Protokoll der Sitzung vom 25.01.2002

Meine Damen und Herren, ich respektiere selbstverständlich eine Position, die den Beginn des Lebens in der Verschmelzung von Ei und Samenzelle sieht und die auf dieser Basis in der Abwägung zwischen Chancen und Problemen zu einer Ablehnung auch der Nutzung vorhandener embryonaler Stammzellen kommt.

Eine Position jedoch, die bei der gleichen Grundposition einen Abwägungsprozess generell ablehnt und damit die zu entscheidende Frage als endgültig entschieden ansieht, halte ich persönlich für problematisch. Eine solche Position könnte, da sie dogmatisch ist, künftigen Entwicklungen, die in jedem Fall kommen werden, nicht mehr Rechnung tragen, weder im Sinn einer Verschärfung noch einer Lockerung von Rahmenbedingungen.

Herr Böhr, wenn Sie eine solche klare Antwort auf eine Frage geben mit einer klaren Konsequenz, die selbs tverständlich eine Standortbestimmung ermöglicht, müssen Sie es auch aussprechen. Dann müssen Sie sich fragen, ob Sie damit andere Probleme von der In-vitroFertilisation über die Empfängnisverhütung bis hin zur Problematik des § 218 auch schon beantwortet haben, aber in einem anderen Sinn, als es momentan im gesellschaftlichen Konsens dieser Republik realisiert wird.

(Beifall der SPD und der FDP)

Dieses kann man tun, aber man muss wissen, dass man es tut.

(Zuruf des Abg. Böhr, CDU)

Ich habe mich in meiner vorpolitischen Zeit über Jahrzehnte mit Genen beschäftigt. Trotzdem, möglicherweise gerade deswegen, ist Leben für mich persönlich mehr als die Summe aus zwei haploiden Genomen. Ich werde mich bei der Beantwortung aktueller Fragestellungen durch die Landesregierung für Positionen einsetzen, die wie auch die Empfehlungen der rheinland-pfälzischen Bioethikkommission gekennzeichnet sind

durch ein hohes Maß an Verzicht und Zurückhaltung, das heißt konkret, kein therapeutisches Klonen, keine Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken,

- durch eine sorgfältige Abwägung von schutzwürdigen Interessen und Pflichten und

- durch die verantwortungsvolle Nutzung von Entwicklungsmöglichkeiten, das heißt, eine streng geregelte, von uns kontrollierte und nicht durch Dritte vorgesetzte Nutzung des Imports vorhandener embryonaler Stammzellen.

Abschließend sind aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang zwei Grundsätze noch einmal herauszustellen:

1. Die Schutzwürdigkeit des Lebens darf nicht zur Disposition stehen.

2. Das, was Leben ist und wie und mit welchen Folgen es beeinflussbar ist, verändert sich stetig mit dem neuen Wissen. Meine Damen und Herren, sonst würden wir heute diese Debatte nicht führen.

Lassen Sie uns darauf achten, dass die Achtung vor der Würde des Menschen bei der Achtung vor der Person, aber auch der Position des anderen beginnt.

(Anhaltend Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich freue mich, Gäste im Landtag begrüßen zu können, und zwar Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lehrerin des Auguste-VictoriaGymnasiums Trier, Schülerinnen und Schüler mit Lehrer und Lehrerin des Sebastian Münster-Gymnasiums Ingelheim sowie Bürgerinnen und Bürger aus der Verbandsgemeinde Guntersblum. Seien Sie alle herzlich begrüßt!

(Beifall im Hause)

Es spricht nun Frau Abgeordnete Thomas.

Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Dr. Schmitz, ich glaube nicht, dass es an Ihnen ist, Gretchenfragen zu stellen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Glauben Sie nicht auf der anderen Seite, dass sich nicht jeder, der sich mit dieser Diskussion – nicht spontan, sondern auch schon seit langer Zeit – beschäftigt hat, persönlich diese Gretchenfragen nicht alle gestellt hat und zu einer Beantwortung gekommen ist. Aber ich finde es nicht fair, das an dieser Stelle in einer solchen Form zu formulieren, wie Sie es getan haben.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU – Böhr, CDU: Jawohl!)

Ich möchte auch einen zweiten Hinweis von Ihnen aufgreifen. Sie sagen, man könne diese Diskussion nicht in einem nationalen Rahmen führen und müsse auch Globalisierungsprozesse in der Wissenschaft berücksichtigen. Ich glaube, in der Wissenschaft haben diese als Allererstes Platz genommen, bevor sie die wirtschaftliche Ebene überhaupt erreicht haben.

