Das gilt auch für den heute in erster Lesung diskutierten Gesetzentwurf der Landesregierung. Ministerpräsident Armin Laschet hat dies im gestrigen Pressetermin mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn überdeutlich gemacht: „Wir brauchen einen parteiübergreifenden Konsens in der Coronakrise“, hat er gesagt. Das ist heute wichtig.
Wir wollen und brauchen diesen Konsens – auch für das vorliegende Gesetz –, und wir als Parlament brauchen Zeit, um uns ausreichend mit der vorliegenden Kritik zu beschäftigen und notwendige Änderungen zu beschließen. Deshalb stellt der zwischen den Fraktionen vereinbarte Fahrplan das schnellstmögliche Verfahren dar, das sowohl bestehende Rechte als auch die gebotene Sorgfalt und die notwendigen Abwicklungsprozesse gleichermaßen berücksichtigt.
Dennoch halte ich es gerade in einer Krisensituation für geboten, den Blick nicht so weit zu verengen, dass jedes Licht am Ende des Tunnels automatisch als ein entgegenkommender Zug betrachtet wird. Ich will daher einige Sätze der an dem Entwurf geübten Kritik in einem etwas weiteren Kontext beleuchten.
Erstens. Es wird kritisiert, wir – Zitat – winkten ein Gesetz durch, das Grundrechte wie die Selbstbestimmung und die Berufsfreiheit für Zwangsrekrutierungen von Pflegepersonen opfere. – Antwort: In diesem Parlament gibt es kein Durchwinken. Das habe ich bereits begründet.
Außerdem ist die Einschränkung der Grundrechte auf Selbstbestimmung oder Berufsfreiheit längst akzeptierte Notwendigkeit in unserem Alltag und wird teilweise, wie bei den Frisören, vehement durch die
Öffentlichkeit gefordert: Kontaktverbot, Betretungsverbot in Altenheimen und Pflegeeinrichtungen, Schließungen von Restaurants oder Einzelhandelsgeschäften, zeitlich befristete Grundrechtseingriffe, deren Notwendigkeit zur Eindämmung der Epidemie unbestritten ist.
Frage: Wenn sich die Situation zuspitzt, wenn ein erheblicher Mangel an medizinischem und pflegerischem Fachpersonal festgestellt wird, wenn es in Alten- oder Pflegeheimen keinen Arzt oder kein Pflegepersonal mehr gibt, wollen wir dann zuschauen oder wollen wir handeln?
Wenn wir handeln wollen, dann sollte die Möglichkeit bestehen – Achtung! – mit Parlamentsvorbehalt eine Verpflichtung von ausgebildeten Kräften, die in Verwaltungen eingesetzt sind, in Abstimmung mit dem Arbeitgeber vorzunehmen, so wie es dieses Gesetz ohne jede Änderung bereits heute vorsieht.
Sehr geehrte Damen und Herren, werter Herr Kutschaty, unsere Feuerwehren dürfen nach § 48 des Gesetzes über Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz, BHKG, tiefgreifende Eingriffe in eine ganze Reihe von Grundrechten vornehmen, ohne dass irgendjemand von uns dies im Einsatzfall und vor allen Dingen im Katastrophenfall in Zweifel ziehen wird. Bei der damaligen Novelle haben sich SPD und Grüne dafür ausgesprochen, die sogenannte Pflichtfeuerwehr einzuführen: § 14 BHKG.
Danach können Gemeinden Personen zwischen 18 und 60 Jahren verpflichten, eine Feuerwehr einzurichten, wenn der Brandschutz ansonsten nicht gewährleistet werden kann – eine Zwangsverpflichtung im Krisenfall!
Und in diesem Krisenfall, meine Damen und Herren, ist die Landesregierung unsere Feuerwehr, die zur Bewältigung einer Notlage zeitlich eng begrenzte ähnliche Rechte braucht.
Es wird kritisiert – Zitat –: Das Gesetz der Landesregierung schießt übers Ziel hinaus. Die Demokratie darf nicht auf der Strecke bleiben.
Die Demokratie ist handlungsfähig und bleibt bei allen Entscheidungen gewahrt. Die Begründung ist bereits erfolgt.
Aber Frage: Kann man über das Ziel hinausschießen, wenn es darum geht, möglichst viele Leben zu retten? Antwort: Der nordrhein-westfälische Gesetzentwurf unterwirft die Feststellung einer epidemischen Lage von landesweiter Tragweite ebenso wie das Bundesgesetz einem Parlamentsvorbehalt.
