Protokoll der Sitzung vom 25.09.2002

Es ist nicht nur enttäuschend, sondern es ist nicht sachgerecht, dass Sie gänzlich auf Regelungen für die kommunale Ebene bezüglich der Behindertenbeauftragten und Behindertenbeiräte verzichtet haben. Gerade auf kommunaler Ebene direkt vor Ort ist es am einfachsten und direktesten, Probleme anzusprechen, Beratungen zu suchen und sachgerechte Lösungen vorzubereiten.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will mich nicht weiter dazu äußern. Die kommunalen Spitzenverbände blockieren da; das ist unverständlich. Ich war schon in einer Kommune bei der Frage dabei, ob blindengerechte Ampeln aufgestellt werden sollen. Die Nachfrage bei den Blindenverbänden hat dazu geführt, dass die Kommune Geld gespart hat. Das geschah dadurch, dass nicht an unsinnigen Stellen solche Geräte aufgestellt wurden, sondern nur an den sinnvollen. Ich will das anmerken, um zu zeigen, dass der Sachverstand der Betroffenen zu sachgerechten Lösungen führt. Niemand sollte meinen, es würden unnötige Hemmnisse oder Kosten entstehen.

Wenn man sich anschaut, wie bestehende Einrichtungen auf freiwilliger Basis wie etwa in Mainz funktionieren und sich engagieren, dann gibt es überhaupt keinen Grund, Institute wie Behindertenbeauftragte und Behindertenbeiräte flächendeckend in Rheinland-Pfalz in den Kommunen einzuführen. Ich muss nicht darauf hinweisen, dass selbst Edmund Stoiber in Bayern eine entsprechende Regelung als Sollvorschrift getroffen hat. Die Juristen wissen, dass „soll“ eigentlich „muss“ heißt.

Ein großes Versäumnis besteht nach unserer Ansicht im Bereich der Erziehung und Bildung. Hier verstehen Sie die Aufgaben des Gesetzgebers wohl in der Hauptsache im Planungsbereich, im technischen und baulichen Bereich. Das gilt weniger für den erzieherischen Bereich in der Institution selbst. Wir glauben, dass es neben diesen wichtigen Fragen natürlich einen individuellen Anspruch in allen Bildungseinrichtungen auf Integration geben muss.

Frau Thelen, ich dachte, es wäre längst nachgewiesen, dass wir keine Diskussion darüber haben, ob Behinderte in Regelschulen irgendetwas aufhalten. Wir waren in der Diskussion eigentlich schon lange so weit, dass Behinderte in Regelschulen dazu führen, dass beide Seiten im erheblichen Maß voneinander profitieren und das Lernen, gerade das soziale Lernen, Nichtbehinderten einen riesigen Fortschritt bringt, wenn Behinderte integriert werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich kann nicht auf alle Details eingehen. Wir haben noch eine intensive Beratung vor uns. Die Anhörung ist bereits angesprochen worden. Ich will Ihnen etwas zur Anhörung im Sozialpolitischen Ausschuss sagen. Ich gehe davon aus, dass wir bei dieser

Anhörung, die gerade bei den Behinderten und ihren Verbänden großen Anklang und Interesse finden wird, – – –

(Rösch, SPD: Darüber sind Sie doch froh!)

Warum können Sie noch nicht einmal einen Halbsatz aushalten, ohne hier dazwischenzurufen.

(Rösch, SPD: Weil Sie alles in Frage stellen!)

Ich bin doch noch gar nicht fertig. Warten Sie doch einmal ab.

Ich gehe davon aus, dass wir diese Anhörung, weil sie einen solch großen Anklang finden wird, was ich begrüße, in barrierefreien Räumen abhalten werden. Dafür sollten Gebärdendolmetscher anwesend sein. Solche Details, was keine Kleinigkeiten sind, wie behindertengerechte Toiletten, sollten in ausreichendem Maß vorhanden sein.

