Protokoll der Sitzung vom 16.09.2020

Bereits die von Frau Leutheusser-Schnarrenberger im vergangenen Jahr in Auftrag gegebene Problembeschreibung unter Mitwirkung verschiedener Institutionen bzw. Vereine, wie zum Beispiel SABRA, Bagrut e. V. oder der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, hatte einen Einblick in die aktuelle Lage gegeben.

Durch den Kontakt der genannten Institutionen mit den Betroffenen konnte ein deutlich weiteres Spektrum an Vorkommnissen erfasst werden und etwas Licht auf das Dunkelfeld geworfen werden. Es wurden nicht nur weit mehr Vorfälle erfasst, sondern es wurde auch das subjektive Erleben verdeutlicht. Damit ist die Problembeschreibung neben dem Antisemitismusbericht und der Kriminalstatistik eine wichtige Ergänzung.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger begründete ihr Vorgehen damit, dass die dort erfassten Daten die Grundlage für eine einzurichtende Meldestelle bilden sollten. Sie führte im Ausschuss aus, diese Meldestelle solle zuständig sein für strafrechtlich relevantes Verhalten, aber auch für strafrechtlich nicht relevantes Verhalten – also für das, was sich im täglichen Umgang in Pöbeleien, in Beschimpfungen ergibt, aber nicht von Straftatbeständen erfasst wird; das, was auf Schulhöfen, aber auch in sportlichen Kontexten passiert und als Vorfall gemeldet werden kann.

Als Vorbild – das wurde schon erwähnt – dienen dabei Bundesländer wie Bayern, Berlin, Schleswig-Holstein oder Brandenburg, die bereits über eine RIASMeldestelle verfügen. Deshalb begrüßen wir den von CDU und FDP vorgelegten Antrag mit der Forderung nach einer Meldestelle und werden ihm – ebenso wie dem Änderungsantrag – zustimmen.

Allein, der Antrag ist uns ein wenig zu kurz geraten, und ihm fehlt aus unserer Sicht die nötige Entschlossenheit. Deshalb legen wir heute – obwohl wir zustimmen – ergänzend einen Entschließungsantrag vor, der den Antrag der regierungstragenden Fraktionen in einen größeren Kontext einordnet und ihn sowohl im Forderungs- als auch im Feststellungsteil ergänzt.

So ist ein gemeinsames Bekenntnis aller demokratischen Fraktionen im Landtag zu einer demokratischen, weltoffenen und toleranten Gesellschaft und gegen jede Form von Antisemitismus eine wesentliche Voraussetzung für alle in Betracht zu ziehenden Forderungen. Darüber hinaus müssen alle gesellschaftlichen Akteure einbezogen und in Verantwortung genommen werden, um eine erfolgreiche Arbeit der künftigen Recherche- und Informationsstelle zu ermöglichen.

Nach der umfangreichen Vorarbeit ist es jetzt an der Zeit, die im ersten Antisemitismusbericht vorgeschlagene Meldestelle einzurichten. Hier unterscheidet sich unser Antrag von dem der regierungstragenden Fraktionen. Wir sind der Überzeugung, dass gehandelt und nicht nur geprüft werden muss.

Über Jahrhunderte hinweg ist es nicht gelungen, unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger dauerhaft vor Vorurteilen, Hass und Verfolgung zu schützen. Jetzt ist es Aufgabe von Politik und Gesellschaft, den stereotypen Projektionen auf die Angehörigen des jüdischen Glaubens endlich ein Ende zu setzen. Beginnend bei denjenigen, die mit Bildung und Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen betraut sind, über alle im Staatsdienst Stehenden bis hin zu den gesellschaftlich relevanten Gruppen muss es unsere gemeinsame Aufgabe sein, jegliche Form von Antisemitismus aufzudecken und zu ächten.

Die Einrichtung einer Recherche- und Informationsstelle ist eine Voraussetzung, damit gezielt und planmäßig gegen Antisemitismus gearbeitet werden

kann. Beschließen wir sie noch heute. Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag bitte zu.

