Ich möchte auf meine beiden Vorredner aus den Koalitionsfraktionen eingehen. Sie haben gesagt, die Staatsanwaltschaft sehe keinen Anfangsverdacht und nehme keine Ermittlungen auf, und damit habe sich die Frage der Lüge quasi erledigt.
Also, ich sage es mal so: Die strafrechtliche Dimension ist das eine; wir sind hier aber nicht vor Gericht, sondern im Parlament. Die politische Dimension ist das andere.
Nur weil die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen aufnimmt, sind nicht merkwürdige Erinnerungslücken beim Minister und bei der ehemaligen Ministerin legitimiert und auch nicht merkwürdige Zufälle erklärt, warum der Justizminister während laufender Ermittlungen den ermittelnden Staatsanwalt anruft, die Betroffene anruft, aber sagt, mit ihr niemals über die Ermittlungen gesprochen zu haben. Hier hat sich ein Justizminister einfach rauszuhalten. Das ist der Punkt.
Sie sagen, das müsse man alles im Untersuchungsausschuss regeln. Ich sage Ihnen: Ein Justizminister in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist nicht irgendein Zeuge. Eine mögliche Falschaussage eines Kabinettsmitglieds gegenüber dem Parlament hat das Parlament zu interessieren. Das gehört hier ins Plenum. Wohin denn sonst?
Abschließend: Sie haben den Sinn dieses Untersuchungsausschusses infrage gestellt und gesagt, es sei doch nur ein Bedienfehler eines Familienmitglieds gewesen. Ich sage es Ihnen noch einmal – wir haben es Ihnen schon so oft gesagt –: Es geht in diesem Untersuchungsausschuss nicht nur um irgendwelche technischen Bedienfehler. Es geht vor allen Dingen darum, dass sich das Parlament und die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land darauf verlassen können müssen, dass alles, was die Regierung sagt, den Tatsachen entspricht. Ob das in diesem Fall so war
und ob das auch für den Regierungssprecher gilt, ist auch Gegenstand des PUA. Da bestehen zu Recht Zweifel. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert: Der Minister zieht sich formaljuristisch auf das PUA-Gesetz zurück. Das ist sein gutes Recht.
Wie aber kann es dann dazu kommen, dass durch die regierungstragenden Fraktionen vorweggenommene Beweiswürdigungen vorgenommen werden?
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Jo- sef Hovenjürgen [CDU]: Wo denn? – Weitere Zurufe von der CDU)
Und wie kann es dazu kommen, Herr Minister, dass Sie von angeblich platzenden Bomben reden, um dann zu sagen, Sie erklärten sich über Ihre Pressesprecher bzw. über Ihre Presseabteilung gegenüber den Journalisten? Wir sind hier in einem Parlament und haben das Recht, über Gegenstände zu reden, die eben nicht Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sind. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt einen Film mit dem Titel „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“. Hier könnte der Titel lauten: „Ich weiß nicht mehr, was ich tue“.
Wissen Sie, Herr Biesenbach und die regierungstragenden Fraktionen: Es ist in Ordnung, dass Sie sich hinter Formalia verstecken. Es geht hier auch nicht um eine strafrechtliche Bewertung durch das Parlament. Aber eines muss doch wohl klar sein: Wir müssen uns auf die Aussagen eines Justizministers in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss verlassen können. Wenn wir das nicht mehr können, dann ist es mit der parlamentarischen Demokratie nicht mehr weit her.
Das Ganze hätte man sich ohnehin leicht ersparen können, wenn nämlich Frau Schulze Föcking in der Lage gewesen wäre, ihren Irrtum schlicht und ergreifend einzuräumen, anstatt das Parlament wochenlang in dem Glauben zu lassen, sie sei Opfer eines Hackerangriffs geworden, obwohl sie genau wusste, dass sie nicht Opfer eines Hackerangriffs geworden ist.
Dann hätten Sie Ihrem Justizminister die Aussage vor einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ersparen können, und dann hätten Sie dem Steuerzahler Kosten von 1,2 Millionen Euro aufgrund
Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Ihr Verhalten im Zusammenhang mit den Aussagen von Herrn Biesenbach, der sich an das Telefonat mit Ihnen nicht erinnern kann, sich aber sehr wohl daran erinnern kann, was er mit Ihnen nicht besprochen haben will, erinnern an: vertuschen, verschleiern, verschweigen, nichts zugeben, bevor es nicht zugegeben werden muss. Genau das führt immer wieder dazu, dass die Leute in diesem Land politikverdrossen sind.