Ich bin einmal gespannt, in welchen Räumlichkeiten wir uns bei dieser Anhörung wiederfinden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich darf Gäste im rheinlandpfälzischen Landtag begrüßen, und zwar zum Ersten die Karnevalsgesellschaft Schlotte aus Schifferstadt und zum Zweiten Damen und Herren unserer benachbarten katholischen Kirchengemeinde St. Peter vom dortigen Treffpunkt. Meine Damen und Herren, seien Sie uns alle herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Schmitz das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden leicht ertragen, wenn ich auf die spaßigen Träumereien meines Vorredners nicht näher eingehe, sondern mich darauf konzentriere, dass im Wesentlichen in den Äußerungen aller Fraktionen die unbedingte Unterstützung zum Ausdruck kommt, die man dem eingebrachten Landesgesetz zukommen lässt. Das verwundert nicht, wenn man Artikel 64 unserer Landesverfassung bedenkt, der lautet: „Das Land, die Gemeinden und Gemeindeverbände schützen behinderte Menschen vor Benachteiligung und wirken auf ihre Integration und die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen hin.“

Meine Damen und Herren, eines möchte ich für meine Fraktion dann doch sehr deutlich zurückweisen, dass wir in irgendeiner Form ein Hemmnis für dieses Landes

gleichstellungsgesetz hätten sein wollen. Herr Marz, ich werde im Lauf meiner Rede aber noch auf Details eingehen, die auch Ihnen erläutern, wo in der Tat Unterschiede liegen. Wir sollten das aber sehr unaufgeregt tun, weil der Wahlsonntag vorbei ist.

Die Aufforderung, die dieses Landesgesetz an uns alle richtet – Frau Thelen hat darauf hingewiesen –, richtet es insbesondere an staatliche Strukturen, aber eben nicht nur. Es ist klar, dass wir Liberale wie die meisten hier im Plenum nicht Sonderrechte für behinderte Menschen fordern, sondern echte Teilhabe und Gleichberechtigung statt Fürsorge im traditionellen Sinn. Ich gehe davon aus, dass wir uns alle darüber einig sind.

Wir Liberalen wollen die Situation behinderter Menschen so verbessern, dass ihnen ein Leben in der Mitte unserer Gesellschaft möglich ist. Ich sage es bewusst zum zweiten Mal, ich freue mich deshalb, dass die Diskussion generell von Konsens geprägt ist. Ich freue mich, dass in der Vergangenheit über die Leistungen des Landes hinaus auch Bundesgesetze auf den Weg gebracht wurden – beispielsweise das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten, das neue SGB IX, aber auch das Behindertengleichstellungsgesetz, das mit großer Mehrheit beschlossen wurde –, die das zum Ausdruck bringen.

Das heute eingebrachte Landesgesetz bewegt sich auf dieser Ebene, unterstützt diese Positionen und zeichnet sich dadurch aus, dass es ein Gesetzeswerk mit Augenmaß ist, das nicht nur Menschen mit Behinderungen gerecht wird, sondern auch – das ist manchmal bedauerlich, aber von der pragmatischen Seite her unumgänglich – die Finanzierbarkeit ebenso wie das Lebensgefühl der nicht Behinderten berücksichtigt, die selbstverständlich bei einem solchen Gesetz mitgenommen werden müssen.

Wenn man diese Kriterien anlegt, kann man dem Gesetzeswerk in der vorliegenden Fassung hohes Lob aussprechen.

Die zentralen Punkte wurden schon genannt: Verbot von Benachteiligung und Barrierefreiheit. – Wir bewerten das positiv und stützen es rückhaltlos.

Wenn ich jetzt einige Fragen formuliere, dann möchte ich betonen, dass das meine grundsätzlich positive Einstellung dem Gesetzeswerk gegenüber in keiner Weise relativieren soll. Es ist lediglich Ausdruck von tatsächlichen Fragen, die bei erster Durchsicht noch entstanden sind und die wir im Fortgang der parlamentarischen Beratung mit Ihnen allen zusammen noch klären möchten.

