Der Stress der Staatsanwälte nimmt zu. NRW hat nun ein Rezept dagegen, das nicht allen Richterinnen und Richtern schmecken dürfte.“
Bei den Staatsanwälten in NRW türmt sich ein Berg von unerledigten Ermittlungsverfahren. Die Landesregierung will nun mit verschiedenen Maßnahmen für Entlastung sorgen.“
In dem Artikel wird Bezug auf den Brandbrief des Bundes der Richter und Staatsanwälte in NordrheinWestfalen vom gleichen Tag an den Ministerpräsidenten genommen. Dieser Landesverband NRW des Bundes der Richter und Staatsanwälte ist mit 4.100 Mitgliedern die mit Abstand größte Interessenvertretung dieses Berufsstandes in ganz Deutsch
land. Der Brandbrief stammt also von einer vertrauenswürdigen und kompetenten Quelle, sodass man ihn durchaus ernst nehmen muss. Dies gilt erst recht, wenn es um eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat geht.
Wenn Sie es also mit diesen Werten ernst meinen und die wirklichen Gefahren ins Visier nehmen wollen, dann unternehmen Sie etwas gegen die sich ausbreitende Rechtsdurchsetzungslücke!
Die Justiz stellt eine der drei öffentlichen Gewalten dar – allein so viel zu ihrer überragenden Bedeutung.
Die geschilderten Missstände, Gefahren und Probleme bestehen dabei durchaus schon länger. Gerade der Bund der Richter und Staatsanwälte fand vergangenes Jahr in den Haushaltsberatungen mahnende Worte zu Belastung und Stellenausstattung bei den Staatsanwaltschaften. Der Personalzuwachs mit gerade einmal 20 neuen Stellen bei den Staatsanwälten für das Jahr 2024 wurde mit „deutlich zu wenig“ kommentiert. Eine extreme Überlastung wird konstatiert. Insgesamt würden 376 Stellen fehlen. Dieselbe Interessenvertretung geht aktuell sogar von über 400 fehlenden Staatsanwälten aus.
In der SZ vom 7. Mai dieses Jahres war die Rede davon, dass das Ministerium errechnet habe, man brauche 1.818 Staatsanwälte, aber das Ministerium habe nur Geld für 1.528 Stellen, von denen auch nur 1.415 besetzt sind.
Auf diese Zahlen nimmt der Bund der Richter und Staatsanwälte in dem Brandbrief Bezug. Daher muss den Landtag interessieren, welche Schlussfolgerung der Justizminister daraus zieht. Die Bestandsaufnahme zeigt: Die Situation bei den Staatsanwaltschaften hat sich seit Amtsantritt des Justizministers nicht verbessert – und das ist freundlich formuliert. Tatsächlich wird die Belastung immer schlimmer.
In einer Sitzung des Rechtsausschusses am 6. September 2023 blieb der Minister bei der Bestandsaufnahme und bei Maßnahmen zur Verbesserung der Situation recht schmallippig. In einem schriftlichen Bericht hatte er zuvor zur Verstärkung der Staatsanwälte um 20 Planstellen ausgeführt. In der Sitzung hieß es dann, die Staatsanwälte seien stark belastet, und zwar bundesweit; man habe Stellen zum Haushalt angemeldet, aber das werde nicht ausreichen.
Knapp ein halbes Jahr später spitzt sich die Situation immer weiter zu. Wir sehen einen erheblichen Anstieg an neuen Ermittlungsverfahren: Ermittlungen zur Geldwäsche seit 2019 verfünffacht, starker Anstieg bei den Verfahren zur Verbreitung von Pornografie. Insgesamt waren 2023 in NRW 242.677 Ermittlungsverfahren noch unerledigt. Und die Freigabe von Cannabis schaufelt neue Aktenberge auf die Schreibtische.
Um die Situation zu entschärfen, will der Minister jetzt Richter zu Staatsanwälten machen. Wie unterschiedlich diese Maßnahme beurteilt wird, zeigt das Stimmungsbild. Während der Minister von einem Ausdruck großer Solidarität spricht, ist die Maßnahme für andere nur ein Verschiebebahnhof als Akt eines überforderten Personalmanagers. Um es flapsig zu formulieren: Ein Loch wird gestopft, und an anderer Stelle wird ein neues aufgerissen.
