Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 87. Sitzung, einer Sondersitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien sowie unseren Gästen an den Bildschirmen.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich noch einen Antrag zur Geschäftsordnung auf Erweiterung der Tagesordnung um den Tagesordnungspunkt 3: „Feststellung einer epidemischen Lage von landesweiter Tragweite gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung besonderer Handlungsbefugnisse im Rahmen einer epidemischen Lage von landesweiter Tragweite und zur Festlegung der Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz“.
Gibt es jemanden, der gegen die Aufnahme dieses Tagesordnungspunktes 3 ist? – Ich sehe, dass das nicht der Fall ist. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Dann haben wir diesen Tagesordnungspunkt 3 einstimmig aufgenommen.
Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 8. April 2020 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag zu dem genannten Thema zu unterrichten.
Die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgt durch den Ministerpräsidenten Armin Laschet. Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist die dritte Woche in Folge, in der wir hier im Landtag zusammenkommen. Das zeigt: Auch in der größten Krise in der Geschichte des Landes ist das Parlament jederzeit handlungsfähig, und auch in der Krise werden Abgeordnete, Volksvertreter und Exekutive, die Regierung, ihrer Verantwortung gerecht. Unsere parlamentarische Demokratie ist krisenfest.
Erstens. Wir müssen die Ausbreitung des Virus verlangsamen. Dem dienten all die Maßnahmen, die die 16 Länder, der Bund und damit auch wir hier in Nordrhein-Westfalen getroffen haben.
Zweitens. Wir müssen unser Gesundheitssystem massiv aufbauen und mehr Wissen über das Virus generieren. Diesbezüglich hat der Gesundheitsminister mit den vielen in den Krisenstäben, in den Krankenhäusern vor Ort vieles geleistet, damit wir heute besser dastehen als noch vor drei Wochen.
Drittens – auch das war immer wichtig – müssen wir darüber nachdenken, wie wir, sobald verantwortbar, so schnell wie möglich die Grundrechtseinschränkungen, die wir aktuell haben, wieder zurücknehmen und in eine verantwortete Normalität einkehren. – Vor allem zu diesem Teil will ich heute einiges sagen.
Der Blick auf die Zahlen zeigt: Das Infektionsgeschehen im Land verlangsamt sich. In Nordrhein-Westfalen verdoppelt sich die Zahl der an Corona Erkrankten etwa alle zwölf Tage. Das ist auch im Vergleich zu allen anderen Bundesländern ein guter Wert. Er ist derzeit besser als der Bundesschnitt.
Das zeigt, dass die Maßnahmen wirken, dass die maßvollen Maßnahmen des Kontaktverbotes, das genau darauf abstellt, Kontakte zu vermeiden und nicht den Ausgang zu beschränken, in hohem Maße gewirkt haben. Die Anstrengungen lohnen sich: Die Ausbreitung des Virus verlangsamt sich von Tag zu Tag. Die Zahlen geben aber noch keinen Anlass zur Entwarnung.
Das, was jetzt vor uns liegt, dieses Osterfest, ist ein ganz besonderes. Ich weiß nicht, ob es in den 2.000 Jahren der Christenheit einmal einen Moment gab, zu dem es gar keinen Gottesdienst und keine Osterfeiern mit Menschen zusammen gegeben hat. Selbst in schwierigen Zeiten, selbst in Kriegszeiten ist man noch zum Gebet zusammengekommen. Insofern muss man sich auch eine Sekunde lang in die gläubigen Menschen hineindenken: welches Opfer es ist, an diesem Osterfest, dem höchsten Feiertag der Christen, nicht in Gemeinschaft zusammenkommen zu können.
Dennoch ist es erforderlich. Das Kontaktverbot muss eingehalten werden. Auch der direkte physische Kontakt zu den Großeltern, das Ostereiersuchen der Kinder oder was auch immer werden in diesem Jahr nicht stattfinden können.
Das ist schmerzlich, aber unsere Geduld und der Verzicht werden sich auszahlen: Für weniger Lebensqualität retten wir mehr Leben.
