Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was die Landesregierung bisher in Bezug auf ein Ganztagsangebot unternommen hat, ist weder ein flächendeckendes noch ein bedarfsdeckendes Angebot an Ganztagsschulen, wie es der Herr Ministerpräsident im Wahlkampf versprochen hat.

Deshalb ist die Wahl der Worte bei der Bildungsministerin bereits vorsichtiger und kleinlauter. Sie spricht lieber von einem „regional ausgewogenen“ und nicht mehr von einem „bedarfsdeckenden“, sondern höchstens noch von einem „bedarfsgerechtem“ Angebot.

(Zuruf der Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD)

Entgegen der Worte des Herrn Ministerpräsidenten wird es am Ende dieser Legislaturperiode nicht 300 Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz geben, sondern höchstens 300 Schulen, an denen ein Ganztagsangebot gemacht wird.

(Zurufe aus dem Hause)

Das ist ein Unterschied; denn es ist eine Fehleinschätzung, dass ein Ganztagsangebot an knapp 20 % der Schulen in Rheinland-Pfalz – das sind diese 300 Schulen – zu einem Ganztagsschulplatz für 20 % der Schülerinnen und Schüler führt. Das nimmt die Landesregierung natürlich sehr gern in Kauf. Das ist gar keine Frage;

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartloff, SPD: Sie wollen das von heute auf morgen!)

denn sonst müsste sie den staunenden Eltern und Schülern tatsächlich deutlich machen, dass sie für höchstens 10 % der Schülerinnen und Schüler einen Ganztagsschulplatz einrichten will oder kann.

Meine Damen und Herren, die vorliegenden Anträge auf Einrichtung eines Ganztagsschulangebots, die Sie jetzt nach 10 Jahren Verzögerung bejubeln, weisen eher auf den vom Ganztagsschulverband und den von Herrn Professor Dr. Hurrelmann bei einer Veranstaltung vor wenigen Wochen bestätigten großen Bedarf an Ganztagsangeboten für mindestens 40 % der Schülerinnen und Schüler hin.

Frau Ministerin Ahnen, auch Sie waren bei dieser Veranstaltung mit Herrn Professor Dr. Hurrelmann zugegen. Deshalb müssten Sie meine Ausführungen bestätigen können.

(Glocke der Präsidentin)

Ich werde in der zweiten Runde noch einmal auf Sie eingehen.

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es spricht Bildungsministerin Frau Ahnen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen wir zunächst einmal die sprechen, um die es geht. Mit Ihrer Genehmigung zitiere ich aus der heutigen Ausgabe der „Rhein-Zeitung“: „Schön, hier kann man in den Pausen immer schön spielen, und es gibt gutes Essen.“

(Pörksen, SPD: Wo ist das?)

Oder: „Man kann in Hobby auch Mathe lernen, wenn man nicht so gut ist.“ Oder: „In der Bläserklasse kann man Instrumente lernen.“ Oder: „Ich finde es besser, wenn man länger bleibt, Hobby ist gut, das Essen prima, und für Mama ist das besser.“ Oder: „Die Ganztagsschule ist gut; denn dann sind wir nicht mehr alleine, wenn meine Mama arbeiten muss.“

Das sagten Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse der Ganztagsschule in Bad Marienberg, die seit vielen Jahren erfolgreich im Ganztagsschulbetrieb in Rheinland-Pfalz arbeitet.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Schulen und Schulträger sagen: „Mit Freude und Genugtuung begrüßt die Schulgemeinschaft das Ganztagskonzept der Landesregierung.“ Oder: „Wir wollen uns auf den Weg machen.“ Oder: „Es ist der Wunsch vieler Eltern, dass ein attraktives Nachmittagsangebot das bisherige Angebot der Schule ergänzen soll.“ Oder: „Unser Ziel ist die Befähigung der Kinder, ihr Leben selbstbewusst und selbstverantwortlich in die Hand zu nehmen. Hierbei kann das Förderangebot der Ganztagsschule unterstützend helfen.“

Es ist aber auch so etwas deutlich geworden wie: „Die Einbindung in heimatliches Handwerk und Landwirtschaft könnte im Rahmen eines Ganztagsangebots verstärkt werden."

Meine sehr geehrten Damen und Herren, so haben sich Schulen und Schulträger in einigen Anträgen geäußert, die gerade bei mir eingegangen sind. Es geht also nicht nur um ein zentrales politisches Vorhaben aus bildungs-, familien-, frauen-, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Gründen. Es geht nicht nur um ein Vorhaben, das von Expertinnen und Experten gefordert und unterstützt wird. Es geht vor allem um ein Vorhaben, das von den Betroffenen gewünscht wird.

Das ist für mich die Kernaussage der hohen Antragszahl schon zum ersten Antragstermin. Politik, Schulen und Schulträger ziehen zum Wohl der Schülerinnen und Schüler und deren Eltern an einem Strang.

(Beifall bei SPD und FDP)

Deshalb war es ein guter Start, aber nicht, weil die Bildungsministerin 179 Anträge bekommen hat, was sie natürlich auch gefreut hat, sondern weil diese Anträge ausdrücken, dass in der rheinland-pfälzischen Bildungslandschaft viel in Bewegung gekommen ist.

Eine erste formale Prüfung – mehr war in der kurzen Zeit nicht möglich – hat ergeben, dass in 167 von 179 Fällen Anträge wie vorgesehen in Abstimmung zwischen Schulträgern und Schulen gestellt wurden. Eine entsprechende Liste wird umgehend veröffentlicht, die selbs tverständlich auch Ihnen zur Verfügung gestellt wird. Die vorliegenden Anträge werden nun sorgfältig nach den im Errichtungsverfahren formulierten Kriterien überprüft. Im Januar soll dann die Auswahlentscheidung feststehen. Rund 75 Schulen sollen über die Option zur Errichtung einer Ganztagsschule zum Beginn des nächsten Schuljahres verfügen.