Herr Biesenbach, wenn man jemanden fragt, was er letzte Woche Donnerstag gemacht hat, und dieser nicht in seinen Kalender schaut, dann wird er sich – das gilt sicherlich auch für die große Mehrheit dieses Hauses – wahrscheinlich nicht im Detail daran erinnern können, was er letzte Woche Donnerstag gemacht hat.
Wenn aber in einem solchen Zusammenhang, nämlich Hackeraffäre Schulze Föcking, mit der Staatsanwaltschaft telefoniert wird und man sich auch daran erinnern kann, dann kann man sich normalerweise auch daran erinnern, was man unmittelbar danach getan hat. Denn das ist ein Sonderfall, das ist eine besondere Situation, das ist kein Alltag gewesen.
Sie haben als Justizminister den Staatsanwalt befragt zu einer Untersuchung in einer bestimmten Sache, die Ihre Parteikollegin betroffen hat. Daran muss man sich normalerweise erinnern können.
Wenn man dann als Zeuge vor einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss geht und dazu befragt wird, dann sollte man doch zumindest sagen, dass es einem nicht mehr erinnerlich ist, aber doch bitte nicht mit „nein“ antworten. Das können Sie dem Parlament und dem Untersuchungsausschuss nicht zumuten. Da erwarte ich von Ihnen künftig mehr Glaubwürdigkeit, Herr Biesenbach. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, da mir keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich diese Aktuelle Stunde.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion der SPD Herrn Abgeordneten Kutschaty das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich war in diesem Sommer auf „Respekt-Tour“ in Nordrhein-Westfalen und habe mich mit ganz vielen Menschen getroffen, die – egal ob haupt- oder ehrenamtlich – so viel für unsere Gesellschaft tun.
Was ich da gesehen und gehört habe, hat mich beeindruckt und teilweise begeistert. An der einen oder anderen Stelle hat es mich aber auch sehr bedrückt.
Ich habe zum Beispiel einen Tag lang bei der Müllabfuhr mitgearbeitet. Ich habe mitbekommen, wie respektlos die dort Beschäftigten teilweise von Menschen aus der Bevölkerung angegangen wurden.
Ich habe einen Paketboten getroffen, der für seine anstrengende Tätigkeit gerade mal auf einen realen Stundenlohn von 5 Euro brutto gekommen ist.
Ich habe ein Krankenhaus besucht und dort mit einer Reinigungskraft gesprochen. Diese Reinigungskraft muss pro Stunde 200 m² Patientenzimmer reinigen. Das schafft kein Mensch. Weil das so ist, wird keine der Reinigungskräfte mehr in Vollzeit eingestellt, sondern nur noch in Teilzeit. Arbeit für Vollzeit machen sie allerdings trotzdem.
Ich habe in demselben Krankenhaus mit Kräften gesprochen, die Essen und Medikamente für die Patienten zusammenstellen. Haben Sie eine Vorstellung, wie lange diese Kräfte Zeit dafür haben, ein Tablett mit Essen und Medikamenten für die Patienten fertigzustellen? – 5 Sekunden pro Patient. Sie haben 5 Sekunden, um abzuwägen, welche Erkrankungen, Unverträglichkeiten und Allergien vorhanden sind und welche Medikamente nötig sind.
Ich habe danach Verantwortliche in dem Krankenhaus gefragt, wie es sein kann, dass wir jedes Jahr in deutschen Krankenhäusern eine hohe Anzahl an Toten und Verletzte durch multiresistente Keime haben und ob es da möglicherweise einen Zusammenhang gibt.
Die Antwort lautete leider: Klar, diesen Zusammenhang gibt es. Natürlich hat es mit den Arbeitsbedingungen zu tun, dass in Deutschland jedes Jahr über 30.000 Menschen an den Folgen von multiresistenten Keimen sterben.
Was machen wir, was macht unser Gesundheitsminister? – Er redet nur über die Landarztquote. Da könnten wir mit wenig Geld eine ganze Menge für das Wohl und für die Gesundheit der Menschen in unserem Land tun.
Dieses eine Beispiel aus dem Gesundheitsbereich macht deutlich, dass der Markt eben nicht alles regelt. In manchen Bereichen muss der Markt geregelt werden. Viele Menschen spüren jeden Tag das Marktversagen.
Die Landesregierung meint, wir müssten nur alles entfesseln, dann werde schon alles gut in diesem Lande. Nein, meine Damen und Herren, es ist keine Zeit mehr für Marktentfesselung. Es ist keine Zeit mehr für interessengeleitete Lobbypolitik. Es ist auch keine Zeit mehr für „Privat vor Staat“.