Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

schaftliche Rahmenbedingungen für ein öffentliches Schulwesen und die_ Entwicklung auch des speziellen rheinlandpfälzischen Sc~ulwesens selbst, das man heute nur dann ver

ändern_kann, wenn man weiß, wie es geworden i?t, werden häufig nicht bedacht. Ihr Gesetzentwurf ist ohne Zweifel im Gegensatz zu Ihren öffentlichen Bekundungen zu umfänglich geraten und wird auch unheimlich-kompliziert.

Detailregelungen - ich möchte die Beispiele nicht wi~derho len- gehören ohne Zweifel nicht ins Gesetz; denn dadurch, dass Sie diese Detailregelungen im Gesetz verankern, bewirken Sie genau das Gegenteil von dem, was Sie als Ziel erklären, riämlich mehr Gestaltungsfreiheit von Schulen und der Schulverwaltung. Das heißt, Sie erreichen das Umgekehrte _ von ~em, was Sie zu tun vorgeben.

(Beifall der F.D.P.)

-Das Schulsystem darf kein starres System sein, sondern muss zukünftig in der Lage sein, sich weiterzuentwickeln. Je mehr

Regelungen und Fixierungen Sie im Gesetz aufnehmen, desto schwerer wird die Anpassung ~es Systems. Es wird unbeweg

lich und erstarrt letzten Endes selbst.

Der Gesetzentwurf ist ohne Zweifel eines der umfangreichs

ten Schulgesetzwerke in Deutschland überhaupt. Da er zudem eine Vielzahl von Verordnungsermächtigungen enthält, entstünde eine breitflächige schulrechtliche Struktur. Dabei sind noch nicht einmal die notwendigen Verwaltungsvorschriften und das im Gesetzentwurf neu eingeführte schulische Binnenrecht berücksichtigt. Wo es keine Statuten gibt,

müsste ich wiederum Musterstatuten erlassen.

Entgegen der behaupteten Minimierung Von- Bindungen im Gesetzentwurf wäre ein Aufblähen schulgesetzlicher Normen und Regularien die Folge. Meine Damen und Herren, mit Flexibilisierung, Pluralisierung und SelbstgestaltUng hat das

·wenig zu tun.

Deregulierung des öffentlichen Schulwesens, Stärkung der Eigenverantwortung der Schulen vor Ort und Qualitätssicherung des Bildungsangebots sind ohne Zweifel seit vielen Jahren Bestandteil der Bildungspolitik dieser Landesregierung.ln diesem Zusammenhang habe ich sogar einmal von Herrn Lelle vorgeworfen bekommen, man bräuchte nicht überall der Erste zu sein.

Hieran wird seit Jahren in Schulen, Schulverwaltungen, Projekten, Schulversuchen, Datenerhebungen und Arbeitsgruppen kontinuierlich gearbeitet. Ich erinnere an die schulschar

fen Stellenausschreibungen, an den Qualitätstest, aber auch an die Diskussion, die derzeit um entsprechende Leistungs

prämien geführt wird.

Aber neue Konzepte und Programme, Perspektiven und Visionen müssen nach meiner und unserer festen Überzeugung erst in der Praxis erprobt werden. Sie müssen auf den Prüf

stand des Schulalltags gestellt werden. Sie müssen der Mei

nungsvielfalt der Schülerinnen und Schüler, der Lehrerinnen und Lehrer, der Schulträger und Verbände standhalten. Sie müssen organisierbar und finanzierbar sein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, anschließend können wir bewährte und tragfähige Ergebnisse im Schulgesetz fixieren. Diesen Weg werden wir als Landesregierung gehen und nicht den umgekehrten, etwas zu fixieren, was dann letzten Endes nicht mehr optimiert werden kann, da es im Gesetz bereits seine endgültige Fassung gefunden hat.

Beiall dem kann für die Landesregierung die öffentliche-Gesamtverantwortung für das Schulwesen, aber vor allem auch für die Gewährleistung der Chancengleichheit im Bildungswesen nicht infrage gestellt werden. ln diesem Punkte folge. ich ausdrücklich auch Herrn Lelle. Das ist eln ganz zentraler Punkt. Die Bemerkung, die Sie in der Intervention mit dem Beispiel von Herrn Friedrichs gemacht haben, ist sehrinteres

sant in der Interpretation, weil sie aus meiner Sicht in diesem

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Punkt tatsächlich ein grundsätzlich anderes Verständnis meinerseits von Staat gegenüber Schule als von Staat gegenüber Hochschule offenbart.

