Protokoll der Sitzung vom 12.02.2020

Aktuell ist der komplette Verzicht auf Tierversuche noch nicht möglich. Ich verstehe den Wunsch danach, der ja auch immer wieder aus verschiedenen Kreisen vorgetragen wird, aber noch ist die Medizin nicht so weit. Für die Entwicklung von Medikamenten gegen schwere Erkrankungen ist es nach wie vor erforderlich, diese an Tieren zu testen. Ich glaube, das kann jeder menschlich nachvollziehen. Gibt es eine neue Substanz und fragt man, ob man die Substanz, mit der wahrscheinlich, zu 80 %, ein erkranktes Baby

geheilt werden kann – wir wissen es aber nicht genau; wir müssen es testen –, an dem Baby oder an einer Ratte testen soll, dann werden sich die meisten Menschen dafür entscheiden, es zunächst an der Ratte zu testen. Und das ist ein Tierversuch. Das ist nicht schön, aber aktuell leider noch nicht zu ändern.

Deshalb ist es auch grundsätzlich kein Makel, dass es in Nordrhein-Westfalen relativ viele Tierversuche gibt. Es ist in der Sache traurig, aber grundsätzlich erst einmal auch Ausdruck einer lebendigen und aktiven Forschungslandschaft, auf die wir stolz sein können, weil sie auch viel Gutes für die Menschen hier auch bei uns in Nordrhein-Westfalen hervorbringt.

Sofern Alternativen bestehen, sind sie allerdings definitiv zu nutzen. Bei allem, was kosmetisch ist, sind Tierversuche ohnehin verboten, oder sind sie da, wo es sie noch gibt, aus Sicht der Freien Demokraten definitiv umgehend zu verbieten. Das ist nicht tierschutzgerecht, und das können wir auch der Schöpfung nicht antun.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Lassen Sie diese Sätze einfach weg!)

Wir sind bei der Überlegung bestmöglicher Alternativen zu Tierversuchen schon definitiv weiter. Das im Antrag angesprochenen 3R-Prinzip „Replace, Reduce, Refine“ ist ein wichtiger Schritt, zu Recht auch schon in der einschlägigen EU-Richtlinie angelegt. Um Tierversuche durchzuführen, bedarf es einer entsprechenden Erlaubnis. Hier wird überprüft, ob diese 3R-Kriterien eingehalten werden. Nur dann darf ein Tierversuch durchgezogen werden. Insofern bestehen an dieser Stelle ausreichende gesetzliche Grundlagen.

Darüber hinaus setzen wir uns weiterhin intensiv dafür ein, auch die letzten Tierversuche überflüssig zu machen. Mehrfach angesprochen wurde bereits das CERST NRW, das – wortwörtlich – die Etablierung des humanen induzierten pluripotenten Stammzellentests als Alternative zum Tierversuch bei der Untersuchung des Embryo und entwicklungstoxischen Potenzials von Chemikalien erforscht. Das Ziel ist natürlich, zu prüfen, ob Medikamente auf die Entwicklung von ungeborenen Kindern wirken, also während sie noch im Mutterleib sind. Da sollen menschliche Stammzellen verwendet werden, die aus Hautzellen gewonnen werden.

Das ist ein sehr vielversprechender Ansatz, um auch in diesem sensiblen Bereich dauerhaft ohne Tierversuche auszukommen. Das hat schon die rot-grüne Vorgängerregierung etabliert. Es ist ein tolles Projekt, das wir als Koalition gerne vorgefunden, weitergeführt und auch unterstützt haben. Es hat auch Eingang in unseren Koalitionsvertrag gefunden.

Wir wollen damit Tierversuche überwinden. Das verbindet uns am Ende alle. Wir sind aber schon auf einem guten Weg und freuen uns über die weitere breite Unterstützung für den Kurs der Landesregierung. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Diekhoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Rüße.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Hat die Landesre- gierung schon Urlaub?)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Grundsätzlich ist es gut, dass wir über Tierversuche hier im Landtag sprechen. Es ist ein wichtiges Thema.

In der vergangenen Woche habe ich an einem WDRStadtgespräch in Münster zu genau diesem Thema teilgenommen. Die Verantwortlichen vom WDR waren sehr überrascht, wie voll es war, wie übervoll der Raum war, in dem das stattfand. Damit haben sie nicht gerechnet. Das zeigte einmal mehr, dass dieses Thema die Menschen in Nordrhein-Westfalen bewegt.

