Protokoll der Sitzung vom 22.05.2001

(Creutzmann, FDP: So ein Quatsch!)

Meine Damen und Herren, deswegen haben die Gewerkschaften zu Recht – ich sage das so – stinksauer reagiert, weil sie natürlich nicht mit einbezogen waren und weil ihnen dann vorgestellt wird: Bitte, hier habt ihr, friss Vogel oder stirb. – Wer so mit Gewerkschaften und

Arbeitnehmervertretern umgeht, der braucht sich dann nicht zu wundern, wenn er in eine öffentliche Kritik gerät. Zur Frage, das dann so darzustellen, als würde es nicht eins zu eins umgesetzt – Sie haben dazu Stellung genommen, Herr Ministerpräsident – und als wäre das noch offen, glaube ich nicht, dass es offen ist.

(Frau Klamm, SPD: Aber glauben ist nicht wissen!)

Ich glaube, Sie haben sehr wohl mit der FDP gezielt eine Richtung eingeschlagen – Herr Gerster genau so, vielleicht auch interessiert daran –, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwächt. Deswegen können wir eine solche Richtung nicht mittragen, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir können meines Erachtens noch einmal auf die verpassten Chancen in Rheinland-Pfalz zurückkommen. Meine Damen und Herren, die Energiepolitik ist im sonnenreichen, holzreichen und biomassereichen Land Rheinland-Pfalz eine der größten Chancen, neue Arbeitsplätze zu schaffen, aber auch die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft zu unterstützen. Wir haben hier an dieser Stelle oft genug Vorschläge gemacht, wie wir eine solche Unterstützung anleiern könnten. Nun kommen Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung zu dem Ergebnis, jawohl, wir nehmen die Fördergelder, die aus Berlin kommen, und wollen die effektiv in unserem Land einsetzen. Das ist eine gute Idee. Warum auch nicht? Aber warum kommt das nicht früher? Warum kommt es jetzt nicht gezielt auch mit mehr Förderung vonseiten des Landes? Warum wartet man darauf, dass Berlin eine gute Politik macht, die man immer wieder im Land hintertreibt, wenn man aber dann, wenn Geld kommt, das abgreifen will?

(Lewentz, SPD: Sie reden einen Quatsch, Herr Dr. Braun! – Politik hintertreiben! Was ist das für eine Wortwahl?)

Die FDP hat noch im Februar gegen das Gesetz über erneuerbare Energien einen Antrag in Berlin gestellt. Die FDP wollte dieses Gesetz immer schon kippen und wird es wahrscheinlich auch jetzt noch kippen wollen.

Deswegen glaube ich, die FDP ist nicht dazu in der Lage und nicht dazu fähig, erneuerbare Energien entsprechend zu fördern, in Rheinland-Pfalz erneuerbare Energien entsprechend zu unterstützen, so wie wir das in diesem Land brauchen könnten, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, die zukunftsfähige Arbeitsplätze im Land sind und nicht irgendwo anders, Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie hatten auch die Armut zu Recht angesprochen. Ich glaube, es ist ein Thema der Zukunft, gerade Kinderarmut, nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern insgesamt in der Bundesrepublik zu bekämpfen. Es gibt von den GRÜNEN auf Bundesebene Vorschläge, wie wir das

durchaus realistisch finanzierbar machen könnten, nämlich mit einer Kindergrunds icherung

(Pörksen, SPD: Das wäre bei euch das erste Mal realistisch!)

Herr Pörksen, ich glaube, das hören Sie zum ersten Mal, aber Sie werden es vielleicht noch öfter hören –,

(Pörksen, SPD: Realistisch!)

die verhindert, dass Kinder in Sozialhilfe geraten. Ein Drittel oder – ein bisschen weniger – ein Fünftel bis ein Drittel der Sozialhilfeempfänger sind Kinder. Der Anteil steigt. Das heißt, das Problem ist sehr groß. Deswegen brauchen wir noch einmal verstärkte Unterstützung in den sozialen Brennpunkten. Sie haben das auch angekündigt, dass Sie das unternehmen wollen, jetzt verstärkt die sozialen Brennpunkte auch finanziell zu unterstützen. Ich glaube aber, wir dürfen uns da keine Illusionen machen, wie ernst die Lage ist. Herr Itzek, wenn wir beispielsweise Ludwigshafen sehen, einige Stadteile in Ludwigshafen mit einem Ausländeranteil von über 50 %, wo die sozialen Probleme höher sind, dann weiß man, man braucht dort nicht nur Geld, man braucht dort natürlich auch die entsprechenden Erziehungssysteme, die Sie angekündigt haben. Aber man braucht dort beispielsweise eine Ganztagsschule. Man braucht dort eine Ganztagsschule nicht nur für 10 % der Kinder oder nicht nur für 20 % der Kinder, sondern man braucht dort eigentlich flächendeckend eine Ganztagsschule. In sozialen Brennpunkten braucht man eine verstärkte Bem ühung, Ganztagsschulen einzurichten.

