Protokoll der Sitzung vom 18.10.2001

Ich appelliere eindringlich: Lassen Sie uns jetzt zusammenstehen. Dies ist nicht die Stunde tagespolitischer

Profilierungen, sondern die Stunde des demokratischen Konsenses.

(Beifall der SPD und der FDP)

Bundeskanzler Schröder hat am 26. September und am 11. Oktober gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder die aktuelle Lage analysiert und bewertet. Über Parteigrenzen hinweg besteht Einigkeit, die Terrorismusbekämpfung voranzutreiben und die entsprechenden Konsequenzen aus diesen fürchterlichen Anschlägen im nationalen und internationalen Raum zu ziehen. Diesen parteiübergreifenden Konsens stellt die Landesregierung auch in diesem hohen Haus mit Erleichterung und Genugtuung fest. Ich danke dafür allen Fraktionen sehr herzlich.

Das Bedrohungspotenzial, das von den Terrorgruppen derzeit ausgeht, müssen wir äußerst ernst nehmen. Wir achten allerdings auch sehr genau darauf, dass die Aussagen über Gefahren des Islamismus mit der notwendigen Differenziertheit bewertet werden. Als Gegner der freien Welt zeigt sich nicht der Islam, sondern blindwütige Verbrecher,

(Beifall der SPD und der FDP)

die glauben, ihre selbst aufgebaute Legitimation aus dem Koran entnehmen zu können.

Wir wissen, dass dies schreckliche Irrlehren sind; denn das Gebot „Du sollst nicht töten“ gilt in allen Weltreligionen.

Das Angriffsziel bin Ladens sind nach eigenem Bekunden die Vereinigten Staaten. Als Freund und Bündnispartner der USA bedeutet dies aber auch für uns in der Bundesrepublik Deutschland und in Rheinland-Pfalz eine bislang nie dagewesene Herausforderung. Die Polizei unseres Landes ist seit dem 11. September rund um die Uhr mit allen verfügbaren Beamtinnen und Beamten im Einsatz.

Nach Einschätzung aller Fachleute bestehen für Rheinland-Pfalz gegenwärtig keine Sicherheitsdefizite. Meine Damen und Herren, im Übrigen – lassen Sie mich auch das sagen – kann es eine hundertprozentige Sicherheit niemals geben.

Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie über die aktuelle Lage und die Maßnahmen zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit informieren.

Zur nationalen Lage: Inzwischen steht fest, dass drei der bei den Anschlägen in den USA ums Leben gekommenen mutmaßlichen Attentäter Bezüge nach Deutschland hatten. Sie wohnten zeitweise in Hamburg und in Bochum. Einige haben offenbar in Deutschland studiert und ihre Beteiligung an den Attentaten von hier aus vorbereitet.

Zu dem Beziehungsgeflecht zählen nach bisherigen Erkenntnissen des BKA weitere in Deutschland lebende Personen. Bundesweit sind mittlerweile über 9.000 Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen. Etwa ein Drittel der Hinweise werden durch das Bundeskriminalamt

selbst, ca. zwei Drittel von den Länderpolizeien bearbeitet. Bislang hat unser Landeskriminalamt ca. 300 Hinweise erfasst, die von den rheinland-pfälzischen Polizeibehörden abgeklärt werden.

Nachdem die ersten militärischen Gegenschläge der Vereinigten Staaten auf die Taliban in Afghanistan stattgefunden haben, befürchten die amerikanischen Sicherheitsbehörden weitere terroristische Akte. Im Zielspektrum können insbesondere amerikanische, israelische, jüdische sowie britische Einrichtungen liegen.

Erkenntnisse über konkrete Gefährdungen von Personen oder Einrichtungen in Deutschland liegen den amerikanischen Sicherheitsbehörden, den deutschen Nachrichtendiensten, dem Bundeskriminalamt und dem Landeskriminalamt nicht vor. Mittlerweile haben auch in Rheinland-Pfalz erste, bislang friedlich verlaufene Demonstrationen gegen die Angriffe der USA stattgefunden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Erkenntnisse, diese aktuelle Lage kann sich im wahrsten Sinne des Wortes natürlich über Nacht fundamental ändern.

