Protokoll der Sitzung vom 18.10.2001

Freiheit bedingt auch Sicherheit. Dieses Spannungsfeld zwischen Erhalt der Freiheit und Gewährleistung von Sicherheit macht die Diskussion über die vorliegenden Vorschläge nicht einfach, zumal in der politischen Diskussion und Auseinandersetzung die Neigung sehr groß ist, mit Schwarz-Weiß-Argumenten zu arbeiten. Während zum Beispiel die Gegner eines Fingerabdrucks im Ausweis behaupten, durch diesen würden alle Bürgerinnen und Bürger per se in Generalverdacht genommen, betrachten ihn Befürworter als total harmlose, unbedeutende Maßnahme.

Nebenbei bemerkt: Ich bin für den Fingerabdruck im Ausweis, da er die Fälschungssicherheit erhöht und die Zugriffsmöglichkeiten – darauf kommt es wohl an – klar beschränkt werden können. Ein Datenschutzproblem ist es für mich nicht.

Wenn also eine derartige Maßnahme eingeführt werden soll, dann muss den Bürgern reiner Wein eingeschenkt werden, auch hinsichtlich möglicher Nachteile. Für diese Klarheit haben wir Politiker zu sorgen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Da wir uns bei dieser Diskussion der Medien bedienen – manche sagen etwas nur, um Medienpräsenz zu beweisen –, ist auch den Medien eine zusätzliche Verantwortung zugewachsen. Der vorherrschende Eindruck der Hilflosigkeit gegenüber derartigen Terrorakten sollte nicht durch überzeichnete, reißerisch aufgemachte Beiträge unnötig verstärkt werden. Das würde nur einer Massenhysterie Vorschub leisten, für die kein Anlass besteht.

Trittbrettfahrer – Herr Zuber hat schon gesagt, dies ist ein verharmlosender Begriff; aber wir verwenden ihn nun einmal – bei uns in Deutschland oder in anderen Ländern, wie wir täglich erfahren müssen, die mit angeblichen Milzbranderregern für erhebliche Unruhe und Angst sorgen, müssen ermittelt und einer harten Bestrafung zugeführt werden. Dabei haben sie – auch das ist bereits gesagt worden – alle Kosten zu tragen.

Wie schlimm solche Straftaten für Betroffene, gerade für Kinder sind, konnten wir vor wenigen Tagen in Bad Kreuznach erleben. Über zehn solcher Briefe beschäftigten viele Hilfskräfte über viele Stunden und versetzten Bürger in Angst und Schrecken. Für diese Taten gibt es kein Pardon, keine Entschuldigung oder Begründung.

Wir müssen darauf achten und vermitteln, dass unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, insbesondere diejenigen islamischen Glaubens, nicht mit Terroristen gleichgesetzt werden.

(Beifall der SPD und der FDP)

Wir wissen um eine latent vorhandene Distanz gegenüber Fremden – ich sage bewusst nicht „Fremdenfeindlichkeit“ –, die abzubauen wir uns seit Jahren bemühen. Es darf den Terroristen und ihrem Dunstkreis nicht ge

lingen, dass unser Zusammenleben erheblich gestört, sogar unerträglich behindert wird.

Wir bekennen uns klar und unmissverständlich zur Integration, was selbstverständlich einschließt, dass die Ausnutzung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zur Vorbereitung von Verbrechen jeder Art nicht geduldet, sondern entschieden bekämpft wird.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es richtig, bestimmte islamistische Gruppierungen vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen, was im Übrigen auch geschieht.

Lassen Sie mich, bevor ich mit einigen Sätzen auf die Sicherheitslage in Rheinland-Pfalz eingehe, vielleicht das wichtigste Problem der Terrorismusbekämpfung ansprechen, das zu lösen oder auch nur zu entschärfen alle aufgezählten Vorhaben und auch weitere zur Verbesserung der Inneren Sicherheit nicht geeignet sind, die Bekämpfung der möglichen und tatsächlichen Urs achen von Terror und Gewalt. Wir müssen uns viel stärker als bisher der Armutsbekämpfung in der Welt, dem Abbau des so genannten Nord-Süd-Gefälles, der maßgeblichen Stärkung der Entwicklungshilfe, der Lösung des Nahostkonflikts und vielem anderen mehr zuwenden. Auch wir in Rheinland-Pfalz sind gefordert. Nur wenn es uns allen gelingt, dem Terrorismus die Grundlagen zu entziehen, werden wir auf Dauer sicher leben können.

