Protokoll der Sitzung vom 26.08.2020

Im Zuge des Wohlstands etc. wurden die runderneuerten Reifen in der Tat immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Es gab negative Berichte, Reifenplatzer, Sicherheitsgründe etc.; das ist von meinen Vorrednern alles schon richtigerweise genannt worden.

In der Tat ist die Runderneuerung bei Lkw-Reifen heute noch gängige Praxis. Bei den Pkw-Reifen ist sie es aber tatsächlich nicht mehr.

Energieverbrauch, Ressourcenverschwendung, Kautschuk sind sicher alles richtige Themen, die hier schon angesprochen wurden. Die Frage ist aber, ob sie wirklich so rentabel sind und ob ihr Vorteil wirklich so groß ist, wie es in diesem Antrag beschrieben wird.

Wir haben bereits im Rahmen einer Kleinen Anfrage Stellung genommen, lieber Herr Rüße. Bei der Beschaffung ist in der Tat mit Minderkosten zu rechnen – ich darf an unsere Studien- und Ausbildungszeiten erinnern –, aber es stehen tatsächlich höhere

Verschleißkosten und ein höherer Kraftstoffverbrauch gegenüber.

Jetzt werden Sie sagen: Frau Heinen, das stimmt nicht. – Ein anderer wird sagen: Genauso ist es. – Wissen Sie, was das Problem ist? – Wir haben keine belastbaren Zahlen darüber, wie die Bilanz der runderneuerten Reifen aussieht. Pro und Kontra sind nicht klar ersichtlich.

Runderneuerte Reifen werden im Übrigen nur noch von einem einzigen Betrieb in Deutschland angeboten, das heißt, dass es dazu auch keine regionale Kreislaufwirtschaft gibt. Bei den Lkws sieht das tatsächlich etwas anders aus.

Ich schlage vor, dass wir uns zu diesem Thema jetzt erst einmal eine wissenschaftliche Beurteilungsgrundlage schaffen. Die müssen wir als Land NRW auch nicht in Auftrag geben, denn sie kommt über das Umweltbundesamt, das im ersten Halbjahr 2021 eine entsprechende Studie darüber vorlegen will. Ich schlage vor, dass wir diese Studie bzw. dieses Projekt abwarten und dann sehen, wie sich die Bilanz der Reifen darstellt.

Wenn die Studie, das Gutachten, die Untersuchung oder was auch immer zu dem Schluss kommt, dass sich vielleicht ein Pilotprojekt lohnt, können wir das gerne aufsetzen.

Ich würde jedoch davor warnen, ohne vernünftige Grundlagen oder ein Gefühl dafür zu haben, wie es richtig oder nicht richtig sein könnte, jetzt schon einen solchen Test zu schaffen.

Meine Vorredner haben es schon gesagt: Der Fuhrpark der Landesregierung ist auch sehr differenziert zu betrachten. Es gibt sicherlich Einsatzbereiche, in denen so etwas möglich ist. Zum Beispiel kann man sich das in meinem Geschäftsbereich durchaus vorstellen. Im Rahmen eines solchen Projekts würde ich das wahrscheinlich auch anbieten.

Es gibt aber auch andere Bereiche in der Landesregierung – Stichwort: Polizeifahrzeuge, Einsatzfahrzeuge von Sicherheitskräften –, bei denen ich davon definitiv abraten würde.

Herr Rüße, ich war total erstaunt, dass Sie sich mit Motorsport beschäftigt haben. Es ist aber eben etwas total anderes, ob ich ein paar Runden über den Nürburgring drehe – darüber könnten wir uns auch einmal austauschen – und dann die Reifen wechsle oder ob es darum geht, bei wichtigen Sicherheitsdingen – der Verfolgung von Autos etc. – vernünftige Autos mit vernünftigen Reifen zu haben.

Deshalb lautet mein Vorschlag: Lassen Sie uns abwarten, was bei der Studie, bei dem Gutachten des Umweltbundesamtes herauskommt. Anschließend können wir uns darüber unterhalten.

Vielleicht geht das auch, Patricia Peill, mit der Beratung im Ausschuss überein; dann hätte man dazu

auch gleich eine vernünftige wissenschaftliche Grundlage. – Danke für die Aufmerksamkeit, und kommen Sie mit Ihren Neureifen gut nach Hause!