Beispielsweise fragen wir uns, ob die Beweislastumkehr, so wie sie sich jetzt im Landesgesetz befindet und wie sie sich im Landesgesetz selbst relativiert, weil sie dem Antidiskriminierungsgesetz vorgreift, das in Umsetzung von EU-Richtlinien notwendigerweise bis Mitte nächsten Jahres kommen muss, sehr klug ist. Wir sollten darüber sprechen. Ich möchte keine voreilige Wertung anbringen, aber wir sollten noch einmal darüber sprechen, ob sich insbesondere unter ordnungspolitischen und juristi

schen Bedingungen diese Vorwegnahme tatsächlich empfiehlt.

Es fällt auch auf, dass in der Terminologie dieser vielen Artikel – ich habe Verständnis dafür – vielleicht noch Angleichungen nötig sind. Wenn man es jetzt vorträgt, wirkt es wie Kleinigkeiten, aber gerade weil es so ein umfassendes Gesetzeswerk ist, ist es wichtig, auch auf die gleichartigen Definitionen und Termini zu achten. So ist beispielsweise einmal von Personen mit Kindern die Rede, in einem anderen Gesetzeswerk von Familien mit Kindern. Das sind natürlich unterschiedliche Begriffe. Dies sollte man der Klarheit zuliebe möglichst vereinheitlichen.

Herr Marz, ich möchte das aber ganz unaufgeregt auch noch einmal deutlich machen, wo wir durchaus unterschiedliche Positionen haben, die sich erfreulicherweise – angestoßen gerade von der Bundestagsfraktion der FDP – in diesem Gesetzeswerk wiederfinden. Das ist nämlich der komplizierte und schwierige Passus der Verbandsklage. Die Verbandsklage ist in diesem Gesetzeswerk gerade so definiert, dass sie Unklarheiten ausschließt und insbesondere dann den Verbänden eine Vertretungsbefugnis einräumt und ein „bevormundetes“ Klagerecht schafft, wenn Klagen in eigenem Namen des Klägers nicht möglich sind und ein Fall von allgemeiner Bedeutung ist. Das sind Einschränkungen, die ganz wichtig sind, um einerseits dieses Verbandsklagerecht zu halten, andererseits aber einer Prozessflut vorzubeugen, die dann doch wieder zu Musterklagen und Zusammenfassung von Fällen führen würde. Das ist eine Vorwegnahme von Diskussionen auf Bundesebene gewesen, die sich jetzt in Rheinland-Pfalz wiederfinden. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich.

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich auch – das wurde schon gesagt – für die Ausführungen zur Barrierefreiheit, die nicht nur körperliche Barrierefreiheit betreffen, sondern auch Barrierefreiheit im übertragenen Sinn. Ich freue mich über die neuen Ansätze zur Integration.

Herr Kollege Marz, natürlich wäre es schön – auch da sind wir uns einig –, wenn man auf Knopfdruck alles sofort haben könnte. Das ist keine Frage. Aber ich habe schon darauf hingewiesen, die Dinge sind an organisatorische und durchaus auch an finanzielle Voraussetzungen geknüpft. Sie haben das Beispiel mit den Blindenampeln selbst gebracht.

Meine Damen und Herren, das leitet für mich zum Landesbeirat zur Teilhabe behinderter Menschen über. Auch hinter diesem Beirat steht die FDP. Das ist überhaupt keine Frage. Ich erlaube mir aber nichtsdestotrotz gerade jetzt in erster Lesung grundsätzlich über dieses Gesetz hinausweisend die Frage, ob wir uns nicht irgendwann einmal in Klausur begeben sollten, um nachzudenken, wie wir unser repräsentativ-parlamentarisches System und die von uns allen geforderten neuen Formen direkter Demokratie und die diversen Beiräte und die diversen Beauftragten und die diversen Verbandsbefragungen in Zukunft so zusammenführen können, dass der Vorwurf einer drohenden „Lobbykratur“ nicht mehr so stark oder gar nicht mehr erhoben werden kann. Das bezieht sich nicht auf den Beirat für Behin

derte speziell, sondern ist ein Gedankengang, der meines Erachtens – ich sehe auch Nicken in anderen Parteien – auf fruchtbaren Boden stoßen könnte.