Dem Entschließungsantrag der AfD können wir hingegen nicht zustimmen. Sie bestreiten die Ergebnisse der PMK-Statistik und anderer Statistiken. Sie sehen Antisemitismus schwerpunktmäßig im muslimischen, linken oder türkisch-nationalistischen Umfeld

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist nicht wahr!)

und bagatellisieren eindeutig den vorherrschenden rechten Antisemitismus.

Auch die Forderung der Angliederung an eine jüdische Gemeinde widerspricht dem, was gerade die Landesverbände jüdischer Gemeinden in NordrheinWestfalen wünschen. Deshalb können wir dem auf gar keinen Fall zustimmen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Müller-Witt. – Jetzt spricht Frau Schäffer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den rechtsextremistischen, antisemitischen Anschlag in Halle am 9. Oktober des vergangenen Jahres haben wir alle noch in trauriger Erinnerung. Der Anschlag war ganz klar antisemitisch motiviert. Es wurden zwei Menschen grausam ermordet. Derzeit läuft der Strafprozess, den wir wohl alle sehr interessiert verfolgen.

Ich finde, dass die Tat in Halle sehr klar zeigt, welche enge Verknüpfung es gibt zwischen Antisemitismus, Verschwörungstheorien, Rassismus, aber auch dem Hass auf Frauen. Insbesondere die Mischung aus antisemitischen Stereotypen und Verschwörungstheorien macht uns, gerade auch in Bezug auf die sogenannten Coronademos, sehr große Sorgen. Vor dem Hintergrund, dass dort immer wieder antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet werden und man sich antisemitischer Stereotype bedient, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass es nach wie vor Menschen gibt, die an diesen Demonstrationen teilnehmen.

Herr Hagemeier hatte vorhin schon auf meine Kleine Anfrage und die Antwort der Landesregierung zu den antisemitischen Straftaten im ersten Halbjahr 2020 hingewiesen. Wir verzeichnen seit Jahren einen Anstieg antisemitischer Straftaten in Nordrhein-Westfalen. Klar ist – und ich finde, das muss auch jedem klar sein –, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches größer ist.

Das hat sehr verschiedene Gründe. Nicht jede Straftat wird zur Anzeige gebracht. Es wird nicht jede

Straftat als antisemitisch motiviert erkannt und dann als solche verzeichnet. Außerdem – das wurde in der Debatte schon angesprochen – ist nicht jeder antisemitische Vorfall strafrechtlich relevant, weshalb er dann auch nicht in der Statistik landet.

Wenn man diese drei Effekte zusammennimmt, ergibt sich daraus ein sehr großes Dunkelfeld; das berichten auch viele Jüdinnen und Juden. Ich persönlich finde total erschreckend, dass gerade der Tatort Schule ein großes Thema ist. Viele Jüdinnen und Juden berichten, dass sie an der Schule Antisemitismus und häufig auch so etwas wie Handlungsunsicherheit bei Lehrerinnen und Lehrern erleben. Ich glaube, das ist genau der Punkt, an dem wir ansetzen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass Lehrerinnen und Lehrer darin gestärkt werden, mit solchen Vorfällen umgehen zu können.

Wir reden heute über die „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“, RIAS, die es schon in mehreren Bundesländern gibt, aber bislang noch nicht in Nordrhein-Westfalen. Diese Stelle hat die Aufgabe, das Dunkelfeld aufzuhellen, also Vorfälle zu vermerken und darüber zu berichten.

Fast noch wichtiger oder mindestens genauso wichtig ist aber, dass diese Stelle den Betroffenen auch Unterstützungsmöglichkeiten vermittelt, zum Beispiel psychosoziale und juristische Beratung oder Kontakt zu Antidiskriminierungsstellen.

Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen mit SABRA bei der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf eine Stelle, die explizit zu diesem Themenfeld arbeitet und Kontakt zu den Opferberatungsstellen vermittelt; das sind in Nordrhein-Westfalen BackUp und die Opferberatung Rheinland, die bewährte Strukturen darstellen.