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Bis zur Heimfahrt dauert es allerdings noch ein bisschen. Hier im Parlament liegt noch ein wenig Arbeit vor uns, bei der die Landesregierung natürlich auch anwesend sein wird.

Ich habe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Damit sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/10627 an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz; die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich frage, ob es hierzu Gegenstimmen gibt. – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit stelle ich die einstimmige Überweisung fest.

Ich rufe auf:

16 Missbrauch der EU-Freizügigkeit verhindern –

Rechte der Ausländerbehörden stärken

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/10645

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der AfD der Abgeordneten Frau Walger-Demolsky das Wort. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht hier nicht um die vielen Menschen aus der EU, die zu uns gekommen sind und seit Jahren ihren Beitrag leisten – und das nicht nur als Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Es geht hier auch nicht um die Menschen, die sich integriert haben und mit dem, was sie an kultureller Eigenheit mitgebracht haben, den Alltag aller hier Lebenden bereichert haben.

Es geht hier ausschließlich um den Missbrauch und den Umgang oder besser gesagt den Nichtumgang mit dem Missbrauch des Freizügigkeitsrechts.

Für Unionsbürger, die sich länger als drei Monate in einem anderen Land der EU aufhalten, dort nicht erwerbstätig sind, keine Aussicht auf eine Erwerbstätigkeit haben und zudem nicht in der Lage sind, sich und ihre Familienangehörigen zu unterhalten, besteht das Recht auf Freizügigkeit grundsätzlich nicht. Das ist der Grundgedanke der EU-Richtlinie zur

Arbeitnehmerfreizügigkeit, die im Jahre 2005 mit dem Freizügigkeitsgesetz ins deutsche Recht übertragen wurde.

Ein weiterer Grundsatz lautet, dass Sozialhilfeleistungen des aufnehmenden Mitgliedsstaats nicht unangemessen in Anspruch genommen werden sollen.

Nach 15 Jahren stellt sich aber die Frage, ob diese Grundsätze erfolgreich umgesetzt wurden. Ein Blick auf die Arbeitslosenquoten der vergangenen Jahre für NRW bietet wichtige Anhaltspunkte: Von 2014 bis 2018 verringerte sich die Arbeitslosenquote der deutschen Bevölkerung von 7,7 auf 5,8 %.

Bei den hier ansässigen EU-Bürgern verringerte sich die Quote von 14,9 auf 11,3 %. Das heißt: Die Quote war regelmäßig doppelt so hoch. Hierbei gibt es noch große Unterschiede, wenn man zum Beispiel die Quote der Iren oder Finnen mit der Quote der Bulgaren vergleicht. Das Ziel einer ausschließlich qualifizierten Arbeitnehmerzuwanderung wurde also erkennbar verfehlt.

Viele erfolgreiche Fälle einer Arbeitsmigration verbunden mit einer gelungenen Integration können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Verbindung mit der EU-Freizügigkeit auch zu einer Armutsmigration – also einer Zuwanderung in unsere Sozialsysteme – gekommen ist.

An mangelnder Unterstützung liegen diese Misserfolge nicht. Seit 2014 sind zum Beispiel für Menschen aus Bulgarien und Rumänien allein auf kommunaler Ebene über 30 Millionen Euro für Integrationsmaßnahmen ausgegeben worden – zusätzlich zu den umfangreichen Projekten aus dem Landeshaushalt.

Die EU-Freizügigkeitsrichtlinie bietet ausreichende Möglichkeiten der Kontrolle und Steuerung. Die Umsetzung in Deutschland ist allerdings absolut unzureichend. Das beginnt mit der fehlenden Verpflichtung bei der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt, weitere Informationen und Unterlagen zum Nachweis des Freizügigkeitsrechts abzugeben. Die Meldung beim Einwohnermeldeamt ist daher keine Garantie für eine vollständige Erfassung eines rechtmäßigen Zuzugs.

Die Freizügigkeitsrichtlinie der EU bietet im Grundsatz umfangreiche Möglichkeiten einer Überprüfung der Voraussetzung in Form von Bescheinigungen und schriftlichen Nachweisen an, aber in der deutschen Verwaltungsvorschrift heißt es, dass von einer Vorlage dementsprechender Dokumente abzusehen ist. Zitat: Eine Überprüfung findet nicht statt.

In Horn-Bad Meinberg haben sich 365 Rumänen und Bulgaren angesiedelt. Gerade einmal 30 von 95 erwerbsfähigen Personen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt – meist allerdings nur geringfügig. Was wurde denn hier geprüft?