Auch beim Ausbau der Kapazitäten unseres Gesundheitssystems erzielen wir große Fortschritte. Zur Information des Landtags: Wir haben 7.500 Intensivbetten derzeit zur Verfügung, fast 5.000 mit Beatmungsmöglichkeiten. In den letzten Wochen sind über 1.300 Intensivbetten, und davon über 750 mit der Möglichkeit der invasiven Beatmung, hinzugekommen.
sern erklärt. Auch sie können nun Patientinnen und Patienten behandeln, profitieren von den neuen Möglichkeiten der Finanzierung.
Trotz der schwierigen internationalen Marktlage unterstützt das Land weiter Krankenhäuser, Pflegeheime und Einrichtungen der Eingliederungshilfe bei der Beschaffung von persönlichem Schutzmaterial. So wurden bisher 3,7 Millionen Masken durch unser Gesundheitsministerium verteilt. Die Aussagen für die nächsten Tage sind so, dass große Mengen an Masken eintreffen sollen. Wir verkünden das immer erst, wenn sie wirklich da sind.
Aber ich bin auch froh, dass es in Ostwestfalen, in Bielefeld, gelungen ist, eine eigene Maskenproduktion, unabhängig von chinesischen Importen, möglich zu machen. Das zeigt auch, wie kreativ Familienunternehmen in mittelständischer Organisationsform in der Lage sind, auf eine solche Situation zu reagieren.
Mit der Verlangsamung gewinnen wir Zeit zum Aufbau von Kapazitäten, aber auch, um mehr über das Virus zu erfahren, um mehr über Infektionsketten, Dunkelziffern und die Frage, wie und wann sich Menschen mit dem Virus angesteckt haben, aufzuklären. Als Landesregierung haben wir dafür eine umfassende Studie in der Erstregion Heinsberg in Auftrag gegeben. Professor Streeck von der Universität Bonn ist seit Wochen mit seinem Team vor Ort und forscht intensiv.
Er wird dabei von Professor Exner und Professor Hartmann unterstützt. Der eine arbeitet im Exzellenzcluster der Universität Bonn, die gerade erst als Eliteuniversität in Deutschland ausgezeichnet wurde, und der andere berät schon seit längerer Zeit die Landesregierung und auch das Ministerium von Joachim Stamp in der Frage „Schutz, Immunisierung und Hygienevorschriften in Kindertagesstätten und Schulen“. Sie alle sind in das Projekt involviert.
Ich habe dem Landtag vorgeschlagen, dass die beiden auch heute Nachmittag dem Gesundheitsausschuss zusammen mit dem Gesundheitsminister zur Verfügung stehen, um direkt unmittelbar nach der Übergabe des Zwischenergebnisses der Studie Ihre Fragen dazu zu beantworten; denn ich denke, es ist wichtig, dass jeder die Methodik und die Erkenntnisse und das, was da ermittelt worden ist, kennt.
Diese Forscher werden natürlich alle derzeit von der gesamten Weltpresse begleitet und befragt. Sie wissen, dass Professor Streeck an der Johns-HopkinsUniversität eine Zeit gearbeitet hat. Gerade in den USA verfolgt man mit großem Interesse, was dieses Heinsberg-Protokoll, wie das nach den Regeln der WHO heißt – die Studie muss einen Namen haben und bestimmte WHO-Kriterien hinsichtlich der
Repräsentativität erfüllen –, als Ergebnis präsentiert. Es wird weltweit die erste Studie sein, die das Geschehen an einem Ort so untersucht hat, wie die WHO das vorschreibt.
Deshalb wird der arme Professor im Moment von der gesamten Weltpresse belagert. Ich bin trotzdem froh, dass er das heute vorstellen konnte und gleichzeitig in den Landtagsausschuss gehen kann.
Wir wissen nun etwas mehr über das Virus, aber längst noch nicht alles. Die Forschungen gehen weiter, und sie werden auch über den Endbericht, den wir irgendwann bekommen, fortgeführt. Aber sie helfen uns bei einem – Professor di Fabio hat das in unserem Expertenrat so genannt –: Wir treffen als Politiker derzeit Risikoentscheidungen unter Unsicherheitsbedingungen. Wir haben uns jetzt lange an Infektionszahlen aufgehalten. Das Fernsehen berichtet jeden Tag über den Anstieg der Infektionszahlen. Die Aussagekraft ist relativ gering; denn wenn man mehr testet, steigt auch die Zahl der Infektionen. Also brauchen wir auch andere Indikatoren. Auch Todeszahlen selbst sind keine Aussage, sondern wir brauchen eine breitere wissenschaftliche Fundierung. Ein weiterer Baustein ist diese Studie, nicht mehr und nicht weniger.
