Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 96. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern an den Bildschirmen.
Für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Ist Landesverkehrsminister Hendrik Wüst seiner Aufgabe mit Blick auf die Vorgänge um den Neubau der Leverkusener Rheinbrücke noch gewachsen?
Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 22. Juni gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Abgeordneten Löcker das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Gestern Abend war ich nach einem langen Plenartag erst um 22 Uhr zu Hause und habe mich dann auf das Zubettgehen vorbereitet. Mir ist aber um kurz nach 10 Uhr tatsächlich noch eine E-Mail des Verkehrsministeriums in die Hände gefallen; liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, wovon ich rede.
Natürlich habe ich sie durchgelesen. Ich habe mir dabei wirklich die Augen gerieben, Herr Minister. Denn ich erinnerte mich an das Gespräch mit meinem Kollegen am Nachmittag, der gesagt hat, der neue Standard im Schulministerium sei es, am Abend die entsprechende Parole für den nächsten Tag herauszugeben. Wenn Sie das übernehmen wollten, dann wäre Ihnen das gelungen. Es ist unanständig, das in einer solchen Form zu machen,
und zwar deshalb, weil es nicht nur um eine Kleinigkeit gegangen ist, sondern darum, dass wir dezidierte Antworten auf unsere Fragen bekommen, die bis heute nicht ordentlich beantwortet worden sind. Insofern will ich jetzt gerne zur Sache kommen.
Der Neubau der Leverkusener Brücke beschäftigt den Landtag seit mindestens 2012. Sie wissen von dem Bericht über den Schock hinsichtlich der Verkehrsinfrastruktur; eine Politik der Vernachlässigung der Bundesverkehrswege, der Schienen, der Bahnhöfe und der Binnenschifffahrtsstraßen. Sie wissen, worüber wir reden.
Wir waren – so viel will gerne anfügen – auf einem guten Weg, was die Rheinbrücke in Leverkusen angeht. Die Entscheidung zum Neubau der Brücke ist längst gefallen. Die Planung ist abgeschlossen; die finanziellen Mittel stehen bereit. Der Auftrag ist vergeben – gewesen, müssen wir heute Morgen leider sagen. Rückblickend lief der Bau sozusagen ziemlich rumplig. Dann kam am 24. April der Paukenschlag für die Öffentlichkeit: die Kündigung des Generalunternehmers PORR AG durch Verkehrsminister Wüst in den Medien.
Heute debattieren wir deshalb eine neue Qualität, denn aus dem Zukunftsprojekt „Leverkusener Brücke“ ist innerhalb der letzten drei Jahre ein Krisenprojekt geworden;
so viel steht fest. Offenkundig ist der Neubau – das halten wir heute fest – völlig aus dem Ruder gelaufen.
Dann gab es den nächsten Paukenschlag. Der „WDR“ berichtete am 21. Juni im Magazin „Westpol“, dass ein leitender Mitarbeiter des Ministeriums bereits am Nikolaustag 2018 Herrn Staatssekretär Dr. Schulte schriftlich dringend zur Kündigung des Vertrages mit der Firma PORR geraten habe.
Der Minister hatte davor aber immer von Frühjahr 2019 geredet, und nun ist es also doch 2018 und damit viel früher.
Wie wir nur aus den Antworten wissen, war davor der Staatssekretär – liebe Kolleginnen und Kollegen, hören Sie genau zu – wöchentlich umfassend über alle Vorgänge informiert. Da kann man nur sagen: Probleme, nicht endende Probleme nach der Kündigung des Generalunternehmers PORR am 24. April.
Durch Sie, Herr Minister, hat die Krise, wie wir meinen, damit einen Höhepunkt erreicht: Baustopp, zu erwartender Rechtsstreit, Bauverzögerung um mehrere Jahre und erhebliche Kostensteigerungen im zweistelligen Millionenbereich. Den Mitgliedern des Verkehrsausschusses sind dazu umfangreiche Unterlagen und Gutachten von mehreren Hundert Seiten zur Verfügung gestellt worden. Der Minister war im Ausschuss dazu sehr auskunftsfreudig; das war sehr erfreulich. Es war aber eben nicht vollständig. Das müssen wir heute Morgen festhalten.
Sie haben mitgeteilt: Februar 19. Jetzt hören wir, es habe bereits im Dezember 18 eine entsprechende Kommunikation gegeben. Jenseits der Qualität der Bauteile in China, jenseits von Stahlgüte, Schweißnähten und Verarbeitungsmängeln ist der andere Bereich auffallenderweise überhaupt nicht ausreichend beleuchtet worden. Dort, lieber Herr Minister, halten Sie sich ziemlich zurück.
Meine Damen und Herren, es geht um die Rolle Ihres Staatssekretärs Dr. Schulte, der in vielen Passagen als Mitglied der Hausspitze bezeichnet wird, und der erhebliche Verantwortung für das Gelingen des Projekts trägt. Das ist doch unzweifelhaft so.
Es ist natürlich auch eine Selbstverständlichkeit, dass er seinen Job macht. „Überflüssiger Hinweis“, wird der eine oder andere sagen. Auch hier ein „aber“, denn dann wurde bekannt, dass Dr. Schulte unmittelbar vor der Tätigkeit für den Landesverkehrsminister als leitender Mitarbeiter der PORR AG tätig war.
So wollen wir also festhalten: Vom 01.10.2016 bis zum 30.06.2017 war Herr Dr. Schulte in der Niederlassung Düsseldorf als Bereichsleiter Brücken und Ingenieurbau tätig. Da wird aus meiner Sicht aus „etwas ungewöhnlich“ ganz schnell „etwas schwierig“, dann wirkt es problembehaftet, und dann frage ich mich: Wo sind in diesem Zusammenhang die Interessenkollisionen? Das ist eine Frage, die man heute Morgen hier einbringen muss. Wir tun das.
