Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

(Beifall im Hause)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit der Beratung beginnen, möchte ich noch einen Kollegen von uns verabschieden, der heute zum letzten Mal an der Plenarsitzung teilnimmt und nicht mehr sehr lange hier anwesend sein kann, da er seine Pflichten in Berlin wahrnehmen muss. Es geht um unseren Kollegen Dr. Edmund Geisen, der heute zum letzten Mal im Landtag ist und in Kürze das Plenum verlassen wird, um seinen Verpflichtungen als Bundestagsabgeordneter in Berlin nachkommen zu können.

(Beifall im Hause – Abg. Dr. Geisen, FDP, erhebt sich vom Platz)

Herr Dr. Geisen gehört dem Landtag Rheinland-Pfalz seit dem 18. Mai 2001 an, also seit dem Beginn dieser 14. Wahlperiode. Er war ordentliches Mitglied im Ausschuss für Europafragen, im Ausschuss für Landwirtschaft und Weinbau sowie Mitglied der G-10Kommission und der Parlamentarischen Kontrollkommission. Außerdem hat er als schriftführender Abgeordneter die Präsidenten hier vorn sehr häufig unterstützt.

Herr Dr. Geisen, ich darf Ihnen den Dank des Landes und aller Kolleginnen und Kollegen für immer fairen und freundschaftlichen Umgang miteinander sagen und alle guten Wünsche für Ihre Arbeit in Berlin mit auf den Weg geben. So überschaubar wie bei uns geht es in Berlin nicht zu.

Ich hoffe, Sie haben sich im Landtag im Kreise der Kolleginnen und Kollegen wohl gefühlt. Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre weitere parlamentarische Arbeit.

(Beifall im Hause)

Ich eröffne nun die Aussprache zu dem Gesetzentwurf und erteile Herrn Abgeordneten Lelle das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In Artikel 24 unserer Landesverfassung heißt es, Kinder sind das kostbarste Gut der Familie und des Volkes. Dies muss Ausgangs- und Zielpunkt aller Überlegungen auch in der Bildungspolitik sein.

Es dämmert uns, diesem Anspruch sind wir nicht gerecht geworden. Frühkindliche Persönlichkeitsentwicklung ist zu kurz gekommen. Die Hirnforschung weist schon lange darauf hin, welche Möglichkeiten bisher ungenutzt blieben.

Die Bildungspolitik auch in diesem Land reagiert leider erst jetzt. Kostbare Zeit ist vergangen.

(Beifall bei der CDU)

Kinder sind wissbegierig, deshalb sind die Voraussetzungen für die persönliche Entwicklung besonders in der frühen Kindheit äußerst günstig. Leistungs- und Entdeckungslust sind in der frühen Kindheit ausgeprägt. Die Forschung spricht deshalb von Zeitfenstern, in denen bestimmte Lernvorgänge besser gelingen als zu anderen Zeiten. Das heißt, Zeitfenster nutzen bedeutet neue Chancen eröffnen.

Erste grundlegende Förderung erhalten die Kinder im Kreis der Familie. Ich denke, darauf ist immer wieder neu hinzuweisen. Es ist Aufgabe des Staates, Familien bei dieser Herausforderung zu unterstützen und systematische Hilfe anzubieten. Das Problem heute allerdings ist, dass Familien oft nicht mehr in der Lage sind, dem gerecht zu werden. Deshalb gewinnt die Frühförderung staatlicherseits zunehmend an Bedeutung.

Frau Ministerin, ich stimme Ihnen zu, wenn Sie in § 1 feststellen, der Förderauftrag der Kindertagesstätten und Kindertagespflege umfasst Erziehung, Bildung und

Betreuung. Ziel soll, ich füge hinzu, muss dabei sein, die Kinder zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Menschen zu fördern.