Neben dem Dank an all diejenigen, die daran mitgewirkt haben, richte ich an dieser Stelle – Herr Abgeordneter Keller, Sie haben es vorhin wiederholt – ein Wort an diejenigen, die den Antragstermin 1. November stets gegeißelt und behauptet haben, die Antragsfrist sei viel zu kurz. Schulen und Schulträger haben ihre Leistungsfähigkeit bewiesen. Außerdem steht denjenigen, die etwas mehr Zeit benötigen, der nächste Antragstermin zur Verfügung.

(Beifall bei SPD und FDP)

Ich weise nochmals darauf hin, dass es richtig war, diese Antragsfrist so zu wählen, dass die im ersten Verfahren ausgewählten Schulen frühzeitig Planungssicherheit bekommen, die sie Mitte Januar haben werden.

Es ist bemerkenswert, dass dieselben, die laut geschrien haben – es waren nicht viele, sondern nur einige wenige, aber diese haben umso lauter geschrien –, der 1. November sei viel zu früh, inzwischen genauso laut schreien, dass ich schon gestern darüber hätte entscheiden müssen, welche Anträge genehmigt werden, da die Schulen Vorbereitungszeit benötigten.

(Beifall bei SPD und FDP)

Nach den Ausführungen von Herrn Abgeordneten Keller und der konstruktiven Debatte, die wir im Ausschuss darüber geführt haben, freut es mich, dass sich die CDU-Fraktion dazu entscheiden konnte, dieses Projekt zu unterstützen.

Herr Abgeordneter Wiechmann, mir ist heute – auch nach Ihrer Rede – völlig unklar, ob Sie dafür oder dagegen sind. Was wollen Sie genau? Auch Sie werden sich in dieser zentralen bildungspolitischen Frage irgendwann einmal so positionieren müssen, dass irgendjemand Ihre Position nachvollziehen kann.

(Beifall bei SPD und FDP – Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lesen Sie die Drucksachen!)

Ich bin mit den eingereichten Anträgen sehr zufrieden. Darüber hinaus bin ich mit der regionalen Verteilung und der Verteilung auf die Schularten sehr zufrieden.

Ich mache aber auch ganz ehrlich darauf aufmerksam, dass es für mich einen Wermutstropfen gibt. Der Wermutstropfen heißt Gymnasium. Von diesen hätte ich mir mehr Anträge gewünscht. An dieser Stelle lasse ich überhaupt keinen Zweifel daran, dass ich alles dafür tun

werde, dass aus dem gymnasialen Bereich mehr Anträge kommen, weil die Ganztagsschule, die bildungspolitische Chance einer verstärkten Förderung von unterschiedlichen Begabungen, einer ausgeprägteren Profilund Schwerpunktsetzung und das Eröffnen von neuen Lernmöglichkeiten auch für gymnasiale Schülerinnen und Schüler und für deren Eltern eine hohe Attraktivität haben muss.

(Beifall bei SPD und FDP)

Die bisherige Diskussion zeigt aus meiner Sicht auch deutlich, dass vor allem die bildungspolitische Chance dieser Schulform erkannt und genutzt wird. Deshalb ist das, was pädagogisch auf den Weg gebracht wird, das Beeindruckende. Mir geht es darum, dem Bildungsauftrag der Schule in einer neuen Form und mit neuen Angeboten gerecht zu werden. Hier wächst Schule in eine neue Rolle hinein, und sie tritt zugleich in einen neuartigen Dialog mit den verschiedenen Institutionen in dieser Gesellschaft ein. Gerade in diesem Dialog wird sich zu zeigen haben, dass Ganztagsschule im Sinne des Projekts der Landesregierung keine bedrohende Konkurrenzveranstaltung ist, sondern dass die bestehenden Institutionen, die dem Bildungs- und Erziehungsauftrag in unserer Gesellschaft nachgehen, konstruktiv miteinander zusammenarbeiten.

In diesem Sinne freue ich mich auf das, was vor uns liegt. Ich freue mich darauf, mich mit den Anträgen befassen zu können. Ich freue mich darauf, dass wir über die ersten Anträge entscheiden können. Ich freue mich, dass wir bereits im nächsten Schuljahr mit diesem Angebot, das aus meiner Sicht für die gesamte bildungspolitische Landschaft eine große Bedeutung hat, weshalb es explizit den vom Ministerpräsidenten gewählten Begriff „bildungspolitischer Quantensprung“ verdient, starten werden.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und der FDP)

Bevor wir in die weitere Diskussion eintreten, begrüße ich weitere Gäste bei uns im Landtag, und zwar zum einen Bürgerinnen und Bürger aus Rheinland-Pfalz als Gäste der Friedrich-Naumann-Stiftung

(Beifall im Hause)

und zum anderen Mitglieder der SPD-Frauengruppe Nackenheim. Herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Morsblech das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss noch einmal auf Herrn Kollegen Keller

zurückkommen, weil es schon sehr witzig war, wie irritiert Sie waren, dass eine Aktuelle Stunde zum Thema Bildungspolitik heute keine Aktuelle Stunde der CDUFraktion zum Thema „Miserable Unterrichtsversorgung“ ist. Offensichtlich hat Sie das so aus dem Konzept gebracht, dass Sie nachher den Irrtum begangen haben, einen Antrag schlechtzureden, dem Sie selber zustimmen werden.