Protokoll der Sitzung vom 29.04.2020

6 Gemeinsam gegen das Virus – Handlungen

brauchen wissenschaftliche Grundlagen

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/9047

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion der AfD dem Abgeordneten Dr. Vincentz das Wort. Bitte schön.

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ein kurzer, knapper Antrag, und es folgt eine kurze, knappe Begründung. Im Prinzip sagt der Titel schon alles: Wenn wir Wege und Möglichkeiten finden wollen, aus dieser Krise wieder herauszukommen, brauchen wir eine faktische und wissenschaftliche Grundlage.

Die Krise hat deutlich gezeigt, dass eines wirklich sicher ist: die große Unsicherheit rund um das Virus. So hieß es lange Zeit, die Maskenpflicht bringe überhaupt nichts. Jetzt haben alle Bundesländer sie eingeführt.

Gesundheitsminister Spahn hat noch zu Beginn der Krise gesagt, wir seien gut vorbereitet. Kurze Zeit

später zeigt sich: Wir sind gut vorbereitet; nur das Schutzmaterial ist leider nicht da.

Dann hieß es lange, dass Virus sei nicht über die Luft übertragbar. Mittlerweile wissen wir: Das Virus ist über die Luft übertragbar, weil sich Aerosole bilden. Daher gilt nun auch dieser Sicherheitsabstand.

Währenddessen gibt es meiner Kenntnis nach – ich habe es noch einmal recherchiert – keine einzige gesicherte Übertragung über Oberflächen. Trotzdem desinfizieren wir seit einigen Wochen wie wild alle Oberflächen. Dabei ist bisher kein einziger Fall nachgewiesen, in dem sich ein Mensch angesteckt hätte, weil er zum Beispiel im Supermarkt eine Tomate angefasst hat, die zuvor jemand angefasst hat, der erkrankt ist.

Lange ging auch das Gerücht um, die Erkrankung sei vielleicht nicht viel schlimmer als eine Grippe. Dann hieß es wieder: Alle, die das behaupten, sind geradezu Häretiker. – Jetzt gibt es wieder Studien, die besagen, dass es unter Umständen tatsächlich nicht viel schlimmer ist als eine schwere Grippe. – Wie gesagt: Nichts Genaues weiß man nicht.

Letztendlich klingen allen noch die Worte von Herrn Altmaier in einer bekannten Talksendung im Kopf. Er sagte: Es geht kein einziger Arbeitsplatz durch Corona verloren. – Das hört sich im Nachgang eher wie Hohn an.

Sie sehen: Es mangelt nicht nur den Bürgern an Wissen und an Kenntnissen über das Coronavirus, sondern anscheinend auch den Entscheidungsträgern. Deswegen ist der relativ einfache Appell in unserem kurzen Antrag, genau dies herzustellen. Die Landesregierung soll eine große, repräsentative nordrheinwestfälische Studie anstoßen, die genau dazu beiträgt.

Wir haben in der Vergangenheit gesehen, wie vor allen Dingen Professor Streeck, aber auch viele Kollegen, die mit dieser ersten Schwerpunktstudie verbunden waren, angegriffen wurden. Professor Streeck ist hier sehr in den Fokus geraten; es waren aber auch andere beteiligt.

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass dies zu Unrecht geschehen ist. Denn diese Studie wurde zu Dingen herangezogen, für die sie überhaupt nicht gemacht war. Man hat gezielt eine Schwerpunktstudie nach allen Regeln der Kunst erstellt, die auch von der WHO vorgegeben waren. Man hat in dieser Studie sogar viele Punkte übererfüllt. Danach wurde sie aber völlig falsch gedeutet.

Wenn wir wirklich die Schlüsse daraus ziehen wollen, die teilweise von der Politik und auch von der Landesregierung gezogen wurden, brauchen wir eine vernünftige Datengrundlage. Diese bietet die

Schwerpunktstudie mit 600 Personen nicht. Dafür müssen wir eine größere Studie aufsetzen.

