Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Lebensschutz kann nur der Lebensschutz im Widerstreit stehen. Deshalb ist es schon ein bisschen – ich will einmal sagen – verharmlosend, so zu tun, als wenn es da Abwägungsprozesse gebe. Es gibt da keine Abwägungspro
zesse. Ich kann nicht abwägen zwischen der Forschungsfreiheit und dem Lebensschutz. Ich kann abwägen zwischen dem Lebensschutz eines Menschen und dem Lebensschutz eines anderen Menschen. Da kann ich abwägen, aber wenn ich den Lebensschutz in den Mittelpunkt stelle und das als das höchste Grundrecht annehme, so wie es unsere Verfassung – abgeleitet von der Würde des menschlichen Lebens und der Würde des Menschen – tut, brauchen wir in dieser entscheidenden und zentralen Frage eine völlig unmissverständliche Antwort. Die kann nur zugunsten des Lebensschutzes – auch des Embryos – ausfallen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Übrigen gibt es sozusagen keine verschiedenen Qualitätsstufen dieses Lebensschutzes mit Blick auf die einzelnen Phasen des menschlichen Lebens. Ich sage das hinsichtlich eines Tabus, das wir in dieser Diskussion alle mit uns herumschleppen. Es kann nicht sein, dass dieser Lebensschutz bis zum 7. Tag gilt, dann wird er sozusagen für drei Monate relativiert, und dann gilt er wieder auf altem ursprünglichen Niveau wie bis zum 7. Tag. Nein, Lebensschutz gilt dann vom Anfang bis zum Ende, und zwar gleich bleibend in allen Phasen des menschlichen Lebens. (Dr. Schiffmann, SPD: Was heißt das?)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion ist dankbar dafür, dass die heutige Aktuelle Stunde dieses Thema vor der Entscheidung des Deutschen Bundestags aufgegriffen hat. Die bioethischen Themen, die wir heute zu diskutieren haben, berühren die Basis dessen, was unsere Gesellschaft zusammenhält: ethisch-moralische Grundsätze, kulturhistorisch gewachsene gemeinsame Überzeugungen, die gesetzgeberisch im Grundgesetz unserer Republik zusammengebracht wurden. – Eine moderne postindustrielle Gesellschaft des 21. Jahrhunderts darf sich nicht in erster Linie durch Bruttosozialprodukt, Lebensstandard und technisches Know-how definieren, sondern wesentlich durch ihr Selbstverständnis in fundamentalen Fragen und Normen.
Meine Damen und Herren, heute geht es um die Bioforschung, konkret um die Forschung an Stammzellen und
Embryonen. Dabei eines vorweg: Wir sollten uns hüten, bei diesen Dingen zu sehr die nationale Brille aufzusetzen. Bioethische Bewertungen, die wir in nationalen Alleingängen verfügen wollen, werden in einer globalisierten Welt, in einer auch globalisierten Welt der Forschung, unterlaufen werden. Es bleibt unumstritten, dass neue Regelungen sinnvoll und notwendig sind; denn im sensiblen Bereich biotechnischer Forschungen brauchen wir strikte Regelungen und die strikte Überwachung dieser Regeln, weil sich all das, was wir nicht regeln, durch Wildwuchs in einer Art und Weise entwickeln würde, den niemand von uns wünschen kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt kurz auf das eingehen, was Herr Kollege Böhr eben sehr klar und eindeutig für seine Fraktion formuliert hat. Herr Kollege Böhr, Sie haben formuliert, dass für Sie Lebensschutz im Vergleich zur Freiheit der Forschung nicht relativ gestellt werden darf. Der Meinung bin ich auch, aber das steht nicht zur Debatte.
Zur Debatte steht, ob Lebensschutz und Forschungsfreiheit unter Grundgesetzaspekten miteinander verglichen werden dürfen. Wenn Sie unter ethischen Aspekten Lebensschutz diskutieren, dann ist Lebensschutz keine absolute Größe. Dann steht, wie Sie auch angedeutet haben, der Lebensschutz des einen Individuums gegen den Lebensschutz des anderen Individuums. Dann müssen wir uns entscheiden. Das ist keine einfache Entscheidung. Ich bin froh, dass abgesehen von dem kleinen Geplänkel zu Beginn der Diskussion die Diskussion bisher ohne Zank geführt wurde. Das wäre nicht adäquat.