Kann es sein, dass mit Blick auf diese Vorgänge zwei Herzen in einer Brust schlagen? Wie ist das zu bewerten, wenn man für die Landesregierung mit einem Unternehmen zu tun hat, für das man vorher selbst gearbeitet hat? Wie ist der Streit des Verkehrsministeriums mit der PORR AG zu bewerten? Die Frage muss doch einmal gestellt und heute Morgen deutlich in den Mittelpunkt gestellt werden. Was ergibt sich aus der Information, dass schon im Dezember 2018 auch die Variante einer Kündigung konkret eine Rolle spielte?
Laut „Westpol“-Magazin schrieb ein leitender Mitarbeiter an den Staatssekretär einen Brandbrief, und ich zitiere daraus – mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –: Der Landesbetrieb Straßen.NRW sei mit seinen Möglichkeiten, auf die Firma PORR Einfluss zu nehmen, am Ende. – Das sagt doch alles. Zur Klärung sollte der Vorstand der Baufirma einbestellt werden. Dies sei die letzte Eskalationsstufe, so schreibt man weiter, vor dem Ende mit Schrecken. Also eine Kündigung plus eine neue Ausschreibung.
Wie ist es zu verstehen, dass die Kündigung erst am 20. April 2020 erfolgte, also eineinhalb Jahre später? Was ist in der Zwischenzeit passiert? Wer hat da mit wem geredet? Wer hat sich um das Problem gekümmert? Bisher keine Antworten darauf.
Deshalb fragen wir: Wie hat der Staatssekretär auf diese massiven Hinweise hinsichtlich der Kündigung der Verträge mit der Firma PORR reagiert? Das muss doch dokumentiert sein. Das muss uns doch vorliegen. Wir müssen doch wissen, was das Ministerium in der Zwischenzeit unternommen hat. Wir wollen das wissen, meine Damen und Herren, und zwar detailliert. Wir hätten ganz gerne Informationen über die Abläufe.
Sie haben uns gestern Abend wissen lassen: Das ist nicht dokumentiert, da können wir keine Hinweise geben. – Vermutlich führen Sie überhaupt keinen Kalender, auch nicht im Ministerium, der Ihnen erlaubt, nachzuvollziehen, wann Sie wo geredet haben. Wir haben aber einen Anspruch darauf, dass wir diese Informationen hier vorgelegt bekommen, damit wir den ganzen Vorgang bewerten können.
Diese unverständlichen Verzögerungen kommen das Land teuer zu stehen. Ich habe bereits zu Beginn darauf hingewiesen.
Nun komme ich zu dieser nichtöffentlichen Vorlage. Die lag in den letzten Wochen vor, und wenn man die in der Hand hält und sie schüttelt, dann fällt jetzt noch der Rost heraus, so deutlich sind die Mängel beschrieben. Und da fragt man sich natürlich mit Blick auf die Qualifikation von Dr. Schulte, was er in der Zwischenzeit eigentlich unternommen hat. Er hätte in der Zwischenzeit auf den Gedanken kommen müssen, dass es Zeit wird, zu handeln.
In diesem Sinne abschließend: Seit gestern Abend haben wir die entsprechende E-Mail vorliegen. Wir haben Fragen gestellt. Daraus geht hervor, dass der Staatssekretär umfassend mit allen Vorgängen betraut war, sogar seit Juli 2017.
Das ist – das sage ich Ihnen ganz klar – schlimmer, als wir es vorher über den Dezember 2018 vermutet haben.
In diesem Sinne erwarten wir heute Aufklärung und dass Sie sich hier hinstellen und Ihren Job machen. Sie haben zugesagt, dass es nach diesem Desaster eine neue Form der Kommunikation geben wird. Das ist Ihnen bis jetzt nicht gelungen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Aus Fehlern kann man viel über sich lernen – außer man gibt den anderen die Schuld, dann natürlich nicht.
Der schlimmste aller Fehler ist allerdings, sich keines Fehlers bewusst zu sein. Die Leverkusener Brücke ist ein zentrales Nadelöhr im deutschen Autobahnnetz und in den vergangenen Jahren Grund für großen Frust in der Region bei Wirtschaft und Pendlern. Sie ist zum Symbol für unsere auf Verschleiß gefahrene Infrastruktur geworden und gleichzeitig der Ausgangspunkt für die Kehrtwende bei den Infrastrukturinvestitionen.
Der Unterschied zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, könnte dabei nicht größer sein. Uns geht es um die Brücke, Ihnen um Getöse.
Allein die Überschriften Ihrer Anträge auf Aktuelle Stunden enthalten viel Lärm, wenig Inhalt. So, wie die Formulierung Ihres Antrags und erst recht auch die Begründung zu dieser Aktuellen Stunde maßlos überzogen ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
so enorm groß muss Ihre Verzweiflung sein. Herr Kollege Löcker, heute dürfen Sie mal reden und werden auch direkt unverschämt.
Eine in Schmutzkampagnen erprobte NRW-SPD ist sich nicht zu schade, den Versuch zu unternehmen, einen erfolgreichen Verkehrsminister Hendrik Wüst, einen hervorragend arbeitenden Staatssekretär Dr. Schulte sowie eine erfolgreiche christlich-liberale Verkehrspolitik zu diskreditieren, um von eigenen Versäumnissen abzulenken.