(Lewentz, SPD: Das ist doch möglich! – Itzek, SPD: Wird doch kommen!)

Meine Damen und Herren, jetzt sagen Sie doch nicht, Sie könnten mit den 30 Millionen DM, 50 Millionen DM oder 70 Millionen DM schon diese Ganztagsschulen in allen sozialen Brennpunkten einrichten. Wir brauchen – das habe ich vorher angesprochen – verstärktes finanzielles Engagement des Landes für die Erziehungsarbeit. Wir brauchen verstärktes finanzielles Engagement des Landes für die Schulen. Was Sie hier an Ganztagsschulen einrichten wollen, ist ein erster guter Schritt. Darüber sind wir uns einig. Herr Fraktionsvorsitzender Mertes hatte seine Vision entwickelt, wie eine Ganztagsschule zu sein hat, meinetwegen nachmittags ein bisschen Sport, dann Musik usw.

(Böhr, CDU: Hochsprung!)

Das hört sich alles ganz gut an. Ich könnte jetzt sagen, das hört sich so an, wie Klein Joachim sich die Schule vorstellt. Aber wir brauchen dazu eine Qualität, die wir mit den 30 Millionen DM nicht schaffen können.

(Zuruf des Abg. Mertes, SPD)

Wenn wir in unseren Kommunen vor den Eltern stehen und sagen, das Land will 30 Millionen DM geben, dann lachen die sich – Entschuldigung – kaputt, weil sie genau wissen, dass der Unterricht ausfällt und die Probleme, die es im Moment gibt, schon nicht bewältigt werden können. Wenn ich 1 Milliarde DM in fünf Jahren für die

Mobilität vor allem im Straßenverkehr ausgeben kann, dann muss ich auch die Milliarde haben, die ich zusätzlich in der Bildung ausgeben kann, wenn ich die Bildung an die erste Stelle setzen wollte. Das würden wir tun, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Wort noch zur Chemiepolitik. Herr Ministerpräsident, gerade gestern wieder war in Ludwigshafen ein Unfall, von dem auch viele Kinder betroffen waren. Über 100 Menschen mussten in ärztliche Behandlung gehen. Das sind Unfälle, die das Vertrauen in die Chemieindustrie gerade in Ludwigshafen natürlich nicht stärken, sondern eher schwächen. Wir wollen nicht die Abschaffung der Chemieindustrie.

(Dr. Schiffmann, SPD: Sondern?)

Da wären wir bestimmt in der falschen Debatte, und da werfen Sie uns auch etwas Falsches vor. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, es gibt eine Sicherheit. Es gibt erhöhte Sicherheitsstandards.

(Ministerpräsident Beck: Habe ich das denn gesagt?)

Doch, wenn Sie das nicht verteidigen, dass dann die Chemieindustrie in Rheinland-Pfalz natürlich entsprechend die Arbeitsplätze abbauen wird.

(Ministerpräsident Beck: Habe ich gesagt, Sie wollen die Abschaffung der Chemieindustrie?)

Herr Ministerpräsident, das ist doch Ihre Argumentation gewesen. Aber es gibt eine sichere Chemieindustrie, die Sicherheitsstandards erhöhen kann. Da ist man im Moment bei BASF und anderen Firmen voll an der Arbeit. Aber man muss auch die entsprechenden Vorgaben vom Land haben.

(Pörksen, SPD: Vorschriften!)

Man muss entsprechende Vorgaben haben, die die Verbraucher und die Verbraucherinnen schützen.

Wenn die EU ein Weißbuch zur Chemikaliensicherheit herausgeben will, also wenn Sie vonseiten der EU entsprechende konkrete Umsetzungen machen wollen, dass Altchemikalien getestet werden, dann ist dies eine sinnvolle Sache. Dann ist das ein Verbraucherschutz, der sinnvoll ist. Dann ist es aber auch eine Sache, die eventuell das Vertrauen in die Chemieindustrie erhöhen könnte. Auch von diesem Standpunkt aus muss man dies diskutieren.

