Die Landesregierung meint, wir müssten nur alles entfesseln, dann werde schon alles gut in diesem Lande. Nein, meine Damen und Herren, es ist keine Zeit mehr für Marktentfesselung. Es ist keine Zeit mehr für interessengeleitete Lobbypolitik. Es ist auch keine Zeit mehr für „Privat vor Staat“.
Unsere Gesellschaft in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen steht unter Stress. Aktuell gehen gute Arbeitsplätze in der Industrie verloren: Bayer, thyssenkrupp, Kaufhof, Karstadt und Siemens bauen mehrere Tausend Arbeitsplätze ab – leider vor allem auch bei uns in Nordrhein-Westfalen.
Gerade Industriefacharbeiter fürchten, dass die digitale und ökologische Revolution ihre Arbeitsplätze gefährdet. Daneben entstehen immer mehr Arbeitsverhältnisse mit Zeitverträgen und im prekären Bereich.
In unseren Großstädten sind die Mieten so stark gestiegen, dass nicht nur Geringverdiener, sondern auch Menschen aus der Mittelschicht sich ein Leben in ihrer Heimat nicht mehr leisten können.
In Köln hat mittlerweile jeder zweite Einwohner einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein – natürlich ohne dafür sofort eine bezahlbare Wohnung zu bekommen. Allein dieses Beispiel zeigt schon, wie ernst die Lage ist.
Durch Tarifflucht und Lohndumping werden den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in NordrheinWestfalen Zahlungen in Höhe von 3,2 Milliarden Euro vorenthalten.
Wir nehmen wahr, dass Bildung ein sehr knappes Gut für die Eltern geworden ist. Es ist nicht genug von diesem Gut für alle da. Die KiBiz-Reform, die wir im Anschluss noch debattieren werden, wird dieses Problem noch weiter verschärfen. In den Schulen prägen Lehrermangel, schlechte Ausstattung und veraltetes Material vor allem in den benachteiligten Stadtteilen das Bild.
Mit anderen Worten: Die Verteilungsfrage ist in unsere Gesellschaft zurückgekommen und müsste ganz oben auf der Tagesordnung stehen.
Selten wurde eine Spaltung in der Gesellschaft so stark gefördert wie von dieser Landesregierung. Das zeigt Ihre Wohnungspolitik, und das zeigt Ihre Bildungspolitik.
Wir reden dieser Tage viel über Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel, und zwar völlig zu Recht. Aber über ein Phänomen sprechen wir im Augenblick viel zu selten, obwohl es mit am dringendsten Antworten verlangt: Ich spreche von der sozialen Ungleichheit.
Das ist auch die Frage nach Haben und Sagen in der Demokratie. Sie betrifft nicht nur die wachsende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen, sondern auch die Bildungschancen und nicht zuletzt die politische und kulturelle Teilhabe an demokratischer Mitbestimmung.
Es gibt Millionen Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte dieser Gesellschaft, die trotz der guten wirtschaftlichen Lage nicht das Gefühl haben, dass sie einen fairen Anteil bekommen.
Im Gegenteil: Ihrer harten Arbeit zum Trotz müssen sie miterleben, wie ihnen die materielle Anerkennung vorenthalten wird, die sie sich verdient haben, denn Deutschland leistet sich nach Großbritannien den größten Niedriglohnsektor in Westeuropa. Dabei sind sie die Vielen in unserer Gesellschaft mit vielen gemeinsamen Interessen.
Auch die Schülerinnen und Schüler der Klimaschutzbewegung sind eben nicht die Gegner von Stahlarbeitern oder Karosseriebauern. Auch Stahlkocher wollen Klimaschutz, und auch die Klimaschützer – davon bin ich fest überzeugt – wollen später gute und sichere Arbeitsplätze.
Das ist auch möglich. Wenn wir es richtig machen, wird dank der ökologischen und digitalen Revolution ein neuer, nachhaltiger Wohlstand entstehen können – vorausgesetzt, der Staat investiert auch massiv in diesen Bereichen.
Ohne staatliche Mitwirkung funktioniert der Markt in diesen Bereichen leider nicht. Wir brauchen ein neues Energiesystem. Wir müssen in neue Verkehrssysteme, in digitale Netze und in technologische Herausforderungen investieren.
