Protokoll der Sitzung vom 12.10.2005

Herr Ramsauer spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Dr. Gebhart, Sie sind noch nicht so sehr lange im Plenum,

(Zurufe von der CDU)

aber eines müssten Sie doch schon erkannt haben: Sie müssten doch schon erkannt haben, dass dieses Thema schon immer ein wichtiges Thema für die Sozialdemokraten in diesem Haus gewesen ist und wir dieses Thema in diesem Haus schon von Anfang an begleitet haben.

(Beifall der SPD und der FDP – Dr. Gölter, CDU: Das bestreitet doch keiner!)

Meine Damen und Herren, in der Tat: Die Chemikalienpolitik der Europäischen Union ist ein existenziell wichtiges Thema für die Menschen in unserem Land, für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für die Industrie und das Gewerbe in Rheinland-Pfalz. Herr Dr. Gebhart, deshalb haben wir nicht nur einen Brief geschrieben, sondern wir haben über Jahre hinweg versucht, die Entscheidungsmöglichkeiten in Brüssel und in Straßburg zu beeinflussen.

(Dr. Gölter, CDU: Das bestreitet auch niemand!)

Herr Dr. Gölter, der nun meint, dazwischenrufen zu müssen, weiß es. Er war selbst mit dabei, als wir mit dem Wirtschaftsausschuss in Brüssel waren,

(Dr. Gölter, CDU: Das ist doch nicht das Problem!)

und er weiß, was wir als Sozialdemokraten dort vorgetragen haben.

Insbesondere – darüber sollten Sie einmal nachdenken – gibt es eine intensive Zusammenarbeit nicht nur mit den Arbeitgebern, sondern auch mit den Gewerkschaften und insbesondere mit der IG BCE. Wir haben schon 2002 ein Positionspapier zur Chemikalienpolitik erarbeitet. Wir haben 2005 ein Positionspapier zu „REACH“ beschlossen, – –

(Dr. Rosenbauer, CDU: Sagen Sie doch einmal etwas zum Inhalt!)

Hören Sie doch zu, dann werden Sie es erfahren! Sie müssen lernen zuzuhören.

das inzwischen auch Beschluss eines Landesparteitages ist und das den Bundesparteitag der SPD wenige Tage vor dem Plenum in Brüssel beschäftigen wird. Meine Damen und Herren, deswegen ist es wichtig zu wissen, wer sich wofür einsetzt. Wenn Herr Dr. Gebhart nebenbei sagt, wir sollten unsere Leute auf Linie bringen, wollen wir einmal sehen, wer wann in welchem Parlament seine Leute auf Linie bringen kann.

(Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, wenn es Lobbyisten für die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land gibt, wenn es Lobbyisten für die Industrie und das Gewerbe gibt, so sind das die rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten gemeinsam mit der Landesregierung und unserer Umweltministerin Frau Conrad und unserem Ministerpräsidenten Kurt Beck, der das Engagement des Bundeskanzlers in dieser Frage sehr intensiv begleitet hat.

(Dr. Gölter, CDU: Auch das bestreitet niemand!)

Ich sage nicht, dass Sie es bestreiten.

Für uns ist das Thema so wichtig, dass wir es auch noch in den nächsten drei Wochen intensiv begleiten werden, bis in Brüssel die Entscheidung gereift sein wird. Herr Dr. Gebhart, wir sollten aber nicht so tun, als sei mit dem Plenarbeschluss alles verloren; denn im Anschluss daran sind natürlich auch die Regierungen und der Rat gefragt. Wir wissen, dass die britische Präsidentschaft eher in Richtung unserer Auffassung arbeiten wird.

Meine Damen und Herren, worum geht es denn eigentlich? – Es geht nicht nur darum, die Interessen einzelner Industriezweige zu verfolgen, sondern es geht ganz konkret darum, dass Arbeitsplätze in unserem Land Rheinland-Pfalz nicht nur in der Großindustrie oder in der Chemischen Industrie, sondern auch in kleineren

Unternehmen, im Gewerbe verschiedener Art gesichert werden können.

(Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, es geht aber auch darum, dass sich die Menschen in diesem Land darauf verlassen können, dass Produkte entsprechend geprüft sind und Produkte auf den Markt kommen, denen sie vertrauen können. Uns ging es immer und geht es auch heute noch einerseits um die Gewährleistung eines hohen Gesundheits- und Umweltschutzniveaus und andererseits um die Förderung von Innovation und Wettbewerb in der Industrie und damit um die Verhinderung einer Abwanderung von Arbeitsplätzen in einer globalisierten Welt aus diesem Land und aus der Bundesrepublik Deutschland.

Aber die Verhältnismäßigkeit von Risikoausschluss und Aufwand muss stimmen. Dieses Verhältnis stimmt nicht in dem Entwurf des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments. Wir bedauern diesen Entschluss außerordentlich.

(Beifall der SPD und der FDP)

Wir wissen aber auch, dass es Beschlüsse der beiden mitberatenden Ausschüsse für Industrie und Binnenmarkt gibt, in denen pragmatische Kompromisse formuliert sind, und dies mit den mehrheitsbeschaffenden Stimmen der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament.

(Glocke des Präsidenten)

Unser Europa-Abgeordneter Ralf Walter und der SPDFraktionsvorsitzende Martin Schulz bekräftigen, dass es nach wie vor die Möglichkeit zu einer pragmatischen Lösung gibt. Wie diese aussehen könnte, erläutere ich in der zweiten Runde.

Danke schön.

(Beifall der SPD und der FDP)

Es spricht nun Herr Abgeordneter Dr. Braun.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ramsauer, Sie haben den Spannungsbogen schön aufgebaut. Zum Inhalt wollen Sie in der zweiten Runde etwas sagen, in der ersten Runde haben Sie nichts dazu gesagt.

