Protokoll der Sitzung vom 11.03.2020

Eine Krise erfordert, die bisherige Arbeit und das bisherige Denken infrage zu stellen, und sie fordert uns heraus, eine neue Strategie zur Krisenbewältigung und zum Krisenmanagement einzuleiten. Die Menschen erwarten in einer Krise Wahrheit, Klarheit, Transparenz, ein nachvollziehbares, einheitliches Handeln sowie Entscheidungen. Die Menschen brauchen Orientierungen.

Herr Ministerpräsident, da muss ich Ihnen widersprechen: Das, was die Menschen in den letzten zwei,

drei Wochen in Nordrhein-Westfalen erlebt haben, hat mit dieser Transparenz sehr wenig zu tun.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich könnte über den einen oder anderen öffentlichen kommunikativen Auftritt von Ministern aus diesem Hause in Sendungen, die wir alle gesehen haben, berichten. Das erspare ich mir. Ich erspare mir solche Aussagen wie: „Bei mir im Wahlkreis gibt es so viele Apotheken wie Bäckereien.“ – Okay, das hilft sicherlich sehr im Kampf gegen das Virus.

Wir haben es mit einem Virus zu tun, das in seinem Wachstum all das übertrifft, was wir bisher kannten. Wenn Sie, Herr Ministerpräsident, jetzt sagen: „Dann warten wir mal ab, wie es in 14 Tagen aussieht; dann entscheiden wir uns, welche Maßnahmen wir einleiten“, dann sage ich Ihnen: Jede Maßnahme, die wir jetzt nicht einleiten, wird in 14 Tagen zu spät sein.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Armin La- schet, Ministerpräsident: Das war doch gar nicht die Aussage! – Zurufe von der CDU)

Führende politische Köpfe dieses Landes wie die Kanzlerin sagen, 60 bis 70 % der Menschen werden sich anstecken. – Ist das gottgegeben? Muss das akzeptiert werden? Wo ist die Gegenstrategie? Die reine Feststellung des Nichthandelns ist das, was die Angst in dieser Gesellschaft verstärkt.

(Beifall von der SPD)

Über das föderale System kann man sicherlich streiten. In Krisensituationen, in denen es darum geht, schnellstmöglich Lösungen zu erzielen, müssen wir überlegen, wie schnell wir im föderalen System reagieren. Da nützt es nichts, die Zuständigkeiten von einer Ebene zur anderen zu schieben, sondern es gilt, auch im föderalen System schnell Regelungen zu schaffen, die dieser Krise entgegenwirken.

Die Beliebigkeit von Nichtentscheidungen ist keine Strategie, sondern in der Krise – ich sage es noch mal – erzeugt sie Angst bei den Menschen. Deshalb dürfen wir es uns nicht leisten, dass es diese Beliebigkeit gibt.

Das RKI sagt, Landräte und Bürgermeister sollen die Krisenpläne aktivieren, und auch Krankenhäuser und Kliniken sollen ihre Krisenpläne aktivieren. Ich frage Sie: Wann wird das Land Nordrhein-Westfalen den Krisenplan aktivieren? Ist sozusagen die Entscheidung, Fußballveranstaltungen und andere Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen ab dem Faktor 1.000 abzusagen, der Krisenplan des Landes Nordrhein-Westfalen?

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Nein!)

Die Frage sollten Sie mal beantworten.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Nein, hö- ren Sie zu! – Nadja Lüders [SPD]: Was denn dann?)

Die Verkündigungen – ich sage das sehr kritisch –, die wir in den letzten Tagen und Wochen zum Teil erfahren haben, erinnerten mich eher an die Weisheiten eines Bauernkalenders als an die Arbeit von verantwortlichen Menschen.

(Beifall von der SPD – Jochen Klenner [CDU]: Das ist doch eine Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der CDU)

Jetzt lassen Sie mich – Herr Ministerpräsident, Sie haben es zum Schluss angesprochen – zur Frage der Versorgungssicherheit und der Daseinsvorsorge kommen. Ich habe hier in den letzten zehn Jahren vieles gehört. Ich habe vom Gesundheitsminister gehört, dass der Markt der beste Pfadfinder ist. Wenn der Markt der beste Pfadfinder ist, dann hat dieser Markt ziemlich versagt.

(Beifall von der SPD – Widerspruch von der CDU)

Dann gilt es, in diesen Markt regulativ einzuschreiten – nicht erst dann, wenn alles ausverkauft ist, sondern es gilt, vorbeugend einzuschreiten und zu sagen: Wir beschlagnahmen beispielsweise Sachen, die für den Gesundheitssektor notwendig sind.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Widerspruch von der CDU)

Zur Frage der Märkte und des Gesundheitswesens lassen Sie mich auch einmal anmerken: Vor wenigen Wochen wurde großzügig angekündigt, die Krankenhauslandschaft in Nordrhein-Westfalen werde neu geregelt. Die Botschaft lautete: Wir haben zu viele Kliniken, wir haben zu viele Stationen, wir haben zu viele Betten. – Das Thema hat uns jetzt ganz schnell eingeholt.

Wir stellen fest: Dieses allein auf Effizienz und Ökonomie setzende Gesundheitswesen reicht in diesem Krisenfall nicht aus.

(Beifall von der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Unsinn!)

