Wir müssen uns aber ganz intensiv mit dem Lebensfeld der Menschen auseinandersetzen. Deswegen unterstreiche ich sehr ausdrücklich das, was Kollege Neumann gesagt hat.
Wir können nur mit den Betroffenen, mit den Menschen und vor allem auch mit den Fachleuten diskutieren – das ist also keine Betroffenheitsrhetorik –, was zu analysieren ist, was noch fehlt und was noch draufzusatteln ist.
Eines muss doch klar sein: Das größte Bundesland mit einer so starken pflegerischen und sonstigen Infrastruktur – da haben wir ja Vorbildcharakter – muss in der Lebenswelt der Menschen von der Geburt, den Krankenhäusern und der Kita über die Schule bis zum lebenslangen Lernen und zur Stadtentwicklungspolitik eine umfassende Antwort darauf geben, wie wir das Leben der Menschen, und zwar aller Menschen, in diesem Bundesland verbessern und systematisch ausbauen können.
Deswegen freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss und kündige schon an, dass wir innerhalb der Anhörung auch in Teilbereichen genau über diese Aspekte diskutieren wollen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die AfD-Fraktion spricht Frau Kollegin Dworeck-Danielowski.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 21. Juli hat Minister Laumann den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales den kompletten Teilhabebericht zur Verfügung gestellt. Beraten wurde der Bericht bisher noch nicht.
Die Kollegen – Herr Mostofizadeh hat es gerade schon erwähnt – von Bündnis 90/Die Grünen werden in der kommenden Sitzung eine Anhörung zum Bericht beantragen. Wir können also davon ausgehen, dass wir uns als Parlamentarier erst in einigen Monaten ein umfassendes Bild über den Inhalt des Berichtes machen können. Wie beurteilen die unterschiedlichen Experten, die Betroffenen und die Verbände den Istzustand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Land Nordrhein-Westfalen? Das ist ja letzten Endes die spannende Frage.
So lange wollen die regierungstragenden Fraktionen anscheinend nicht warten. Dieser Antrag ist folglich an Banalität kaum zu überbieten, und das ist schade. Sie geben im Antrag vor, dem grundsätzlichen Anliegen, nämlich die Lebenssituation von behinderten und beeinträchtigten Menschen zu verbessern, Nachdruck verleihen zu wollen. Da der Antrag aber recht inhaltsleer daherkommt und eine Binse der nächsten folgt, passiert genau das Gegenteil.
Natürlich begrüßt das Parlament die Veröffentlichung des Berichtes, und ein Bericht ist immer eine gute Diskussionsgrundlage. Aber diese Allgemeinplätze ernsthaft im Plenum zur Debatte zu stellen, ist schon etwas peinlich.
Die Beratung im Ausschuss steht ohnehin noch aus. Sie wird auch sicher spannend; denn in vielen Punkten weist der Bericht große Lücken auf.
Nehmen wir als Beispiel das Thema „barrierefreies Wohnen“ bzw. „freie Wahl des Wohnorts“. Kaum etwas ist so relevant für das Wohlbefinden wie das eigene Zuhause und die Autonomie. Aber gerade zu diesem Punkt räumen Sie im Bericht ein, dass zum aktuellen Stand der Barrierefreiheit im Wohnungsbestand keine Daten vorliegen, ebenso nicht zum Bedarf.
Wenn man dann im eigenen nächsten Umfeld mitbekommt, was es bedeutet, wenn man plötzlich auf den Rollstuhl angewiesen ist und in keiner barrierefreien Wohnung lebt, dann ist man doch überrascht. Man ist überrascht, dass in einer Zeit, in der Inklusion in aller Munde ist, ein gehbehinderter Mensch heute noch monatelang in seiner Wohnung quasi eingesperrt leben muss, weil barrierefreies Wohnen Glückssache ist und sich niemand, weder die Sozialversicherung noch der Vermieter, zuständig fühlt.