Wo könnte das gehen, wenn nicht in NordrheinWestfalen? Wir haben hier einen wirklich sehr guten Standort mit vielen Virologien an den guten Unikliniken in Nordrhein-Westfalen. Die Kollegen in der Virologie sind gut miteinander vernetzt und miteinander bekannt. Ich glaube, das wäre ein Leichtes.

Wenn die Landesregierung und das Parlament sich dem annehmen und es anstoßen würden, könnten wir in wenigen Wochen auch schon deutlich fundierter über eine Exitstrategie sprechen. Heute wird da im Dunkeln gestochert, und sowohl in NordrheinWestfalen als auch im Bund gibt es hierzu viel Parteipolitik.

Wir hätten dann eine echte Datengrundlage, auf der wir alle gemeinsam den Menschen helfen könnten, ohne die Krise für irgendetwas zu nutzen, sie zu instrumentalisieren oder uns im Klein-Klein zu verlieren, wie wir es in der Vergangenheit schon wieder gezeigt haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Herr Preuß das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissenschaftliche Studien, Gutachten und wissenschaftliche Begleitung sind wichtig, um das Coronavirus, dessen Übertragbarkeit und die Wirkung auf den menschlichen Körper besser kennenzulernen – wobei sicherlich niemand Wert darauf legt, Bekanntschaft mit Corona zu machen. Sie sind auch wichtig, um Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln.

Mit Blick auf das Infektionsrisiko lassen sich Erkenntnisse darüber gewinnen, welche sozial üblichen Verhaltensweisen ursächlich dafür sind, dass sich das Virus in rasanter und exponentieller Geschwindigkeit ausbreitet, wie hoch die Dunkelziffer sein könnte und wie sich die Immunität auch unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren wie zum Beispiel der DNA der inzwischen Genesenen darstellt.

Hierzu sind längst bundesweit und auch hier im Land Nordrhein-Westfalen zahlreiche repräsentative Studien gestartet worden. Es geht dabei um Untersuchungen auf Antikörper an Blutspendern, um die Untersuchung von Hotspots – zum Beispiel die Rheinland Studie ist hier zu erwähnen – und um Untersuchungen zur Verbreitung des Virus, zu den Risikofaktoren und letztlich auch zur Dunkelziffer.

Damit laufen bereits all die Maßnahmen, welche die AfD in ihrem Antrag anspricht. Es gibt eigentlich keinen Grund, noch etwas draufzusetzen, indem man dem Antrag zustimmt, um dem Ganzen einen Schub zu geben.

Die bisherigen Erkenntnisse der Wissenschaft und die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts sind wichtige Grundlagen für politische Entscheidungen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch darauf hinweisen, dass diese wissenschaftlichen Untersuchungen natürlich nicht politische Entscheidungen ersetzen.

Es gibt Grunderkenntnisse, die für uns für politisches Handeln wichtig sind. Wir wissen doch, dass das Coronavirus hochinfektiös ist. Wir wissen doch, dass überall dort, wo viele Menschen zusammenkommen, das Infektionsrisiko besonders hoch ist. Wir nehmen jeden Tag erneut zur Kenntnis, dass die Zahl derjenigen, bei denen das Coronavirus nachgewiesen ist, steigt, und zwar täglich. Auch die Zahl der Menschen, die in Verbindung mit dem Virus gestorben sind, steigt täglich.

Das sind die eigentlichen, tatsächlichen Indikatoren, die für uns wichtig sind, um politisch zu handeln.

Es gibt auch eine ganze Reihe von Maßnahmen – Sie kennen sie alle –, die auf den Weg gebracht worden sind.

Wir stellen fest, dass die Krankenhäuser sich auf Coronapatienten vorbereitet haben; nicht zuletzt wegen der Ausgleichszahlungen für nicht durchgeführte Operationen und der finanziellen Förderung für die Schaffung von Infektionsbetten durch den Bund, wobei das Land die Vorfinanzierung sicherstellt, was dazu geführt hat, dass unsere Krankenhäuser schlichtweg gut aufgestellt sind und das Gesundheitssystem derzeit nicht überfordert ist.

Auch das Land ist durch das hier beschlossene Pandemiegesetz gut für den Notfall vorbereitet.

