Protokoll der Sitzung vom 19.01.2006

1. Hält die Landesergierung Proteste, Streikaktionen, Dienstzeitreduzierungen, Entlassungen, Probleme bei Praxisnachfolgen und Abwanderungen ausgebildeter Mediziner ins Ausland nicht für Symptome einer Gefährdung der ärztlichen Versorgung?

2. Sieht die Landesregierung einen bevorstehenden Ärztemangel im Gegensatz zu vorliegenden Studien und Statistiken nicht als Problem an?

3. Wie konnte Staatssekretär Dr. Auernheimer vor dem Hintergrund anders lautender Einschätzungen ärztlicher Vereinigungen und Körperschaften einen drohenden Ärztemangel verneinen?

4. Wie beurteilt die Landesregierung die Entwicklung der ärztlichen Versorgungsstruktur in RheinlandPfalz in den nächsten Jahren?

Herr Kollege, ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass wir vereinbart haben, auf die Verlesung des Vorspanns zu verzichten.

Frau Staatsministerin Dreyer antwortet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren, meine sehr verehrten Damen! Die Mündliche Anfrage der Herren Abgeordneten Dr. Josef Rosenbauer und Dr. Peter Enders beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt.

Zu Frage 1: Die Landesregierung nimmt die Proteste seitens der Krankenhausärztinnen und -ärzte sowie der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sehr ernst. Die Ursachen sind vielschichtig. Aktueller Anlass sind jedoch die Tarifverhandlungen im Krankenhausbereich sowie die veränderte Vergütungssituation im ambulanten Bereich nach Einführung des EBM 2000plus und der neuen Honorarverteilungsregelung in Rheinland-Pfalz, die insbesondere zu einer geänderten Verteilung der Honorare auf einzelne Arztgruppen führen.

Diese Regelungen wurden von der Selbstverwaltung auf Bundes- und Landesebene getroffen. Dennoch wird sich die Landesregierung für ein neues Vergütungssystem im ambulanten Bereich einsetzen, das insgesamt transparenter und für die Ärztinnen und Ärzte kalkulierbarer ist. Ich habe mich deshalb auch im Rahmen der Koalitionsgespräche in Berlin für die Einführung eines neuen Honorarsystems im ambulanten Sektor stark gemacht. Dieses Honorarsystem ist notwendig, um den Leistungserbringern Planungssicherheit zu geben, eine kostendeckende Finanzierung der erbrachten Leistungen zu gewährleisten und die Transparenz und Akzeptanz des solidarischen Versicherungssystems zu stärken.

Hinweise auf Versorgungsmängel im Gesundheitssystem sollten ernst genommen und geprüft werden. Berechtigt erscheinen Proteste gegen problematische Arbeitsbedingungen von Krankenhausärztinnen und -ärzten. Allerdings zeigen gut geführte Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz auch, dass man durch eine bessere Arbeitsorganisation und bessere Vergütungsstrukturen gute Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte und damit auch gute Behandlungsbedingungen für die Patientinnen und Patienten sicherstellen kann.

Zu Frage 2: Wer sich die vorliegenden Studien und Statistiken genauer ansieht, wird feststellen, dass es einen generellen Ärztemangel in Rheinland-Pfalz derzeit nicht gibt und auch in den nächsten Jahren nicht geben wird. Die Zahl der in der ambulanten und stationären Versorgung tätigen Ärztinnen und Ärzte hat zwischen 1995 und 2004 in Rheinland-Pfalz von rund 10.700 auf über 12.800 zugenommen. Allein die Zahl der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte stieg von unter 5.200 auf über 6.300. Das ist ein Zuwachs von rund 22 %.

Seit den 70er-Jahren hat sich die Arztdichte mehr als verdoppelt. Im internationalen Vergleich nehmen wir bei der Arztdichte einen Spitzenplatz ein.

