Protokoll der Sitzung vom 23.01.2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 79. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt; die Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiern heute Heike Troles von der Fraktion der CDU

(Allgemeiner Beifall)

und Frank Börner von der Fraktion der SPD.

(Allgemeiner Beifall)

Herzliche Glückwünsche und alles Gute im Namen aller Kolleginnen und Kollegen!

Ich rufe auf:

1 Ein Paket der Vernunft für Klimaschutz, Fair

ness und Wettbewerbsfähigkeit – NordrheinWestfalen ist Vorreiterland der Energiewende

Unterrichtung der Landesregierung

Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/8513

In Verbindung mit:

Bund-Länder-Einigung beim Kohleausstieg: Ministerpräsident Laschet muss sich gegenüber dem Parlament erklären

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/8495

In Verbindung mit:

Nach dem Ausstieg aus der Kohleverstromung: Wo kommt in Zukunft der Strom her?

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/8496

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 17. Januar mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag zum Thema „Ein Paket der

Vernunft für Klimaschutz, Fairness und Wettbewerbsfähigkeit – Nordrhein-Westfalen ist Vorreiterland der Energiewende“ zu unterrichten.

In Verbindung mit der Unterrichtung haben die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD jeweils mit Schreiben vom 20. Januar gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Die Aussprache zur Unterrichtung wird vereinbarungsgemäß in Verbindung mit der Aktuellen Stunde der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Aktuellen Stunde der Fraktion der SPD durchgeführt.

Die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgt durch den Ministerpräsidenten Armin Laschet. Ich erteile Herrn Ministerpräsident Armin Laschet das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute das dritte Mal innerhalb von nur zwölf Monaten, dass ich Sie, die Abgeordneten des Landtags, über den Fortgang der Beratungen zum Ausstieg aus der Kohleverstromung unterrichte. Schon daran sieht man: Der Kohleausstieg ist ein historisches Projekt, das Deutschland und Nordrhein-Westfalen gleichermaßen in Atem hält.

Wir haben uns vor nicht allzu langer Zeit gemeinsam sehr bewusst und feierlich vor Augen geführt, was unser Land der Kohle verdankt. Der Blick zurück aus Anlass der Beendigung des Steinkohlebergbaus im Dezember 2018 hat jeder und jedem gezeigt, dass Nordrhein-Westfalen ohne die Kohle nicht das wäre, was es heute ist:

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

ein Industrie- und Wirtschafsstandort von Weltrang, ein Land, in dem viele Millionen Menschen einer anspruchsvollen, gut bezahlten Arbeit in der Industrie oder im Dienstleistungsgewerbe nachgehen und vor allem im globalen Maßstab eine Region, die zu den wohlhabendsten der Erde gehört und die Sehnsuchtsort von Millionen Menschen ist, die in anderen Erdteilen leben.

Und nun: nach der Steinkohle auch die Braunkohle. Nach mehr als 150 Jahren erfolgreicher Industriegeschichte in diesem Land werden wir das Wagnis eingehen, uns von diesem Rohstoff unseres Erfolgs zu trennen – vielleicht noch besser: zu emanzipieren.

Wir werden diesen Schritt aus guten Gründen gehen; denn es ist an der Zeit, dem Klimawandel mit aller Kraft entgegenzutreten – für unsere Umwelt und ihre einzigartigen Lebensräume, für kommende Generationen in Deutschland, Europa und der Welt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Ausstieg Deutschlands aus der Kohleverstromung ist ein unabdingbarer Beitrag zum Klimaschutz.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Dieser Ausstieg stellt jedoch zugleich einen beispiellosen Einschnitt in einen Pfeiler unserer Industriegesellschaft dar. Es gibt also viel zu gewinnen, aber, wenn es falsch gemacht wird, auch viel zu verlieren.

(Thomas Röckemann [AfD]: Sie haben ja so recht!)

Die Energiewende und der Kohleausstieg werden nur dann ein Erfolg, wenn sie einen echten, messbaren Mehrwert für den Klimaschutz erreichen, aber zugleich die Grundlagen unseres Wohlstands nicht gefährden.

Genau das war das Motiv, weshalb ich gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Stephan Weil, im Rahmen der Sondierungen zur Großen Koalition im Bund Anfang 2018 die Einrichtung der Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ verabredet habe.

Damals lag es auf der Hand, dass es ein Weiter-wieBisher nicht geben konnte, weil gravierende und bleibende Schäden für unseren Wirtschaftsstandort, aber auch für unsere Gesellschaft zu befürchten waren.

