Protokoll der Sitzung vom 15.11.2019

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle herzlich willkommen zu unserer heutigen, 72. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt. Die Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiert heute Frau Dr. Patricia Peill von der Fraktion der CDU. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich noch einmal darauf hinweisen, dass wir am Mittwoch vor Eintritt in die Tagesordnung beschlossen haben, heute als Tagesordnungspunkt 2 den von Mittwoch verschobenen Tagesordnungspunkt 8 – Gesetz zur Einführung einer pauschalen Beihilfe, Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, Drucksache 17/5620 – zu behandeln.

Bevor wir aber in die so geänderte Tagesordnung eintreten, komme ich zurück auf die in der gestrigen Plenarsitzung unter Tagesordnungspunkt 2 geführte Debatte. Frau Kollegin Britta Altenkamp von der Fraktion der SPD hat sich in einem Zwischenruf gegenüber einer Abgeordnetenkollegin unparlamentarisch verhalten. Ich werde den Wortlaut hier nicht wiederholen, aber, Frau Kollegin Altenkamp, ich muss Ihnen dafür eine nichtförmliche Rüge aussprechen.

(Zuruf von der SPD: Oh!)

Ich trete damit ein in den Tagesordnungspunkt

1 Kinderschutz und Kinderrechte stär

ken – Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder (Kinderschutzkommission) des Landtags Nordrhein-Westfalen einrichten

Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/7756

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die Fraktion der CDU der Abgeordneten Schulze Föcking das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich einige Schlagzeilen aus den vergangenen Jahren zitieren:

2015: „Fußballtrainer gesteht Missbrauch“. 2016: „Gewalt und Missbrauch – Kinderärzte schlagen Alarm“, „50-Jähriger missbraucht seine Töchter live im Netz“. 2017: „Schlimmes Leid im Internat“. 2018: „Gruppe junger Männer soll Schülerinnen vergewaltigt haben“. Und dann in 2019 die schrecklichen Gräueltaten von Lügde und Bergisch Gladbach.

Für mich ist es unvorstellbar, was diese Kinder erlebt haben. Ich bekomme eine Gänsehaut, Fassungslosigkeit macht sich breit. Ich verspüre auch unglaubliche Wut in mir, wenn ich dennoch versuche, das Leid der jungen Opfer nachzuvollziehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit einigen Jahren wiederholen sich die Meldungen über Kinder, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind. Sie zeigen, wie akut die Themen Kindesmissbrauch und Kinderschutz immer wieder sind und auch, wie betroffen diese uns alle machen.

Ich möchte mich deshalb zunächst bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen herzlich dafür bedanken, dass Sie diesen Antrag parteiübergreifend auf den Weg bringen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Die NRW-Koalition und ich freuen uns, mit Ihnen für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen dieses Zeichen zu setzen. Es ist wichtig und angemessen, dass wir zu dieser Thematik parteiübergreifend Strukturen und Maßnahmen auf den Weg bringen, die den Kindern in Nordrhein-Westfalen wirklich helfen können.

Die allermeisten Kinder erfahren Liebe, Zuneigung, Aufmerksamkeit. Doch leider bildet dies nicht die Lebenswirklichkeit von allen Kindern ab. Es gibt Kinder, die Opfer werden von Vernachlässigung, Gewalt – psychisch wie physisch –, Opfer von Misshandlungen oder sexuellem Missbrauch. Es sind Grausamkeiten, die schon uns Erwachsenen das Blut in den Adern gefrieren lassen, aber kleinen Kinderseelen fügen sie unvorstellbar großes Leid zu, haben schwere, oft lebenslange Folgen.

In den vergangenen Monaten wurden Maßnahmen ergriffen, um die tragischen Ereignisse aufzuarbeiten. Es wurden ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss „Kindesmissbrauch“ und die

Stabsstelle im Innenministerium eingerichtet sowie eine Interministerielle Arbeitsgruppe mit dem Titel „Maßnahmen zur Prävention zum Schutz vor und Hilfe bei sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ gegründet. Mit diesen eingeleiteten Schritten sollen die nötigen Erkenntnisse aus den Fehlern auf allen Ebenen im Fall Lügde gewonnen werden, damit

diese sich nach bestem Ermessen in Zukunft nicht wiederholen.

Ich möchte an dieser Stelle den Ministern Reul und Stamp ausdrücklich für ihre Arbeit danken. In jeder Sitzung des Familienausschusses hat eine Berichterstattung zu den Geschehnissen in Lügde stattgefunden. Wir sind sofort informiert worden und haben den aktuellen Sachstand ausgetauscht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder, der ein Kind in seinem näheren Umfeld hat, weiß, wie schutzbedürftig ein so kleiner und gutgläubiger Mensch ist. Kinder haben ein unerschöpfliches Grundvertrauen, das ihnen bei Missbrauch zum Verhängnis wird. Ein Kind möchte man so gut beschützen und behüten wie eben möglich, in einem sicheren Umfeld im Familienkreis, in der Schule, im Kindergarten, im Leben. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass Hinweisen und Verdachtsfällen schnell nachgegangen werden kann.

Im aktuellen Fall sitzen neun Männer in Untersuchungshaft, sieben davon aus NRW. Sie werden verdächtigt, Kinder sexuell missbraucht zu haben. Fast ausschließlich sind die eigenen Kinder der Täter hier die Betroffenen – grausam, unvorstellbar. In einem Chat befanden sich allein 1.800 Teilnehmer. Ich finde, da wird das gigantische Ausmaß deutlich.