Der Deutsche Ethikrat erklärt: Dieser Lockdown, den wir gerade durchführen, verursacht Schäden, erzeugt Leid. Operationen, die eigentlich nötig wären, werden aufgeschoben, damit wir Betten freihalten. Das kann in einer persönlichen Situation von Menschen Leid, Verzögerung, Depression und Kindeswohlgefährdung bedeuten; das alles haben wir schon erörtert. Egal, was man entscheidet, es hat Konsequenzen.
Hier über eine Grundlage zu verfügen, wie man wieder in das öffentliche und soziale Leben zurückkehren kann, ist eine wichtige Voraussetzung, und das liegt seit dem heutigen Tag vor.
Wir haben uns mit den Sorgen und Ängsten der Menschen beschäftigt. Wir wissen, dass die Ängste der Menschen zwei Ursachen haben. Es gibt viele Menschen, die Angst haben, krank zu werden, und Angst vor diesem Virus haben. Aber es gibt genauso Menschen, die Angst um ihre Existenz, um ihren Arbeitsplatz haben, die rechnen, wie sie mit dem Kurzarbeitergeld hinkommen, und sich fragen, wie lange das so gehen soll und ob sie anschließend ihre Arbeit verlieren. Viele 450-Euro-Kräfte, die derzeit nicht aufgefangen sind, haben sich darauf verlassen, dass sie diese 450 Euro verdienen. Ängste sind also, so sagen uns Studien, beiderseits vorhanden.
Wir als Politik müssen möglichst den Menschen Ängste und Sorgen nehmen und trotzdem zu Entscheidungen kommen, die auf Dauer verantwortbar sind.
Deshalb danke ich auch dem Landtag und den Fraktionen dafür, dass sie es in den vergangenen Tagen ermöglicht haben, dass wir heute für den Tag X – den wir nicht erhoffen – das Pandemiegesetz verabschieden. Mir war von Anfang an wichtig, dass es parteiübergreifend sein muss. Ich nehme auch jede Kritik hin, die besagt – Sie haben das beim letzten Mal gemacht, Herr Kutschaty –, dass das Zitiergebot oder dieses und jenes da noch hätte stehen müssen.
Ja, das ist berechtigte Kritik in diesen Tagen, in denen schnell reagiert werden muss, dass man alles auch präzise vorbereitet.
Das ist das eine – die Theorie, die konkurrierende Gesetzgebung, was der Bundesgesetzgeber macht und was wir machen.
Am anderen Tag hingegen hatte ich Karl-Josef Laumann am Telefon, der mir berichtete: Als im Kreis Heinsberg die Betten voll waren, hatte ich Schwierigkeiten, zu organisieren, dass ein Patient aus dem Kreis Heinsberg in ein anderes Krankenhaus kommen konnte.
Er habe als Minister persönlich in den Krankenhäusern nachgefragt und darum gebeten, diesen Patienten bitte zu übernehmen. – Das Gleiche könnte bei Beatmungsgeräten passieren. – Herr Mostofizadeh, hören Sie sie sich mal eine Minute an, vielleicht unter vier Augen, unter welcher Last ein Gesundheitsminister jeden Tag steht.
Deshalb versuchen wir heute, möglichst im Konsens und auf einer Rechtsgrundlage die Voraussetzungen zu schaffen, dass man mindestens ein Paket Beatmungsgeräte von A nach B bringen kann.
Zu dem Ergebnis, das uns jetzt vorliegt, können alle Ja sagen. Aber man muss hinzufügen, dass der Gesundheitsminister oder die Schulministerin, wenn sich die Lage dramatisch veränderte, mit ihren Themen wieder in den Landtag kommen und sagen müssten: Wir brauchen euch noch mal.