Wir sprechen im Zusammenhang mit Inklusion häufig über den zehnten Schritt, bevor wir die ersten Schritte überhaupt im Ansatz vollzogen haben. Es gibt viel zu tun; keine Frage.
Eine weitere Forderung, die im Kern in der Tat eine wichtige Frage aufwirft, betrifft die Folgen der Coronakrise für Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen. Aber auch hier versäumen Sie, den Finger in die Wunde zu legen.
Ich erinnere mich noch gut an einen O-Ton im WDR. Nach acht Wochen Lockdown – oder wie auch immer wir die Zeit der massivsten Einschränkungen nennen mögen – hat dort eine Mutter mit tränenerstickter Stimme davon berichtet, dass sie endlich ihre eigene Tochter wieder besuchen darf, die in einer Einrichtung für geistig behinderte Kinder wohnt.
Das wäre in der Tat ein Thema für eine eigene Debatte: Wie geht es Menschen mit den Einschränkungen in Altenpflege- und Behindertenwohnheimen?
Es bricht einem das Herz, zuzusehen, wie eigene alte Angehörige kontinuierlich abbauen und Fähigkeiten verlieren, weil ihnen die regelmäßigen Gruppenangebote in den Heimen fehlen, weil die Isolation, im eigenen Zimmer alleine Mahlzeiten vor dem Fernseher einzunehmen, ihnen die letzte Lebenslust nimmt.
Aber das meinen Sie gar nicht. Sie verwässern das Thema und beziehen sich in diesem Zusammenhang ernsthaft auf barrierefreie Kommunikation.
Der Zeitpunkt Ihrer Antragstellung ist für uns verfrüht und nicht nachvollziehbar. Erfreulicherweise haben Sie sich ja noch zu einer Überweisung hinreißen lassen. Die direkte Abstimmung fällt somit aus.
Der Beratung des Teilhabeberichts sehen wir unabhängig davon mit großem Interesse entgegen und freuen uns darauf, das im Ausschuss zu tun. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Dworeck-Danielowski. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Laumann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, unser gemeinsames Ziel ist es, dass Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen des Lebens selbstverständlich gleichberechtigt beteiligt sind und beteiligt werden. Wir wollen uns doch alle weiterhin für eine umfassende Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzen, um ein möglichst inklusives Nordrhein-Westfalen zu schaffen.
Der von externen Wissenschaftlern erstellte Teilhabebericht ist dafür aus meiner Sicht eine gute Grundlage. Denn man muss die Lebenslagen der Menschen mit Behinderungen im Land kennen, um eine gute Inklusionspolitik zu machen.
Der Teilhabebericht zeigt, wo schon viel erreicht wurde; und da ist in den letzten Dekaden viel erreicht worden. Aber er zeigt natürlich auch auf, wo wir noch Schwachstellen haben. An vielen Stellen kann man
heute sagen, dass bei uns in Nordrhein-Westfalen in unserer Gesellschaft Inklusion gelingt. Es gibt aber auch andere Bereiche, in denen wir noch Anstrengungen unternehmen müssen und auch das Angebot ausbauen müssen. Diese Hinweise nehmen wir ernst. Wir werden versuchen, gemeinsam daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
An dieser Stelle ist mir eine Sache sehr wichtig, auch aus der Erfahrung heraus, die ich in vielen Jahren gewonnen habe: Es macht in diesem Bereich der Politik großen Sinn, möglichst viele Gemeinsamkeiten unter den demokratischen Fraktionen zu suchen. Es macht aber auch viel Sinn, möglichst viele Betroffene mit in die Entscheidungen einzubeziehen.
Aber eines möchte ich auch sagen – das wird im Bericht auch deutlich –: Die Inklusionspolitik, die in Nordrhein-Westfalen gemacht worden ist und zurzeit gemacht wird, muss sich nicht verstecken. Bereits jetzt werden von der Landesregierung mehr als 90 wesentliche Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen durchgeführt.