Ich gebe Ihnen Recht. Ich führe diese Diskussion auch nicht in einem nationalen Rahmen. Aber ich glaube, wenn es um die Beantwortung von ethischen und gesellschaftlichen Fragen, von sozialen Konsequenzen und politischen Entscheidungen geht, müssen wir uns natürlich auf ethische Grundsätze stützen, die wir innerhalb unserer Kultur festgelegt und entwickelt haben und

auf die wir uns einmal im Zusammenhang mit der Festlegung des deutschen Embryonenschutzgesetzes geeinigt haben. Das muss man immer wieder betrachten.

Aber man kommt bei diesen Abwägungen auch zu persönlichen Entscheidungen mit der Konsequenz, auch politische Entscheidungen herbeizuführen.

Herr Zöllner, wenn Sie von den Chancen der Forschung sprechen, so muss man im Gesamtkontext, wenn man Forschungsdynamik und Technologieentwicklung betrachtet, auch über die Risiken sprechen.

In der Diskussion wird oftmals ein einfacher Zusammenhang hergestellt, der besagt, man hat einmal bestimmten Entwicklungen zugestimmt, vielleicht dort schon den Rubikon überschritten, und deswegen muss man auch Weiterentwicklungen zustimmen oder sich ihnen annähern. Das wird von einigen in der Diskussion immer sehr einfach formuliert.

Wer zur künstlichen Befruchtung Ja sagt, muss in der Konsequenz auch zur Präimplantationsdiagnostik Ja sagen. Wer zu Verhütungsmitteln wie beispielsweise die Spirale oder zum Konsens in der Frage des § 218 Ja gesagt hat, der muss auch Ja sagen, wenn es um Fragen der Abwägung des Grundrechtsschutzes des Embryos geht oder um Fragen, denen sich die Medizin in der Frage der Behandlung stellt.

Ich möchte festhalten, ich bin fest davon überzeugt, dass jede Technik auch unter ethischen Fragestellungen für sich beurteilt werden kann und beurteilt werden muss. Ich wehre mich dagegen zu sagen, wer damals Ja gesagt hat, kann sich in seinen Entscheidungsmöglichkeiten nicht weiterentwickeln und zu einem späteren Zeitpunkt Nein sagen. Das heißt aber auch in der Entwicklung der Position, dass man mitbedenken muss, wie danach die Argumentation sein wird.

Wenn Sie zur Forschung an embryonalen Stammzellen Ja gesagt haben, sagen Sie dann auch Ja zu der Frage des therapeutischen Klonens? Die Engländer haben diese beiden Fragen gleich miteinander verbunden. Sie haben die Möglichkeit der Forschung an embryonalen Stammzellen mit der Erlaubnis des therapeutischen Klonens verbunden. Wer diese Verbindung nicht sieht, den bitte ich einmal, in die Stellungnahme der Bioethikkommission des Landes zu schauen, die in These Nummer 11 sagt:

„Auch das Verbot des therapeutischen Klonens ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Das gilt jedenfalls, solange keine konkreten Heilungschancen für bislang unheilbare Krankheiten bestehen.“

Dabei muss man wissen, was therapeutisches Klonen heißt. Es bedeutet das Entkernen einer vorhandenen Eizelle, die danach mit einem neuen Kern, also mit einer neuen genetischen Masse, ausgestattet wird, um bestimmte Entwicklungen herbeizuführen. Genau das ist doch eine Entwicklung, auf die viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen setzen, wenn es um Fragen der Behandlung geht.

Ich möchte Ihnen sagen, was eine Folge davon ist. Ich rede über Dynamik und Folgeentscheidungen, vor denen wir nicht heute und nicht nächste Woche im Bundestag, aber irgendwann in Zukunft stehen werden. Es wird sich automatisch ergeben, dass wir uns fragen müssen: Wollen wir solchen Maßnahmen zustimmen?

(Glocke des Präsidenten)

Wollen wir Maßnahmen zustimmen, die – ich sage dies bewusst sehr pointiert – Frauen zu Eizellenspenderinnen degradieren, die zum therapeutischen Klonen verwandt werden? Das ist für mich ein ganz wesentliches Argument bei dieser Forschungsdynamik und -entwicklung in der momentanen Entscheidung und in der momentanen Diskussion.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Schiffmann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bedauern es etwas, dass wir dieses ethisch hoch sensible Thema heute in einer Aktuellen Stunde debattieren. Eine Aktuelle Stunde im Landtag wird immer entlang von Fraktionslinien geführt. Wenn eine Erkenntnis insbesondere aus der Debatte des letzten Jahres und aus der aktuellen Debatte der letzten Tage im Vorfeld der Entscheidung des Bundestags vorhanden ist, dann ist es die, dass die Linien der Debatte quer durch alle Fraktionen gehen, von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Fraktion der FDP haben sich – von einigen Ausnahmen abgesehen – mit starken Mehrheiten für eine Position entschieden. Gerade in den großen Volksparteien SPD und CDU gehen die Linien quer durch die Fraktionen. Ins ofern wäre es dem Thema angebrachter gewesen, eine offene Debatte anhand von Positionen und nicht von Fraktionen zu führen. Dies wollte ich vorweg sagen.

