Protokoll der Sitzung vom 16.05.2002

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Keller das Wort.

Die Fraktionen haben eine Redezeit von zehn Minuten vereinbart.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion war die erste Fraktion, die nach ausführlicher Diskussion mit vielen am Schulleben Beteiligten einen Parlamentsantrag gestellt hat, um konkrete Schlussfolgerungen aus PISA zu ziehen.

(Mertes, SPD: Die Ersten werden die Letzten sein!)

Die erste Lesung unseres Antrags fand in der letzten Plenarsitzung statt. Wir sind bewusst nicht den Weg der Schnellschüsse gegangen, wie zum Beispiel die Landesregierung, die bereits am Tag der Veröffentlichung der PISA-Studie, am 4. Dezember, die noch nicht existierenden Ganztagsschulen als wesentliche Schlussfolgerung anpries.

Was haben wir uns nicht alles in der letzten Plenarsitzung und in der Ausschusssitzung am 2. Mai von den Vertretern der Regierungsfraktionen und der Landesregierung im Hinblick auf unseren Antrag anhören müssen.

(Zurufe von der FDP)

Ich nenne einige Beispiele: Unser Parlamentsantrag sei überflüssig, da die Landesregierung bereits alle notwendigen Schritte eingeleitet hätte.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP)

Diejenigen, die jetzt klatschen, haben selbst einen Alternativantrag gestellt. Irgendwo ist es nicht ganz schlüssig, Herr Kollege Dr. Schiffmann.

(Lelle, CDU: Genau so!)

Wir hätten unseren Antrag von den Stellungnahmen der Landesregierung abgeschrieben. Anschließend gab es dann eine knallharte Sachdiskussion über vier, fünf oder sechs Punkte. Hätten wir abgeschrieben, hätte es wohl keine Diskussion gegeben. Weiter war zu hören, unser Antrag käme zu spät.

Nichts von dieser Kritik traf und trifft zu. Oh Wunder, mit Datum „14. Mai“ erreichte uns gestern ein mehrseitiger

Alternativantrag der Regierungsfraktionen. Ich verweise auf das, was ich im Vorspann gesagt habe, was man uns alles vorgeworfen hat. Dieser umfangreiche Alternativantrag ist fast wörtlich abgeschrieben von den verschiedenen Regierungsverlautbarungen und ein Aufguss ehemaliger Anträge vor allem von der SPD.

(Beifall bei der CDU – Schmitt, CDU: Was haben Sie anderes erwartet! – Zuruf von der SPD)

Dieser kurzfristige Alternativantrag beweist, dass unser Antrag vom Zeitpunkt und vom Inhalt her ein Volltreffer ist. Jetzt soll er elegant beseitigt werden.

(Beifall bei der CDU – Itzek, SPD: Rohrkrepierer! – Zuruf des Abg. Mertes, SPD)

In unserem Antrag, der sich mit dem Kindergartenbereich und der Grundschule befasst, wollen wir einiges, was auch die Regierung will. Wir wollen vor allem aber einiges besser und einiges anders machen.

Ich nenne Beispiele. Die Bedeutung der Kindergärten bedarf einer Neubewertung. Kindergärten müssen auch als Einrichtung der Bildungspolitik verstanden werden, die kindgerecht auf die Schulwelt vorbereiten. Wir fordern deshalb, dass die Landesregierung mit den Kindergartenträgern ein verbindliches Bildungskonzept erarbeitet. Ein Schwerpunkt in diesem Konzept muss der Erwerb der deutschen Sprache sein. Es darf doch nicht wahr sein oder bleiben, dass die Landesregierung Vorschriften im Hinblick auf den Bau von Kindertagesstätten macht. Da wird festgelegt, wieviel Toiletten vorzusehen sind, wie hoch sie sein müssen, wie die Türen sein müssen usw. Die Landesregierung macht Vorschriften im Hinblick auf den Personalschlüssel und die Ausstattung. Im Hinblick auf die Inhalte hält sich die Landesregierung vornehm zurück.

(Beifall bei der CDU)

Das ist nicht schlüssig.