Ich will Ihnen einige Beispiele nennen. Ziel der Landesregierung ist, bei Neueinstellungen 5 % der Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Das ist ein konkreter Beitrag des Landes NordrheinWestfalen, als Arbeitgeber ein gutes Beispiel dafür zu geben, dass behinderte Menschen bei Einstellungen besonders zu berücksichtigen sind.
Es gibt in der Landesregierung Ministerien – zum Beispiel das MAGS –, in denen mittlerweile 15 % der Beschäftigten Schwerbehinderte sind. Aber auch im Ganzen liegt die Beschäftigungsquote innerhalb der Landesverwaltung mit 6,3 % deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
Unser Landesprogramm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ leistet einen bedeutenden Beitrag dazu, dass in den Betrieben seit dem Jahr 2010 ein Anstieg der schwerbehinderten Auszubildenden um 30 % gelungen ist.
Im Rahmen des sogenannten Nordrhein-WestfalenBudgets für Arbeit hat es seit 2008 über 2.600 Wechsel von Werkstätten in eine reguläre Ausbildung und Beschäftigung gegeben.
Das Förderprogramm „Inklusionsscheck NRW“ will die vielfältigen Ansätze überall im Land aufgreifen und stärken, wo Menschen mit und ohne Behinderung ganz selbstverständlich miteinander leben. In diesem Bereich haben wir seit Ende Juli bereits über 200 Förderanträge vorliegen.
In Nordrhein-Westfalen lag die Quote der Menschen mit Behinderungen, die in einer eigenen Häuslichkeit leben, 2018 bei über 60 %. Bundesweit ist das ein Spitzenwert unter den Flächenländern.
Die Umsetzung der Inklusion in den Regionen wird durch sechs Kompetenzzentren „Selbstbestimmt Leben“ in NRW gefördert.
Mit dem Projekt „Politische Partizipation Passgenau!“ der LAG Selbsthilfe wird die politische Beteiligung von Menschen mit Behinderungen in den Kommunen verbessert. Denn wenn Menschen mit Behinderungen ihre Stadt aktiv mitgestalten, werden ihre Bedürfnisse bei der Planung auch besser beachtet.
Klar ist aber auch, dass wir uns weiter anstrengen müssen. Die Bündelung von Kompetenzen und Maßnahmen in einem neuen Aktionsplan wird das Thema „Inklusion“ weiter stärken und die Aktivitäten der Landesregierung noch sichtbarer machen. Der Aktionsplan soll Priorität bei der Inklusionspolitik setzen und Inklusionsimpulse der Ressorts verknüpfen.
Da Inklusion eine Querschnittsaufgabe ist, werden alle Ressorts daran mitarbeiten. Selbstverständlich werden der Inklusionsbeirat, die Landesbehindertenbeauftragte und die Betroffenen mit eingebunden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte wird der Landesregierung bei dieser Frage beratend zur Seite stehen.
Wir wollen die Inklusionspolitik in Nordrhein-Westfalen weiter voranbringen. Die Inklusion ist ein Prozess, an dem immer weiter gearbeitet werden muss. Die Umsetzung gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verlangt Ausdauer. Für die betroffenen Menschen ist das oft schwer auszuhalten. Deshalb ist es wichtig, dass sie in die Entscheidungen gut eingebunden sind und wir die Entscheidungen alle gemeinsam tragen.
In Nordrhein-Westfalen ziehen wir bei der Inklusionspolitik in vielen Bereichen über die Fraktionsgrenzen hinweg an einem Strang. Dies ist eine gute Tradition, die ich sehr gerne weiter fortsetzen würde. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 6.
Wir kommen zur Abstimmung. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen – das wurde in der Debatte mehrfach erwähnt – haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, diesen Antrag zu überweisen. Die Überweisung des Antrags Drucksache 17/10632 erfolgt gemäß der Verabredung an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dort in öffentlicher Sitzung stattfinden. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/10736 wird entsprechend mit überwiesen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Gibt es