Es ist allerdings die Frage zu stellen: Ist diese Regierung dieser Aufgabe gerecht geworden? Nach meiner Meinung nein, insbesondere im Hinblick auf die Grundschulen, deren Bedeutung für den weiteren Bildungsprozess von entscheidender Bedeutung ist. Dem wird auch dieser Gesetzentwurf der Landesregierung zur Frühförderung nicht gerecht.

Ihm fehlt im Grunde, oder anders ausgedrückt, weitgehend das pädagogische Konzept. Sie sehen im Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und mit der Beitragsfreiheit des letzten Kindergartenjahres, also mit organisatorischen Schritten den Quantensprung in der Frühförderung. Die OECD-Studie hat aber festgestellt, dass gerade das Bildungssystem in seiner frühen Phase in Deutschland keine hinreichende Wertschätzung findet. Dies gilt nach meiner Meinung auch für RheinlandPfalz. Als Beleg dafür wird Folgendes angeführt: Es werden zu geringe finanzielle Mittel für Grundschulkinder ausgegeben. Die Klassen sind zu groß. Die Unterrichtsverpflichtung ist zu wenig. Es gibt keine hinreichende Sprachförderung, vor allem für Kinder nicht deutscher Herkunft.

Nach unserer Meinung bedarf es deshalb eines umfassenden Konzeptes für eine kindgerechte Bildungspolitik, sozusagen eine umfassende Förderkette. Wie diese aussehen sollte, haben wir in unserem Entschließungsantrag dargelegt. Das pädagogische Ziel der individuellen Förderung eines jeden Kindes erfordert politisches Handeln. Die organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen müssen für die Grundschule entscheidend verbessert werden.

(Beifall bei der CDU)

Zugleich müssen neue Erkenntnisse aus dem Bereich der Forschung für frühkindliche Entwicklung aufgegriffen und bei schulischen Zielen berücksichtigt werden. Mit unserem Konzept der Fördernden Grundschule geben wir die richtige Antwort.

Frau Kollegin Brede-Hoffmann, Sie haben in der Anhörung zum vorliegenden Gesetz kritisch angemerkt, Sie lesen und hören immer nur von mehr, mehr Geld, mehr Personal, mehr Ressourcen.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Immer habe ich überhaupt nicht gesagt!)

Frau Kollegin, ohne Verbesserungen der Rahmenbedingungen gibt es keine nachhaltige Verbesserung der Frühförderung.

(Zuruf des Abg. Schweitzer, SPD)

Nimmt man die Aussage ernst, dass Ausgangs- und Zielpunkt aller Bemühungen sein soll, sich an der Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Kindes zu orientieren, so sind nach unserer Meinung gravierende Veränderungen notwendig.

Als solche sind zu nennen: Lernen in altersgemischten Lerngruppen in einer Einschuleingangsstufe. Neuorganisation des Übergangs vom Kindergarten zur Grundschule durch eine bessere Verzahnung und einen gleitenden Übergang. Vernetzung der Lernformen in Kindergarten und Grundschule. Entwicklungsgerechter Einsatz von Lernformen in der Eingangsstufe.

PISA hat gezeigt, dass das deutsche Bildungssystem in Bezug auf individuelle Frühförderung und der Integration von Migrantenkindern die größten Defizite aufweist. Wir haben in der Aktuellen Stunde die Situation in Rheinland-Pfalz entsprechend beleuchtet, wo es auch zutrifft.

Mangelnde Sprachkenntnis ist ein entscheidendes Hemmnis beim Bildungserwerb. Deshalb ist die Feststellung solcher Sprachdefizite zu einem möglichst frühen Zeitpunkt und ihre individuelle Beseitigung Kernstück einer jeden Frühförderung.

Hier unterscheiden wir uns von Ihren Vorstellungen. Sie wollen die Kindergartenlösung. Wir wollen die Grundschullösung.