Ich bin sehr wohl der Meinung - diesen Weg gehen wir in Rheinland-Pfalz kontinuierlich -, dass wir im Sinn echt verstandener Autonomie auch über solche Modelle, wie Sie sie angesprochen haben, nachdenken müssen, ohne dass ich dem Fetischismus hinterherlaufe, dass die Etablierung eines Aufsichtsrats automatisch effizientere Entscheidungswege nach sich ziehen würde. Diesen Weg muss man aber diskutieren können.

Ich sage Ihnen aber in aller Klarheit, dass ich dieses im Bereich der Scliüle für grundsätzlich falsch halten wurde, da es einen Unterschied zwischen einer Hochschullandschaft und einer Schullandschaft gibt und weil natürlich eigenverantwortliches Handeln in diesen entscheidenden zentralen Punkten logischerweise die Bereitschaft des Staates mit einschließt, dass Fehlentscheidungen getroffen werden und ·Fehlentwicklungen vorkommen können. Sie werden an den Hochschulen vorkommen.

Dies ist aber nur verantwortbar, weil wir nicht die Verpflichtung gegenüber den Hochschulen haben, die wir gegenober den Schulen haben, wo wir flächendeckend wohnortnah für jeden in seinem Umkreis für einen gewissen Standard an Qualität und Inhalten verantwortlich sind. Man kann sich die Grundschule und in vielen Fällen auch das Gymnasium nicht auswählen.

Dieses können wir nicht der Beliebigkeit des Wettbewerbs überlassen. Wir-können nicht zulassen, dass die Schule in Eigenverantwortung· eklatante Fehlentscheidungen trifft. In diesem Zusammenhang ist Freiheit und Autonomie von Hochschule nicht mit Freiheit und Autonomie von Schule vergleichbar, weil die staatliche Verantwortung für die Bildungs~ qualität in der einzelnen Einheit in der Schule eine ganz andere Größenordnung hat als in der Hochschule.

Mit den heute vorgetragenen Vorstellungen wird das Bildungswesen in_ Wirklichkeit atomisiert und in Teilbereichen auch beliebig. Der verfassungsrechtlichverbOrgte Grundsatz, das gesamte Schulwesen steht unter Aufsicht des Staates, was jedoch in diesem Sinn für die Hochschulen nicht zutrifft, da sie autonom sind, wäre gefährdet. Zwar bestünde nach wie vor eine gesamtstaatliche Verantwortung, aber nkh,t mehr das Instrumentarium, diese Verantwortung auch tatsächlich wahrzunehmen. Es wäre tats1i_chlich ein Schatten. Er geht damit über das verfassungsrechtlich Gebotene und aus meiner Sicht--auch Vernünftige hinaus. Standards können nicht mehr gesichert werden, und auch die Freizügigkeit in diesem System wird erschwert.

Dieser vermeintlichen Freiheit der Schulen steht im Gesetzentwurf eine Vielzahl von Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten des Parlaments gegenüber, die bis ins Detail reichen. Man könnte den Eindruck gewinnen - ich überzeichne et

_ was-, dass der Landtag einerseits und die veranwertlieh handelnde Einzelschule andererseits die eigentlichen und alleinigen Säulen eines zukünftigen Schulwesens werden sollen. - Zwischen diesen Säulen spannt sich die Schulverwaltung höchstens noch als Fachberatung.

Ich habe ernsthaft Zweifel, ob ein solches Modell funktionieren kann; denn es entspricht nicht der Rolle und der Funktion einer Legislative, exekutive Aufgaoen zu übernehmen. Politischen Willen mit der gebotenen Sach- und Fachkunde zu vollziehen und umzusetzen, ist Aufgabe von Verwaltung. Hier wird der Legislative eine Aufgabe zugewiese!'J. die dem System der Gewaltenteilung widerspricht und so im Schulalltag

nicht funktionieren kann.

Meine Damen und Herren, es gäbe _noch eine Vielzahl vonPunkten im Einzelnen aus dem Gesetzentwurf zu nennen, die aus meiner Sicht überzeugend darlegen, wie der Gesetzentwurf tatsächlich in der Umsetzung-- ich betone dies- an der Wirklichkeit vorbeigeht. Ich will mich auf einen beschränken, weil er aus meiner Sicht viele Probleme deutlich macht, die an verschiedenen Stellen in diesem Gesetz zu finden sind. Das angestrebte Ziel, mehr Würde und mehr materielle Gerechtigkeit im Schulverhältnis zu gewährleisten, wird aus meiner Sicht dadurch deutlich nicht erreicht. Vielmehr werden Verantwortung verschleiert, die Verfahren verlängert und Ressourcen beansprucht werden. Letztlich wird das System paralysiert.

