Auch hinsichtlich der politischen Reife kann festgestellt werden, dass auch die jüngsten Wahlberechtigten in der Lage sind, die Parteien zu wählen, die ihre Meinungen am besten widerspiegeln. Überhaupt ist der Vorwurf eines zu geringen Wissens und einer uninformierten Entscheidung fragwürdig. Unser Wahlrecht kennt keinen Wissens- oder Eignungstest. Es wäre allerdings interessant, ob dieser bei älteren Wahlberechtigten so viel besser ausfiele als bei den jüngeren.
Ein anderes Argument der Kritiker besagt, dass eine Absenkung des Wahlalters keine Akzeptanz bei Jugendlichen fände. In der Tat stehen viele Jugendliche einem Wahlalter von 16 Jahren skeptisch gegenüber, während ihre Interessensvertretungen vom Landesjugendring bis zur Landesschülervertretung, aber auch von den Jungen Liberalen bis zum Bund der Katholischen Jugend dafür werben. Die Umfragen messen allerdings immer die Einstellung vor einer Reform des Wahlalters. Die Akzeptanz dürfte steigen, wenn eine Reform eingeführt wird. Das zeigt auch das Beispiel Österreichs.
Schließlich gibt es noch das Argument, die Jugendlichen müssten vor sich selbst geschützt werden, da sie besonders anfällig für extremistische Positionen seien. Auch das hält der empirischen Überprüfung nicht stand. Herr Preuß, ich weiß nicht, welche Wahlstudien Sie lesen, aber ich bin in der Thematik drin und kann Ihnen sagen, dass in Nordrhein-Westfalen die jüngeren Wählerinnen und Wähler nicht überdurchschnittlich extreme Parteien wählen. Und wenn es noch eines Beweises bedarf: Sie sehen, dass die
Wir halten also fest: Die Befürchtungen treten in der Regel nicht ein. Das Beispiel Österreichs zeigt aber, dass Wähler, die bereits mit 16 oder 17 Jahren an Wahlen teilnehmen durften, mit größerer Wahrscheinlichkeit als die 18- bis 21-Jährigen auch an den folgenden Wahlen teilnehmen.
Wenn die genannten Punkte empirisch weitgehend zu widerlegen sind, was bleibt dann noch? – Dann bleiben formaljuristische Argumente.
Wir haben es gerade gehört: Es wird dann davon gesprochen, dass die Abkopplung des Wahlalters von der Volljährigkeit, das Auseinanderfallen von aktivem und passivem Wahlrecht sowie überhaupt der drohende Flickenteppich beim Wahlalter gegen eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sprächen.
Auch diese Argumentation ist nicht überzeugend. Es existieren in den verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Abstufungen der Mündigkeit. Das Spektrum reicht von zwölf Jahren bis 21 Jahren, von der Religionsmündigkeit bis zur vollen Strafmündigkeit.
Auch bei der Absenkung des Wahlalters im Jahr 1972 wichen für einige Jahre Volljährigkeit und Wahlalter voneinander ab. Sogar aktives und passives Wahlalter waren unterschiedlich, ohne dass daraus Probleme erwuchsen. Schließlich ist unser föderatives System schon immer durch unterschiedliche Wahlsysteme auf kommunaler, Landes- und Bundesebene gekennzeichnet gewesen. Die Länderebene ist geradezu ein Testlabor, um dann vielleicht auch auf der Bundesebene über eine Absenkung des aktiven Wahlalters zu diskutieren.
Folgerichtig haben bereits in der Verfassungskommission die beiden juristischen Sachverständigen Professor Gärditz und Professor Wittreck keine verfassungsrechtlichen Bedenken zur vorgeschlagenen Wahlaltersabsenkung geäußert, sondern diese ausdrücklich für politisch möglich erklärt.
Und mein Kollege Professor Decker von der Universität Bonn schlussfolgert in seiner Stellungnahme zur Anhörung im Hauptausschuss:
„Wägt man die Pro- und Kontra-Argumente im Lichte der vorliegenden empirischen Erfahrungen gegeneinander ab, spricht aus politikwissenschaftlicher Sicht mehr für als gegen eine Reform.“
Erstens. Wann soll die Reform kommen? – Ich sage: Wann, wenn nicht jetzt? Zwei Jahre vor der nächsten
Landtagswahl ist der richtige Zeitpunkt. Es bleibt noch genügend Zeit, um begleitende bildungspolitische Maßnahmen auf den Weg zu bringen.