„(…) es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt.“
Das ist ein Zitat, und dieser Satz ist richtig. Er stammt aber nicht von Kevin Kühnert oder von mir, sondern von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.
Diesen Satz sollten Sie von den Regierungsfraktionen sich einmal sehr genau anschauen. Ich glaube, wir müssen ihn beherzigen.
Deswegen, meine Damen und Herren, ist es auch nach zweieinhalb Jahren Regierungszeit höchste Zeit für Sie für einen Kurs- und Politikwechsel hier in Nordrhein-Westfalen.
Unsere Sozialsysteme werden nicht mehr länger standhalten könne. Altersarmut beginnt schon in einem früheren Stadium, nicht zum Zeitpunkt der Beschäftigung. Wenn Beschäftigung nicht ausreichend finanziert wird, ist Altersarmut programmiert.
Lassen Sie uns deshalb doch gemeinsam starkmachen für einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro. Das sieht auch Herr Laumann so; nur leider hat er nicht die entsprechende Unterstützung im Kabinett.
Ich würde mich freuen, wenn die Landesregierung sich auf Bundesebene etwas mehr dafür einsetzen könnte. Das wäre sicherlich im Interesse der Beschäftigten in diesem Lande.
Wir müssen den Wohnungsbau auch so fördern, dass auch Normal- und Geringverdiener eine Chance haben. Das geht nur mit einer stärkeren Förderung des öffentlichen Wohnungsbaus; das geht aber auch nur mit einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft.
Es war falsch, dass sich der Staat aus dem Bereich Wohnungsbaupolitik so stark zurückgezogen hat wie unter der Regierung Rüttgers damals.
Wir müssen die Mittel hier drastisch erhöhen. Wir werden Ihnen in der dritten Lesung zum Haushalt die Chance geben mitzuwirken. Wir werden entsprechende Anträge stellen.
Wir dürfen die Jüngsten in dieser Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren. Allein in Nordrhein-Westfalen bekommen 600.000 Kinder Leistungen über den ALG-II-Bezug, über Hartz IV – ein System, das zum Ausgleich von Arbeitslosigkeit geschaffen worden ist.
600.000 Kinder in Nordrhein-Westfalen sind nicht arbeitslos. Sie brauchen keinen Job, sie brauchen ein vernünftiges Auskommen, sie brauchen eine vernünftige finanzielle Absicherung. Sie brauchen eine vernünftige Kindergrundsicherung. Jetzt ist die Zeit für eine vernünftige und gerechte Kindergrundsicherung gekommen.
Sie brauchen ein gutes Schulsystem in diesem Land, und sie brauchen mehr Talentschulen – nicht nur 60.
Ich muss noch nicht mal auf einer Talentschule gewesen sein, Frau Gebauer, um zu wissen, dass das maximal 1 % aller Schulen ist. Hier muss deutlich mehr passieren. Ich hoffe, Sie machen das jetzt auch bald.
Wir müssen unsere Kommunen unterstützen. Lebensqualität, Aufenthaltsqualität beginnt da, wo die Menschen direkt vor Ort wohnen. Befreien Sie die Kommunen von den Altschulden. Auch da könnten Sie als Landesregierung von Nordrhein-Westfalen einen deutlich größeren Beitrag leisten.
Die Bundesregierung bewegt sich gerade, die Landesregierung sitzt aber auf ihren Sesseln und will überhaupt nichts tun. Das ist schändlich für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen.
Es geht um Solidarität in dieser Gesellschaft. Solidarität ist die Grundlage für den sozialen Fortschritt, denn fair geht mehr. Wir müssen in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft dafür sorgen, dass auch zusammenbleibt, was zusammengehört.
Jeder Mensch in diesem Land muss die Botschaft hören: Du bist es wert. – Das ist im Interesse der Vielen in Nordrhein-Westfalen.
Wir stellen uns gegen das „weiter so“ in der Politik der Spaltung. Ob Mieten, Arbeitnehmerrechte, Umwelt oder Chancengleichheit: Wie es heute läuft, kann es in Zukunft nicht bleiben.
Unser Auftrag ist es: für die Vielen, nicht die Wenigen, von nun an jeden Tag aufs Neue. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.