Statt die dringend benötigten Stellen für Richter und Staatsanwälte zu schaffen, die auch wir in den Haushaltsberatungen mit Änderungsanträgen im letzten Jahr forderten, wird das System weiter ausgehungert. Die Folge: eine Rechtsnot, die sich durch Verzögerungen und schlechtere Qualität bei der Strafverfolgung, Belastung der Mitarbeiter und Gefahr von Fehlurteilen äußert. Wenn Staatsanwälte aufgrund von Überlastung keine angemessene Zeit für die Überprüfung von Beweisen und die Vorbereitung von Fällen haben, besteht ein erhöhtes Risiko von Fehlurteilen.
Insgesamt kann die Überlastung von Staatsanwaltschaften die Effektivität des Rechtssystems beeinträchtigen, die Glaubwürdigkeit der Justiz untergraben und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Strafverfolgungsbehörden schwächen.
Herr Minister, ergreifen Sie endlich die überfälligen Maßnahmen, und überzeugen Sie Ihren Kollegen aus dem Finanzministerium, dass es mit der Not ein Ende haben muss. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Nordrhein-Westfalen haben wir eine funktionierende Justiz. Das Fundament dafür bieten über 40.000 Beschäftigte, die jeden Tag voller Herzblut, Einsatz und Leidenschaft dafür arbeiten. Ihnen allen gebühren unser Respekt, unsere Wertschätzung und unser Dank.
Ein funktionierender Staat braucht vor allem eines: Vertrauen. Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger beruht auf Verlässlichkeit, Leistungsfähigkeit und Sichtbarkeit des Staates, aber auch auf Freiheit. Es sollte eigentlich die Aufgabe von uns allen hier sein, jeden Tag unser Bestes dafür zu geben, genau dieses Vertrauen zu stärken. Bei der antragstellenden Fraktion bin ich mir da allerdings nicht immer so sicher.
Durch eine gute Innen- und Rechtspolitik schaffen wir dieses Vertrauen in Nordrhein-Westfalen. Ich nenne bewusst die Innen- und die Rechtspolitik;
denn diese Bereiche müssen immer zusammengedacht werden. Dank unserer Nulltoleranzstrategie und 3.000 zusätzlichen Polizeianwärterinnen und -anwärtern pro Jahr werden deutlich mehr Verbrechen aufgedeckt.
Das gilt auch beim Thema „Kindesmissbrauch“; und da lasse ich politisch nicht locker. Es ist verdammt gut, dass wir es geschafft haben, hier in ein Wespennest zu stechen. Das war und ist ein harter Kampf. Nur dadurch wissen wir aber, dass sich die Delikte durch alle Gesellschaftsschichten hindurchziehen. Die erhöhten Quoten bei der Aufklärung sind gerade deshalb ein echter Schritt nach vorne.
Auch in den Bereichen „Cybercrime“, „Clankriminalität“ und „Geldwäsche“ haben wir starke Anstiege zu verzeichnen. Das Gleiche gilt bei Bürgergeld- und Sozialbetrug oder Verstößen im Aufenthaltsrecht. Wenn mehr ermittelt und aufgeklärt wird, führt das auch zu mehr Verfahren vor Gericht.
Dadurch steigt natürlich die Belastung der Justiz, insbesondere bei den Staatsanwaltschaften. Dieses Problem ist erkannt. Die bereits getroffenen Maßnahmen zum Belastungsabbau führen unmittelbar zu einer deutlich besseren Situation bei den Staatsanwaltschaften. 100 Richter wechseln zur Staatsanwaltschaft – ein starkes Zeichen der Solidarität innerhalb unserer Justiz.
Das Problem beschreiben Sie auch so in Ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde. Ihre Schlussfolgerung ist aber völlig falsch. Eine Rechtsnot haben wir in Nordrhein-Westfalen nicht und werden wir auch nie haben.
Jeder, der das behauptet, spricht nicht für eine Verbesserung der Belastungssituation von Staatsanwälten und Staatsanwältinnen. Er hat das Ziel, unseren Rechtsstaat zu schädigen. Genau das tun Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD. Ihre Agenda heißt: Unsicherheit verbreiten, negative Emotionen wecken, die Justiz schlechtmachen.
Unsere Agenda dagegen ist eine komplett andere: arbeiten, wertschätzen und Rechtsstaatlichkeit garantieren. Das gelingt nur, wenn man der Herausforderung ins Auge sieht und sie anpackt, und das beginnt damit, ehrlich miteinander zu sein. Schon jetzt wird mit Hochdruck daran gearbeitet, unbesetzte Stellen zu besetzen. Hier muss noch mehr passieren. Hier dürfen wir nicht nachlassen.