Wenn wir darüber sprechen, muss eine der Konsequenzen sein, dass Gesundheitsversorgung mehr als die Frage von Markterlösen ist.

(Beifall von der SPD)

Es geht nicht nur um die Frage von großen Versorgungszentren, sondern um bürgernahe, wohnungsnahe Daseinsvorsorge genau für die Gruppe von Menschen, über die heute Morgen so viel gesprochen wurde: ältere Menschen, Menschen, die nicht mobil sind. Genau die brauchen diese Daseinsvorsorge. Das muss eine der Lehren aus dieser Krise in diesem Land Nordrhein-Westfalen sein.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich noch etwas zum Thema „ÖPNV und Verkehr“ sagen: Dass Österreich das Schienennetz

Richtung Italien eingestellt hat, haben Sie sicherlich den Medien entnommen. Natürlich muss man darüber diskutieren, dass in einer Metropolregion wie London Züge desinfiziert werden und woanders nicht.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Was ist denn verächtlich daran, zu fragen, warum es die einen machen und die anderen nicht? Ich finde, diese kritischen Fragen darf man sich stellen, und man darf darauf auch Antworten erwarten.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Gestern wurde – auch von Ihnen, Herr Ministerpräsident, und von anderen – Solidarität eingefordert, Solidarität für die Gemeinschaft; jetzt sei Solidarität angesagt. – Ja, wer ist eigentlich solidarisch mit den Reinigungskräften in den Kliniken, die 200 m² pro Stunde reinigen müssen? Wer ist mit denjenigen solidarisch, die im Gesundheitswesen schon vor der Krise von Überlastung und von sonstigen Zuständen berichtet haben? Wer ist mit ihnen an welcher Stelle solidarisch?

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Solidarität, meine Damen und Herren, ist keine Einbahnstraße. Solidarität erfordert Strukturen, in denen Menschen sich wiederfinden, zu denen Menschen Vertrauen haben und bei denen die Menschen davon ausgehen, dass sie nachhaltig für sie sind und ihrer Gesundheit dienen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schnelle.

Meine sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich stehe hier heute als Abgeordneter aus dem wohl bekanntesten Kreis in Deutschland. Sie alle können sicher sein, dass wir Heinsberger uns diese Bekanntheit nicht ausgesucht und nicht gewünscht haben.

Seit Veilchendienstag ist die Welt in unserem Kreis eine andere. Stand gestern haben wir 396 Infizierte. Fast jeder bei uns kennt Personen, die sich mit dem Virus infiziert haben oder die in Quarantäne sind bzw. waren.

Seit Karneval ist bei uns kein Kind mehr in die Kindertagesstätte gegangen. Schülerinnen und Schüler bleiben zu Hause. Fast alle Veranstaltungen wurden und sind abgesagt. Verwaltungen waren geschlossen und sind auch jetzt nur teilweise geöffnet. Das alles, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern bzw. zu verlangsamen.

Auf der anderen Seite ist man im Kreis Heinsberg zusammengerückt. Die Hilfsbereitschaft ist groß. Im Krisenstab der Kreisverwaltung wurde und wird mit ca. 100 Personen Hervorragendes geleistet.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das Personal in den Krankenhäusern und in den Arztpraxen arbeitet bis an die Grenzen. Auch die Bürgerinnen und Bürger im Kreis versuchen mit der gebotenen Ruhe und Ernsthaftigkeit, die Einschränkungen zu meistern und das Leben zu organisieren. Gerade für Familien und Alleinerziehende ist das eine große Herausforderung. Als Bürger dieses Kreises, aber auch als Mitglied dieses Parlaments möchte ich allen hierfür meinen großen Dank aussprechen.

(Beifall von Josef Neumann [SPD])

Wir sind ein kleiner Kreis. Bei allen Pandemie- oder sonstigen Katastrophenplänen hatte sicher keiner eine Blaupause für die Bewältigung einer solchen Lage in der Schublade. Umso bemerkenswerter ist es, wie gut unser Kreis bislang mit dieser Lage umgegangen ist und weiter versucht, diese Herausforderung zu meistern.

Dies gelingt sicherlich auch durch eine umfassende, transparente und offene Informationspolitik.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat in einer Talkrunde sinngemäß gesagt: Die Bewältigung dieser Lage im Kreis Heinsberg zeigt, welch gut funktionierendes Gemeinwesen unser Land hat, und auf dieses kann man stolz sein. – Ich denke, dies hat er treffend festgestellt. Das mag der eine oder andere, der heute Eingriffe von oben, aus Berlin oder Düsseldorf, fordert, sicherlich auch einmal bedenken.

Dabei war und ist seit dem Beginn der Krise, die Zusammenarbeit zwischen dem Kreis und der Landesregierung – an erster Stelle natürlich mit dem Gesundheitsministerium – sehr gut. Ich darf auch im Namen unseres Landrats den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, Herrn Staatssekretär Heller und Herrn Minister Laumann für die Zusammenarbeit und die Unterstützung danken. Wir bedanken uns auch für den Besuch unseres Ministerpräsidenten bei uns in Heinsberg.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Bei aller hervorragenden Arbeit durch die Menschen im Kreis und bei aller Unterstützung der übergeordneten Behörden beschäftigt uns ein gesellschaftliches Problem immer mehr: die Stigmatisierung der Bürgerinnen und Bürger des Kreises Heinsberg. Auch die möchte ich hier ansprechen.