Als Beispiel möchte ich die Konfliktregelung des § 122 des Entwurfs nennen. Dieser Paragraph regelt im Klartext den Streit über die Leistungsbewertung zwischen Lehrkraft und Schüler, also tatsächlich das elementare Problem, das tagtäglich in jeder Klassemehrmals auftreten kann. Jetzt lassen Sie es noch einmal an sich vorbeiziehen, was dieser Gesetzentwurf bei einem solchen wirklich alltäglichen Problem, das in jeder Schu.le dutzende und hunderte Mal vorkommt, regelt: Als Erstes schlichtet der Verbindungslehrer. Dann schlichtet die Schulleitung. Wenn dies nicht geschieht, dann machen wir Mediation, sofern sie vorh_anden ist. Die Mediation schlichtet, macht Vorschläge oder beauftragt den Zweitkorrektor einer anderen Schule mit einer Korrektur. Inzwischen ist schon ein ganzes Kollegium damit befasst, weil sie sich nicht uber die Noten einigen konnten. Wenn eine Note verändert werden soll, entscheidet ~ann der Schulleiter. Bei einem Nichteinvernehmen entscheidet der Schlichtungsaus

schuss, den wir jetzt auf der Schulebene etablieren. Es geht immer noch um die Note in der Klasse. Irgendwann hat man es vergessen.

Letztendlich - Cias ist das Schöne - kommt alles bei mir an. Dann entscheidet das Ministerium. Ich bin aber nicht die Letztentscheidungsinstanz. Wir eröffnen dann noch den Rechtsweg. Meine Damen und Herren, das ist falsch verstandene Demokratisierung.

Meine Damen und Herren, die kritischen Bemerkungen ließen sich fortsetzen. Der Gesetzentwurf enthält zwar einige neue, ich sage auch offensichtlich unkonventionelle Bildungsansätze. Insgesamt meine ich aber, geht er an der Schulwirklichkeit vorbei, und er ist nicht umsetzbar. Es kann nicht darum gehen, theoretische Modelle zu formulieren. Es geht darum, Schulpraxis tagtäglich weiterzuentwickeln und dort, wo es notwendig und sinnvoll ist, zum gegebenen Zeit

punkt auch gesetzliche Veränderungen vorzunehmen. Nur so ist ein Schulgesetz auch praxistauglich und für die Praxis, das heißt, für das tägliche Leben, gemacht.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei SPD und F.D.P.)

Ich erteile der Abgeordneten Frau-Thomas zu einer Kurzintervention das Wort.

(Pörksen, SPD: Das ist vermurkst!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Professor

_ Dr. Zöllner, dass Sie wirklich jede Raffinesse im Gesetzentwurf entdeckt haben, hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Dass Sie aber wesentliche Punkte nicht erken_nen, finde ich schon bedauerlich.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Er kenntsie schon, will aber nicht darOber reden!)

Ähnlich wie Herr Kollege Kuhn malen Sie das schwarze Bild an die Wand, wenn dieses Gesetz in wesentlichen Zügen umgesetzt würde, würde die Anarchie an den Schulen dieses Landes ausbrechen. Keine wäre mehr miteinander vergleichbar.

(Ministerpräsident Beck: Wenn man die Schüler abschafft, dann klappt es! Dann hat man Zeit dazu!)

- Das wäre aber schade, wenn wir die Schüler abschafften. Was machen wir dann mit der Schule? Dann müssen wir eine Beschäftigungstherapie für die Lehrer machen. Keine Schülerin oder kein Schüler könnte in ein anderes Bundesland wechseln und Ähnliches, so sagen Sie es. Wenn Sie ·aber genau hinschauen- ich bin sicher, Ihre Referenten haben genau hingeschaut-, clann sehen Sie, dass über die Lernrahmenpläne, die natürlich im Ministerium gemacht werden, 60 % der Lerninhalte definiert und festgesetzt werden. Da gibt es keinen Unterschied zur momentanen Praxis. Die Ausfüllung und das Le

bendigmachen und die Art und Weise, wie diese umgesetzt werden, diese Entscheidungen obliegen der Schule. Das ist ein Punkt, den man für Vergleichbarkeit und Qualitätskontrolle braucht.