Im Hinblick auf die Sicherheitslage in Rheinland-Pfalz teilen wir inhaltlich voll und ganz die Ausführungen von Staatsminister Walter Zuber. Er hat die Situation zutreffend beschrieben, ohne zu beschönigen und ohne Uns icherheit zu verbreiten.

Wir wissen um die hohe Belastung unserer Polizei, der wir wie vielen anderen, die zurzeit besondere Herausforderungen zu bestehen haben, von dieser Stelle aus recht herzlich danken.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir unterstützen die Absicht des Ministers, das Angestelltenprogramm auszuweiten, statt dem Schnellschuss von Herrn Böhr zu folgen und so genannte Wachpolizisten einzustellen. Nur so wird es möglich sein, mehr Polizei für die eigentlichen Aufgaben freizubekommen, statt schlecht ausgebildete Hilfssheriffs zu beschäftigen.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem unterstützen wir den Minister ausdrücklich bei dem Bemühen, Castortransporte bis zum Frühjahr nächsten Jahres aussetzen zu lassen.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Da wäre ich aber vorsichtig!)

Sehr schnell wurde in Rheinland-Pfalz ein Sicherheitspaket geschnürt, um den zusätzlichen Bedrohungen seit dem 11. September im Rahmen unserer Möglichkeiten zu begegnen. Auch dies hat Herr Minister Zuber ausführlich dargelegt und findet damit unsere uneinge

schränkte Zustimmung. Gleiches gilt bezüglich des Verfassungsschutzes, der in unserem Land eine gute Arbeit leistet.

Wir alle im Haus haben größtes Interesse daran, dass unseren amerikanischen Freunden im Land, die Zielscheibe eines Anschlags sein könnten, nichts geschieht. Deshalb sind zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden. In diesem Zusammenhang begrüßen wir, dass die Bundeswehr bereit ist, uns zu unterstützen.

Ein besonderes Augenmerk gilt der Telekommunikationsüberwachung, insbesondere bezüglich des Internets, das zunehmend zum Instrument zur Begehung von Verbrechern genutzt wird. Schon seit längerer Zeit sind unsere Sicherheitsorgane auf diesem Gebiet aktiv. Die Bemühungen müssen jedoch intensiviert werden. Ob wir dazu und für andere Maßnahmen das Polizeiorganisationsgesetz ändern müssen, werden wir in Kürze diskutieren. Der Herr Minister hat dies bereits angekündigt.

Dass wir in allen Ländern und im Bund über den Katastrophenschutz diskutieren müssen und Entscheidungen zu treffen haben, ist uns allen klar. Insoweit gilt das Motto: Erst grübeln, dann dübeln.

Die Einbeziehung der Kommunen und des Katastrophenschutzdienstes ist bereits erfolgt, wie wir gehört haben. Nicht ohne Stolz hat Herr Minister Zuber darauf verwiesen, dass das von uns initiierte Zeugenschutzgesetz inzwischen in Kraft getreten ist. Es ist ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität.

Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Wir sind bereit und in der Lage, unsere freiheitliche demokratische Grundordnung gegen die Bedrohung von innen und außen zu verteidigen. Lassen Sie uns gemeinsam alles daransetzen, dass wir unseren Kindern und Kindeskindern eine friedliche Welt weiterreichen können.

Vielen Dank.

(Anhaltend starker Beifall der SPD und der FDP)

Als Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag begrüße ich Senioren der ÖTV Pirmasens und Frauen der Evangelischen Friedenskirche Pirmasens-Robach. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Grützmacher das Wort.

Meine Damen und Herren! Die Terroranschläge in New York und Washington haben, auch wenn wir räumlich auf der anderen Seite des Atlantiks und somit sehr weit weg sind, große Auswirkungen auf uns in Europa, in

Deutschland und in Rheinland-Pfalz, nicht nur durch die schrecklichen und erschütternden Fernsehbilder vom 11. September. Diese Anschläge waren nicht nur Anschläge auf die USA. Sie sollten auch die demokratische, freie und emanzipierte Gesellschaft treffen. Deshalb fühlen wir uns alle betroffen. Viele fühlen sich auch in Rheinland-Pfalz bedroht, zum Beispiel durch die Nähe zu Ramstein oder weil sie Angst haben vor einem Kamikaze-Angriff auf ein Atomkraftwerk oder vor der Ausbreitung von biologischen Waffen.