Unsere Große Anfrage Südmittelosteuropa belegt, dass die Landesregierung ahnungslos ist. Wie oft wurde innerhalb der ersten fünf Jahre überprüft, ob Arbeitsplatzsuche und Integration aussichtslos erscheinen? – Die Landesregierung hat keine Ahnung. Wie wurde überprüft, ob ausreichende Finanzmittel oder ein Krankenversicherungsschutz vorliegen? – Die Landesregierung hat keine Ahnung. Wie wird die Frist zur Suche nach einem Arbeitsplatz überwacht? – Keine Ahnung. Wie viele Unionsbürger haben ihr Aufenthaltsrecht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit verloren? – Keine Ahnung.

Verschaffen Sie sich einen Überblick. Sorgen Sie dafür, dass die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Fördern Sie die Freizügigkeit für Arbeitnehmer, aber unterbinden Sie endlich eine Zuwanderung in die Sozialsysteme! Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, dann schauen Sie einfach mal in die Vorlage 16/5498. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Frau Walger-Demolsky. – Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Gebauer das Wort.

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Freizügigkeit ist und bleibt der zentrale Bestandteil unseres gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraums, von dem Deutschland als Exportnation und wir hier in Nordrhein-Westfalen als Industrieland ganz besonders profitieren.

Deutschland verkauft zwei Drittel seiner Exporte zollfrei innerhalb der EU. 37 % unserer Exporte gehen in den Euroraum. Sie sind sowohl von Zöllen als auch von teuren Währungsschwankungen befreit. Die europäische Integration fördert aber nicht nur den deutschen Außenhandel. Unsere Wirtschaft profitiert auch von vielen qualifizierten und motivierten Migranten aus der EU. Angesichts unserer überalterten Bevölkerung und der geringen Geburtenrate kann daran auch kein Zweifel bestehen. Der Binnenmarkt und die Freizügigkeit sind das Herzstück der EU.

Wirtschaftskreisläufe kann man nicht renationalisieren. Insbesondere die Coronakrise hat uns gezeigt, dass Waren und Dienstleistungen die Grenzen weiterhin ohne Wartezeiten passieren können müssen. Nahrungsmittel sowie Medikamente und Schutzausrüstungen müssen schnell ihr Ziel erreichen. Lieferketten dürfen nicht unterbrochen werden. Nur so können wir die Versorgung der Bürger aufrechterhalten und ihre Gesundheit schützen.

Mit rund 550 Millionen Menschen ist der europäische Wirtschaftsraum noch immer der wichtigste Marktplatz der Welt. Sie finden heute in Geschäften eine

Vielfalt an Waren und Gütern, wie es niemand vor uns gehabt hat und wie es sie auf der ganzen Welt nirgendwo in dieser Vielfalt, Qualität und Quantität gibt.

Für das Exportland Deutschland ist daher der Binnenmarkt die Grundlage für seinen Erfolg. Dazu erbringen auch die vielen qualifizierten und motivierten Migranten – nicht nur aus der EU – einen ganz entscheidenden Beitrag. Freizügigkeit bedeutet aber nicht nur freier Handel von Waren und Dienstleistungen, sondern auch das Recht jedes einzelnen Unionsbürgers, sich fast ohne Beschränkungen und ohne besondere Erlaubnis in den anderen Staaten aufzuhalten und dort erwerbstätig zu sein.

Von 4,9 Millionen EU-Bürgern, die letztes Jahr in Deutschland lebten, waren 185.000 arbeitslos gemeldet. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 3,8 % unter den ausländischen EU-Bürgern in Deutschland. Die große Mehrheit der ausländischen EU-Bürger in Deutschland arbeitet, zahlt Steuern und Sozialabgaben und trägt zu unserem Wohlstand bei.

Meine Damen und Herren von der AfD-Fraktion, Sie operieren in Ihrem Antrag mit Zahlen und Daten, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen und nach Ihrem Gusto neu zusammengestellt worden sind. Da werden einzelne relative Werte herangezogen, um Menschen aus bestimmten Herkunftsländern zu stigmatisieren.

Nordrhein-Westfalen ist schon immer ein Zuwanderungsland gewesen. Als Rheinländerin weiß ich ganz genau, wovon ich spreche. In meiner Heimatstadt Troisdorf wurde Anfang der 70er-Jahre das erste Ausländer-Parlament ins Leben gerufen.