Wir haben für die Debatte im Landtag einen Zeitplan verabredet, der dann vielleicht auch die Möglichkeit wie im Bundestag gibt, dass sich über die Fraktionslinien hinweg Kolleginnen und Kollegen für bestimmte Positionen und nicht entlang von Fraktionslinien zusammenfinden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor wenigen Tagen fand in Bitburg eine Neuauflage der Bitburger Gespräche statt. Ein Bericht über die Bitburger Gespräche, die diesem Thema der embryonalen Stammzellenforschung gewidmet waren, begann damit, „so viel Uns icherheit und Unbehagen“ sei noch nie dagewesen. Ich glaube, das bringt das Ringen von allen, die sich mit diesem Thema befassen und eine Entscheidung zu treffen haben, auf den Punkt.

Es ist aber ein weiterer Punkt zu nennen, weshalb vor allen Vereinfachungen und vor umfassenden Lösungen und Festlegungen zu warnen ist. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog, auch ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat in einem Beitrag in der „Welt“ Anfang Januar formuliert: „Gefordert ist eine ziemlich mühsame Kopfarbeit, wie sie viele nicht mögen. Aber Kopfarbeit wird uns nicht erspart bleiben, schon weil wir gar nicht ahnen können, was in Zukunft alles noch zu diskutieren und zu entscheiden sein wird.“ – Dies wird auch dann gelten, wenn der Deutsche Bundestag am nächsten Mittwoch eine Entscheidung getroffen hat.

Ich möchte daran erinnern, erst im November 1998 ist es zum ersten Mal gelungen, embryonale menschliche Stammzellen zu isolieren und aus diesen embryonalen Stammzellen Stammzelllinien zu entwickeln. Rund dreieinhalb Jahre nach dieser wissenschaftlichen Entdeckung diskutieren wir Fragen, die naturgemäß noch ein Stück Fragen der Grundlagenforschung betreffen. Das muss auch an dieser Stelle gesagt sein. Es geht nicht darum, dass mit dieser Entscheidung auch die Entscheidung darüber verbunden ist, ob nächste Woche Therapiemöglichkeiten für Parkinson, für Alzheimer und für die Patienten vorhanden sind, die beispielsweise querschnittsgelähmt sind. Das wird ein langer Prozess sein.

(Vizepräsidentin Frau Hammer übernimmt den Vorsitz)

Minister Zöllner hat darauf hingewiesen, dass ein Stück Ringen um einen Grundkonsens vorhanden ist. Ich möchte auch nach dieser Debatte bei allen Unterschieden in den Positionen der GRÜNEN und der klaren Positionsbestimmung von Herrn Böhr, die allerdings viele Fragen im Hinblick auf andere Probleme, die damit verbunden sind, offen gelassen hat, doch einen gewissen Grundkonsens feststellen. Das muss in einer solchen Debatte auch in dem Respekt voreinander klar werden. Es besteht ein Grundkonsens über die prinzipielle Unverfügbarkeit menschlichen Lebens.

In den letzten Tagen konnte man die internationale Debatte verfolgen, so die Festlegung Englands, das sich noch einmal für die Möglichkeit des therapeutischen Klonens ausgesprochen hat. Zu nennen ist auch die Debatte in der französischen Nationalversammlung in der letzten Woche oder auch die große wissenschaftliche Debatte in den USA. Bei all dem ist deutlich geworden, bei allen Unterschieden in der Frage des therapeutischen Klonens sind wir uns alle einig, menschliches Leben ist unverfügbar und darf nicht verzweckt werden. Es darf keine Produktion von Embryonen zu Forschungszwecken geben. Wir sind uns auch alle im Verbot des reproduktiven Klonens einig. Ich glaube, es ist wichtig, dass dies an dieser Stelle festgehalten wird.

Worüber reden wir? Wir reden darüber, ob jetzt ganz aktuell Stammzelllinien, die vorhanden sind, importiert werden dürfen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Stammzellen nicht totipotent sind, wie es die Zygote, also die aus der Verschmelzung von Ei und Samenzelle

hervorgehende Urform menschlichen Lebens ist, sondern nur pluripotent.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nicht einmal das wissen wir!)