Frau Winkelmann, Sie haben gesagt – ich sehe sie jetzt gar nicht; sie ist wohl nicht mehr da –, Sie wollen, dass das Thema sachlich angegangen wird.

Ja, das ist grundsätzlich richtig, aber es fällt einem schwer, sachlich über Tierversuche zu sprechen, wenn man die Bilder aus Hamburg im Kopf hat, die Bilder des Versuchslabors LPT, das jetzt geschlossen wird, das aber jahrelang mit seiner Arbeit so akzeptiert worden und durch Kontrollen so durchgegangen ist. Das überrascht einen an der Stelle schon und zeigt, dass in diesem Bereich nicht alles so in Ordnung ist, wie es sein müsste.

Der Tierschutz ist seit 20 Jahren im Grundgesetz verankert. Das will ich deutlich sagen. Dies verändert einiges. Wir haben als Politik den Auftrag, die Tiere zu schützen. Bei einigen Tierversuchen, die stattfinden, kann man sehr wohl die Sinnfrage stellen, warum wir das machen, warum man Tieren das antut.

Es ist nicht nur im Grundgesetz, sondern – wie gesagt – auch bei den Menschen zutiefst verankert. Herr Diekhoff, ja, Sie haben recht, wir alle wollen neue Medikamente haben.

Die Frage ist aber – diese stellen sich auch die Menschen, wenn sie sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen –, welchen Beitrag Tierversuche bei dem Finden neuer Medikamente tatsächlich noch leisten, wenn man weiß, dass bei Tierversuchen

Substanzen als wirksam und für den Menschen verträglich getestet werden, aber von 100 Substanzen, die aus dem Tierversuch heraus- und in die klinische Studien hineingehen, gerade einmal fünf Substanzen übrigbleiben, weil sie eben doch nicht vom Menschen vertragen werden oder sie beim Menschen nicht die Wirkung erzielen, die sie erzielen sollten.

Und da sind wir bei einem Kernproblem: Tier und Mensch unterscheiden sich fundamental. Man muss sich natürlich mal die Frage stellen, ob es Sinn macht, Bandscheibenersatzsubstanzen am Schaf zu testen. Die Belastung der Wirbelsäule des Menschen ist völlig anders als die des Schafes. Es macht überhaupt keinen Sinn, einen solchen Test durchzuführen. Den mag man vorschreiben, aber sinnvoll ist er noch lange nicht.

Eben wurde gesagt, wir sind bei der Vermeidung von Tierversuchen vorangekommen. – Nein, die Anzahl der Tierversuche stagniert. Sie geht mal etwas herunter, dann geht sie wieder herauf. Wir haben einen Austausch erlebt. Die Pharmahersteller verwenden in der Tat immer weniger Tiere, gehen längst auf Alternativmethoden über. Dr. Klaus Brehm von Bayer hat es deutlich gesagt. Er glaubt, dass in 20 Jahren Tierversuche überflüssig sein werden. Für seine Sparte ist das so.

Aber wir erleben, dass in der Grundlagenforschung immer mehr Tiere verwendet werden. Vor 30 Jahren waren es in der Grundlagenforschung in NordrheinWestfalen von 300.000 Tieren 10 %, heute ist es die Hälfte der Tiere.

Wir müssen uns fragen: Was passiert denn da? Sind diese Versuche alle sinnvoll? – Es muss einem doch wirklich zu denken geben, wenn der Leiter des amerikanischen Krebsforschungsinstituts sagt, man könne seit Jahrzehnten Krebs an Mäusen heilen, nur kriegt man es beim Menschen nicht hin.

Dann müssen wir doch darüber nachdenken, welchen Sinn diese Tierversuche machen, wenn wir an Tieren etwas ausprobieren und hinbekommen, es aber überhaupt nicht in die Realität übertragen bekommen.

Bei LPT ist jetzt aufgedeckt worden, dass dort ist in riesigem Umfang geschlampt worden. Tierversuche wurden gefälscht. Affen wurden, wenn sie gestorben sind, einfach durch illegale Affen ersetzt. Man hat einfach einen anderen Affen an die Stelle gesetzt und gesagt: Da ist gar nichts passiert.