Ich frage mich immer und immer wieder: Wie kann man einem Kind so etwas antun? Wie ist es jemandem möglich, seinem eigenen Kind so etwas anzutun? Und wie kann so etwas unentdeckt bleiben? Was können wir tun, um künftig Kinder vor solchen abscheulichen Taten zu schützen?

Gerade in der eigenen Familie brauchen Kinder Schutz, Zuwendung und Fürsorge, Sicherheit. Wir können nur erahnen, wie schutzlos und verlassen sich diese Kinder in einem Moment gefühlt haben müssen, in dem ihr Vertrauen so entsetzlich missbraucht worden ist. Aus einer Situation wie dieser kann sich ein Kind nicht selbst befreien. Besonders als Mutter erschüttert mich dieser Gedanke zutiefst.

Vor diesem Hintergrund glaube ich im Übrigen, dass es zu einer wirkungsvollen Präventionsarbeit, die unsere Kinder wirklich vor sexuellen Übergriffen schützt, gehört, dass potenzielle Täter gar nicht erst zu Tätern werden, dass wir denen, die das Krankhafte ihres Verhaltens erkennen und sich selbst und andere vor sich schützen wollen, Angebote und Unterstützung leichter zugänglich machen. Das Projekt „Kein Täter werden“, das es zum Beispiel an der Universitätsklinik hier in Düsseldorf gibt, sei beispielhaft genannt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung geht für die gesamte Bundesrepublik Deutschland von bis zu einer Million von von sexuellem Missbrauch betroffenen Kindern und Jugendlichen aus – eine Million. Ich möchte hier

in aller Deutlichkeit und mit allem Nachdruck sagen: Jeder Fall von Kindesmissbrauch ist ein Fall zu viel, jedes Kind, das zum Opfer wird, ist ein Kind zu viel.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und Andreas Keith [AfD])

In Art. 6 Abs. 2 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen heißt es:

„Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Staat und Gesellschaft schützen sie vor Gefahren für ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl. Sie achten und sichern ihre Rechte, …“.

Diese verfassungsrechtliche Verankerung zeigt einmal mehr, dass in Nordrhein-Westfalen der Schutz von Kindern und Jugendlichen einen hohen Stellenwert hat. Wir als Landtag haben jetzt die Möglichkeit, diesen Anspruch ganz praktisch mit noch mehr Leben zu erfüllen und für weitere Verbesserungen beim Schutz von Kindern zu sorgen.

Der Deutsche Bundestag hat bereits im Jahr 1988 eine Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder eingesetzt. Dieses Modell wollen wir jetzt auf Nordrhein-Westfalen übertragen und einen Unterausschuss „Kinderschutzkommission“ einsetzen, der als feste Institution eingerichtet werden soll.

Kinder stehen für uns im Mittelpunkt unseres Handelns, und wir sind überzeugt, dass alles getan werden muss, um dem Kinderschutz einen herausragend hohen Stellenwert zu geben – gesellschaftlich, politisch und parlamentarisch.

Der Unterausschuss „Kinderschutzkommission“ wird mit den nötigen Befugnissen ausgestattet: Vergabe von Gutachten, Einholung von wissenschaftlicher Expertise sowie Durchführung von Anhörungen. Was wichtig ist: All dies wird protokolliert und dementsprechend festgehalten. Es sollen Perspektiven für die Weiterentwicklung des Kinderschutzes aufgezeigt werden.

Ich bin sehr froh, dass wir in der neuen Kommission unseren Blick auf die verschiedenen Bereiche richten und uns damit beschäftigen werden, wie Verstöße gegen Kinderrechte rechtzeitig wahrgenommen und im besten Fall mit Blick in die Zukunft verhindert werden können. Bei Gefahrensituationen im Umfeld der Kinder sowie möglichen Anzeichen, dass das Kind in seinem Schutz oder in seinen Rechten bedroht ist, brauchen wir Lösungen, um diese Anzeichen so früh wie möglich zu erkennen und Straf- oder Gewalttaten zu verhindern.

Hier soll der Unterausschuss ansetzen und klären, wie Verfahren optimiert werden können. Auch soll der Unterausschuss konkrete Vorschläge zum

Schutz der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen erarbeiten. Staatliche und kommunale Strukturen müssen ebenso berücksichtigt und überprüft werden.

Ein enger Austausch mit Verbänden, Organisationen und Einrichtungen, die sich für die Rechte und Interessen von Kindern und Jugendlichen einsetzen, ist von besonderer Bedeutung. Diese enge Zusammenarbeit kann helfen, vor allem Verfahren in Theorie und Praxis zu verbessern und – das ist ganz wichtig – eventuelle Systemlücken zu schließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir treffen mit der Einrichtung der Kommission für den Kinderschutz und für die Stärkung der Kinderrechte eine wichtige Entscheidung. Wir als Erwachsene haben die Möglichkeit zu helfen und dürfen nicht wegsehen, leugnen oder ignorieren. Wir tragen Verantwortung für den Schutz unserer Kinder und wollen dieser Verantwortung gerecht werden.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich glaube, wir sind uns alle einig, wenn ich sage: Kinder verdienen es, geschützt und behütet aufzuwachsen. Das ist ihr Recht. Lassen Sie uns den Fokus auf die Stärkung des Kinderschutzes richten und hierfür gemeinsam arbeiten und eintreten. Der Unterausschuss ermöglicht uns, die richtigen Maßnahmen gegen Missbrauch aller Art gemeinsam zu erörtern, aufzuzeigen und auf den Weg zu bringen.

Ich sehe unseren Beratungen positiv entgegen und freue mich auf die Zusammenarbeit zum Wohle unserer Jüngsten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)