Wer hier von einem bevorstehenden Ärztemangel spricht, unterstellt, dass es bereits vor zehn oder zwanzig Jahren gravierende Versorgungsengpässe gegeben hätte. Im Gegenteil, die Diskussion beschäftigte sich in dieser Zeit eher mit Überversorgung. Der Begriff der Ärzteschwemme erlangte Konjunktur.

In den 90er-Jahren war es erklärtes Ziel der damaligen Bundesregierung, bundesweit die Arztzahlen zu begrenzen und die Überversorgung abzubauen. Die vertragsärztliche Versorgung ist durch erhebliche Allokationsprobleme gekennzeichnet, nämlich Ost-West-Gefälle, Stadt-Land-Unterschiede, für eine Niederlassung attraktive und weniger attraktive Gebiete sowie große Unterschiede bei haus- und fachärztlicher Versorgung.

Richtig ist deshalb, dass es in Deutschland nicht zu wenige Vertragsärztinnen und -ärzte gibt, sondern dass diese Ärztinnen und Ärzte schlecht über die Regionen verteilt sind. Die vertragsärztliche Versorgung in Rheinland-Pfalz ist derzeit von Überversorgung geprägt.

Nach den Bedarfsplanungsrichtlinien ist Rheinland-Pfalz in 28 Planungsbezirke aufgeteilt. In diesen Planungsbezirken wird jeweils nach 14 Arztgruppen unterschieden.

Davon ausgehend sind von 392 Bereichen insgesamt 340 Bereiche wegen Überversorgung (Versorgungsgrad über 110 %) gesperrt. In 24 weiteren Bereichen liegt der Versorgungsgrad zwischen 100 und 110 %. In Rheinland-Pfalz steht kein genereller Ärztemangel bevor. Wir haben es vielmehr mit regional- und arztgruppenspezifischen Problemstellungen zu tun.

Zur Frage 3: Herr Staatssekretär Dr. Auernheimer hat, gestützt auf vorliegende Statistiken und insbesondere gestützt auf Zahlen der Landesärztekammer RheinlandPfalz und der Kassenärztlichen Vereinigung RheinlandPfalz, darauf hingewiesen, dass in den nächsten Jahren kein genereller Ärztemangel zu erwarten ist. Dies schließt nicht aus, dass es, wie er festgestellt hat, einen punktuellen Mangel an Ärztinnen und Ärzten in einzelnen Versorgungsbereichen und Versorgungsregionen geben kann, der natürlich ein Gegensteuern erfordert.

Langfristig bereitet das zunehmende Durchschnittsalter der Vertragsärztinnen und -ärzte in Verbindung mit einer zurückgehenden Bereitschaft, in der kurativen Versorgung tätig zu sein, Sorge. Deshalb hat die Landesregierung im Dezember 2005 einen Workshop zur Zukunft der ärztlichen Versorgung in Rheinland-Pfalz unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung und der Landesärztekammer durchgeführt, um rechtzeitig gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Dabei herrschte jedoch Einvernehmen in der Einschätzung, dass ein genereller Ärztemangel derzeit nicht zu verzeichnen sei und das Bild in weiten Teilen des Landes von einer Überversorgung geprägt ist. Gleichwohl wurde im Rahmen dieses Workshops zusammen mit den rheinland-pfälzischen Partnern ein Katalog von Handlungsmöglichkeiten erarbeitet und konkrete Schritte vereinbart.

Zurzeit wird dieser Katalog mit den Workshop-Teilnehmern und -Teilnehmerinnen abgestimmt. Die beteiligten Partner, insbesondere die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz, die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, die Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz und mein Ministerium werden in den kommenden zwölf Monaten individuell und gemeinsam an der Umsetzung der Ergebnisse des Workshops arbeiten und Ende 2006 den erreichten Sachstand reflektieren.

Zu Frage 4: Die flächendeckende Versorgung in Rheinland-Pfalz ist in den nächsten Jahren gesichert, wenn auch Nachbesetzungen von Arztsitzen in einzelnen Bereichen schwieriger werden. In zahlreichen Planungsbereichen besteht nach wie vor eine Überversorgung. Diese Überversorgung bindet Mittel, die in den ländlichen Regionen, in denen eine Unterversorgung droht, sinnvoll eingesetzt werden könnten. Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren punktuell auftretenden Engpässen mit den insbesondere der Kassenärztlichen Vereinigung zur Verfügung stehenden Instrumentarien entgegengewirkt werden kann.