(Unruhe und teilweise Heiterkeit)

Es ist unmöglich, an der Stelle so vorzugehen.

Wir haben mittlerweile eine Menge anderer Möglichkeiten, Substanzen zu testen. Wer sich mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzt, wird feststellen, dass wir sehr wohl sehr viel weiter sein und auf sehr viele Tierversuche verzichten könnten.

Wir haben die Multiorganchips, wir haben Organoide, wir haben so viele gute Ansätze, die viel bessere Testmöglichkeiten ermöglichen als Tiere. Für einen klassischen Tierversuch im Bereich der Medikamentenforschung braucht man 1.000 Tiere; das ist vergleichsweise wenig.

Die Redezeit.

Wenn man das an Zellkulturen macht, könnte man gleichzeitig 10.000 Tests machen, deutlich mehr, deutlich sicherer. Daher könnten wir auf Tierversuche deutlich besser verzichten.

Das CERST ist erwähnt worden; das wird in Ihrem Antrag nicht erwähnt, was ich äußerst traurig finde. Es fehlt so einiges.

Auch dass der Antrag direkt abgestimmt wird, halte ich für falsch. Es ist ein wichtiges Thema, über das wir diskutieren sollten; das tun wir nicht. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen.

Wir verstehen gar nicht, …

Die Redezeit.

… dass die für den Tierschutz zuständige Ministerin hier und heute nicht diskutiert, sondern Sie, Frau Pfeiffer-Poensgen. Dafür fehlt mir das Verständnis. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Dr. Blex.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, mich verwundert schon, dass für Herrn Rüße die Affen illegal sind, während es die Menschen nicht sind. Ich glaube, Sie müssten eher sagen: Kein Affe ist illegal.

Herr Rüße legte in seinem Beitrag doch ein bisschen eine abstruse Logik an den Tag: Sie wollen lieber gar nichts erforschen, als zumindest etwas zu erforschen. – Das ist für mich nicht ganz nachzuvollziehen.

Ansonsten ist von den Vorrednern zu diesem Antrag alles gesagt worden. Wenn man die Sache hätte bearbeiten wollen, hätte man das im Umweltausschuss machen können. Auch wenn die drei Abgeordneten dort nicht stimmberechtigt sind, könnten sie zumindest daran teilnehmen. – Tun sie nicht, interessiert sie nicht weiter.

Zu dem Antrag ist alles gesagt worden. Wir lehnen ihn ab.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Blex. – Als nächste Rednerin hat nun für die Landesregierung Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ein möglichst schonender und verantwortungsvoller Umgang mit Tierversuchen in Wissenschaft und Forschung ist der Landesregierung ein wichtiges Anliegen. Es ist hier schon deutlich geworden, dass es wenige Konflikte gibt. Wir wollen das alle, aber das will die Landesregierung natürlich auch.

Wesentliche Rechtsrahmen sind von den ersten beiden Rednerinnen schon dargestellt worden. Ich versuche das, für mich ein bisschen zusammenzufassen: Die geltenden Bestimmungen des Tierschutzgesetzes bilden einen stabilen Rechtsrahmen, der Tierversuche überhaupt nur dann zulässt, wenn sie absolut unerlässlich sind und die Einhaltung durch die zuständigen Kontrollorgane überwacht wird.

So bedürfen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen, die Tiere für wissenschaftliche Zwecke halten oder züchten und Tierversuche durchführen, zunächst einer Erlaubnis und unterliegen dann zum Schutz der Tiere konkreten Anforderungen an die Haltung.

Eine Kontrolle des Zustandes und der Belastung der Tiere sowie der Einrichtung selbst erfolgt für jeden Tierversuch in regelmäßigen Abständen und auch anlassbezogen durch die zuständigen Ordnungsbehörden. Die Frequenz der Kontrollen der Einrichtungen liegt übrigens häufig höher als gesetzlich vorgesehen.

Grundsätzlich werden – wie gesagt – Tierversuche auch nur dann überhaupt genehmigt, wenn sie absolut unerlässlich sind. Dabei wird selbstverständlich auch geprüft, ob Ergänzungs- oder Alternativmethoden zur Verfügung stehen.

In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass Nordrhein-Westfalen bei der Weiterentwicklung der Förderung von Ergänzungs- und Alternativmethoden zu Tierversuchen – auch das wurde hier bereits angesprochen – sehr aktiv ist.