Wir fordern deshalb, dass mit den Trägern ein Bildungskonzept erarbeitet wird, mit den Trägern und nicht gegen sie. Ein Schwerpunkt muss der Erwerb der deutschen Sprache sein. Deutsch sprechen und verstehen zu können, ist die Schlüsselqualifikation schlechthin. Das sieht man in der PISA-Studie fast auf jeder Seite erwähnt.

Wenn hier Defizite bestehen, so ist der weitere Bildungserfolg massiv infrage gestellt. Leider bestehen hier Defizite. Wir verlangen deshalb im Jahr vor der Einschulung verpflichtende Sprachtests auch für deutsche Kinder.

(Zuruf von der FDP)

Wenn bei diesen Tests Defizite festgestellt werden, fordern wir eine verpflichtende Teilnahme am Sprachunterricht. Um genügend Zeit für den gezielten Spracherwerb zu haben, muss der Anmeldetermin für die Grundschule, der im Dezember stattfindet, auf kurz nach

den Herbstferien vorverlegt werden. Bei der Anmeldung sollen die Sprachtests durchgeführt werden.

Ich komme zur Grundschule. Die Grundschule muss sich wieder verstärkt um Grundlegendes kümmern, nämlich um die Vermittlung der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen. Kein Kind sollte die Grundschule künftig ohne ausreichende Grundkenntnis in diesen Bereichen verlassen. Wir wollen, dass möglichst viele Kinder den Übergang in die 5. Klasse schaffen ohne Zurückstellungen oder Nichtversetzungen. Diese Zielsetzungen erfordern eine neue Förderkultur.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen eine Förderung für alle Kinder, solange diese Förderung notwendig ist. Wenn es sein muss, wollen wir auch eine Einzelförderung durch besonders ausgebildete Lehrer.

Das durchschnittliche Einschulungsalter beträgt in Rheinland-Pfalz etwa 6,5 Jahre. Das ist zu hoch. Das beklagen alle, auch die Landesregierung. So richtig etwas dagegen getan, dass es niedriger wird, hat sie noch nicht. Unser Ziel muss ein Einschulungsalter von ca. 6 Jahren sein. Vielerlei Maßnahmen sind dazu erforderlich. So muss der 31. Dezember als Stichtag für die Kann-Kinder wegfallen. Neue Konzepte wie zum Beispiel in Baden-Württemberg oder Bayern müssen her, die gezielt Rückstellungen vermeiden.

Wir wollen den Ausbau der Schulsozialarbeit vor allen in sozialen Brennpunkten. Wir haben bei den letzten Haushaltsberatungen entsprechende Anträge gestellt, die von den Regierungsfraktionen niedergestimmt wurden.

Wir wollen den Wegfall des so genannten muttersprachlichen Unterrichts aus mehreren Gründen. Der muttersprachliche Unterricht ist überholt. Er diente ursprünglich dazu, die Migranten-Kinder auf die wahrscheinliche Rückkehr in ihre Heimat vorzubereiten.

(Zuruf des Abg. Kuhn, FDP)

Herr Kollege Kuhn, das ist so. Ich war selbst Lehrer für diesen Bereich. Sie sollten wieder zurückkehren. Damals war das die These.

(Zuruf des Abg. Kuhn, FDP)

Heute kehrt so gut wie niemand mehr zurück. Die Geschäftsgrundlage ist also weggefallen.

Der muttersprachliche Unterricht überfordert vor allem die Grundschulkinder. Es ist doch aberwitzig, dass diese Kinder, die zum Teil enorme Defizite im deutschen Bereich haben, aus dem Unterricht in deutscher Sprache abgezogen werden und zum Teil parallel den so genannten muttersprachlichen Unterricht erhalten. Diese Kinder sollten im eigenen Interesse schnellstmöglich Deutsch lernen, damit sie integriert werden.