Wir müssen doch wissen, welche Altstoffe es in der Chemieindustrie gibt. Wir müssen doch wissen, wie die Chemikalien auf die Bevölkerung, auf die Verbraucher wirken. Dann kann ich doch nicht als Ministerpräsident nach Brüssel fahren und sagen, ich vertrete hier den Produzenten. Warum vertreten Sie nicht auch den Verbraucher und die Verbraucherin? – Der Produzent allein

regiert nicht. Die Wählerinnen und Wähler und die Verbraucher, die Sie gewählt haben, brauchen auch ihren Schutz, nicht nur der Produzent braucht seinen Schutz.

Ich glaube, es ist durchaus sinnvoll, über dieses Weißbuch zu diskutieren, damit es keine Doppelarbeit gibt und nicht jede Firma alle Nachweise führen muss. Aber es wäre falsch zu sagen, der verbesserte Schutz, den die EU machen will, schadet der Chemieindustrie.

Meine Damen und Herren, er schadet der Chemieindustrie nicht, sondern er kann der Chemieindustrie nützen, wenn wir den Umweltschutz und den Verbraucherschutz ernst nehmen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Überhaupt haben Sie all die Umweltthemen, die Sie aufgegriffen haben, zunächst einmal mit dem Zusatz „in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“ versehen. Das ist vollkommen richtig. Man muss auch sagen, ohne eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft können wir keinen Umweltschutz machen. Aber ich vermisse, dass die Verbraucher und die Verbraucherinnen, die Menschen, die eventuell gefährdet sind, den gleichen Stand, den gleichen Faktor in Ihrer Koalitionsvereinbarung haben wie diejenigen, die produzieren. Deswegen wäre es wichtig, bei der Agenda 21 festzulegen, nicht nur in Zusammenarbeit mit den Kommunen und der Wirtschaft wollen wir die Lokale Agenda 21 machen, sondern auch in Zusammenarbeit mit den Verbraucherinnen und der Bevölkerung. Genau das ist der Ansatz der Lokalen Agenda 21.

Meine Damen und Herren, davon ist im Koalitionsvertrag nichts zu lesen. Ich glaube, deswegen brauchen wir eine Demokratisierung über die Lokale Agenda, eine Dem okratisierung der Politik in Rheinland-Pfalz.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Vorgaben zur Mobilität, zum Dosenpfand, zur Kraft-Wärme-Kopplungsquote: All das haben Sie in Ihren Koalitionsvertrag hineingeschrieben sowie Umweltschutz, soziale Sicherheit usw. Bei dem, was durchaus einen bestimmten Stellenwert hat, sehe und vermisse ich die Quoten, die Sie festlegen wollen. Wo sind die genauen Ziele? Wo sind die Ziele der Erreichung, beispielsweise Produktion erneuerbarer Energie, ökologische Landwirtschaft? Wo sind die konkreten Ziele für die nächsten fünf Jahre? – Es wäre eine Chance gewesen. Ich glaube, es ist eine Chance, in einer Koalition festzulegen, innerhalb von fünf Jahren wollen wir konkret bestimmte Ziele erreichen, und daran lassen wir uns messen. Das machen Sie bei der Neuverschuldung. Die wollen Sie gegen null fahren. Ich denke, das ist richtig. Aber man könnte auch in anderen Bereichen Ziele vorgeben. So, ohne diese Vorgabe von Zielen, bleibt es – da gebe ich dann doch der CDU Recht – in den Teilen eine Art Beliebigkeit, eine Art Aufzählung von Beliebigkeit, wenn ich mich hinterher nicht daran messen lassen kann, was ich vereinbart habe.

Wir werden die Politik der Landesregierung in den nächsten fünf Jahren kritisch begleiten, und wir werden darauf drängen, dass Ziele auch umgesetzt werden.

Ich glaube, es lohnt sich für Rheinland-Pfalz, die Ziele, auch im Umweltschutz und im Bereich der sozialen Sicherheit, umzusetzen, die nicht im Koalitionsvertrag stehen.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Braun, es war schon – mit Verlaub – sehr amüsant, was Sie vorgetragen haben. Insbesondere Ihre innovative Wahlanalyse hat mich sehr beeindruckt.