Die von der letzten Bundesregierung zusammen mit der Union im Konsens verabschiedete Gesundheitsreform sowie die von der neuen Bundesregierung im Koalitions

vertrag vereinbarten Maßnahmen werden dazu beitragen, die Versorgung auch in der Fläche zu sichern.

Mit der von der Landesregierung unterstützten Verbesserung des Vertragsarztrechts werden die Bedingungen für die Anstellung von Ärzten und Ärztinnen ebenso geändert wie durch die Möglichkeit, in den von Unterversorgung bedrohten Regionen Zweigpraxen zu errichten. In Verbindung mit einer Reihe bereits erfolgter Maßnahmen, wie etwa die Abschaffung des „Arztes im Praktikum“, besteht die Chance, auch langfristig einem drohenden Ärztemangel entgegenzuwirken.

Dass die ärztliche Tätigkeit in Deutschland nach wie vor ein attraktives Berufsziel ist, belegen die Bewerberzahlen für ein Medizinstudium. In den letzten Jahren hat sich das Verhältnis von Bewerbern und Bewerberinnen zu vorhandenen Studienplätzen erhöht. Im Jahr 2005 kamen auf einen Studienplatz mehr als fünf Bewerber und Bewerberinnen.

Ziel muss es sein, Absolventen und Absolventinnen des Medizinstudiums letztlich auch für eine Tätigkeit in der Gesundheitsversorgung zu gewinnen. Die Landesregierung wird die Entwicklung gemeinsam mit ihren Partnern im Land beobachten und dafür Sorge tragen, dass angehende Ärzte und Ärztinnen vernünftige Arbeitsbedingungen vorfinden.

So weit die Antwort der Landesregierung.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rosenbauer.

Frau Ministerin, sind Sie der Auffassung, dass das Budget, das die niedergelassenen Kollegen für die ambulante Versorgung der Patienten zur Verfügung haben, ausreichend ist?

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, die Frage kann nur sehr differenziert beantwortet werden. Wir haben zurzeit – das wissen Sie auch – wegen der Umsetzung des EBM 2000plus eine besondere Problematik. Das heißt, wir haben Verwerfungen, die auf der Grundlage des gleichen Budgets wie im letzten Jahr entstanden sind, ohne dass sich an dem Gesamtvolumen des Entgelts irgendetwas geändert hätte.

Der zweite Punkt ist – das habe ich auch öffentlich geäußert –, dass ich nicht glaube, dass wir auf Dauer mit der Tatsache klarkommen, dass der ambulante Sektor nur 16 % der Gesamtkosten im Gesundheitswesen ausmacht. Das heißt, wenn wir das Thema „ambulant vor stationär“ auch in Zukunft weiter stärken wollen, müssen wir auch den ambulanten Sektor stärken. Das heißt, mit der Einführung eines neuen Entgeltsystems

muss auch darüber gesprochen werden, wie perspektivisch dieser Anteil an dem Gesamtvolumen der Ausgaben für den ambulanten Sektor ansteigt.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Enders.

Frau Ministerin, da es uns bei unserer Frage um die Zukunft der ärztlichen Versorgungssituation geht, möchte ich zwei Fragen nachreichen. Ich möchte sie fragen, wie Sie zwei Äußerungen des Präsidenten der Landesärztekammer, Herrn Professor Hessenauer, in einer Pressemitteilung vom April letzten Jahres beurteilen, in der er zum einen sagt, der Arztberuf muss wieder attraktiver werden, und zum anderen feststellt, dass die Statistik immer deutlicher zeigt, dass eine Versorgungslücke klaffen wird. Hier ist ein gewisser Gegensatz zu Ihren Äußerungen festzustellen. Wie beurteilen und bewerten Sie diese Äußerungen?