Ich hätte diese Kritik verstanden, wenn sie gegen das bayerische Epidemiegesetz gerichtet gewesen wäre. Dort entscheidet die Staatsregierung alleine,
kein Parlamentsvorbehalt wie in Nordrhein-Westfalen. Dort haben SPD und Grüne zugestimmt. Kritik wie in Nordrhein-Westfalen habe ich allerdings nicht vernommen.
Wenn es Sie nicht interessiert, können Sie ja vielleicht den Saal verlassen. – Der strukturelle Unterschied …
Herr Kämmerling, wenn Sie eine Frage haben, dann stellen Sie sie oder gehen Sie an dieses Rednerpult und sagen, was Sie zu sagen haben. Wenn es Sie nicht interessiert, wo der strukturelle Unterschied zwischen der Bundesregelung und der Regelung in Nordrhein-Westfalen ist, dann müssen Sie sich das nicht anhören.
Sie sitzen, glaube ich, auf dem Platz von Herrn Zimkeit, auf jeden Fall in der Nähe. Und Herr Zimkeit bekommt von mir in ähnlichen Situationen grundsätzlich das Zitat von Heinrich Heine vorgehalten:
(Beifall von der CDU – Sarah Philipp [SPD]: Das macht die Rede nicht besser! – Zuruf von Sven Wolf [SPD])
Der strukturelle Unterschied, meine Damen und Herren, zwischen der Bundesregelung und der Regelung in Nordrhein-Westfalen lautet: Nordrhein-Westfalen hat klar begrenzte Kompetenzen in den wesentlichen Bereichen. Der Bund hat Generalklauseln geschaffen –
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales: Das ist der entschei- dende Punkt! – Zuruf von Mehrdad Mostofiza- deh [GRÜNE])
verbunden mit der Ermächtigung, von bestehenden Gesetzen abzuweichen – ohne jeden Parlamentsvorbehalt. Kritik wie in Nordrhein-Westfalen habe ich von Ihnen bei dieser parteiübergreifenden Entscheidung im Bundestag trotz erheblich höherer Qualität der Grundrechtseingriffe nicht vernommen.
Beispiel: Die zwangsweise Verpflichtung zum Einsatz medizinischen und pflegerischen Personals kann in Nordrhein-Westfalen nur unter sehr engen Voraussetzungen erfolgen.
Zum einen sind die Maßnahmen nur zulässig, wenn die Landesregierung zuvor durch Rechtsverordnungen neben der epidemischen Lage mit Parlamentsvorbehalt einen erheblichen Mangel an medizinischem und pflegerischem Personal festgestellt hat. Zum anderen kann bei Personen, die in einem laufenden Angestelltenverhältnis stehen, die Verpflichtung nur in Abstimmung mit dem Arbeitgeber erfolgen. Wenn er widerspricht, erfolgt sie nicht.
Das heißt, meine Damen und Herren, wenn zur Aufrechterhaltung einer Dienstleistung der Arbeitgeber in besonderer Weise auf denjenigen angewiesen ist, dann kann er dieser Verpflichtung durch das Land auch widersprechen.
Jetzt, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es unsere Aufgabe, zu entscheiden, ob wir die Notwendigkeit sehen, diese Rechtsverordnung beispielsweise mit einem weiteren Parlamentsvorbehalt zu versehen und daraus folgend hier darüber zu entscheiden, ob es zu diesem Grundrechtseingriff kommen kann und bis wann er befristet sein muss.
So wie in diesem Punkt wird dieses Parlament in den kommenden Tagen Fragen beantworten und Entscheidungen fällen. Das geschieht nicht ohne Risiko, weil jede Blaupause für eine solche Situation fehlt, aber immer mit dem Anspruch, die bestmögliche Lösung im Ausgleich der Interessen zu erzielen.
Für die Landtagsfraktion der CDU stehen der Schutz der Bevölkerung und die Rettung von Menschenleben in der Coronakrise an erster Stelle. Die Situation verlangt den Menschen derzeit viel ab, und die Ein
schränkungen im Alltag sind für jeden Einzelnen immens. Wie lange dies unverändert bleiben muss, um das Ziel einer abgeflachten Infektionskurve zu erreichen, steht heute noch nicht fest: so kurz wie möglich, so lange wie notwendig.
In diesem Sinne freuen wir uns auf konstruktive und zielführende Diskussionen und Beratungen des Gesetzes in den Ausschüssen und hier im Parlament.