Ich will mit der Tür ins Haus fallen. Herr Böhr, ich stelle Ihnen die Gretchenfrage, um die es letztlich geht. Ich stelle Ihnen vorher eine andere Frage, die Sie in Ihrer Rede berührt haben: Sie haben den Bereich der In-vitroFertilisation angesprochen und gesagt, Lebensschutz betrifft auch kryokonservierte Embryonen. Herr Böhr, bitte missverstehen Sie das nicht, aber das möchte ich in aller Schärfe sagen: Das ist ein Ausweichen vor den wirklichen Fragen. Wie stellen Sie sich den Umgang mit diesen kryokonservierten Embryonen aus der Vergangenheit und in der Zukunft vor? Werden wir ein Kryokonservenlager für die nächsten hunderte und tausende Jahre anlegen? Kryokonservierte Embryonen – das wissen wir alle, und es ist heuchlerisch, das anders zu sehen – werden nicht zu vollwertigen Individuen heranwachsen können. Diese Chance haben wir ihnen bisher nicht gegeben, und diese Chance werden wir ihnen auch in Zukunft nicht geben können.
Ganz unabhängig davon, dass damit die Frage berührt würde, weshalb ein Teil kryokonservierter Embryonen nicht implantiert wird. Das hat seine Gründe.
Jetzt aber zu dem, was ich angedeutet habe, nämlich zur Gretchenfrage. Ich stelle sie in großem Respekt vor anderen Meinungen, aber ich kann sie in diesen Grundsatzfragen den Gegnern von Forschungen an Embryonen nicht ersparen. Herr Böhr, ich stelle Ihnen diese Frage persönlich, und ich stelle sie Ihnen auch ganz persönlich, Frau Thomas: Würden Sie auf Therapien verzichten wollen, die entwickelt unter Rückgriff auf so
Das ist eine der Fragen, die wir uns stellen müssen. Die Tatsache, dass sich der frühere Bundespräsident Roman Herzog
nach dem Erleben dessen, was es heißt, einen nahen Angehörigen nach langem Siechtum zu verlieren, auf die eine Seite der Diskussionsgrenze gestellt hat, zeigt für mich, wie schwierig es ist, sich zu entscheiden, und es nicht so einfach ist, dass man sagt, Lebensschutz von Anfang an und immer. Damit ist die Diskussion für mich nicht beendet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es wird in den kommenden Wochen notwendig sein, einen gesellschaftlichen Grundkonsens zu entwickeln, welche Grenzen die medizinische Forschung nicht überschreiten darf, aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch, welche Möglichkeiten man ihr eröffnen muss. Ich betone, es wird nötig sein, einen Grundkonsens zu entwickeln und nicht nur eine Entscheidung zu treffen.
Hier im Parlament darf gerade, da es eine Gewissensfrage ist, die persönliche Position zu dem Grundsatzproblem und den daraus für Detailfragen abgeleiteten Pos itionen nur der Ausgangspunkt zur Standortbestimmung sein. Daraus müssen wir Lösungen entwickeln. Es müssen Lösungen gefunden werden, die für andere mit unterschiedlichen Ansätzen, Bedürfnissen und Ängsten auch akzeptabel sind. Oberstes Gebot für mich ist der Respekt vor der Meinung anderer in diesem Zusammenhang.
In dieser Debatte müssen alle Positionen zum Tragen kommen. Dabei akzeptiere ich ausdrücklich, dass die anstehenden Fragen für Frauen von besonderer Bedeutung sind. Letztlich ist dann aber die Politik gefordert, auf der Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses Entscheidungen zu treffen; denn die politischen Institutionen – wir als Politikerinnen und Politiker – sind dazu legitimiert, aber auch verpflichtet, den notwendigen Rahmen, der auf einem akzeptablen Grundkonsens basieren muss, für alle festzulegen.
Dieser Grundkonsens wird sich einstellen müssen in der Abwägung zwischen der Frage der Würde des Menschen im Zusammenhang mit dem Beginn des menschlichen Lebens und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie den Chancen, die Wissenschaft
und Forschung bieten. Ich spreche ganz bewusst nicht in der Formulierung des Grundgesetzes, weil ich es von einer anderen Qualität sehe.
Einfache Antworten können in diesem Zusammenhang nicht gegeben werden. Deswegen habe ich auch etwas Angst vor den klaren Antworten. Eine Abwägung zwischen Heilungschancen für unheilbar Kranke und dem Schutz von Embryonen wird immer Kontroversen auslösen.
Meine Damen und Herren, alle Ethikräte werden der Politik nur Kompromisse bieten können. Solange diese Kompromisse einen akzeptierbaren, das heißt, auch für die anders Denkenden und von woanders Herkommenden, Konsens beinhalten, werden Gesellschaft, Politik und Wissenschaft in einem demokratischen Grundsätzen verpflichteten Staat damit leben können.
Für einen solchen Konsens halte ich die Stellungnahme der Bioethikkommission des Landes Rheinland-Pfalz. Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, dieser Ethikkommission für die seit 1985 geleistete Arbeit zu danken.