Sprachdefizite zu analysieren und abzubauen und Lesefähigkeit zu vermitteln, sind keine Ausbildungsthemen der Erzieherinnen und Erzieher. Sie wollen diesen Mangel durch Fortbildungsmaßnahmen aufarbeiten. Für uns ist dies unbefriedigend. Ehrlicher wäre eine entsprechende Fachhochschulausbildung. Auf diese wollen Sie nicht eingehen, Herr Kuhn.

(Zuruf des Abg. Kuhn, FDP)

Sie bedenken die finanziellen Konsequenzen.

(Zuruf des Abg. Kuhn, FDP)

Die entsprechenden Fachleute für Spracherwerb und Sprachförderung sowie Lesefähigkeit haben wir schon in der Grundschule. Deshalb sind wir für die Grundschullösung. Daraus eine Missachtung der Erzieherinnen und Erzieher abzuleiten, ist böswillig, Frau Brede-Hoffmann.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Böswillig?)

Wir achten die wertvolle Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher und schätzen sie.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Schweitzer, SPD: Das haben wir das letzte Mal gemerkt!)

Aber mit Gewissheit. Da lassen wir uns von Ihnen keine Vorschriften machen.

(Schweitzer, SPD: Ihr wollt das Personal kürzen!)

Für unsere Frühförderung in der Eingangsstufe gilt, sie orientiert sich an den individuellen Entwicklungsmöglichkeiten und am Lernpotenzial eines jeden einzelnen Kindes. Sie überträgt spielerische Lernformen der Kinder, die bisher stärker im Kindergarten beheimatet waren, mit in die Grundschule, soweit dies für die Lernentwicklung des Kindes notwendig ist.

Sie festigt das positive Selbstbildnis der Kinder, da sich ihr Lernvermögen beim Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickelt, wodurch die Leistungslust verbessert wird. Sie analysiert bestehende Schwächen und beseitigt sie. Genauso gilt Folgendes: Sie analysiert vorhandene besondere Begabungen und unterstützt sie. Sie schließt eine Ganztagsbetreuung bei Bedarf mit ein.

Daraus ergeben sich für uns folgende Konsequenzen: Die Bildung einer flexiblen Eingangsstufe, die innerhalb von drei Jahren durchlaufen werden kann, die Bildung altersgemischter Lerngruppen und den Übergang in einen Klassenverband erst ab der 3. Klasse, die Unterstützung der Lehrkraft durch weitere pädagogisch geschulte Fachkräfte und die Senkung der Klassenmesszahl von 30 auf 20 Schülerinnen und Schüler in der Eingangsstufe.

Meine Damen und Herren, mit diesen Schritten werden wir die Bildungsbiographien der Kinder entscheidend verbessern.

(Beifall bei der CDU)

Zu unserem Änderungsantrag bezüglich der Tagespflege möchte ich feststellen, dass die Tagespflege zwar im Landesgesetz genannt wird, aber es wird deutlich, dass die Landesregierung sie nicht als ernsthafte Alternative zur institutionellen Betreuung ansieht. Unser Antrag sieht vor, dass es nicht nur für den Kindergarten, sondern auch für die Tagespflege eine Landsförderung gibt. Diese Landesförderung knüpft an das finanzielle und qualitätssichernde Engagement der Kommunen an und setzt Anreize hierfür. Zur Qualitätssicherung sind entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen unter Beteiligung des Jugendamtes vorgesehen.

(Glocke der Präsidentin)

Mit unserem Antrag erhält die Tagespflege einen festen Stellenwert in der Betreuungs- und Bildungslandschaft dieses Landes.

Frau Präsidentin, ich mache eine letzte Bemerkung. Wir begrüßen ebenso die Beitragsfreiheit für das letzte Kindergartenjahr. Ich will das ausdrücklich feststellen. Dennoch werden wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil wir überzeugt sind, dass unser Entschließungsantrag zielführender ist.

(Beifall der CDU)

Gleiches gilt für die Anträge und Änderungsanträge der GRÜNEN und der FDP.