Viele Maßnahmen zur Nachwuchsgewinnung in der Justiz wurden aber bereits auf den Weg gebracht – sprich: Planstellenaufwuchs und Ausbildungsoffensive. Auch im aktuellen Haushalt legen wir wieder einen Fokus auf zusätzliches Personal. Mit diesen zusätzlichen Stellen greifen wir unseren Staatsanwaltschaften unter die Arme. Ziel ist es, die Belastung weiter zurückzuführen.
Das ist auch notwendig, wie man sieht, wenn man sich anschaut, welch irrsinnige Mehraufwände stetig auf unsere Justiz zukommen.
Nehmen wir die Cannabislegalisierung. Es ist kein Geheimnis, dass ich eine Legalisierung bereits grundsätzlich aus Kinder-, Jugend- und Gesundheitsschutzaspekten ablehne. Angesichts dieser verfehlten Gesetzgebung im Bund werden die Kolleginnen und Kollegen in der staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Praxis enorm belastet. Wenn ich daran denke, dass unsere Justiz in Nordrhein-Westfalen aufgrund des rückwirkenden Straferlasses 87.000 Cannabis-Fälle sichten musste – und das händisch –, wird mir, ehrlich gesagt, richtig schwindelig.
Schütteln wir aber den Schwindel ab, und arbeiten wir gemeinsam daran, der Justiz unseres Landes den Rücken zu stärken, statt die Justiz schlechtzureden – für einen wehrhaften Rechtsstaat, für Vertrauen. Darum wird es vor allem auch in den kommenden Haushaltsdebatten im November gehen. Dabei wird auch darüber debattiert werden müssen, was die Kernaufgaben des Staates in angespannten Zeiten sind.
Den Brief des Bundes der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen nehmen wir nicht nur ernst, sondern werden diese Sorgen auch in den anstehenden Beratungen bedenken. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die AfD benutzt einen offenen Brief des Bundes der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen an den Ministerpräsidenten, um in diesem Hause eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Das kann man machen. Aber es erweckt den Eindruck, dass die Fraktion der AfD in den letzten zwei Jahren überhaupt nicht zugehört hat, worüber wir hier diskutieren und wofür wir hier gemeinsam um die besten Lösungen ringen.
Das Thema „Fachkräfte in der Justiz“ beschäftigt uns nicht erst seit heute und auch nicht erst seit gestern. Unsere Fraktion, die SPD-Fraktion, hat sich immer und immer wieder für die Attraktivierung von Berufen in der Justiz starkgemacht. Allerdings stehen wir für eine zukunftsgewandte Personalpolitik, die eine ganze Reihe von Maßnahmen umfasst.
Das fängt bei einer angemessenen Bezahlung in allen Berufsgruppen an, nicht allein für Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, und geht über die Entlastung durch eine angemessene Nutzung von künstlicher Intelligenz bis hin zu flexiblen Arbeitszeitmodellen, um auch Beruf und Familie sinnvoll miteinander vereinbaren zu können.
Auch wenn die Problematik mit vielen unbesetzten Stellen in den Staatsanwaltschaften mehr als dramatisch ist, finden wir, dass Fachkräftegewinnung nicht allein die Staatsanwaltschaft betrifft. Wir brauchen genauso Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, Richterinnen und Richter, Justizvollzugsbeamte und Wachtmeister. In den kommenden Jahren werden – auch das haben wir hier schon mehrfach diskutiert – viele Arbeitgeber um die wenigen besten Köpfe umso mehr ringen. Deshalb braucht es wirkliche Lösungen und intelligente Konzepte, die in Ihrem Antrag aber nirgends erwähnt werden.
Die Argumente in der Antragsbegründung sind aus unserer Sicht nicht nur einseitig, sondern sie zeigen an manchen Stellen auch ein verdrehtes Bild von der Realität. Frau Kollegin Erwin hat es gerade gesagt; man kann zu der Cannabislegalisierung inhaltlich stehen wie man will. Es ist das gute Recht eines jedes Einzelnen, das zu bewerten. Sie vermengen aber Dinge, die so nicht zutreffen.
Sie schreiben, die Legalisierung von Cannabis führe zu einer Überlastung der Staatsanwaltschaften, weil Verdachtsfälle neu überprüft werden müssten. Ja, die Staatsanwaltschaften haben durch die Legalisierung von Cannabis noch mehr und manchmal auch viel zu viel zu tun. Diese Legalisierung – jetzt kommt das, was in der Betonung wichtig ist – wird die Justiz aber nicht zum Kollabieren bringen, wie Sie es ausdrücken wollen. Sie stellen den Zustand einer Übergangssituation als dauerhaftes Problem dar. Das ist unredlich und unehrlich.