Ferner erschreckt uns, dass einige der Attentäter bei uns in Deutschland gelebt und die Anschläge vielleicht auch von hier aus geplant haben. In diesem Zusammenhang ist sicher die Frage berechtigt, ob und wie man diese Attentäter früher hätte erkennen können.

Meine Damen und Herren, wir GRÜNEN stellen uns diesen Fragen und Ängsten und begreifen die aktuelle Situation ebenfalls als eine große politische Herausforderung. Gleich zu Beginn meiner Rede warne ich jedoch ausdrücklich davor, gerade in Anbetracht dessen, was in den vergangenen zwei Wochen passiert ist, in eine völlig unverhältnismäßige Überreaktion zu verfallen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fast täglich werden neue Vorstellungen vonseiten des Bundesministeriums des Innern öffentlich. Jetzt sollen nicht nur Fingerabdrücke in die Pässe aufgenommen werden, sondern darüber hinaus in bestimmten Fällen auch biometrische Informationen, wie zum Beispiel das Profil des Gesichts, der Handfläche und der Fingerkuppe, um nur einige der Vorschläge zu nennen, die in den Medien kursieren.

Auf der anderen Seite stehen die immer fassungsloser werdenden Fachleute von Polizei, Verfassungsschutz und Datenschutz, die

1. vor einer sich ständig verstärkenden Hysterie warnen – dabei sind die so genannten Trittbrettfahrer ein deutliches Warnsignal – und

2. schon fast gebetsmühlenhaft wiederholen – das ist viel wichtiger –, dass es in erster Linie um die effektive Anwendung von Gesetzen geht und nicht darum, irgendwelche neuen Gesetze zu beschließen.

Um das noch einmal beispielhaft an Schilys Vorschlägen zu illustrieren: Schon die Einführung von Fingerabdrükken in den Pässen und die Einführung der entsprechenden Lesegeräte für die Passkontrollen würde an die zehn Jahre dauern und immens viel Geld kosten. Wie viel teurer und langwieriger die Einführung eines biom etrischen Informationssystems ist, kann sich jeder ausmalen.

Meine Damen und Herren, so wichtig es ist, nach den Terroranschlägen in den USA und den nachfolgenden Erkenntnissen zu überlegen, ob und wie man diese Anschläge hätte verhindern können, so ist es zurzeit noch wichtiger, vor einer unverhältnismäßigen Überreaktion zu warnen.

Herr Zuber, auch Sie kritisieren in Ihrer Rede den unkontrollierten Aktionismus und die übertriebene staatliche Rigorosität als den falschen Weg. Heißt das, dass Sie sich im Bundesrat auch gegen diesen Aktionismus und die staatliche Rigorosität des Bundesministeriums des Innern stellen werden?

(Creutzmann, FDP: Mit Sicherheit nicht! – Frau Kohnle-Gros, CDU: Ich glaube schon!)

Ich bin der Auffassung, dass das wichtige Fragen sind, zu denen auch Herr Zuber sich äußern sollte.

Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe als Politiker, dass wir den Menschen gegenüber ehrlich sind und wir sie nicht glauben machen, mit immer mehr Gesetzen könnten wir immer mehr Sicherheit herstellen. Wir müssen deutlich sagen, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann und es auf so raffinierte Verbrechen wie die Attentate in New York und Washington keine einfachen Antworten gibt; denn – das wissen wir inzwischen – selbst ein Fingerabdruck im Pass hätte die deutschen Behörden auf die Attentäter nicht aufmerksam machen können, weil sie unter ihrem richtigen Namen mit ihrem richtigen Pass hier gelebt haben.

Deshalb müssen wir dringend eine öffentliche Auseinandersetzung darüber führen, welchen Preis unsere freie demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft bereit ist, für ihren Schutz vor den Terroranschlägen zu zahlen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)