Es gab ständig Diskussionen über Gigawatt, über Kohlekapazitäten usw. Wir haben es im Jahr 2015 erlebt, als der damalige Bundeswirtschaftsminister eine Sicherheitsbereitschaft vereinbarte. Bei den Jamaika-Verhandlungen ging es nur um Gigawattangaben, ohne dass dem eine Gesamtstrategie zugrunde lag.

Hier war die Entscheidung der Großen Koalition: Wir brauchen alle Beteiligten – die Gewerkschaften, die Wirtschaft, die Region und die Umweltverbände. Die müssen einen Konsens erarbeiten, der einen gesellschaftlichen Großkonflikt um die Kohle lösen kann, langfristige Planungssicherheit geben kann und Versorgungssicherheit schaffen muss.

Bereits die Einsetzung der Kommission, in der der BDI und „Buirer für Buir“, die IG BCE und Greenpeace zusammengesessen haben, war ein großer Erfolg, der vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre.

Für mich steht heute schon fest: Es war ein politisches Wagnis, eine solche Kommission zu berufen, aber es hat sich gelohnt. Die Kommission hat vor fast einem Jahr, im Januar 2019, einen umfangreichen Fahrplan für einen Kohleausstieg bis spätestens 2038 vorgelegt. Es war ein Meilenstein für den Klimaschutz. Wenn die Bundespolitik jetzt dabei ist, das in Gesetze zu gießen, gilt unser Dank denen, die an diesen Gesprächen beteiligt waren und diesen Vorschlag gemacht haben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Respekt verdient das Ergebnis der Kommissionsarbeit, weil man sich nicht einfach auf einen Ausstiegsfahrplan verständigt hat. Nein, man hat zugleich Empfehlungen für flankierende Maßnahmen vorgelegt, die sicherstellen sollen, dass das Vorhaben für alle Beteiligten eine Erfolgsgeschichte wird.

Dies sind: Strukturförderung für die Reviere durch Hilfe des Bundes; Fairness gegenüber den vom Ausstieg betroffenen Arbeitnehmern; Sicherung der Innovationsfähigkeit der Energiewirtschaft durch angemessene Entschädigung der Unternehmen, die ja noch im Jahr 2016 Rechtstitel bekommen haben, wie lange sie Kohle abbauen können, und dafür in einem Rechtsstaat natürlich entschädigt werden müssen; schließlich Kompensation von Strompreissteigerungen zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie, die gerade rund um das Rheinische Revier – Aluminium, Chemie und viele andere – darauf angewiesen ist, dass sie zu jeder Zeit bezahlbaren Strom erhält.

Mit der Empfehlung, den Hambacher Forst zu erhalten, gab die Kommission auch eine klare Empfehlung zum Umgang mit dem gesellschaftlichen Konflikt. Mit dem Erhalt des Hambacher Forstes ist natürlich kein Beitrag zum Klimaschutz verbunden. Das Waldstück ist in erster Linie ein Symbol. Aber man darf nicht verkennen, dass auch Symbole manchmal wichtig sind, wenn die Politik zeigen will, dass sie verstanden hat und ein Thema ernst nimmt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Umsetzung dessen, was die Kommission vor einem Jahr gemacht hat, hat zu lange gedauert. Für den Durchbruch in der vergangenen Woche hat es erneut eines Gesprächs mit der Bundeskanzlerin, mit dem Bundesfinanzminister, mit der Bundesumweltministerin, mit dem Chef des Kanzleramts, mit dem Wirtschaftsminister und mit den Ministerpräsidenten der betroffenen Länder bedurft. Es zeigt sich: Einer allein kann den Ausstieg aus der Kohleverstromung nicht entscheiden. Es ist ein Gemeinschaftswerk. Dass alle jetzt dazu Ja sagen, ist ein gutes Signal.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nun müssen wir prüfen – und das wird die Debatte zeigen –, ob all die wesentlichen Punkte der Kommission umgesetzt worden sind.

Erstens: klarer Ausstiegspfad. Die Bundesregierung hat mit den Unternehmen einen ambitionierten Ausstiegspfad verhandelt – blockscharf, auf jeden einzelnen Block jedes Kraftwerks berechnet, und monatsscharf, mit klaren Daten, wann was passiert. Damit werden die Beiträge zum Klimaschutz erreicht, die man, abgeleitet vom Pariser Klimaschutzabkommen, in der Kommission übersetzt hatte.

Zweitens: Strukturwandel. Mit einem Budget von 40 Milliarden Euro soll die Transformation der Reviere so gestaltet werden, dass dort nachhaltige Perspektiven für Wachstum und Beschäftigung entstehen. Die Instrumente, die notwendigen Strukturen und die Projekte sind im Gesetz angelegt.