Protokoll der Sitzung vom 14.03.2002

Meine Damen und Herren, ich mache noch eine Anmerkung. Wir beraten gleichzeitig das Landesgesetz zur Änderung des Kindertagesstättengesetzes, Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 14/436 – sowie die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung und Jugend – Drucksache 14/803 –. Ich bitte Frau Kollegin Schneider-Forst, die Berichterstattung nach der ersten Runde zu geben.

Dazu gehören auch die Änderungsanträge der CDU und der Änderungsantrag des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Ich erteile Frau Brede-Hoffmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Lelle, ich denke, die Diskussion über PISA ist wichtig. Sie ist richtig. Sie ist nicht die einzige, die wir im Rahmen der Haushaltsdebatte zur Bildungspolitik zu führen haben. Die von Ihnen angesprochenen Themen liegen in Form von Anträgen für die künftigen Diskussionen im Plenum bzw. im Ausschuss vor. Ich gehe davon aus, dass wir die Vorschläge des Ministeriums im Ausschuss im Detail diskutieren. Verzeihen Sie, dass ich heute nicht auf PISA und seine Möglichkeiten, darauf zu reagieren, eingehe.

Für mich ist es viel wichtiger zu betonen, dass Bildungspolitik nicht erst jetzt, aber insbesondere in diesem Haushalt ein Schwerpunkt ist. Der Ministerpräsident hat die Steigerungsraten bei der Bildungspolitik in diesem Haushalt und in den letzten Haushalten gestern dargestellt. Es ist klar geworden, dass es weit überdurchschnittliche Zuwächse im Bereich Bildungspolitik in diesem Land gibt. Wir sind ein kinder- und bildungsfreundliches Land. Wir verstehen uns so. Das ist nicht erst seit MARKUS und PISA so. Schon wesentlich früher war uns klar, dass jede Mark, die wir in Bildung stecken, eine wichtige ist. Eigentlich ist es immer zu wenig, und wir wollen immer noch mehr.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Was wollen wir jetzt? Was machen wir jetzt? Im vorschulischen Bereich wollen wir die Ganztagsbetreuung erhöhen. Mehr soziales Miteinander, mehr Lernen fürs Leben, aber auch mehr Chancen für die Vereinbarkeit von Familien und Beruf sind zu nennen. In der Schule sind mehr pädagogische und mehr sozialpädagogische Arbeit zu nennen, des Weiteren erweiterte pädagogische Angebote inhaltlich und zeitlich. Das sind die wichtigsten Schritte, die wir im Besonderen mit unserem Angebot

von 300 Ganztagsschulen in dieser Legislaturperiode verwirklichen wollen. Mehr Chancengleichheit ist das große Wort und eine der Antworten auf PISA, die sicherlich mit dem Angebot an Ganztagsschulen gegeben werden können. Das ist eine Antwort; das möchte ich betonen, um nicht falsch verstanden zu werden.

Bezüglich dieses Themas sind wir Vorreiter in der Bundesrepublik. Kein anderes Land ist so konsequent vorgegangen. Bereits ab 1988 haben wir mit der Umsetzung der Vollen Halbtagsschule das pädagogische Angebot wesentlich erweitert und die Voraussetzungen im Grundschulbereich geschaffen, die Ganztagsschulangebote zu machen. In den anderen Schularten machen wir es ab dem kommenden Schuljahr. Ich möchte betonen, wir haben mit der Erweiterung dieser pädagogischen Arbeit nicht die vorhandenen Betreuungsangebote eingeschränkt. Die Haushaltsmittel für die Betreuenden Grundschulen sind nicht gekürzt worden, wie man meinen könnte, sondern sie sind für das kommende Haushaltsjahr und das darauf folgende Haushaltsjahr nochmals erweitert worden.

Wir erweitern ebenfalls die Selbstverantwortung von Schulen. Wir haben einen Modellversuch an zehn Schulen mit selbst verwalteten Vertretungsmitteln erfolgreich durchgeführt. Die Erfahrungen dieser Schulen sind dokumentiert. Diese zeigen, dass man temporären Unterrichtsausfall mit eigenverantwortlichem Einsatz von Mitteln an Schulen minimieren kann. Wir wollen das ab dem kommenden Schuljahr schrittweise an den ganzen Schulen im Land umsetzen. Wir reden über 2,5 Millionen Euro, über 10,2 Millionen Euro in den nächsten Jahren, mit denen Schulen die Probleme selbst und vor Ort lösen können.