Wer ihre Arbeit aufmerksam verfolgt hat, wird wissen, dass sie sich verantwortungsvoll seit vielen Jahren aktuellen biomedizinischen Fragen von hoher ethischer Relevanz widmet. Kein anderes Land – darauf können wir alle zusammen stolz sein – hat den Wert dieser Diskussion so früh erkannt und ihn so kontinuierlich für sich genutzt.
Meine Damen und Herren, ihre Empfehlungen sind gerade deswegen umso höher zu bewerten, da ihre Positionen in der Kontinuität einer langjährigen Diskussion und Meinungsbildung und nicht allein und spontan unter dem Eindruck einer aktuellen Problematik gefunden wurden.
Diese Empfehlungen der rheinland-pfälzischen Ethikkommission werden für die Landesregierung eine wichtige Entscheidungsgrundlage sein, wenn wir damit zusammenhängende Fragen zu entscheiden haben.
Die ethischen Probleme liegen nicht in den humanen embryonalen Stammzellen als solchen, sondern bei der durch die Zellentnahme verursachten Vernichtung von Embryos. Eine solche Instrumentalisierung des Embryos wäre aus ethischer Sicht dann unzulässig, wenn der Embryo den moralischen Status einer „Person“ aufweist und das daraus folgende Recht auf Lebensschutz kategorisch wäre. Auch der Schutzanspruch eines Embryos wurde gesetzlich einer moralischen Abwägung unterzogen.
Humanität und Respekt vor dem Leben und dem Wohl anderer führen auch nicht zwangsläufig dazu, den Schutz von ganz frühen Embryonen ohne jede Implantationschance – das muss man sehen; um das geht es – oder gar ihre Vernichtung höher zu veranschlagen als deren forschende Verwendung in der Hoffnung auf Therapien für bislang unheilbar geltende Erkrankungen. Humanität und Respekt vor dem Leben verpflichten aber
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass es bei dieser Art von Forschung nicht um „Begehrlichkeiten sowohl der Wissenschaft als auch der Wirtschaft“ geht. Gerade die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – wir haben es alle noch im Ohr oder im Auge – haben in Deutschland darauf gedrängt, eine Diskussion über ethische, rechtliche und soziale Dimensionen ihres Handelns zu führen und klare Rahmenbedingungen, die gesellschaftlich akzeptabel sind, zu erhalten.
In dieser Diskussion gibt es keine Frontlinien zwischen Naturwissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern. Unter den Importgegnern fanden sich im nationalen Ethikrat ebenso Naturwissenschaftler, wie umgekehrt zahlreiche Nicht-Naturwissenschaftler unter den Befürwortern waren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Diskussion darf dabei nicht durch den Hinweis verkürzt werden, dass die Erfolge in der Forschung nicht garantiert und nicht vorab belegt werden können. Es liegt in der Natur der Forschung, dass ihre Ergebnisse nicht voraussagbar und nicht garantierbar sind. Es geht um Chancen und nicht um sichere Erfolge, die in der Diskussion abgewogen werden müssen. Dies macht die Entscheidung sicher nicht einfacher. Der Verweis auf ethisch unproblematische Forschung an adulten Stammzellen oder andere leichter erreichbare Forschungsziele ist wenig nützlich, wenn damit insbesondere für den Wissensgewinn entscheidende Fragen nicht beantwortet werden können.
Sollten in der Bundesrepublik Deutschland alle Forschungen an embryonalen Stammzellen verboten und der Import von Stammzelllinien verhindert werden, müsste mit der gleichen Konsequenz auch über den Import von Therapien gesprochen werden, die aus solchen Forschungen aus dem Ausland gewonnen werden.
Es ist sicherlich ethisch auch problematisch, Nutzen aus Forschung zu ziehen, deren Methoden in Deutschland als unethisch gelten. Kranken gegenüber eine solche Politik durchsetzen zu müssen, halte ich nicht für vertretbar. Auch der Verzicht kann ethisch problematisch sein.
In diesem Zusammenhang muss man eines sehen – das ist von einem Wissenschaftsminister ernst gemeint –: Ein wesentliches Ziel des Arbeitens an existierenden Stammzellen ist die Beantwortung der Frage, inwieweit sich embryonale Stammzellen in gewebespezifische Stammzellen entwickeln und wie dieser Differenzierungsprozess beeinflusst werden kann. Sollte es gelingen, diesen Prozess zu verstehen, wäre möglicherweise – aus meiner Sicht sogar wahrscheinlich – ab diesem Zeitpunkt keine Forschung an embryonalen Stammzellen mehr notwendig. Dies muss man sehen.
Meine Damen und Herren, ich respektiere selbstverständlich eine Position, die den Beginn des Lebens in der Verschmelzung von Ei und Samenzelle sieht und die auf dieser Basis in der Abwägung zwischen Chancen und Problemen zu einer Ablehnung auch der Nutzung vorhandener embryonaler Stammzellen kommt.