Meine Damen und Herren, in Deutschland leben gegenwärtig 2,8 bis 3,2 Millionen Muslime, davon in Rheinland-Pfalz etwa 90.000. Etwa ein Drittel der Muslime in Deutschland praktizieren ihren Glauben mehr oder weniger regelmäßig. Bundesweit existieren 2.000 Moscheen und Gebetshäuser bzw. Gebetsräume. In Rheinland-Pfalz kennen wir 50 dieser Einrichtungen.

Lediglich 1 bis 2 % der Muslime gehören islamistischen und damit fundamentalistischen Organisationen an. Die Verfassungsschutzbehörden kennen gegenwärtig 20 islamistische Organisationen in Deutschland, in denen rund 32.000 Personen fest eingebunden sind. In Rheinland-Pfalz gehen wir von etwa 800 Fundamentalisten aus, und wir bringen bei uns 14 Moscheen und Gebetshäuser mit islamistischen Organisationen in Verbindung.

Bei der Beurteilung der aktuellen Gefährdungslage müssen wir den Blick aber nicht nur auf den Ausländerextremismus richten, sondern wir müssen auch auf den Rechts- und Linksextremismus eingehen. So gibt es Personen in der neonazistischen Szene, die den Anschlag in den Vereinigten Staaten von Amerika ausdrücklich begrüßt haben und sogar zur Verbrüderung mit den islamistischen Fundamentalisten im Ausland aufrufen, was sie natürlich nicht davon abhält, Angehörige muslimischer Staaten in Deutschland weiterhin zu bekämpfen. Ein ambivalentes Bild gibt gegenwärtig die NPD ab, da der Parteivorstand die Anschläge zwar öffentlich verurteilt, ihre neue Galionsfigur Horst Mahler sie allerdings ausdrücklich begrüßt.

Linksextremistische Parteien in Deutschland verurteilen den Anschlag, während es im autonomen Bereich durchaus auch Zustimmung gibt. Nach dem amerikanischen Gegenschlag gegen das Talibanregime müssen wir davon ausgehen, dass sich das linksextremistische Lager formieren wird – in welcher Form, bleibt abzuwarten.

Meine Damen und Herren, die amerikanischen Streitkräfte haben unmittelbar nach den Anschlägen höchste

Alarmstufe angeordnet, womit umfangreiche Selbs tschutzmaßnahmen verbunden sind. Daneben besteht eine erhöhte Gefährdungslage auch für die zivilen Liegenschaften, insbesondere die Housing Areas. Das Ministerium des Innern und für Sport steht in regelmäßigem Kontakt mit der Bundeswehr und den USStreitkräften. Damit wird ein intensiver Informationsaustausch und ein abgestimmtes Maßnahmenkonzept erreicht.

In Abstimmung mit den Verantwortlichen der USStreitkräfte liegt der Schwerpunkt der Aufklärungs- und Schutzmaßnahmen im Bereich der Flugplätze von Ramstein und Spangdahlem. Vor dem Hintergrund der Vermutung palästinensischer Täter sind auch Aktivitäten gegen jüdische und israelische Einrichtungen nicht auszuschließen.

Die angeordneten Objektschutzmaßnahmen an jüdischen Einrichtungen in Rheinland-Pfalz werden fortgeführt; israelische sind in Rheinland-Pfalz nicht vorhanden. Islamische Einrichtungen sind ebenfalls in die Schutzmaßnahmen einbezogen worden. Einbezogen werden auch andere potenziell gefährdete Objekte wie beispielsweise Chemiefirmen. Gespräche mit den Verantwortlichen haben bereits stattgefunden.

Die Schutzmaßnahmen werden derzeit von der Polizei unter Zurückstellung aller vertretbar zu verschiebenden Aufgaben durchgeführt. Sie wurden nach dem amerikanischen Gegenschlag noch einmal deutlich erhöht. Ich habe im Rahmen der Telefonschaltkonferenz der Innenminister des Bundes und der Länder – darauf habe ich vorhin schon hingewiesen – heute Vormittag Herrn Bundesinnenminister Schily gebeten, sich dafür einzusetzen, dass Castortransporte aufgrund der immensen Anzahl der durch sie gebundenen Polizeikräfte zur Sicherung der Bahnstrecken bis auf weiteres ausgesetzt werden.