Ein ganz wichtiger Punkt in unserer kommenden Arbeit ist die Stärkung der Hauptschule. Ich möchte betonen, das soll nicht durch eine Struktur- oder Schulideologiediskussion erfolgen, sondern durch tatsächliche Qualitätsentwicklungen des Bildungsgangs Hauptschule. Es geht darum, jungen Menschen in neun oder zehn Schuljahren qualifiziert auf einen Beruf vorzubereiten. Sie wollen fit sein, um in der Berufswelt zu bestehen. Das soll durch eine Schulform geschehen, die ein gestärktes Profil hat, die handlungs-, anwendungs- und ergebnisorientiert arbeitet und unterrichtet, die Schlüsselfunktionen von Schülerinnen und Schülern stärkt. Mit dieser Schulart sollen die Schüler fit für ein Arbeitsleben gemacht werden. Wir haben ein Aktionsprogramm, für das wir Mittel eingestellt haben.

Wir wollen pädagogische Arbeit in der Hauptschule durch Maßnahmen von Schulsozialarbeit stärken. Das soll durch ausgeweitete Angebote geschehen. Heute schon gibt es viele Formen von Hilfe, Unterstützung, Beratung und Berufsvorbereitung. Einen ganz besonderen Stellenwert hat sicherlich im Besonderen in der Schulform Hauptschule Gewaltprävention, Deeskalationstraining, Konfliktschlichtung, Erziehung zu Toleranz und Demokratie und vor allen Dingen Überwindung von Vorurteilen.

Alles dieses kann Schulsozialarbeit lösen. Sie kann in enger Zusammenarbeit mit örtlicher Jugendhilfe Schule stützen und Schülerinnen und Schüler stärken. Um

diese Ausweitung von Schulsozialarbeit sichern zu können, haben wir durch einen eigenen Haushaltsansatz, den wir als Haushaltserhöhung eingebracht haben, Mittel eingestellt. Auch hier reden wir über 125.000 Euro im ersten Jahr und 250.000 Euro im kommenden Jahr. Wir können die Stellenzahl wesentlich ausweiten.

PISA – Sie haben darauf hingewiesen – hat vor allen Dingen den Finger auf die Frage von Lese- und Spracherwerbskompetenz bei Kindern gelegt. Auch hier haben wir mit Ergänzungsanträgen reagiert. Dies ist sicherlich ein kleiner Schritt – das gebe ich gern zu –, aber ich denke, es ist ein ganz wichtiger Schritt, vielfältige Maßnahmen für alle Altersgruppen vorzuschlagen im vorschulischen Bereich, im Bereich von Schule und Freizeit und ganz wesentlich auch begleitend durch Spracherwerbsförderung bei Erwachsenen, die in der Rolle von Eltern natürlich auch fit gemacht werden müssen mit der Sprache, die ihre Kinder in der Schule als Lern- und Lebenssprache brauchen.

(Vizepräsident Dr. Schmidt übernimmt den Vorsitz)

Unsere Schulen müssen fit sein für das Multimediazeitalter. Wir haben dafür in einem großen Programm Hardund Software in den Schulen in der Anschaffung unterstützt. Wir haben über UMTS-Mittel unsere berufsbildenden Schulen auf einen meiner Meinung nach bemerkenswert hohen technischen Stand gebracht. Millionenbeträge wurden im vergangenen Jahr und in diesem Jahr den Schulen zur Verfügung gestellt. Wir haben durch einen Vertrag zwischen Land und kommunalen Spitzenverbänden das Thema der Systemsteuerung für die Schulen deutlich und gut gelöst. Wir haben ein großes Weiterbildungsprogramm „Internet-Lernen, wir tuns“ aufgelegt. Auch dafür haben wir zur Weiterführung im kommenden und im darauf folgenden Jahr die Mittel zur Verfügung gestellt.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Unterrichtsversorgung ist das ganz wichtige Thema. Unsere Schulen können sich darauf verlassen, jede frei werdende Stelle wird wieder besetzt. Herr Lelle, wir haben vergeblich die Deckblätter mit den 1.000 zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrern gesucht.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP)

Wir hätten gern gesehen, wie Sie das zu finanzieren gedenken. Stattdessen haben wir festgestellt, dass Sie Mittel für die qualifizierte Arbeit in Modellversuchen gestrichen haben. Schulentwicklung ohne Modellversuchsarbeit ist für mich ein ziemlich kurz gesprungenes Ding. Ich denke, dass diese Mittel dort sehr wichtig sind und das Streichen bei Ihnen schon aufmerken lässt.

Qualitätsentwicklung ist das bildungspolitische Programm an unseren Schulen. Für alle Maßnahmen, die Schulentwicklung notwendig haben, schafft der vorliegende Doppelhaushalt die finanziellen Voraussetzungen. Aber Sie haben darauf hingewiesen, und Sie haben Recht: Qualitätsentwicklung setzt neben den Finanzen Lern- und Leistungsbereitschaft bei Schülerinnen und Schülern und im Elternhaus voraus, und es setzt voraus, dass unsere Schulen wissen, dass wir hinter ihnen ste

hen, sie mit unserem Haushalt unterstützen. Aber auch mit unserem Verhältnis zu den Schulen tun wir das.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Wiechmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie Sie spätestens seit gestern erfahren konnten, haben wir viele kompetente Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker in unserer Fraktion. So muss ich nicht mehr auf alles eingehen, was zum Einzelplan 09 zu sagen wäre.