Ich weiß, die Absenkung des Wahlalters ist kein Allheilmittel. Aber wäre es nicht gerade in diesen Tagen wichtig, ein Zeichen zur Stärkung der Demokratie zu setzen?
Die zweite Frage lautet: Wer soll es denn machen, wenn nicht wir? Und mit „wir“ meine ich die Parteien in diesem Haus, die für das parlamentarische System eintreten. Meine Damen und Herren, es liegt in unserer Hand, nach über vier Jahrzehnten wieder ein kleines Stück mehr Demokratie zu wagen.
Vielen Dank, Herr Professor Dr. Bovermann. – Für die FDPFraktion spricht jetzt Frau Kollegin Freimuth.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie auch in den vergangenen Wahlperioden diskutieren wir erneut über die Absenkung des Wahlalters zur Landtagswahl auf 16 Jahre.
Die Forderung nach Absenkung des Wahlalters wird bislang mehrheitlich nicht aus der Gesellschaft oder aus der betroffenen Altersgruppe erhoben. Ausweislich verschiedener Untersuchungen und repräsentativer Umfragen wird auch in der Altersgruppe der 16- bis 17-Jährigen diese Frage sehr kontrovers und eher skeptisch oder auch desinteressiert beurteilt. Der Kollege Bovermann war schon so freundlich, darauf hinzuweisen. Ich will ausdrücklich sagen: Ich finde es schade, dass das desinteressiert oder skeptisch diskutiert wird.
Anders als in anderen Bundesländern ist in Nordrhein-Westfalen das Wahlalter zur Landtagswahl in der Landesverfassung geregelt. In der Verfassungskommission der 16. Legislaturperiode, der ich leider nicht angehört habe, konnte keine Verfassungsänderung vereinbart werden, nach der die Altersgrenze aus der Verfassung herausgenommen und in die einfache Gesetzgebung überführt worden wäre.
Die Verfasser des Gesetzentwurfes, die Kollegen der Sozialdemokratie, wissen, dass also eine Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten benötigt wird.
Und es ist den Kollegen auch bewusst, dass es im Landtag bislang keine Aussicht auf diese verfassungsändernde Mehrheit gibt, übrigens auch nicht mit den Stimmen der 28 Freien Demokraten,
(Josefine Paul [GRÜNE]: In der letzten Legis- laturperiode hatten wir diese verfassungsän- dernde Mehrheit!)
da sich die FDP in ihrer aktuellen Beschlusslage nach sehr intensiven Diskussionen für eine Absenkung des Wahlalters ausgesprochen hat. Aber die Kolleginnen und Kollegen der CDU befinden sich noch im Diskussions- und Meinungsbildungsprozess, und der Kollege Preuß hat gerade mit guten Argumenten Einblick in diesen Diskussionsstand gegeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fragestellung, unter welchen Voraussetzungen Menschen das aktive Wahlrecht haben sollten, ab wann sie im Grundsatz die Tragweite und die Relevanz demokratischer Entscheidungen überblicken, Standpunkte einschätzen und Argumente abwägen können, ist keineswegs trivial. Es handelt sich aber nicht um eine verfassungsrechtliche Diskussion – das ist in der Anhörung sehr klar zum Ausdruck gebracht worden –, sondern um eine politische Fragestellung.
In der Anhörung im Fachausschuss haben wir dazu sehr viele gute Argumente vorgetragen bekommen, sowohl seitens der Befürworter der Absenkung als auch seitens der Skeptiker. Ich möchte mich ganz herzlich dafür bedanken, dass diese Debatte der Ernsthaftigkeit Rechnung trägt und nicht versucht wurde, das Thema für vermeintliche parteitaktische Geländegewinne zu instrumentalisieren.
Uns eint das Ziel, dass wir Menschen für unsere parlamentarische Demokratie gewinnen und begeistern wollen, weil wir davon überzeugt sind, dass diese Staats- und Regierungsform die beste Staats- und Regierungsform ist und dass sie wie keine andere dem einzelnen Menschen seine Freiheit am ehesten ermöglicht. Wir sind davon überzeugt, dass sich in die parlamentarische Demokratie jede und jeder mit seinen Ideen und Fähigkeiten einbringen und darin seine persönliche Lebensgeschichte schreiben kann und dass sie gleichzeitig auch den Ausgleich der unterschiedlichsten Interessen am ehesten gewährleistet.