(Beifall bei der CDU)

Man muss auch sehen, was uns das kostet. Das kostet uns im Jahr etwa 6 Millionen Euro. Das sind über 130 Vollzeitlehrerstellen, die wir dafür bereitstellen. Wir stellen diese Vollzeitlehrerstellen bereit, dass die Integration dieser Kinder erschwert wird. Das darf doch wohl nicht wahr sei. Die Integration ist gefordert, das heißt, Ausbau des Deutschunterrichts.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Wir begrüßen weitere Gäste im Landtag, und zwar Mitglieder des Männergesangvereins „Sängerbund“ Forst mit ihren Damen. Seien Sie herzlich willkommen bei uns im Landtag!

(Beifall im Hause)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete BredeHoffmann das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Keller, ich erspare mir die gleiche Diskussion, die wir im Ausschuss geführt haben. Ich habe ein anderes Verständnis von Diskussionen im Ausschuss und im Parlament. Ihre Rede begann tatsächlich wortgleich wie im Ausschuss. Auch die Schlussfolgerungen waren völlig identisch. Ich denke schon, wir sollten auch im Plenum versuchen, uns etwas grundsätzlicher mit den Fragen zu beschäftigen. Im Ausschuss hatten wir die Zeit, es im Detail zu diskutieren. Das haben wir dort getan, ohne uns zum Beispiel in der Frage des muttersprachlichen Unterrichts einig zu sein. Das möchte ich betonen.

Lassen Sie mich aber noch einmal ein paar Daten zu dem Satz in Erinnerung rufen, wer der Erste und der Letzte war. Die PISA-Studie wurde Ende 2001 vorgelegt. Wenige Tage später bereits erfolgte die erste Reaktion der Kultusministerkonferenz. Die wichtigsten Handlungsfelder wurden aus der Sicht der Bildungsminister der Länder aufgezeigt. Herr Kollege Keller, zwei Monate später bereits legte Frau Ministerin Ahnen ein ausgefeiltes Maßnahmenprogramm vor, das Sie in der Tat in unserem Antrag wiederfinden. Das haben Sie richtig gelesen. Wir unterstützen dieses Maßnahmenprogramm. Wir freuen uns, dass bereits direkt danach – jetzt schon drei Monate her – eine öffentliche Diskussion über diese konkreten Vorschläge geführt worden ist, wie Schulentwicklung im Licht der Ergebnisse von PISA weitergehen könnte und welche Maßnahmen in unserem Bundesland als Reaktion auf die Ergebnisse von PISA vorzuschlagen seien.

Wir unterstützen die Maßnahmen, und wir haben uns über die Diskussion gefreut. Wir haben daran teilgenommen. Sie ist nicht erst vor wenigen Wochen von Ihnen geführt worden. Wir befinden uns also jetzt in der Phase, in der die Handlungsfähigkeit, die die Regierung

gezeigt hat, Früchte trägt und von uns – das betone ich jetzt auch – nicht eingefordert, vorgeschlagen oder formuliert wird, sondern unterstützt wird. So verstehen Sie bitte auch unseren Antrag als ein ganz deutliches Votum für das, was diese Landesregierung vorgeschlagen hat. Wir finden es richtig, und wir betonen es mit unserem Antrag erneut.

(Beifall bei SPD und FDP)

Sie haben die wesentlichsten Ergebnisse von PISA schon kurz angerissen: ein Besorgnis erregend hoher Anteil von Jugendlichen, die nur unterhalb eines Niveaus lesen und Lesen verstehen können, was sie brauchen, um vernünftig eine Berufsausbildung durchzuführen, ein fast nicht vorhandenes Niveau bei diesen Jugendlichen von Fähigkeiten, Texte zu interpretieren und auf andere Fragestellungen zu übertragen. – Fast genau die gleichen erschütternden Ergebnisse haben wir in der Tat auch im Bereich von Mathematik und Naturwissenschaften. Hier ist eben auch das Schlimme, dass die Transferleistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler nicht gegeben ist. Wissen ist vielleicht sogar punktuell gar nicht einmal so wenig vorhanden, aber die Transferfähigkeit dieses Wissens auf andere Fragen und möglicherweise Fragen des Alltags, die außerhalb der bis dahin behandelten Schulfragen stattgefunden haben, ist nicht vorhanden. An diesen Punkten – das ist für uns das Wichtige – müssen wir pädagogisch und didaktisch ansetzen.