Die Versorgung mit Schutzkleidung und Masken verbessert sich täglich. Das Ministerium hat allein 500 Millionen Euro für die Beschaffung von Schutzkleidung und Masken ausgegeben.

Viele Maßnahmen, die ich kurz als Kontaktverbote bezeichnen will, dienen einzig und allein dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung. Dieser Sinn und Zweck der Maßnahmen ist nicht infrage zu stellen.

Im Übrigen gibt es zur Eigenverantwortung jedes Einzelnen keine Alternative. Es gibt keine Alternative zu den Hygieneanforderungen wie Abstand halten und Hände waschen, um Infektionen zu verhindern. Die meisten Menschen halten sich auch daran. Das hat ja schon gewirkt.

Für uns geht es darum, wie wir das, was vernünftig ist, in einen ordentlichen Ordnungsrahmen bringen. Dabei ist es auch durchaus angezeigt, Coronaverneiner, Gleichgültige, Egoisten und diejenigen, die meinen, Polizisten anhusten zu müssen, zur Rechenschaft zu ziehen.

Wenn wir über Lockerungen diskutieren, geht es ja nicht darum, dass wir diese Maßnahmen infrage stellen, sondern darum, zu überprüfen, ob sie wirken und

dem Sinn und Zweck des Gesundheitsschutzes entsprechen oder vielleicht Verwerfungen produzieren.

Wir lehnen den Antrag der AfD ab. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Herr Neumann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Vincentz, wenn ich mir den Antrag, den wir gerade behandeln, durchlese und ihn in Verbindung zu dem Antrag setze, der unter Tagesordnungspunkt 15 von der AfD gestellt wurde – „Coronaschutzverordnung: Willkür beenden – NRW wieder ,aufmachen‘!“ –, muss ich Ihnen sagen, dass beide Anträge irgendwie nicht zusammenpassen. Oder anders ausgedrückt: Der eine Antrag soll der Vorwand für den anderen sein.

Ich sage Ihnen: Mir ist es lieber, zweimal zu desinfizieren als einmal zu erkranken.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir nehmen Forschung alle gemeinsam sehr ernst und halten Forschungsergebnisse für sehr wichtig. Natürlich muss in unterschiedlichen Bereichen, auch in partiellen Bereichen, weiter geforscht werden. Ich erwähne hier zum Beispiel das Thema „Kinder und Corona“. Das ist ein wichtiger Schwerpunkt, der behandelt werden muss.

Ich nehme der AfD das, was Sie hier als kurzen Antrag vorgelegt haben, aber nicht ab. Sie berufen sich in diesem Antrag auf die sogenannte Heinsberg-Studie und sagen: Da gibt es einen Zwischenbericht; auf Grundlage dieses Zwischenberichtes beantragen wir jetzt einen landesweiten Forschungsbericht, der notwendig ist, um weitere politische oder sonstige Maßnahmen zu ergreifen.

Wir sind zunächst einmal dafür, den Bericht, sobald er vorliegt, genau anzuschauen und auszuwerten, dann zu beraten, welche Konsequenzen wir daraus ziehen, um schließlich zu entscheiden, ob gegebenenfalls etwas anderes möglich ist.

Tatsache ist, dass es Ihnen und vor allem Ihrer Bundestagsfraktion – ich habe mir die Rede von Herrn Gauland als Erwiderung auf die Bundeskanzlerin angeschaut – nur um eines geht, nämlich darum, so schnell wie möglich, ohne Rücksicht auf Verluste, zu lockern.

(Dr. Martin Vincentz [AfD] schüttelt den Kopf.)

Genau das wollen wir nicht. Wir wollen nicht ohne Rücksicht auf Verluste lockern. Wir wissen, dass

jede Lockerung, die wir gegebenenfalls umsetzen, Rückschläge erzeugen kann. Für diese Rückschlagsdebatte und auch für die Lockerungsdebatte brauchen wir keine wissenschaftlichen Grundlagen, weil die politische Entscheidung darüber von Regierungen und Parlamenten getroffen werden muss. Diese Entscheidung wird uns kein Virologe und kein Gutachter abnehmen können.