Zur Erhöhung der Sicherheit und zur Entlastung der Polizei habe ich mich bei den Verantwortlichen im Bund dafür eingesetzt, dass die Bundeswehr in die Außensicherung militärischer Liegenschaften mit eingebunden wird.

Ich habe bereits erwähnt, dass seit dem 11. September 2001 alle rheinland-pfälzischen Polizeibeamtinnen und –beamten im Einsatz sind. Darunter leidet zwangsläufig die Erledigung anderer polizeilicher Aufgaben. Aus diesem Grund müssen wir Wege finden, die Zahl der Beamtinnen und Beamten kurzfristig zu erhöhen.

Meine Damen und Herren, so genannte Wachpolizisten helfen uns in dieser Situation allerdings nicht weiter.

(Beifall der SPD und der FDP)

Es ist aus meiner Sicht der Dinge nicht zu verantworten, einem Personenkreis nach einer so genannten „Ausbildung von drei Monaten“ mit einer Schusswaffe ausgestattet hoheitliche Aufgaben zu übertragen. Der schwierige und verantwortungsvolle Polizeiberuf verlangt nach einer qualifizierten Ausbildung. Aufgrund der ständig steigenden Anforderung an die jungen Polizistinnen und Polizisten hält die Landesregierung die dreijährige Aus

bildung an der Fachhochschule und die einjährige „Lehrzeit“ bei der Bereitschaftspolizei für unabdingbar.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Ich bezweifle das!)

Es gibt jedoch auch noch einen ganz praktischen Grund. Meine Damen und Herren, wie soll ein Bürger in einer Alltagssituation genau bestimmen, was die uniformierten bewaffneten „Schmalspurpolizisten“ noch dürfen und was nicht? - Realistisch wird eine kurzfristige Entlastung durch die Einstellung zusätzlicher Angestellter, die die Polizei von internen Verwaltungsaufgaben befreien.

(Beifall der SPD und der FDP)

Auf diese Weise könnten unter der Voraussetzung der Finanzierbarkeit bis zu 270 Beamte in relativ kurzer Zeit zur Verfügung gestellt werden.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Schaffen die jetzt nichts? Es gibt doch keinen einzigen Beamten mehr!)

Verehrte Frau Abgeordnete Kohnle-Gros, wenn diese 270 Polizeibeamten von ihren Verwaltungstätigkeiten, die sie jetzt ausüben, dadurch befreit werden, dass sie ersetzt werden, dann ist es doch völlig logisch, dass diese 270 Beamten dann in den normalen Dienst zurückkehren können, genau wie bei den Angestellten, bei denen wir das bislang schon gemacht haben. Wir haben doch in diesem Jahr im Haushaltsplan 25 Angestelltenstellen eingestellt. In der gleichen Größenordnung sind die Polizeibeamten, die bislang die gleiche Tätigkeit gemacht haben, jetzt nach draußen gegangen. Ich kann Ihnen das Mann für Mann gern beweisen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe das rheinland-pfälzische Landeskriminalamt am 24. September beauftragt, die landesweite Rasterfahndung vorzubereiten und durchzuführen. Über die Rasterfahndung ist in den letzten Wochen viel geschrieben und diskutiert worden. Um möglicherweise sich in Rheinland-Pfalz aufhaltende potenzielle Terroristen und ihre Unterstützer frühzeitig zu erkennen und in Gewahrsam zu nehmen, werden die bislang bekannten Täterprofile mit vorhandenen Datenbeständen öffentlicher und nicht öffentlicher Einrichtungen abgeglichen, ebenso an rheinlandpfälzischen Universitäten und Fachhochschulen.

Die durch die Innenministerkonferenz aktuell eingerichtete Koordinierungsgruppe „Internationaler Terrorismus“ hat dazu ein einheitliches Profil festgelegt. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz wird über Inhalte und Ablauf der Rasterfahndung fortlaufend informiert.

Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz hat nach dem 11. September die Beobachtung islamistischer Kreise in Rheinland-Pfalz sofort verstärkt. Die Landesregierung wird den Verfassungsschutz durch organisatorische und personelle Maßnahmen in die Lage versetzen, präzise Prognosen über die Struktur der Netzwerke, Rekrutierungsstrategien sowie Anschlagsplanungen zu treffen. Er wird des Weiteren über zielgruppenorientierte

Arbeit islamistischer Organisationen auskunftsfähig werden, die darauf gerichtet ist, vor allem Kinder und Jugendliche über soziale und kulturelle Angebote ideologisch zu prägen und an die jeweiligen Organisationen zu binden. Von daher wird es erforderlich sein, die Zugangswege zu islamistischen Organisationen weiter zu verbessern, indem bereits vorhandene Quellen noch intensiver abgeschöpft und neue Zugänge geschaffen werden.

Islamistische Organisationen und Netzwerke sowie Einzelpersonen nutzen, wie andere extremistische Organisationen auch, zunehmend die elektronischen Medien. Auch ist davon auszugehen, dass verdeckte Kommunikation über das Internet stattfindet. Der Verfassungsschutz wird sich künftig noch intensiver mit der Internetrecherche befassen.

Der Informations- und Erfahrungsaustausch der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, die sich mit Fragen des Islamismus befassen, wird intensiviert werden. Diese Ziele können selbstverständlich nur durch personalwirtschaftliche Maßnahmen erreicht werden. Insoweit habe ich verfügt, dass noch in diesem Jahr acht neue Mitarbeiter für diesen Bereich beim Verfassungsschutz eingestellt werden. Die entsprechenden Stellen sind vorhanden. Darüber hinaus wird ein ausgebildeter Islamwissenschaftler eingestellt.

(Beifall bei SPD und FDP)

Über die dargestellten praktischen Maßnahmen hinaus müssen wir überprüfen, ob die derzeitigen gesetzlichen Befugnisregelungen zur effizienten Bekämpfung der neuen Bedrohungsszenarien ausreichen. An erster Stelle steht dabei die Verbesserung der Voraussetzungen und Erfolgsaussichten der Telekommunikationsüberwachung. Dies gilt aber auch und erst recht für die mit der Abwehr von Gefahren betrauten Sicherheitsbehörden und muss alle neuen elektronischen Medien mit einbeziehen.

Weiter besteht nach Auffassung der Landesregierung ein dringender Handlungsbedarf bezüglich der Sicherheit im Flugverkehr. Angefangen von der strengeren Überprüfung des Flughafen- bzw. Fluglinienpersonals bis hin zu Auskünften über die Flugreisebewegungen muss jeder einzelne Aspekt auf denkbare Sicherheitslücken überprüft werden. Im Übrigen hat die Polizei die Verantwortlichen aller Flugplätze und aller Flugschulen in Rheinland-Pfalz im Hinblick auf mögliche und zurückliegende Verdachtsfälle überprüft und für entsprechendes Verhalten sensibilisiert.

Rheinland-Pfalz begrüßt grundsätzlich die zu diesen und anderen Verbesserungen von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmenpakete, wird allerdings zu gegebener Zeit im Detail ihre einzelne Haltung dazu festlegen. Sie weiß – um auch das noch einmal zu betonen –, dass es Freiheit ohne Sicherheit nicht geben kann.

Die Sicherheit von Kernkraftwerken war Gegenstand der Erörterung auf verschiedenen Ebenen. Das Bundesumweltministerium hat die Länder angewiesen, die Durchführung erhöhter Sicherheitsmaßnahmen für kerntechni

sche Anlagen seitens der Betreiber zu veranlassen. Hierunter fallen unter anderem die Verbesserung des Objektschutzes sowie der Eingangskontrollen. Daneben erfolgt eine erneute Zuverlässigkeitsüberprüfung der Bediensteten analog der derzeit laufenden Rasterfahndung. Die Maßnahmen wurden in unserem Land umgesetzt.