(Dr. Rosenbauer, CDU: So ist das! – Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartloff, SPD: Schauen Sie einmal, für welches Ergebnis Sie applaudieren!)

Wir freuen uns auf die zweite Runde.

Ich möchte aber direkt zum Inhalt kommen. Wir wollen in Europa eine gemeinsame Chemikalienpolitik mit allen Ländern, also auch mit den neuen Ländern, betreiben. Darunter zählen sowohl diejenigen, die neu aufgenommen worden sind, als auch diejenigen, die noch aufgenommen werden. Das ist wichtig, sonst hätten wir sehr unterschiedliche Standards in Europa, und die CDU würde sich wahrscheinlich täglich darüber beschweren, dass es Wettbewerbsnachteile für die deutsche Chemische Industrie gibt. Deswegen ist „REACH“ genau der richtige Weg, den Europa eingeschlagen hat, um eine Vereinheitlichung sowohl der Wettbewerbsvoraussetzungen als auch der Umweltvoraussetzungen in Europa zu schaffen. Meine Damen und Herren, wir unterstützen diesen Weg.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir unterstützen diesen Weg nicht nur deshalb, weil er ein gemeinsamer Weg ist, sondern weil er ein neuer Weg ist und eine neue Perspektive eröffnet. Darin wird der Verbraucherschutz schon von vornherein mitberücksichtigt. Wir machen also nicht nur Industriepolitik, die bestimmt auch wichtig ist, sondern wir betreiben auch eine Verbraucherschutzpolitik, die besonders im Bereich der Chemikalien wichtig ist.

Meine Damen und Herren, Sie alle, die Sie auch kommunalpolitisch aktiv sind, wissen doch, was wir früher an Kontrolle in der Chemischen Industrie bei den Produkten versäumt haben. Was müssen wir heute sanieren, beispielsweise an den Schulen? Was kosten uns die PCBSanierungen?

Deswegen ist es wichtig, den Verbraucherschutz von vornherein mit einzubeziehen und die Stoffe, die neu auf den Markt kommen, zu testen. Die Stoffe sollen nicht erst in den Markt eingeführt werden, um hinterher an der Verbraucherin oder dem Verbraucher zu untersuchen, ob sie sich bewähren. Die Stoffe müssen vorab getestet werden. Das gilt auch für die Altstoffe, meine Damen und Herren. Deswegen ist es richtig, dass die alten und die neuen Stoffe getestet werden.

So will es der Umweltausschuss. Er fordert auch, dass geringe Margen getestet werden. Wir können doch nicht sagen, dass diese Tests erst ab 100 Tonnen notwendig sind; denn manchmal sind giftige Stoffe vorhanden, die schon in viel kleineren Dosen wirken. Deswegen müssen wir alle Stoffe testen.

Es gibt im Europäischen Umweltausschuss einen Kompromiss: Man will gar nicht über 100.000 Stoffe testen, sondern man ist inzwischen bei Stoffen über 1 Tonne angelangt. Das sind 30.000 Stoffe. Diese Stoffe sollen auch nicht sofort auf einmal getestet werden, sondern in den nächsten Jahren. Dies ist finanzierbar und in der Industrie tatsächlich auch machbar, ohne dass sie übermäßig belastet wird. Das tut dem Verbraucherschutz gut, und das tut natürlich auch unseren Kindern gut, die später einmal mit der Belastung aus der Chemischen Industrie leben müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor kurzem war in einigen Zeitungen zu lesen, dass in Speyer Untersuchungen durchgeführt wurden. Je jünger die Kinder sind, desto mehr Giftstoffe wurden in ihrem Blut nachgewiesen. Es wurden nicht mehr die alten Stoffe nachgewiesen, sondern es sind primär neue Stoffe hinzugekommen. Deswegen müssen wir die neuen Stoffe, die auf den Markt kommen, neu testen. Dies ist nicht nur – wie die Chemische Industrie behauptet – eine Frage der Analysegenauigkeit. Man kann sich nicht zurücklehnen und sagen, die Analysen seien genauer geworden, und deswegen würden mehr Stoffe nachgewiesen. Nein, diese Stoffe sind in der Umwelt vorhanden, werden vom Körper aufgenommen und haben ihre Auswirkungen. Ich spreche in diesem Zusammenhang nicht nur von Allergien, sondern von allen Umweltkrankheiten, die es gibt. Deswegen muss man mit „REACH“ in Europa diesen Schritt gehen und darf „REACH“ nicht verwässern, Herr Dr. Gebhart.

Meine Damen und Herren von der SPD und von der CDU, man muss bei der Sache bleiben und darf nicht immer dem Industrie-Ausschuss nachgeben, Her Ramsauer.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß nicht, ob Sie ein Schreiben nicht erreicht hat. Ich habe vor kurzem aus Germersheim eine Zuschrift des Hausfrauenbundes erhalten, die uns dazu auffordert, wirklich bei der Chemikalienrichtlinie „REACH“ bei der Sache und streng zu bleiben, weil wir dadurch den Verbraucherschutz direkt an der Quelle betreiben können.

(Vereinzelt Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, Verbraucherinnen und Verbraucher sind diejenigen, die geschützt werden müssen. Wenn es für die Industrie zumutbar ist – es ist zumutbar für die Industrie, denn es handelt sich um einen langen Kompromissweg, der auch im Umweltausschuss abgestimmt worden ist und bei dem schon viel Lobbyarbeit der Industrie mit eingearbeitet wurde –, dann ist der Verbraucherschutz voranzustellen.

(Glocke des Präsidenten)

Wir wollen das. Deswegen unterstützen wir den Umweltausschuss, den federführenden Ausschuss des Europäischen Parlaments, in seiner Abstimmung.

Vielen Dank.