Auch die Landesärztekammer hat bei unserem umfassenden Workshop im Dezember mit am Tisch gesessen. Ich habe davon gesprochen, dass alle Themen diskutiert worden sind. Wir sind gemeinsam zu dem Ergebnis gekommen, dass wir in Rheinland-Pfalz nicht von einem Ärztemangel sprechen können.

Ich betone noch einmal, dass die Landesregierung das Thema immer sehr ernst genommen hat und weiß, dass es vor allem ländliche Bereiche gibt, in denen die Nachbesetzung von Praxen Sorgen macht. Darum müssen wir uns kümmern. Wir haben in diesem Bereich unglaublich viel Instrumentarien. Ich bin davon überzeugt, dass man auch dort einen Ärztemangel abwenden kann, wenn man diese frühzeitig anwendet.

Ich denke, die Attraktivität des Arztberufs ist ein großes Thema in der Öffentlichkeit. Hier sind viele Akteure gefragt. Ich persönlich habe gegenüber der ärztlichen Tätigkeit immer hohen Respekt und Anerkennung. Selbstverständlich muss man schauen, dass man die Verhältnisse wieder ein Stück weit so ordnet, dass auch in der Öffentlichkeit wieder etwas Ruhe einkehrt und Ärzte und Ärztinnen ihren Job machen können.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marz.

Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Antwort davon gesprochen, es gäbe in Rheinland-Pfalz eine Reihe gut geführter Krankenhäuser, in denen sowohl die Interessen der Patientinnen und Patienten als auch der Ärztin

nen und Ärzte berücksichtigt werden könnten. Können Sie mir sagen, welcher Anteil der rheinland-pfälzischen Krankenhäuser aus Ihrer Sicht in diesem Sinn gut geführt ist?

Es fällt mir schwer, das zu beziffern. Wir können gern einmal in unserem Haus eine Aufstellung der Krankenhäuser vornehmen, bei denen wir den Eindruck haben, dass das Arbeitszeitgesetz besonders gut umgesetzt wird und die Stimmung im Krankenhaus gut ist, damit wir annähernd eine Zahl nennen können. Im Übrigen gibt es nicht unweit Ihres Wohnorts Krankenhäuser, die in diesem Sinn gut funktionieren.

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Enders.

Frau Ministerin, ich habe eine weitere Nachfrage. Sie stellten in Ihren Äußerungen fest, dass die Attraktivität des Medizinstudiums ungebrochen hoch sei – dem stimme ich zu –, allerdings des Arztberufs offensichtlich nicht. Würden Sie mir zustimmen, dass diese Attraktivität damit zu steigern ist, indem man endlich das Arbeitszeitgesetz umsetzt, dafür sorgt, dass Ärzte nicht ein halbes Jahr später wissen, was sie für ihre Leistungen bekommen, und ein Bürokratieabbau wirklich stattfindet und nicht nur davon geredet wird?

Das waren jetzt zwei Fragen.

(Abg. Dr. Enders, CDU: A, B und C!)

Nicht ab jetzt. Jetzt waren es insgesamt sechs.

Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Ich stimme auf jeden Fall in dem Punkt zu, in dem es darum geht, dass Ärzte erfahren sollten, was sie verdienen, und zwar bevor sie erfahren, wie es heutzutage geregelt ist. Ich bin seit dreieinhalb Jahren Ministerin und fand es schon immer eines der größten Probleme, dass das Entgeltsystem im niedergelassenen Bereich so geregelt ist, dass die Ärzte ein Dreivierteljahr, nachdem die Leistungen erbracht worden sind, erfahren, was diese wert sind.

Deshalb plädiere ich mit großer Überzeugung für eine Neuregelung in diesem Bereich, die übrigens im Koalitionsvertrag niedergelegt ist, indem man stärker mit Pau

schalen und Festbeträgen arbeitet, damit die Ärzte wissen, was ihre Leistungen wert sind, und dass man sich darauf verlassen kann.