Wir Grüne fordern darüber hinaus schon seit Langem eine Dunkelfeldstudie über Antisemitismus und dessen Verbreitung in Nordrhein-Westfalen. Für den 1. Oktober planen wir mit mehreren Fachausschüssen eine sehr große Anhörung zum Thema „Rechtsextremismus“, bei der auch das Thema „Antisemitismus“ eine große Rolle spielen wird. Da werden wir sicherlich noch einmal ausführlich darüber diskutieren können. Ich glaube aber, dass die Erhebung, die Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat durchführen lassen, eine sehr gute Grundlage dafür ist, die Dunkelfeldstudie anzugehen.

Etwas schade finde ich – das möchte ich hier noch erwähnen –, dass CDU und FDP diesen Antrag alleine eingebracht haben. Ich hätte mir gewünscht, dass wir insbesondere bei dem Thema „Bekämpfung von Antisemitismus“ als Demokratinnen und Demokraten gemeinsame Antragsinitiativen machen. Das ist eigentlich geübte Praxis in diesem Haus.

Immerhin gibt es jetzt einen gemeinsamen Änderungsantrag dazu. Wir verändern den Auftrag so,

dass es nicht ein Prüf-, sondern ein klarer Handlungsauftrag an die Landesregierung ist, diese Stelle einzurichten, die ja auch schon länger im Gespräch ist. Ich denke, dass sich alle Fraktionen schon dazu committet haben, dass diese Stelle kommen soll. Insofern brauchen wir dazu keinen Prüfauftrag.

Eines sage ich ganz klar: Natürlich kostet der Kampf gegen menschenverachtende Positionen, gegen solche Einstellungen Geld. Es kostet Geld, Beratungsstrukturen zur Verfügung zu stellen. Das darf meines Erachtens auch so sein. Wir müssen dafür sorgen, dass solche Beratungsstellen, solche Institutionen gut ausgestattet werden und sie eine gute Arbeit leisten können, weil sie dringend notwendig sind. Meiner Meinung nach gibt es eine gesellschaftliche Verpflichtung, gemeinsam gegen Antisemitismus und andere menschenverachtende Positionen vorzugehen und diese zu bekämpfen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Schäffer. – Jetzt spricht Herr Seifen für die AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge aller Parteien, natürlich auch der von CDU und FDP, der als erster eingereicht worden ist, nehmen sich eines wichtigen gesellschaftlichen, zwischenmenschlichen Problems an, das wir in unserem Land beklagen und dem wir uns ernsthaft mit redlichem Sinn und aller Entschiedenheit widmen müssen.

Insofern war der CDU/FDP-Antrag hilfreich und ein wichtiger Anstoß für alle Parteien, hier weitere Anträge einzubringen. Er bezieht sich zu Recht auf den Bericht der Antisemitismusbeauftragten, der sich auf die Wahrnehmungen und Erfahrungen jüdischer Menschen in NRW stützt.

Darin wurde offenbar, dass es eine erhebliche Differenz zwischen den persönlichen Wahrnehmungen und den offiziellen Polizeistatistiken, nämlich der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Statistik über politisch motivierte Kriminalität, gibt.

So werden im Bereich „PMK“ antisemitische Straftaten zu über 90 % dem Bereich „Rechtsextremismus“ zugewiesen. Das entspricht aber eben nicht der Befindlichkeit der Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Die Antisemitismusbeauftragte schreibt dazu in ihrem Bericht als Zusammenfassung – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Beschimpfungen, Schmähungen und Übergriffe werden in der Polizeistatistik nicht vollumfänglich erfasst, prägen aber den Alltag vieler Jüdinnen und Juden in unserem Land. Um diese Vorfälle ans Licht zu bringen und die Präventionsarbeit gegen Antisemitismus mit zielgerichteten Angeboten zu

stärken, braucht es einen umfassenden Überblick über die antisemitischen Gefährdungen und deren Ursachen. … Eine Meldestelle zu antisemitischen Vorfällen in Nordrhein-Westfalen ist deshalb notwendig, die wir gemeinsam mit Partnern aus der Zivilgesellschaft und der Landesregierung umsetzen.“

Dieser Meinung schließt sich die AfD-Fraktion vollumfänglich an. Wir brauchen diese Meldestelle unbedingt, um das Phänomen „Antisemitismus“ richtig und effektiv angehen und bekämpfen zu können.

