen – und so ist es in den meisten Bundesländern bis heute –, plötzlich Kinder aus den verschiedensten Elternhäusern zusammen. Kinder, die vorher oft nichts miteinander zu tun gehabt hatten. Und ich könnte mir vorstellen, dass das, was wir heute gern Heterogenität nennen, für die Lehrer schon damals eine Riesenherausforderung war.“
Diese Grundschule war damals der Versuch, Demokratie in der jungen Republik zu leben, nach vorne zu bringen. Ich zitiere ein letztes Mal den Bundespräsidenten:
„in Deutschland, an denen die Verschiedenheit in den Klassenzimmern stark zugenommen hat. … In solchen Klassen jeder Schülerin und jedem Schüler einzeln gerecht zu werden, Flüchtlingskindern die Ankunft zu erleichtern, Sprachdefizite, aber auch andere Benachteiligungen auszugleichen, die Leistungsstarken zu motivieren und die Klassengemeinschaft zu stärken, eng mit Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten und Brücken zu den Eltern zu bauen – das ist wahrhaftig eine gewaltige Aufgabe.
Dem Bundespräsidenten kann man nur zustimmen. Die Landesregierung sah sich zu diesem 100-jährigen Jubiläum nicht zu einem Festakt oder einer größeren Veranstaltung gedrängt, sondern hat darauf am 11. August mit einer Pressemitteilung reagiert. Darin heißt es: „Gute Schule 2020“, Vorgängerregierung gut gemacht. Das Kommunalinvestitionsfördergesetz sowie der DigitalPakt des Bundes sind erwähnt, und Sie sprechen tatsächlich noch von einer Erhöhung der Schul- und Bildungspauschale des Landes, was eigentlich Standard ist.
Wir können festhalten: Zum Geburtstag der Grundschulen gibt es von dieser Landesregierung kein Geschenk, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Am Dienstag waren wir in Dortmund. Der Grundschultag von GEW und Grundschulverband hat dort getagt. Ich sage ganz offen: Ich bin sehr beeindruckt gewesen, weil eins mir noch mal sehr deutlich klar wurde: Von Schröders „faulen Säcken“ über die ständigen Witze über Lehrerinnen und Lehrer: Die Kolleginnen und Kollegen haben den Hut auf.
Sie werden von uns, von Abgeordneten aus Landtag und Bundestag, beauftragt, alle Schwierigkeiten der Gesellschaft zu lösen: Sie sollen sich um die Demokratie kümmern, um den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus – was sehr wichtig ist. Darüber hinaus sollen sie Verkehrssicherheits- und Medienerziehung, Social-Media-Vorbereitung, Loverboysprävention, Magersucht, gute Ernährung, Klimaschutz und und und leisten. Das alles sollen sie leisten.
In einer demokratischen Gesellschaft erwarten wir selbstverständlich, dass Lehrerinnen und Lehrer unsere Kinder im Sinne einer guten Bildung auf das Zusammenleben in dieser Gesellschaft vorbereiten. Aber wir müssen auch unseren Kolleginnen und Kollegen, unseren Lehrerinnen und Lehrern vertrauen und sie in die Lage versetzen, dass sie im Sinne ihres Schwurs auf die Verfassung des Landes Tag für Tag ihre Arbeit leisten können.
Dazu braucht es Respekt und Anerkennung, nicht nur für Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer, sondern für alle.
Der „Dortmunder Denkzettel“ zeigt, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer nicht ernst genommen fühlen, dass wir als Politik insgesamt weiterhin den Eindruck erwecken, dass wir nicht verstehen, was sie bewegt.
Eine Schulpolitik, die sehenden Auges in einen Bildungsnotstand hineinläuft – 26.000 Grundschullehrer und 30.000 Berufskolleglehrer fehlen –, wird von den Menschen im Schulsystem nicht mehr ernst genommen.
Wie reagiert die Regierung? Ganz einfach: Die Ministerin bemäkelt zunächst einmal den Begriff des Denkzettels, statt offen zuzugestehen: Ja, wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen.
Zu diesen Herausforderungen komme nun: Der Masterplan wurde erst für Ende 2018, dann für Anfang 2019, dann für vor den Sommerferien angekündigt, und jetzt ist er auf vor Weihnachten verschoben. Interessanterweise erwarten die Lehrerinnen und Lehrer gar nichts Gutes, weil sie bei „Masterplan“ eher die Alarmglocken schrillen hören. Das konnten wir am Dienstag verstehen.
Beim Thema „Ganztag“ wird mit dem Bund ums Geld gerangelt, aber ein Konzept für eine Neuausgestaltung gibt es nicht.
Beim Thema „Besoldung“ – A13 für alle – gibt es kein klares Signal an die Lehrerinnen und Lehrer der Grundschulen: Ja, wir schätzen eure Arbeit wert; ihr habt die gleiche Ausbildung; wir werden euch so bezahlen.
Beim Thema „Studienplätze“ erkenne ich an, dass Sie gestern mit der Ankündigung, zusätzliche Studienplätze zu schaffen, einen Schritt nach vorne gemacht haben. Aber glauben Sie allen Ernstes, dass 300 zusätzliche Grundschullehrkräfte unsere Bildungsmisere stoppen können, meine sehr verehrten Damen und Herren?
Wenn die aktuellen Studien richtig sind, muss man davon ausgehen, dass 30 % der Lehramtsstudierenden gar nicht in der Schule ankommen. Das bedeutet, es bleiben nur wenige übrig.
Das ist kein mutiger Schritt nach vorn. Aber mit dem Hochschulfreiheitsgesetz haben Sie sich vieles selbst eingebrockt, was wir jetzt mühsam wieder auslöffeln müssen.
Zum Thema „berufsbegleitende Ausbildung“ gibt es bis heute kein vernünftiges Konzept. Menschen mit nur einem Fach, Heilpädagogen und viele andere Gruppen mehr springen Tag für Tag an unseren Schulen ein und spielen Lückenfüller, aber sie haben keine Perspektive, dort zukünftig richtig arbeiten zu können. Das ist kein Respekt, keine Anerkennung.
Sozialindex, Inklusion, Zusammenarbeit zwischen den Ebenen – all das wird nicht angegangen. Deshalb ist es angesichts der Herausforderungen erschreckend, wenn Sie sagen, wir müssten in allererster Linie Ruhe an die Schulen bringen.
Ich sage: Es geht nicht darum, Ruhe an die Schulen zu bringen, sondern es geht darum, Zukunft zu organisieren. Es geht darum, den Grundschullehrerinnen und -lehrern deutlich zu machen: Wir stehen an eurer Seite. Wir wissen um die enorme Leistung, die ihr jeden Tag in den Klassenzimmern für den Zusammenhalt des Landes erbringt. Deshalb ist die Landesregierung bereit, die nötigen Schritte zu ergreifen.
auf die Weimarer Reichsverfassung hingewiesen. Sie wurde am 11. August 1919 verabschiedet. Insofern kommen die Geburtstagsglückwünsche der SPD-Fraktion im Gewande einer populistischen Aktuellen Stunde verspätet.
Schließlich haben Sie in den deutlich zu vielen Jahren Ihrer Regierungsverantwortung die Möglichkeiten und Chancen, für klare, strukturierende Verhältnisse zu sorgen, kläglich verpasst.