(Pörksen, SPD: Gott sei Dank haben Sie das einmal gesagt! Wir hätten das gar nicht gemerkt!)

Wir GRÜNEN betrachten die PISA-Studie und die damit verbundenen Herausforderungen als große Chance und haben sie deshalb zur Grundlage für unsere Änderungsund Entschließungsanträge zum Doppelhaushalt gemacht. Die Frage der Bildungschancen ist für uns die zentrale soziale Frage der Wissensgesellschaft. Die Erneuerung unseres Bildungssystems von den Kindertagesstätten über die Schulen bis zu den Hochschulen und den Weiterbildungseinrichtungen ist deshalb die Schlüsselfrage für Chancengerechtigkeit in der Zukunft.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Umso bedauerlicher ist es, dass der von der Landesregierung vorgelegte Doppelhaushalt ebenso wie die geplante Änderung des Kindertagesstättengesetzes nun wirklich keine adäquate Antwort auf die Herausforderung von PISA darstellt. Grundsätzliche und dringend notwendige Reformen unserer Bildungslandschaft packen Sie nicht an. Ein zaghaftes Herumdoktern an einigen Symptomen bringt uns nicht weiter.

(Kuhn, FDP: Aha!)

Es finden sich keine konsequenten und durchdachten Maßnahmen zur Verminderung des strukturellen Unterrichtsausfalls oder für eine bessere Integration benachteiligter Schülerinnen und Schüler.

(Kuhn, FDP: Was? – Pörksen, SPD: Haben Sie schon einmal etwas vom Leiermann gehört? – Dr. Schmitz, FDP: Haben Sie schlecht geschlafen?)

Außer im Bereich der Ganztagsschule – diesen Bereich tragen Sie auch seit Monaten als Ihre sozialdemokrati

sche bildungspolitische Wollmilchsau durchs Dorf – wurde viel zu wenig für Bildungs – – –

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Eier legende!)

Eier legende Wollmilchsau, ganz genau.

(Pörksen, SPD: Wenn schon, dann genau!)

Sie veranschlagen außer dieser Ganztagsschule viel zu wenig für bildungspolitische Innovationen. Notwendig ist eine Qualitätsoffensive für die Schulen, mehr Integrationsangebote und mehr Förderangebote für Benachteiligte sowie die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Pörksen, SPD: „Mehr“ ist Ihr Lieblingswort:! – Dr. Schmitz, FDP: Einzelunterricht!)

Frau Ministern Ahnen, Sie bieten zu PISA nichts anderes an als ein mit heißer Nadel gestricktes Sammelsurium unzusammenhängender Einzelmaßnahmen, so etwa das Qualitätsprogramm der Einzelschule,

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Diese grüne Wollmilchsau legt dünne Eier!)

das es übrigens in unseren anderen Bundesländern rundherum bereits seit Jahren gibt – das heißt da nämlich Schulprogramm –, oder der neue Mathematiklehrplan, der aufgrund von TIMSS sowieso schon längst in Arbeit war.

Weiterhin zu erwähnen sind die so genannten Vergleichsarbeiten, die einer ideologischen Verbohrtheit der FDP-Fraktion geschuldet sind und bei denen niemand sagen kann, was mit wem und mit welchem Ziel überhaupt verglichen werden soll. Das bringt uns nicht weiter.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Frau Morsblech, FDP)

Die Basis für eine wirkliche Qualitätsentwicklung ist und bleibt eine Schule ohne strukturellen Unterrichtsausfall. Deshalb haben wir Mittel für mindestens 300 weitere Lehrerinnen- und Lehrerstellen in einem Haushaltsantrag beantragt.

(Kuhn, FDP: Gut!)

Ein Schulprogramm oder – wie Sie es nennen – ein Qualitätsprogramm lässt sich von den Schulen eigenverantwortlich nämlich nur dann umsetzen, wenn sie dazu ein Budget für die notwendigen Personal- und Sachmittel haben. Dieses Budget darf gerade auch für die Qualitätsentwicklung dann nicht nur aus einem Vertretungsmittelbudget, wie Sie es wollen, bestehen, sondern – außerdem ist dieses Vertretungsmittelbudget nur für einige Schulen vorgesehen – es muss insbesondere ein Fort- und Weiterbildungsbudget für die Lehrerinnen

und Lehrer enthalten, wie wir es in einem weiteren Antrag fordern.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)