Meine Damen und Herren ich komme zum Schluss. Es kam auch schon zum Anklang, ich finde es sehr interessant, wenn man bedenkt, dass nur ca. 1 % der Kinder behindert sind, aber ca. 50 % der über 65-Jährigen. Das lässt alle die aufhorchen, die glauben, dieses Gesetz für behinderte Menschen betreffe sie nicht, sondern nur andere. Statistisch gesehen werden 51 % – 51 Abgeordnete dieses hohen Hauses – mit ihrem 65. Lebensjahr zur Gruppe der Behinderten zählen. Das zeigt deutlich, dass wir nicht nur für andere, sondern auch für uns selbst an diesem Gesetz weiterarbeiten sollten.

Danke sehr.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der SPD – Hörter, CDU: Das ist aber kein frenetischer Beifall gewesen! – Jullien, CDU: Höflichkeitsbeifall!)

Staatsministerin Frau Dreyer hat um das Wort gebeten. Ich weise darauf hin, dass sie die Zeit bereits um drei Minuten überzogen hat. Das kann sie. Dies eröffnet allerdings den Fraktionen die Möglichkeit, sich noch einmal zu Wort zu melden.

Frau Ministerin, bitte schön.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich fasse mich kurz. Wenige Bemerkungen noch von meiner Seite.

Zunächst an Herrn Abgeordneten Marz: das erste Landesgesetz infolge des Bundesgesetzes. – Das ist korrekt. Das stimmt. Das ist das Land Rheinland-Pfalz. Sachsen-Anhalt und Berlin haben zwar ältere Landesgleichstellungsgesetze, die müssen ihre Gesetze jetzt aber an die neue bundesrechtliche Gesetzeslage anpassen. Das heißt, sobald klar war, dass es ein Bundesgesetz geben wird, hat es nur noch Sinn gemacht abzuwarten, was drin steht und dementsprechend zügig ein Landesgesetz zu entwickeln; denn es würde keinen Sinn machen, ein Landesgesetz zu verabschieden und dann wieder eine Anpassung vornehmen zu müssen. – Vielleicht so viel zu diesem Punkt.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt: kein Hickhack in der Landesregierung. – Im Gegenteil, aus meiner Sicht haben wir dieses Verfahren mehr als zügig durchgeführt. Es gab eine sehr konstruktive Zusammenarbeit mit den Kollegen und den Kolleginnen. Dafür bedanke ich mich auch noch einmal ausdrücklich. Wir haben innerhalb von viereinhalb Mo

naten inklusive der Anhörung dieses Gesetzeswerk auf den Weg gebracht. Ich denke, das ist eine sehr kurze Zeit.

An Frau Abgeordnete Thelen möchte ich mich vielleicht noch einmal kurz zum Thema „Zeitpunkt“ wenden. Das würde ich gern noch einmal aufgreifen.

Natürlich will ich das Parlament nicht dahin gehend drängeln, dieses Gesetz möglichst schnell zu verabschieden. Ich denke jedoch, dass mit der heutigen Einbringung der Erwartungsdruck seitens der behinderten Menschen noch ein Stück weit größer geworden ist. Ich hoffe sehr, dass wir es in den dreieinhalb Monaten hinbekommen, das Gesetz intensiv miteinander zu erörtern, zu diskutieren, so dass gegebenenfalls ein In-KraftTreten zum 1. Januar möglich ist. Das wäre mein Wunsch. Es obliegt natürlich dem Parlament zu entscheiden, ob der Zeitplan entsprechend einzuhalten ist oder nicht.

Noch zum Vierten: Ich freue mich auf die inhaltliche Debatte. Ich denke, es ist ein Thema, über das sich wirklich sehr gut konstruktiv debattieren lässt. Es war heute auch wieder zu spüren. In der Tat gibt es in Rheinland-Pfalz einen großen Grundkonsens zur Behindertenpolitik. Deshalb können wir nur optimistisch der Debatte und dann auch der Verabschiedung des Gesetzes entgegensehen.

Herzlichen Dank.