Leider bietet der CDU/FDP-Antrag dazu keine Hilfe, und die anderen Anträge – außer unserem natürlich – ebenfalls wenig. Warum? Sie verengen mit Ihren unangebrachten ideologischen Interpretationen und einseitigen Zuordnungen schon wieder den Blick, den die Antisemitismusbeauftragte gerade geweitet wissen will.

Der Bezug in Ihrem Antrag auf das Schwerverbrechen in Halle zum Beispiel ist nicht geeignet, eine Offenheit herzustellen, um die vielfältigen Schattierungen des in Deutschland zurzeit bestehenden Antisemitismus wahrnehmen zu können. Es war die brutale Tat eines mordlüsternen Verbrechers, der zur Befriedigung seiner Mordlust ja auch zwei nichtjüdische Personen tötete.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP – die anderen darf ich da einbeziehen –, Sie machen das, was Sie schon in den letzten Jahren immer gemacht haben. Sie verschließen die Augen vor den Tatsachen, weil das Nennen bestimmter Tatsachen sofort von ihren rot-grünen Stichwortgebern moralisch zensiert wird und weil Sie dann mit einer schlechten Note rechnen müssen.

So kommen Sie aber nicht weiter. Sie müssen schon bereit sein, schonungslos, nüchtern und ideologiefrei die Tatsachen antisemitischer Vorfälle aufzunehmen und sie richtig zuzuordnen.

Das Erste, was in dem Zusammenhang geändert werden müsste, ist die Begrifflichkeit. Das Phänomen „Antisemitismus“ bedeutet im Grunde genommen Ablehnung und Hass gegen Juden als Personen und den israelischen Staat.

Eindrucksvoll hat das der Schriftsteller Arye Sharuz Shalicar beschrieben, als er bei einer Vortragsveranstaltung in der Bibliothek hier im Parlament anwesend war: Selbst sein bester Freund, ein Muslim, sprach nicht mehr mit ihm, als er erfuhr, dass Arye ein Jude ist.

Der Bericht der Antisemitismusbeauftragten stellt überzeugend dar, dass es antijüdische Propaganda und antijüdische und antiisraelische Gewaltausbrüche eben nicht nur aus den rechtsextremistischen Reihen gibt – es würde uns ja schon reichen, das zu bekämpfen –, sondern auch aus den Reihen der

politischen Linken, der christlichen Kirchen und der islamischen Gemeinschaft.

Dafür werden zahlreiche Beispiele angeführt: Demonstrationen palästinensischer und linker Gruppierungen gegen Israel mit antisemitischen Symbolen und Klischees, die BDS-Aktivitäten christlicher Kirchen und der politischen Linken bis in die SPD hinein, die Organisation israelfeindlicher Diskussionen und Weiteres mehr. Auch die Black-Lives-Matter-Bewegung beherbergt unter sich Antisemiten. Gleichzeitig werden sogar in der Berichterstattung einiger Medien antijüdische und antiisraelische Tendenzen festgestellt.

All das sparen Sie in Ihren Anträgen wohlweislich aus. Das finde ich nicht richtig. Ich will das nicht Verlogenheit nennen; so weit will ich nicht gehen. Damit blenden Sie aber einen wichtigen Faktor aus.

Ich komme zum Schluss. All das muss akribisch aufgenommen werden. Gleichzeitig müssen harte und weitreichende Konsequenzen gezogen werden, wenn sich Personen antisemitisch äußern oder so agieren.

Deshalb bringt die AfD-Fraktion ihren Entschließungsantrag ein, der – anders als der CDU/FDPAntrag und die anderen Anträge – all diese Dinge berücksichtigt. Wenn Sie glaubhaft und ehrlich den Antisemitismus in Deutschland bekämpfen wollen, dann stimmen Sie dem Entschließungsantrag der AfD zu. Er enthält all das, was Ihre Anträge enthalten. Deswegen werden wir uns beim SPD-Antrag enthalten, ähnlich bei dem Änderungsantrag. Dem CDU/FDP-Antrag werden wir nicht zustimmen. Stimmen Sie dem Entschließungsantrag der AfD zu, dann haben wir alles unter einem Dach. – Vielen Dank.