Gerade junge Menschen dafür zu begeistern, ist wichtig. Ich kann nachvollziehen, dass die Absenkung des Wahlalters und die damit verbundene aktive Beteiligung für Jugendliche ab 16 Jahren eine zusätzliche Motivation schaffen kann, sich für diese demokratischen Prozesse zu interessieren. 16-Jährige zahlen oftmals schon Steuern, sind berufstätig oder gehen auch noch zur Schule. Sie befassen sich mit vielen politischen Fragestellungen wie Klimaschutz, öffentlicher Personennahverkehr, Krieg und Frieden. All das sind Themen, die durchaus unter 16Jährigen oder auch schon von Jüngeren diskutiert werden. Viele Jugendliche, viele 16-Jährige sind informiert und interessiert.
Warum aber die Grenze von 16 Jahren? Das ist eine Fragestellung, über die man durchaus diskutieren kann. Kollege Bovermann hat schon angesprochen, dass es in unserer Rechtsordnung auch andere Mündigkeitsgrenzen gibt. Gleichwohl will ich nicht mit Geschäftsfähigkeits- oder Strafmündigkeitsgrenzen argumentieren. Jüngere Menschen werden in jedem Fall einen wesentlich längeren Zeitraum mit den Folgen dann auch ihrer Entscheidungen leben müssen. Bei der Kommunalwahl haben wir die Absenkung, das aktive Wahlrecht für 16-Jährige, bereits. Aber natürlich bleibt die Frage offen, warum wir das dann nicht auch für die Bundestagswahl einführen sollten, wenn wir es für die Landtagswahl tun würden. Das wäre folgerichtig.
Und es leuchtet auch nicht zwingend ein, das aktive und das passive Wahlrecht im Grundsatz zu trennen, Herr Kollege Bovermann. Ich finde, dann muss man auch konsequent sein.
Sie sagten vorhin in Ihrem Beitrag, dass dann auch Parteien, Fraktionen oder Parlamente die Interessen von Jugendlichen stärker in den Blick nehmen würden. Aber warum sollen Jugendliche dann nicht auch die Möglichkeit haben, ihre Anliegen selber in diese Diskussionen mit einzubringen?
Ich befürworte jedenfalls, dass wir Wahlrechtsfragen einheitlich in den Blick nehmen und nicht den Eindruck erwecken, dass hier eine Ebene unseres föderalen Gemeinwesens weniger bedeutsam sei als die andere.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Jugendliche sind an politischen Entscheidungsprozessen interessiert und wollen ihre Ideen und Interessen in demokratische Prozesse einbringen. Es gibt auch eine Vielzahl von Jugendlichen, die sich aus den zur Verfügung stehenden Quellen informiert und sich ihre Meinung bildet.
Denjenigen, die 16-jährigen Jugendlichen die grundsätzliche Reife für das Wählen, für Einsicht und Verantwortungsbewusstsein aberkennen, kann man sicherlich mit der gleichen Grundsätzlichkeit entgegenhalten, dass politische Bildungserfolge, Einsicht und Verantwortungsbewusstsein nicht automatisch mit der Vollendung des 18. Lebensjahres verliehen werden.
Gewichtiger finde ich das Argument, dass Jugendliche aufgrund der noch zu festigenden Persönlichkeit oftmals leichter zu beeinflussen oder zu manipulieren sind und ihre eigenen Überzeugungen möglicherweise denen des Mainstreams und/oder der Peergroup anpassen; insbesondere dann, wenn aufgrund der zunehmenden Informationen aus der Bubble ihrer Social-Media-Welt die Unterscheidungsfähigkeit
Wenn befürchtet wird – vielen Dank, Frau Präsidentin. –, dass Jugendliche per se zu Radikalität und fehlender Kompromissfähigkeit neigen, ist das kein neues Phänomen. Gab es doch lange den Vorwurf, dass es das Privileg der Jugend sei, auch ungeduldig zu sein.
… und einer funktionierenden Demokratie, die Fähigkeit zum Kompromiss und zum Ausbalancieren unterschiedlicher Interessen und Standpunkte zu haben.
In der Enquetekommission – das wurde schon angesprochen, und das ist dann auch mein letzter Satz – werden wir Handlungsempfehlungen dazu entwickeln, wie wir politische Bildung stärken und Partizipationsmöglichkeiten erweitern können, damit wir dann hoffentlich im nächsten Anlauf eine ergebnisorientierte Lösung finden werden. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Paul.